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Freitag, 21. August 2020

Bei Filesharing-Abmahnung primär wichtig:

Die erfolgreiche Abwehr unberechtigter Filesharing-Abmahnungen ist kompliziert.

DIE SEKUNDÄREN DARLEGUNGSPFLICHTEN


Viele Internetnutzer ereilen beim Erhalt von urheberrechtlichen Filesharing-Abmahnungen noch immer etliche Unsicherheiten und Irrtümer hinsichtlich der sog. „sekundären Darlegungspflichten“. Wenn der Internetanschlussinhaber eigentlich auch erst im etwaig nachfolgenden gerichtlichen Verfahren zur substantiierten Rechtsverteidigung prozessual verpflichtet ist, empfiehlt es sich in einer Vielzahl von Abmahnungsfällen doch, der Gegenseite zwecks Vermeidung anschließender Klageverfahren bereits frühzeitig überzeugende Verteidigungsargumente entgegenzuhalten.

Dazu gehört die unmissverständliche Zurückweisung unberechtigter Tatvorwürfe und wahrheitsgemäße Darlegungen zur eigenen Router- und Endgeräte-Ausstattung, zur WLAN-Verschlüsselung sowie zum eigenen Internetnutzungsverhalten.

Anzugeben ist ferner, welche Haushaltsangehörigen oder Besucher mit Rücksicht auf ihre technische Ausstattung, ihr Nutzerverhalten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.

Insoweit ist der Anschlussinhaber auch im Rahmen des Zumutbaren zu Befragungen und Nachforschungen verpflichtet und hat mitzuteilen, welche relevanten Kenntnisse er auf welche Weise dabei ggf. erhalten hat.

Die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen und die darauf fußenden Darlegungen des Internetanschlussinhabers dürfen allerdings – was häufig selbst von Teilen der Rechtsprechung übersehen wird – vor dem Hintergrund des etwaigen Zeitablaufs von mehreren Wochen, mehreren Monaten und manchmal sogar mehreren Jahren nicht überspannt werden. Die prozessualen Anforderungen sind nämlich unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sachgerecht und fair zu begrenzen.

Ein zu dieser Thematik diesseits bereits im September 2018 errungenes Urteil des Landgerichts Bielefeld hat das in überzeugender Weise bestätigt. Soweit dennoch oft überhöhte Anforderungen an detailliertere sekundäre Darlegungen zurückliegender technischer, häuslicher und familiärer Abläufe und Verhaltensweisen gestellt werden, dient dies demgegenüber primär der zusätzlichen Verunsicherung vieler Abmahnungsadressaten.

Dem ist dann ggf. unter Hinweis auf einschlägige gerichtliche Urteile entschieden entgegenzutreten.

Samstag, 1. Juli 2017

Das Echo zum WLAN-Gesetz: Das #Einmaleins vom #Eigelb im #Schlupfloch

Das WLAN-Gesetz wird mit den Netzsperren noch einige Fragen aufwerfen

Es war der letzte Sitzungstag der aktuellen Legislaturperiode, als der Bundestag am 30.06.2017 das „TMG-Änderungsgesetz“, das sogenannte WLAN-Gesetz, beschlossen hat. WLAN-Betreiber sollen danach nicht mehr behördlich verpflichtet werden können, ihren Internetanschluss durch ein Passwort zu verschlüsseln und die Nutzer zu registrieren oder gar ihren offenen WLAN-Zugang einzustellen. Die Hoffnung, offenes WLAN anbieten zu können, ohne Angst vor Abmahnungen haben zu müssen, wächst.

Die Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries bewertet die Gesetzesnovelle als einen „wichtigen Baustein der Digitalen Agenda“. Fabian Reinbold witzelt auf netzwelt.de über „die Reform der Reform der Reform“.

Die Störerhaftung ist laut taz.de nun endlich „weitgehend vom Tisch“, nach der Stuttgarter Zeitung ist sie „passé“, die ZEIT redet von „abgeschafft“ - wie sz.de es formuliert „diesmal wirklich“.

Ingo Dachwitz von netzpolitik.org fragt sich, ob das nun ein „Running Gag mit Happy End“ ist und bezeichnet den bisherigen Zustand unserer digitalen Entwicklung in Deutschland als „peinlich“, zumal die bis dato geltende sogenannte Störerhaftung ein „lukratives Geschäftsmodell“ für spezialisierte Anwaltskanzleien bildete. Stefan Krempl bezeichnet deshalb auf heise.de das Ende der Störerhaftung auch als „den Garaus“ für ein „Damoklesschwert“.

Die Rechteinhaber bekommen allerdings nun die Möglichkeit, WLAN-Betreiber zur Sperrung bestimmter Seiten oder Inhalte zu verpflichten.

Diese stattdessen jetzt ermöglichten Netzsperren erzeugen bei Ingo Dachwitz „einen faden Beigeschmack“. Er sieht darin „eine Gefahr für die Kommunikationsfreiheit“, zumal das Sperr-Verfahren auch nach Auffassung zahlreicher Sachverständiger „zu ungenau geregelt sei“.

Netzsperren ohne Richtervorbehalt, praktisch „auf Zuruf“, haben denn auch für den SPD-Netzexperten Lars Klingbiel einen „Beigeschmack“, während sein Fraktionskollege Markus Held von einem „Meilenstein“ spricht. Tobias Keber von der Hochschule für Medien bezeichnet den vorgenommenen Interessenausgleich immerhin als „fair“. Für Stephan Tromp vom Handelsverband Deutschland stellt das Gesetz einen guten „Kompromiss“ dar.

Oliver Süme, Vorstand beim Verband der Internetwirtschaft eco, riecht „Wahlkampf“-Luft mit deshalb bemühter „Symbolkraft“ und kritisiert die privaten Netzsperren als neue „Hürden“, als „absurd und inakzeptabel“.  Und Florian Drücke vom Bundesverband Musikindustrie moniert einen aus seiner Sicht zu beklagenden „Durchsetzungs-Leerraum“. Für den IHA-Manager Stefan Dinnendahl ist das neue Gesetz für die Hotelbranche zumindest noch „nicht das Gelbe vom Ei.“

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, spricht vom „kleinen Einmaleins der Digitalisierung“ und rügt die Einführung der Netzsperren laut netzpolitik.org als einen „Elfmeter ohne Torwart, den die Große Koalition trotzdem danebenschieße“. Man lasse „den Bäcker an der Ecke und den Freifunker im Regen stehen“. Auf spiegel.de wird er mit der Befürchtung zitiert: „Gerade nichtkommerzielle Anbieter werden hier wieder abgeschreckt und entweder voreilig blocken oder aber erst gar nicht ihr WLAN öffnen.“ 

Dort führt Fabian Reinbold dann zutreffend aus: „Es wird wohl darauf ankommen, wie die Regelung zu den Unterlassungsansprüchen umgesetzt wird - von Privatpersonen, aber auch von gewerblichen Anbietern, die große WLAN-Hotspots in Städten betreiben - und nicht zuletzt von Abmahnanwälten, die bislang stets die Lücken jedes neuen Gesetzes für sich zu nutzen wussten.“

Ein etwaiges „Schlupfloch“ stellt der Strafrechtler Udo Vetter in seinem law blog vor: Nach dem Gesetzeswortlaut gelte die Privilegierung der WLAN-Betreiber lediglich bei einer Verletzung geistigen Eigentums durch die Nutzung eines „Telemediendienstes“. „Eine dezentral organisierte Tauschbörse, die wohl wichtigste Plattform für Urheberrechtsverletzungen, ist aber eher kein Telemediendienst.“ Das könne „sich doch als Schlupfloch für die Abmahnindustrie erweisen“. Die Rechteinhaber könnten „sich auf den Standpunkt stellen, dass die alten Abmahn- und Schadensersatzregeln unverändert weiter gelten, wenn zum Beispiel der Betrieb eines Filesharing-Clients wie eMule nicht unterbunden wurde.“

Die Linke Petra Sitte bewertet die Websperren als „ein völlig untaugliches Mittel“, illegale Inhalte im Netz zu verhindern. Sie sieht ein weiteres Problem: Kein privater Anbieter könne wissen, wie er seinen Router einstellen müsse.

Rechtsanwalt Christian Solmecke ist nach alledem  gespannt, „wie sich dieses Sperr-Instrument in der Praxis auswirken wird.“ In das gleiche Horn stößt Reto Mantz, Richter am Landgericht Frankfurt am Main, wenn er darauf hinweist, dass „aufgrund gesetzestechnischer Mängel Unklarheiten“ verbleiben, „die der beabsichtigten Rechtssicherheit im Wege stehen könnten“.

Der Abmahnungs-Drops, bzw. das Eigelb ist wohl doch noch nicht vollständig gelutscht. Da können sich noch einige Schlupflöcher der Abmahnbranche im kleinen oder großen Einmaleins aus Urheberrecht, Medienrecht und Prozessrecht auftun. Prost Mahlzeit.




Donnerstag, 16. Oktober 2014

Filesharing-Abmahnung vor dem EuGH - Piraten-Klage für offenes W-LAN

Ein Mitglied der Piratenpartei aus Bayern kämpft vor dem Landgericht München I und nun auch vor dem EuGH für Netzneutralität und Haftungsfreiheit beim Betrieb von ungesichertem offenem W-LAN.

Der Kläger betreibt per offenem WLAN einen Internetzugang für Geschäftspartner und Besucher. Er betreibt ein Gewerbe, in dessen Rahmen er Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen aller Art verkauft und vermietet. Das offene W-LAN dient nach Angaben des Event-Unternehmers auch der Werbung für seinen Betrieb.
Der engagierte Pirat erhielt eine Filesharing-Abmahnung von der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer, die für Sony Music Unterlassungs-, Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche geltend machte. Der Abmahnungsempfänger erhob eine negative Feststellungsklage gegen Sony Music und beruft sich darauf, dass er praktisch Zugangsanbieter und Provider ist und somit nach dem TMG nicht für die über das W-LAN-Netzwerk von Dritten übermittelten Inhalte verantwortlich ist. Er sei auch als Zugangsanbieter nicht verpflichtet, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen zur Vorbeugung gegen oder zur Verhinderung von vermeintlichen Rechtsverletzungen Dritter. Im Gegenteil: Wenn er als Zugangsanbieter derartiges täte, würde er die Netzneutralität eklatant verletzen und eine Auswahl der Inhalte, die über seinen Anschluss übermittelt werden, würde ihn als Betreiber erst recht haftbar für die angebotenen Inhalte machen.
Die beklagte Tonträger-Produzentin hat auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnungskosten gerichtete Widerklage gegen den Kläger erhoben.
Das Landgericht München tendiert zu der Rechtsauffassung,  eine Störerhaftung des W-LAN-Betreibers und damit eine Berechtigung zur Abmahnung sowie eine Verpflichtung zur Unterlassung zu bejahen, wenn das W-LAN-Netzwerk betrieben wird ohne die technisch möglichen Sicherungsmaßnahmen.
Die Münchener Richter haben allerdings erkannt, dass diese Rechtsauffassung mit den Haftungsprivilegierungen der E-Commerce-Richtlinie (insbesondere Art. 12,14 und 15),  in Deutschland gesetzlich umgesetzt im TMG, unvereinbar sein könnte. Der Kläger hat nämlich für den Fall, dass das Gericht § 8 TMG nicht anzuwenden beabsichtigt, hilfsweise beantragt, nach Art. 267 AEUV dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
“Ist die Richtlinie 2000/31/EG oder die Europäische Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten verbietet, Anbieter öffentlich oder anonym zugänglicher lnternet-Zugangsdienste unabhängig von einer gegen sie gerichteten gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung und unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für eine bestimmte drohende Rechtsverletzung zu verpflichten. allgemeine und permanente Maßnahmen zur Vorbeugung oder Verhinderung etwaiger zukünftiger Rechtsverletzungen seitens Teilnehmer des öffentlichen Internetzugangsdienstes zu treffen.” 
Das  Landgericht München I hat dem EuGH mit Beschluss vom 18.09.2014, Az. 7 O 14719/12, nun folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 
1. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG so auszulegen, dass “in der Regel gegen Entgelt” bedeutet, dass das nationale Gericht feststellen muss, ob die konkret betroffene Person, die sich auf die Diensteanbietereigenschaft beruft, diese konkrete Dienstleistung in der Regel entgeltlich anbietet,
 oder
 überhaupt Anbieter auf dem Markt sind, die diese Dienstleistung oder vergleichbare Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten,
 oder
 die Mehrheit dieser oder vergleichbarer Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden?
2. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass “Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk zu vermitteln” bedeutet, dass es für eine richtlinienkonforme Vermittlung lediglich darauf ankommt, dass der Erfolg eintritt, indem der Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk (z. B. dem Internet) vermittelt wird?
3. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art 2 Iit b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass es für “anbieten” im Sinne von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) ausreicht, wenn der Dienst der lnformationsgesellschaft rein tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, im konkreten Fall also ein offenes WLAN bereitgestellt wird, oder ist z. B. darüber hinaus auch ein “Anpreisen” erforderlich?
 4. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass mit “nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich” bedeutet, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?
5. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 in Verbindung mit Art 12 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass die Mitgliedstaaten dem nationalen Richter nicht erlauben dürfen, in einem Hauptsacheverfahren gegen den Zugangs-Provider eine Anordnung zu erlassen, wonach dieser es künftig zu unterlassen hat, es Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk über lnternet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen?
6. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) dahingehend auszulegen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Regelung von Art. 14 Abs. 1 lit. b) der RichtlinIe 2000/31 EG entsprechend auf einen Unterlassungsanspruch anzuwenden ist?
7. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass sich die Anforderungen an einen Diensteanbieter darin erschöpfen, dass Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person ist, die einen Dienst der Informationsgesellschaft anbietet?
8. Falls Frage 7 verneint wird, welche zusätzlichen Anforderungen sind im Rahmen der Auslegung von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) an einen Diensteanbieter zu stellen?
9. a) Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) unter Berücksichtigung des bestehenden grundrechtlichen Schutzes des geistigen Eigentums, das sich aus dem Eigentumsrecht ergibt (Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union), sowie der in folgenden Richtlinien getroffenen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, vor allem des Urheberrechts:
– 2001/29fEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft,
– 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
 sowie unter Berücksichtigung der Informationsfreiheit sowie des Unionsgrundrechts der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union)
 dahingehend auszulegen, dass er einer Entscheidung des nationalen Gerichts in einem Hauptsacheverfahren nicht entgegensteht, wenn in dieser Entscheidung der Zugangs-Provider kostenpflichtig dazu verurteilt wird, es künftig zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile daraus über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen und dem Zugangs-Provider damit freigestellt wird, welche technischen Maßnahmen er konkret ergreift, um dieser Anordnung nachzukommen?
   b) Gilt dies auch dann, wenn der Zugangs-Provider dem gerichtlichen Verbot faktisch nur dadurch nachkommen kann, dass er den Internetanschluss stilllegt oder mit Passwortschutz versieht oder sämtliche darüber laufende Kommunikation darauf untersucht, ob das bestimmte urheberrechtlich geschützte Werk erneut rechtswidrig übermittelt wird, wobei dies schon von Anfang an feststeht und sich nicht erst im Rahmen des Zwangsvollstreckungs- oder Bestrafungsverfahrens herausstellt? 
Die dem EuGH vorgelegten Fragestellungen entbehren zwar durchaus teilweise bereits selbst nicht gewisser Kritikwürdigkeit, wie der Kollege Stadler zu Recht kommentiert hat, das weitere Verfahren darf man dennoch mit Interesse verfolgen.

Montag, 18. Februar 2013

"Rasch" noch 'ne Unterlassungserklärung zur Filesharing-Abmahnung?

 

Wen stört die Störerhaftung?                         In letzter Zeit erhalten immer mehr (Alt-)Empfänger von Filesharing-Abmahnungen neue Anwaltspost - insbesondere aus Hamburg. Darin wird trotz bereits abgegebener Unterlassungserklärung "rasch" die Abgabe weiterer Erklärungen verlangt oder zumindest angeregt - mit der Andeutung ansonsten bestehender zusätzlicher Prozessrisiken. Die vorausgegangene Erklärung decke die Störerhaftung nicht ab.


Die Abfassung einer interessengerechten modifizierten strafbewehrtenUnterlassungserklärung stellt gewachsene Herausforderungen an Laien und Juristen, erst recht, wenn nachträglich vom Abmahner "Nachschlag" verlangt wird. Welche - zusätzliche - Formulierung ist verantwortbar und schadensmindernd und vermeidet unnötige Vertragsstrafen und unnötige Prozessrisiken?

Vormals von der Mehrzahl der Abmahnanwälte akzeptierte Erklärungsinhalte dahingehend, es zukünftig zu unterlassen, das geschützte oder die geschützten Werke des vermeintlichen Rechteinhabers im Internet im Rahmen sogenannter Tauschbörsen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werden immer öfter als unzureichend gerügt, wobei einige Abmahner auch den Zusatz "oder öffentlich zugänglich machen zu lassen" nicht mehr als ausreichend akzeptieren. Häufig wird nun verlangt, verknüpft mit dem jeweiligen Vertragsstrafen-Versprechen zuzusagen, zukünftig jedes "Bereitstellen" (so der m.E. fragwürdig tenorierte, berüchtigte Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11.01.2013) von Werk-Daten zum Abruf durch andere Filesharing-Teilnehmer oder jedes "Ermöglichen" der jeweils in Rede stehenden, angeblichen Rechtsverstöße zu unterlassen.

"Ermöglichen" ist ein sehr weiter, ein zu weiter Begriff.

Hintergrund sind die unterschiedlichen sachverhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen einerseits der Täterhaftung (einschließlich Teilnehmer-Haftung) und andererseits der sogenannten Störerhaftung, die ihrerseits etliche unterschiedliche und höchst umstrittene Ausprägungen hat. Dem wird eine offene und vieldeutige Vokabel wie das "Ermöglichen" nicht gerecht.

Deshalb an dieser Stelle der hoffentlich zu Kritik, Ergänzung, Verbesserung und/oder Verwerfung aufmunternde, auf den ersten Blick vielleicht etwas kryptische Vorschlag, neben selbstverständlich zahlreichen weiteren erforderlichen Überlegungen im Zusammenhang mit einer modifizierten Unterlassungserklärung derzeit (vorbehaltlich ausstehender Erkenntnisse z. B. hinsichtlich der noch nicht veröffentlichten Entscheidungsgründe zum Urteil des BGH vom 15.11.2012) folgendes Formulierungsfragment konkretisierend in die UE aufzunehmen:
"... wobei die Unterlassungsverpflichtung so zu verstehen ist, dass sie auch eine sogenannte "Störerhaftung" umfasst, ein etwaiges schuldhaftes zukünftiges Verhalten, das ein entsprechend vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen außenstehenden, unbefugten Dritten ermöglicht, indem der Zugang zum privaten WLAN-Anschluss des/der Erklärenden pflichtwidrig nicht in zumutbarer und hinreichender Art gesichert wird und/oder indem minderjährige befugte Nutzer des privaten Internetanschlusses nicht pflichtgemäß über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt werden. ..."

Hiermit wird sowohl eine zukünftige (und für die Vergangenheit übrigens keineswegs eingeräumte) Störerhaftung wegen unzureichender Sicherung des häuslichen WLAN-Netzwerkes als auch eine unzureichende Belehrung minderjähriger Kinder erfasst, ohne die Störerhaftung etwa z.B. auf übertriebene Kontroll- und Überwachungspflichten oder vermeintliche Belehrungspflichten gegenüber erwachsenen Kindern oder Ehepartnern auszuweiten.

Auch das vorstehende Erklärungsfragment sollte in der Mehrzahl der Fälle natürlich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage sowie für weitergehende Ansprüche und insbesondere auch unter Protest gegen irgendeine Kostentragungspflicht, dennoch allerdings mit rechtlicher Verbindlichkeit, abgegeben werden. Darüber hinaus sind immer auch die jeweiligen spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sorgfältig zu klären und zu berücksichtigen.

Mit der vorstehenden ergänzenden Erklärung sollte möglichst auch ausdrücklich keine Aufnahme oder Fortsetzung von Verhandlungen über vermeintliche Ansprüche oder über vermeintliche Ansprüche begründende Umstände verbunden werden, außer dies und eine damit ggf. verbundene Hemmung einer noch laufenden Verjährungsfrist sind gewollt.

Der Entwurf ermöglicht vielleicht, die von einigen Gerichten und Anwälten propagierte ausufernde Formulierung der "Ermöglichung" von Urheberrechtsverletzungen in angemessener Weise einzugrenzen und damit auch das Risiko zu weitgehender vertraglicher Bindungen im Rahmen einer vertragsstrafenbewehrten Unterlassungserklärung zu minimieren. Verlangt der Abmahner die Erfassung weitergehender Haftungsszenarien, wird er m.E. entsprechende konkrete Verstoßsachverhalte darlegen und beweisen müssen, was schwierig werden dürfte.

In jedem Fall kann der oben zitierte Entwurfsauszug nur eine vorläufige Handhabung bei Filesharing-Abmahnungen sein, da anstehende höchstrichterliche Entscheidungen noch weitere Klärungen herbeiführen können, die neue Formulierungsanpassungen sinnvoll machen. 

Samstag, 30. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (2)

Teil 2:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt immer noch.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen. Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007.
Das Gericht hatte mit bemerkenswerter, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschreitender Sprech-Geschwindigkeit in den Sach- und Streitstoff eingeführt und bemühte sich erkennbar darum, möglichst innerhalb der zunächst angesetzten 30-minütigen Verhandlung den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden. Die Vergleichsbereitschaft des Internetanschluss-Inhabers sollte mit einem - nach den Worten des Gerichts - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses, beflügelt werden: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren sei.

Die - ohnehin und insbesondere auch in ihren konkreten Anwendung - umstrittene Störerhaftung ist allerdings nicht wirklich seriös mit der verkehrsrechtlichen Halterhaftung vergleichbar: Für Internetanschlüsse gibt es (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften. Die von der Rechtsprechung entwickelte urheberrechtliche Störerhaftung verlangt - anders als die Halterhaftung - zudem die Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten. PKW und Router: Ein verkehrs- und urheberechtlich vollkommen "verunglückter" Vergleich also. Der LAN-/WLAN-Router ist eben kein PKW. 
Da hilft es auch nichts, dass die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage wieder mal zu zweit bei Gericht erscheinen, also praktisch mit "Beifahrer" - oder man könnte auch, humorvoll und nett gemeint, sagen: Wie "Waldorf und Statler".
Der engagierte Amtsrichter meinte dann, es gehe ihm darum, "gewisse Wahrscheinlichkeiten nachzufragen."

Damit sind wir beim Thema "Beweislast im Filesharing-Verkehr" angekommen:
Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber dramatische Beweislasten vor Augen, m. E. so dramatisch wie falsch: Tatsächlichen Vermutungen dürfe nicht mit anderen Vermutungen begegnet werden. Unwägbarkeiten gingen zu Lasten des Internetanschluss-Inabers. Ja, dann ist ja alles klar. Keine Chance für Internet-User.

Nein. Das Gericht verwechselt anscheinend "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist. 
Insoweit werden gleichzeitig - wie so oft - eingeschränkte Beweisführungspflichten mit weitergehenden Beweislasten verwechselt.

Ist das der gerichtliche Filesharing-Beweislaster-Schwerverkehr oder der schwer lastende Verkehrsbeweis bei Filesharing-Gerichten oder sind das die verkehrten Gerichtslasten bei schweren Filesharing-Beweisen? Es gipfelte jedenfalls - wie gesagt - in der gerichtlichen Kundgabe: "Unwägbarkeiten gehen zu Lasten des Beklagten."

Das Gericht erklärte, nach seiner Kenntnis sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei. Der Anwalt des Beklagten wies darauf hin, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit erstmalig entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind. Aussagekräftige Gutachten liegen bis heute nicht vor, schon gar nicht zu Lasten von Abmahnungsempfängern.

Auch die beiden anwesenden Rechtsanwälte der klagenden (Hör-)Buch-Verlage konnten nichts Gegenteiliges darlegen.
Ein Vergleich - bis auf den zwischen PKW und Internet-Router - ist in dieser Angelenheit bisher nicht zustande gekommen. Zu viel verkehrter Filesharing-Verkehr zu Lasten des Beklagten.

Das verfahrene Verfahren geht weiter.

Fortsetzung folgt.


Und zuvor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Mittwoch, 27. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München

Teil 1:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt:

Amtsgericht München Pacellistraße
Keine krachlederne Verhandlungsführung - nein, eine von erkennbarer Aktenkenntnis des promovierten Richters geprägte Einführung in den Sach- und Streitstand. Es geht um die Filesharing-Abmahnung von drei (Hör-)Buch-Verlagen, aus denen mittlerweile zwei Verlagskonzerne geworden sind. Diese fordern Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten vom Beklagten, der auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007 der Verletzung von Urheberrechten per Online-Tauschbörse verdächtigt wird.

Der Verkehrsfunk von Radio Arabella hatte im Taxi vom Münchener Flughafen in diePacellistraße eine freie Fahrt und keine Verkehrsstörungen vorhergesagt. Und so war es auch. Bis zur pünktlichen Ankunft bei Gericht.

Die sehr konzentrierte richterliche Zusammenfassung der  zuvor schriftsätzlich anwaltlich gewechselten Standpunkte erfolgte in einer bewundernswerten gerichtlichen Sprech-Geschwindigkeit, die - gefühlt - die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschritten hat. Wäre der Beklagte nicht zuvor eingehend von seinem Anwalt über alle relevanten materiell-rechtlichen und verfahrens-rechtlichen (das hat manchmal auch mit "sich verfahren" zu tun ;-) Gesichtspunkte eingehend unterrichtet worden, hätte der juristische Laie der Verhandlung wohl kaum folgen können - weder zu Fuß, noch mit dem Auto. Für den Verhandlungstermin nach über 100 anwaltlichen Schriftsatzseiten (zzgl. umfangreicher Anlagen) waren allerdings auch nur 30 Minuten angesetzt. Das erwies sich als knapp bemessen. Aber zunächst einmal Schluss mit dem Thema "Raserei" in "Zone 30".


Auf konkretere Sachverhalt-Details wird evtl. zu späterer Zeit einzugehen sein. Hier im ersten Teil dieser Filesharing-Verkehrs-Glosse soll es zunächst um einen Gesichtspunkt gehen:

Die Halterhaftung für Autos.

Das Gericht führte - wie in München insbesondere bei Filesharing-Verfahren (nomen est omen, s.o.) bewährt - intensive Vergleichsgespräche, woran grundsätzlich natürlich nichts auszusetzen ist. Die Mandanten sollten auch prozess-ökonomische Überlegungen nie außer Acht lassen und es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Gerichts, gerade in der Güteverhandlung den Versuch der einverständlichen Lösung einer evtl. verfahrenen (!) Streit-Situation zu unternehmen.

Im hier betroffenen Streit um Täterhaftung und Störerhaftung beim vermeintlichen Filersharing-Verkehr wagte das Gericht allerdings eine Vergleichs-Förderung und -Forderung mit einem - nach eigenen Worten - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren ist.

Das diese Beispiel nicht nur ein schlechtes, sondern ein sehr schlechtes Beispiel zur Darlegung bzw. Begründung der Störerhaftung ist, wurde selbstverständlich anwaltlich sofort unmissverständlich vorgetragen - unter anderem unter Hinweis darauf, dass es für Internetanschlüsse (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften gibt. Entlarvend für eine unangemessene Ausweitung des richterlich entwickelten Rechtsinstituts der Störerhaftung ist das unglückliche oder verunglückte Beispiel allemal. Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage waren übrigens wieder mal zu zweit erschienen, praktisch mit "Beifahrer".

Und demnächst im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr

Fortsetzung folgt.

Sonntag, 27. Mai 2012

Ja, ja. Die modifizierte Unterlassungserklärung und andere Überlegungen nach Filesharing-Abmahnung

Oder: Die Geschichte vom Studenten, der alles weiß ...


Der junge Student, der am frühen Nachmittag zu mir ins Büro kam, war bester Laune. Eigentlich hätte er gar nicht vorbeikommen wollen; aber seine Freundin habe ihn dazu gedrängt. Die habe "Angst" - obwohl er sich bestens in der Sache auskenne.

Okay, nun sei er da und ich könne mir "diese Sache" ja mal kurz anschauen. 

Er legte mir einen Umschlag mit anwaltlicher Abmahnungspost und die Kopie eines von ihm gefertigten kurzen Antwortschreibens vor. Er habe bereits "alles Erforderliche" getan - die Unterlassungserklärung "selbstverständlich nur modifiziert" abgegeben und danach - er holte einen weiteren Umschlag aus seiner Mappe - dann ein weiteres Schreiben der gleichen Anwaltskanzlei erhalten. Und heute Morgen wäre noch eine Filesharing-Abmahnung eines anderen Rechtsanwalts im Briefkasten gewesen.

Über das Thema "Online-Tauschbörsen" hatte sich der selbstbewusste junge Mann wirklich bestens informiert. Und auch zur Problematik der massenhaften P2P-Abmahnungen hatte er schon viel im Internet gelesen. 

Im anwaltlichen Beratungsgespräch erörterten wir u. a., wie wann und von wem sein Internetanschluss mit dem LAN-/WLAN-Netzwerk eingerichtet, verschlüsselt und darüber hinaus gesichert worden war. Außerdem erklärte mir der Abmahnungsempfänger, wer sonst noch Zugang zu dem Netzwerk hatte und hat und warum er sich keiner Schuld bewusst sei.

Bei Überprüfung der selbstbewusst abgegebenen "modifizierten" strafbewehrten Unterlassungserklärung musste ich dann doch noch etliche - eigentlich vermeidbare - Fehler feststellen:

  • Die Erklärung war zwar "ohne Anerkenntnis, aber dennoch rechtsverbindlich" abgegeben worden. Dies erfogte jedoch leerformelhaft und ohne optimalere Substantiierung.
  • Ein Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs war nicht gestrichen worden.
  • Die Vertragsstrafen-Bewehrung wurde nicht ausdrücklich auf schuldhafte Verstöße beschränkt.
  • Es wurde zur Regelung der Vertragsstrafenhöhe der neue Hamburger Brauch verwendet, allerdings mit auslegbarer Untergrenze von de facto über 5.000,00 Euro.
  • Es wurde bei der Vertragsstrafe nach neuem Hamburger Brauch keine nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung zulässige Obergrenze festgelegt.
  • Bei Abgabe der Erklärung hat man keine bewussten Abwägungen dazu vorgenommen, ob und in welcher Weise im konkreten Fall eine eher enge oder eine eher weite Fassung des Verbotstatbestandes sinnvoll und zielführend ist.
  • Die eingegangene, lebenslang gültige Unterlassungsverpflichtung umfasste Verhaltensweisen, die eigentlich gar nicht rechtswidrig sind und deren Verbot schon deshalb unnötig und nachteilig ist.
  • Über evtl. sinnvolle Vorkehrungen zur Vermeidung weiterer Abmahnungen und/oder Vertragsstrafen hat man sich keine konkreten Gedanken gemacht.
  • Es fehlten rechtlich zulässige und gebotene auflösende Bedingungen für die Fälle sich ändernder Gesetzeslage, Rechtsprechung und/oder Sachverhaltserkenntnisse.

Darüber hinaus musste mein Besucher feststellen, dass er sich falsche Vorstellungen über die Haftung für Filesharing gemacht hat; über die sogenannte "Täterhaftung" auf der einen und die sogenannte "Störerhaftung" auf der anderen Seite und über damit auch im Zusammenhang stehende etwaige Ansprüche auf Schadensersatz und Kostenerstattung. 

Zudem zeigte sich der Hobby-Jurist überrascht darüber, wie die Darlegungs- und Beweispflichten in seinem Fall prozessual wirklich verteilt sind. 

Die aktuellen Rechtsprechungstendenzen - u. a. auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - waren ihm neu, ebenso wie nähere Darlegungen zu praktischen Taktiken und Handhabungen seitens der unterschiedlichen Abmahnungskanzleien. Selbst in technischer Hinsicht hatte der begeisterte Internet-Freak zu Fragen der IP-Adressen-Ermittlung und der Anti-Piracy-Software doch noch ihm vorher unbekannte Erkenntnis-Lücken.

Ich habe meinem neuen Mandanten empfohlen, seiner Freundin einen Blumenstrauß mitzubringen.

Donnerstag, 17. Mai 2012

P2P-Abmahnung in der Finnen-Sauna: Offenes WLAN und EU-Recht

Finnische Abmahnungs-Sauna: Die Finnen bringen die Abmahn-Lobby in's Schwitzen. Ein dortiges Bezirksgericht gab einer Internet-Anschlussinhaberin Recht und wies eine auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Filesharing-Klage unter Hinweis auf europäisches Recht ab.

Auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwälte aus Helsinki berichten über einen aktuellen Tauschbörsen-Prozess, in dem das Finnish Anti-Piracy Centre, ein Verband der finnischen Unterhaltungs- und Rechteverwerter-Industrie, die Bewohnerin eines früheren Schulgebäudes angegangen ist.

Den P2P-Vorwürfen liegt ein angeblich 12-minütiger Filesharing-Vorgang vom Juli 2010 zugrunde, der über den unverschlüsselten WLAN-Zugang der Beklagten erfolgt sein soll. Gleichzeitig - allerdings wohl nicht nur 12 Minuten lang - fand auf dem Gelände der früheren Schule eine Sommer-Theater-Veranstaltung statt mit ca. 100 Besuchern. Die Beklagte war zur fraglichen Zeit nicht zu Hause und sollte nun ca. 6.000,00 Euro an die Rechteverwerter zahlen.

Das Gericht stützt seine Klageabweisung maßgeblich auf finnische Umsetzungsgesetze zur E-Commerce-Richtlinie, zur Urheberrechtsrichtlinie sowie zur Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Die Klägerseite habe eine rechtlich beachtlichen Beweis für eine Beteiligung oder Verantwortlichkeit der Anschlussinhaberin nicht erbracht. Unter Berücksichtigung der vorerwähnten EU-Richtlinien könne die Internet-Anschlussinhaberin nicht allein deshalb für etwaige Urheberrechtsverletzungen Dritter haften, nur weil sie den Internetanschluss nicht verschlüsselt habe.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der klagende und "ins Schwitzen" geratene Anti-Piraterie-Verband wird voraussichtlich Berufung einlegen. Die Anwaltskollegen Ville Oksanen und Lassi Jyrkkiö aus Helsinki wollen erforderlichenfalls eine Entscheidung des EuGH herbeiführen. Das weitere Verfahren ist insbesondere wegen der in der Vergangenheit ausufernden und unverhältnismäßigen Bemühungen der Abmahn-Lobby, das ohnehin zweifelhafte Rechtsinstitut der Störerhaftung inflationär überzuinterpretieren bzw. zu missbrauchen, hochinteressant. Über die diesbezüglich aktuell erfreulich kritische Tendenz des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits berichtet. Auch für Hotspots wird der Prozess-Fortgang von großem Interesse sein.

Ich drücke die Daumen und bleibe am Ball.


Donnerstag, 26. April 2012

Die brave Filesharing-Abmahnung gegen wachsende technische und rechtliche Widerstände: Störer, Router, Trojaner und Richter

Neulich in einem Hinterzimmer einer Rechte-Verwertungs-Gesellschaft mit noch gut funktionierendem Geschäftsmodell im Geschäftsfeld "Urheberrecht": 

"Da soll noch einer sagen, 'ne Filesharing-Abmahnung sei ungerechtfertigt. Das sind doch alles nur billige "Schutzbehauptungen".

Na ja, dass wir extra eine GmbH gegründet haben, die sich spezielle Lizenzrechte einräumen lässt, bzgl. einzelner Musik- und Filmwerke Filesharing zu betreiben, hatte nicht wirklich den Sinn, tatsächlich diese z. T. kaum herkömmlich verwertbaren Werke in P2P-Systemen einzustellen (wenn, dann allenfalls zu dem Zweck, andere zum abmahngeeigneten Filesharing zu verführen ;-)
Primärer Anlass war die fiktive Gestaltung von theoretischen Verwertungsrechten, die wir eigentlich gar nicht selbst verwenden wollen, sondern auf deren Basis wir dann lukrative Abmahnungen an Inhaber von Internetanschlüssen und potentielle Filesharing-Teilnehmer versenden können. Was soll daran bitte rechtsmissbräuchlich sein?

Auch dies Gerede um mögliche unterschiedliche Zeitmessungen des crawlenden Anti-Piracy-Unternehmens auf der einen Seite und des Internet-Service-Providers auf der anderen Seite können wir nicht mehr hören. Das nervt - wenn auch in Einzelfällen daran was dran sein mag. Auf Einzelschicksale können wir da wirklich keine Rücksicht nehmen.

Das gleiche gilt für angeblich manipulierbare IP-Adressen und mögliche Veränderungen von Datei-Inhalten nach gleichbleibendem, zuvor generiertem Hashwert. Es muss zudem reichen, wenn die Test-Downloads oft nur wenige Sekunden umfassen. Monitoring und Speicherplatz kosten schließlich Geld.

Jeder Internet-Anschlussinhaber und jede Internet-Anschlussinhaberin ist selbst schuld, etwas so gefährliches wie einen Internet-Anschluss zuzulassen. Die sollen uns erstmal beweisen, das sie nicht selbst Filesharing betrieben haben. Obwohl der BGH insoweit eigentlich nur von einer sekundären Darlegungslast spricht und nicht von einer Beweislast des Abmahnungsadressaten. Und obwohl der BGH in dem gern von uns erwähnten Urteil vom 12. Mai 2010 ausdrücklich ausgeführt hat, dass eine mangelhafte Absicherung des Internet-Anschlusses noch keine Filesharing-Täterschaft, keine täterschaftliche Urheberrechtsverletzung und noch keine Schadensersatz-Ansprüche begründet.

Außerdem bleibt uns ja immer noch die Störerhaftung, die sowieso keiner richtig kapiert. Wir meinen, dass damit alle Internet-Anschlussinhaber für alles haften müssen, was uns stört. Die vom BGH angenommene "Prüfungspflicht hinsichtlich ausreichender Sicherungsmaßnahmen ... um unberechtigte Zugriffe Dritter auf das Drahtlosnetzwerk zu verhindern" ist doch eine tolle Sache, zumal sich immer deutlicher herausstellt, dass "unberechtigte Zugriffe Dritter" auf ein WLAN-Netzwerk praktisch mit den üblichen "Sicherungsmaßnahmen" eben doch nicht verhindert werden können: Die aktuellen Erkenntnisse um Sicherheitslücken von Telekom-Routern (trotz WPA2-Verschlüsselung und trotz ultralangem und kompliziertem Passwort) belegen das. Und sogar in LAN-Netzwerken können z. B. durch Rootkits verschleierte Trojaner-Angriffe mit fremden Filesharing-Teilnahmen über den eigenen Rechner bzw. den eigenen Internet-Anschluss nicht seriös ausgeschlossen werden. Aber wir lassen uns auch von den Diskussionen um Bundes- oder Staatstrojaner nicht in unserer stringenten Einschätzung der abmahnungsbegründenden Sach- und Rechtslage beirren - nur nicht von Fakten verwirren lassen ;-) ... und auch nicht von kritischer Schelte des Bundesverfassungsgerichts wegen Verdrängung von kritischen obergerichtlichen Argumenten, die gegen eine Haftung für Ehegatten oder für (fast oder bald) erwachsene Söhne oder Töchter oder andere (Familien-)Angehörige sprechen. Stattdessen weiter so ... "

Fragt sich nur, wie lange noch.



Samstag, 31. März 2012

Flyer der Musik-, Film- und Buch-Branche "überfliegt" wesentliche Aspekte über Filesharing, Streaming, Blogs, Abmahnungen und Strafverfahren

Ein sich insbesondere an Eltern und Lehrer wendender urheberrechtlicher "Leitfaden" der Rechte-Industrie zum Down- und Upload im Internet sorgt aktuell für Aufmerksamkeit ... und Kritik. Sein Titel:

"LEGAL, SICHER UND FAIR
Nutzung von Musik, Filmen und Büchern aus dem Internet 
Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer"

Unbeschadet des unbestreitbaren Rechtes auch der Content- und Abmahnungs-Lobby, ihre Interessen und ihre Meinung zu vertreten - hier nur die bereits bei erster Durchsicht sich m. E. aufdrängenden Kritikpunkte:

  • Der oft missbrauchte und ebenso falsche angebliche Rechtssatz "Eltern haften für ihre Kinder" wird dramatisierend eingesetzt.
  • Tauschbörsen- bzw. Filesharing-Systeme werden ohne ausreichende Differenzierung verteufelt und mit Abofallen, Viren und Trojanern in einen Topf "geworfen".
  • Die überwiegend urheberrechtlich als zulässig eingeordnete Nutzung von Streaming-Portalen wird recht einseitig mit juristischer Mindermeinung kriminalisiert.
  • Blogs und Blogger werden in gefährlicher (oder "geschickter"?) Manier undifferenziert diskreditiert als Produzenten unzulässiger Links.
  • Es wird massiv und undifferenziert die Angst vor Abmahnungen und Strafverfahren geschürt, ohne in verantwortungsvoller Weise auch vor kritikwürdiger Praxis und schwarzen Schafen der Abmahnungsbranche zu warnen.
  • Die Ermittlungsansätze der Abmahnungsbranche gegenüber den Inhabern von Internetanschlüssen über dynamische IP-Adressen und Zeitstempel werden unkritisch überbewertet.
  • Die Grenzen der Störerhaftung, erst recht der Schadenshaftung und auch die Grenzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast der Inhaber von Internetanschlüssen werden verschwiegen.
  • Der Begriff "Pirat" wird auf subtile Weise und doch mit recht durchsichtiger Motivation verallgemeinernder Verdächtigung ausgesetzt.

Schade. So kann man nicht wirklich von einem "fairen" und ausgewogenen Umgang mit dem  selbst vorgegebenen Thema gegenüber Eltern und Lehrern ... und Schülerinnen und Schülern ... sprechen.

Donnerstag, 26. Januar 2012

Abmahnung an das Amtsgericht München? Überraschende "Tauschbörse" von Argumenten über Filesharing-Vorwürfe, Schadensersatz, Kostenerstattung und Beweislast im Urheberrecht



Das Amtsgericht München ist bereits seit einiger Zeit Adressat und Gegenstand heftiger Kritik, wenn es um die Frage fairer Befassung mit und sachgerechter Beurteilung von Filesharing-Abmahnungen geht.
Am Morgen des 25.01.2012 gab es im Sitzungssaal B 815 im 8. Stock an der Pacellistraße in München neue Überraschungen.


Geklagt haben auf der Basis von IP-Adressen- und Hashwert-Ermittlungen zwei große deutsche Musik-(Major-)Labels gegen einen Rentner aus Ostwestfalen. Es geht um Schadensersatz und Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten wegen behaupteter Filesharing-Teilnahme im September 2007. Der Beklagte hat nach eigenem Vortrag niemals irgend eine P2P-Software auf den am häuslichen WLAN-Netzwerk teilnehmenden Rechnern oder sonstwo installiert - ebenso wenig wie die übrigen Netzwerk-Nutzer. Der Router war im Jahre 2003 erworben und mit zu jener Zeit im privaten Gebrauch verkehrsüblichen und zumutbaren Zugangssicherungen bzw. Verschlüsselungen eingerichtet worden - bei individualisiertem, langem und kompliziertem Passwort, was von den Klägerinnen bestritten wird.

Für die klagenden Musik-Labels erschienen zwei Rechtsanwälte der Anwaltskanzlei Waldorf Frommer, eine Kollegin und ein Kollege.

Für den nicht erschienenen Beklagten, dessen persönliches Erscheinen allerdings vom Gericht mit der Ladung angeordnet worden war, legte sein Prozessbevollmächtigter eine über die anwaltliche Bevollmächtigung hinausgehende Vertreter-Vollmacht gem. § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO vor, um dem Beklagten den Zeit- und Kostenaufwand einer persönlichen Anreise nach München in diesem Stadium des Verfahrens zu ersparen. Dies war und ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen prozessual zulässig.

Über technische Komponenten lässt sich trefflich streiten

Der zuständige Richter am Amtsgericht, Herr Weihrauch, führte - entgegen den medial erzeugten Befürchtungen - objektiv und unvoreingenommen in den Sach- und Streitstoff ein und thematisierte dabei wesentliche sachverhaltliche Streitpunkte und damit im Zusammenhang stehende unterschiedliche Rechtsauffassungen der Parteien. Dabei brachte das Gericht u. a. zum Ausdruck, dass man auch "über die technische Komponente" durchaus "trefflich streiten kann". Die diesbezüglichen Behauptungen der klagenden Musikindustrie seien - so der Richter - von Beklagtenseite in erstaunlich dezidierter und in "zulässiger Weise bestritten" worden.

Besonders breit wurden die sog. "sekundäre Darlegungslast" und die insoweit erwartbaren und zumutbaren Pflichten und Möglichkeiten eines Internet-Anschlussinhabers erörtert. Der mit detaillierter Akten- und Rechtskenntnis ausgestattete Richter verdeutlichte, dass ihm sehr wohl beispielsweise die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln zur Frage der "ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs" (Beschluss des OLG Köln vom 24.03.2011, Az. 6 W 42/11) bekannt ist.
Der 6. Zivilsenat des OLG Köln hatte im Rahmen eines Prozesskostenhilfe-Verfahrens ausdrücklich entschieden, dass "die tatsächliche Vermutung, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für eine von diesem Anschluss aus begangene Rechtsverletzung verantwortlich ist (...), ... entkräftet ist", wenn "die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung, auf die die Vermutung gegründet ist, abweichenden Geschehensablaufs feststeht".
Das Amtsgericht München ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass entsprechende Betrachtungen richterlich sehr sorgfältig zu prüfen und gewissenhaft abzuwägen sind.

Es sich nicht leicht machen

Das unterschiedliche "Wesen tatsächlicher Vermutungen und gesetzlicher Vermutungen" wurde richterlich ausdrücklich differenziert betrachtet und die wechselseitige Darlegungs- und Beweislast keineswegs pauschal bewertet. Es wurde angekündigt, die Darlegungs- und Beweislast nicht zuletzt von den konkreten Umständen des Einzelfalls angemessen abzuleiten. Dieses Gericht will es sich erkennbar nicht leicht machen.

In dem Zusammenhang war offensichtlich auch die Einzelfallentscheidung des OLG Düsseldorf vom 14.11.2011, Az. I-20 W 132/11 zu Substantiierungspflichten innerhalb von Filesharing-Abmahnungen gerichtsbekannt, wobei der Münchener Richter mit großer Souveränität - und zu Recht - für sich in Anspruch nahm, im Bestreben nach einer möglichst einheitlichen Rechtsprechung sich selbstverständlich mit Entscheidungen von Obergerichten auch außerhalb von Bayern zu befassen, andererseits sich allerdings unbeschadet dessen eine eigene souveräne Rechtsmeinung zu bilden und insoweit als Richter unabhängig Recht zu sprechen.

Völlig offen

Die Verhandlung wurde nicht nur äußerst sachlich, in sehr angenehmem Verhandlungsklima - zumal an diesem sonnigen Wintermorgen bei strahlend blauem Himmel - und in wechselseitigem Respekt vor unterschiedlichen Bewertungen und Rechtsauffassungen geführt, sondern auch in jeder Hinsicht unvoreingenommen und ergebnisoffen. Dies dokumentierte sich u. a. in Äußerungen des Gerichts wie: "Ich habe keine Vorstellung, was da raus kommt" oder "Das ist völlig offen".

Bei aller Ernsthaftigkeit hinsichtlich der im Raum stehenden Filesharing-Vorwürfe einerseits und hinsichtlich der aus der Sicht des Beklagten sehr anspruchsvollen, aber keineswegs aussichtslosen Verteidigungserfordernisse auf der anderen Seite: Alle Prozessbeteiligten ließen es dennoch nicht an einem sogar in prozessualen Verhandlungen zulässigen Humor fehlen. Der wechselseitige, teilweise durchaus mit Sprachwitz vorgetragene Schlagabtausch ließ auch dafür Raum. Auch das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.

Dies ändert nichts daran, dass der Richter - unbeschadet ergänzendem Substantiierungsbedarf auf Seiten des Klagevortrags - wegen des in mehrfacher Hinsicht streitigen Prozessstoffes drohende Beweiskosten (für benannte Zeugen, benannte sachverständige Zeugen sowie für Sachverständigengutachten) in Höhe von "mindestens 5.000,00 Euro" in den Raum stellte - eine in diesem Fall aus meiner Sicht nicht unrealistische Einschätzung.

Im Rahmen der ca. 75-minütigen Verhandlung wurde sodann erörtert, welcher weitereVerfahrensablauf für den Fall streitiger Prozessfortführung am sinnvollsten ist: Zunächst die Vernehmung der Zeugen insbesondere zu den Fragen der Installation, Sicherung und Überwachung des häuslichen WLAN-Netzwerkes sowie zur Frage der im vorliegenden Fall unterbliebenen Filesharing-Software-Installation und -Nutzung (mit der erforderlichen Anreise diverser Zeugen nach München) - oder vorab die gerichtliche Einholung von teuren Sachverständigengutachten zur Analyse der komplett beim Beklagten noch vorhandenen Hardware und/oder zur Analyse der seitens der Klägerinnen behaupteten IP-Adressen-Ermittlungen, Hash-Wert-Ermittlungen und der diesbezüglich vermeintlich forensisch ausreichend abgesicherten Dokumentierungen? Auch dies wurde ergebnisoffen diskutiert.

Prozess-Ökonomie und Preis-Verhandlung

Der Richter moderierte sodann - seiner gesetzlichen Aufgabe im Rahmen der Güteverhandlung entsprechend - die Möglichkeiten eines etwaigen Vergleichsabschlusses.

Nach engagierter beiderseitiger Verhandlung und Sitzungsunterbrechung für die beiden Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen wird schließlich aus prozessökonomischen Gründen und - seitens des Beklagten unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung seiner Rechtsstandpunkte - zur Erledigung aller streitgegenständlichen Forderungen die Zahlung eines Vergleichsbetrages vereinbart in Höhe von weniger als 30 % der Klagesumme, wobei die Klägerinnen ihre eigenen Anwaltskosten selbst tragen bei gleichzeitiger Teilung der Gerichtskosten (Kostenaufhebung). Auf eine höhere Vergleichsquote hätte sich der Beklagte nicht eingelassen, sondern stattdessen den Rechtsstreit trotz allen drohenden Aufwands in einem zu erwartenden fairen Prozess weitergeführt.

Im Rahmen des Vergleichs wurde hinsichtlich der prozessual von den Klägerinnen behaupteten Rechtsverletzungen seitens der Klägerinnen auf die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verzichtet. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte nach der Abmahnung weder die von den Klägerinnen verlangte strafbewehrte Unterlassungserklärung, noch eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Dabei blieb es.

Der oben geschilderte Verhandlungsverlauf und das Verhandlungsergebnis dokumentieren m. E. - gemessen an der zuvor existierenden kritischen "Presse" bezüglich des Amtsgerichts München - anschaulich, dass pauschale Gerichtsschelte grundsätzlich nicht angebracht ist - auch nicht im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand Filesharing-Abmahnung und diesbezüglich prozessual anhängig gemachten Schadensersatzansprüchen und Kostenerstattungsansprüchen.

Couragierte, engagierte, umfassende und vertiefte Rechtsverteidigung wird auch im Urheberrecht und auch in München selten überhört. Das sollte eigentlich gar nicht überraschen.

Freitag, 7. Januar 2011

"Spiel mir das WLAN-Lied vom Hot-Spot-Tod" - Immer mehr Filesharing-Abmahnungen von Hotels und Internetcafés

In letzter Zeit häuft sich die Abmahnung von gewerblichen Betreibern offener WLAN-Netze wegen vermeintlicher Teilnahme an illegalen Musik- oder Film-Tauschbörsen. Die "Rechteinhaber" versuchen dabei, sich u.a. auf aktuelle BGH- und Landgerichts-Urteile zu stützen. Bei den jüngsten Diskussionen um eine WLAN-Haftung bei Hot Spots (oder Hotspots ;)  erleichtert m. E. - wie so oft - ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung, selbstverständlich ohne damit jeden weiteren Streit vermeiden zu können:


Das Telemediengesetz (TMG) regelt die Haftung eines Diensteanbieters im Telekommunikationsrecht. Als Diensteanbieter gilt gemäß § 2 TMG 

jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. 

Zu den Telemedien gehört unzwiefelhaft auch das Internet.
In § 8 Abs. 1 TMG heißt es dann:
 
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
 1. die Übermittlung nicht veranlasst,
 2. den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
 3. die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Ein Hotspot-Betreiber (egal ob z. B. Hotel, Flughafen, Behörde, Shopping-Center oder Internetcafé) ist grundsätzlich Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes, da er anderen seinen Internetzugang zur Verfügung stellt. Ob er dies gewerblich oder zu privaten Zwecken macht, ist für die Anwendung des TMG an dieser Stelle nicht relevant. Der Diensteanbieter haftet, wenn er anderen seinen Webzugang zur Verfügung stellt, nur dann, wenn er Kenntnis von den über seinen Anschluss begangenen Rechtsverstößen hat und nicht etwa generell und immer.

Nach § 7 Abs. 2 TMG besteht auch keine Pflicht des Hotspot-Betreibers, den Webzugang nach rechtswidrigen Benutzungen zu untersuchen bzw. zu kontrollieren oder zu überwachen. Im Gesetz heißt es dazu:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

§ 10 TMG lautet unter dem Titel "Speicherung von Informationen" wie folgt:

Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

1. sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder

2. sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter untersteht oder von ihm beaufsichtigt wird.

Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist ...

Der BGH grenzt in dem bisher ersten höchstrichterlichen Urteil zur Filesharing-Haftung die aus seiner Sicht geringere Schutzbedürftigkeit des privaten WLAN-Anschlussinhabers bekanntlich ab vom gewerblichen bzw. geschäftlichen Betreiber eines WLAN-Anschlusses:

Es geht hier nicht um ein Geschäftsmodell, das durch die Auferlegung präventiver Prüfungspflichten gefährdet wäre (vgl. BGHZ 158, 236, 251 f. - Internet-Versteigerung I). Es gelten auch nicht die Haftungsprivilegien nach § 10 TMG und Art. 14 f. der Richtlinie 2000/ 31/ EG über den elektronischen Geschäftsverkehr, die im Falle des Diensteanbieters nach § 10 Satz 1 TMG (Host Provider) einen weitergehenden Unterlassungsanspruch ausschließen.

Dennoch bejaht das Landgerichts Hamburg mit in einem Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 25.11.2010, Az. 310 O 433/10, die Verantwortlichkeit eines Internetcafé-Inhabers für Urheberrechtsverletzungen bei Tauschbörsen-Nutzung seitens seiner Kunden mangels Absicherung des WLAN-Netzwerkes durch "geeignete Sicherungsmaßnahmen". Das Hamburger Landgericht übersieht dabei nicht nur die obigen Vorgaben des TMG, sondern auch die nur lückenhaften technischen Möglichkeiten zur zumutbaren Beschränkung der Internet-Zugriffe für die Gäste derartiger Internetcafés oder Hot Spots.

Die Privilegierungen des Telemediengesetzes gelten nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht nicht nur für eine etwaige Schadenshaftung, sondern auch gerade für etwaige Unterlassungsverpflichtungen gewerblicher WLAN-Betreiber; das TMG basiert auf der oben erwähnten europäischen  „E-Commerce-Richtlinie“. Nach Auffassung des EuGH darf bei Diensteanbietern im Sinne dieser RL eine Verantwortlichkeit für eine Rechtsverletzung Dritter gerade nicht angenommen werden.

Eine Überwachung der Nutzer von Hot Spots verbietet sich darüber hinaus auch aus verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Gründen. Das Fernmeldegeheimnis beinhaltet ein umfassendes Kenntnisnahmeverbot und schützt sowohl die Inhalte als auch die näheren Umstände der jeweils stattfindenden Telekommunikation der Hot Spot User bzw. Gäste. Zu den geschützten Inhalten gehören Empfangenes und Übermitteltes, Downloads und Uploads.

Es spricht also vieles dafür, dass das offene WLAN in Hotels, Bahnhöfen, Eisdielen und Behörden-Centern trotz aktueller p2p-Abmahnungen nicht ausstirbt. Totgesagte leben länger.

Dienstag, 2. November 2010

Mehr Manpower für Filesharing-Abmahnungen: Das immer größere Back-Office der Abmahn-Kanzleien

Mit der personellen Aufrüstung einer vielbeschäftigten Abmahn-Kanzlei aus München und dem Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" als "Konjunkturmotor" befassen sich die aktuellen Blog-Beiträge der Kollegen Rechtsanwälte Thomas Stadler ("Internet-Law") und Alexander Schultz ("PaLAWa").

Die aufschlussreich analysierte personelle Aufstockung wirft u.a. auch die Frage auf, ob die  anwaltliche "WoMan-Power" primär für weitere außergerichtliche (Filesharing-)Abmahnungen und deren außergerichtliche "Nachbereitung" oder für die immer wieder angekündigte bzw. angedrohte gerichtliche Verfolgung der (vermeintlichen) urheberrechtlichen Ansprüche eingesetzt wird. Die tatsächlichen Abläufe dokumentieren eher, dass das Back-Office in München die zweiten und dritten außerprozessualen Nachbearbeitungs-Wellen betreuen ... zum größten Teil mit zwar kontinuierlich gepflegten, aber in der Masse einheitlichen, formularmäßigen Textbausteinen. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Klageverfahren hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Insbesondere auf dem Streit-Feld etwaiger Schadensersatz- und/oder Kostenerstattungsansprüche gibt es eben für  beide  Seiten nicht unerhebliche prozessuale Risiken. Wenn sich diese zu Lasten der Abmahnungsbranche öfter als von dort gewünscht realisieren, gefährdet dies naturgemäß das gesammte Geschäftsmodell der Abmahner. Selbst die erste höchstrichterliche Befassung mit dem spezifischen Thema "Filesharing-Abmahnung" und "WLAN-Störerhaftung" (BGH-Urteil vom 12.05.2010) brachte für beide Seiten schließlich Brot und Steine. Das Geld liegt beim Thema Abmahnung eben eher auf der Straße als im Gerichtssaal, in dem auch nicht in gleicher Weise die psychologischen Tricks entfaltet werden können, wie dies im Rahmen der - personell verstärkten - außergerichtlichen Abmahnungs-Maschinerie geschieht.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Das Drama "Filesharing-Abmahnungen". Es gibt ein Leben nach der Abmahnung.


Bei allem Verständnis für im Einzelfall ihre zu respektierenden Rechte wahrnehmenden Urheber und Rechteinhaber: Wenn das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" per Anwaltspost zuschlägt, sind viele Internetnutzer über alle Maßen geschockt, entsetzt und teilweise auch verzweifelt:

So sitzt die Mutter von drei jugendlichen Söhnen wie ein Häufchen Elend mir gegenüber und weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. Da braucht es zunächst mal ein paar beruhigende Worte und einige auch für den technischen und medialen Laien verständliche Erläuterungen, was ihr persönlich überhaupt vorgeworfen wird und wie P2P-Syteme grundsätzlich funktionieren.

Damit kennt sich der ebenfalls mit einem Abmahnungsschreiben geschockte Student zwar recht gut aus. Er sieht aber ungeachtet dessen seine Zukunft, insbesondere seine berufliche Karriere, schon in den düstersten Farben, zumal er die von ihm angstrebte Anstellung im öffentlichen Dienst nun für ernstlich gefährdet erachtet.

Und der gegen Abend im Büro erscheinende Facharbeiter, der von seiner gerade überstandenen Scheidung und seinen Kreditraten erzählt und der die ersten drei anwaltlichen Aufforderungen zur Zahlung von "entgegenkommenden" Vergleichsbeträgen und zur Abgabe unterschiedlich formulierter strafbewehrter Unterlassungserklärungen aus Angst vor Schlimmerem befolgt hatte, der weiß kurz nach seinem Feierabend an unserem runden Tisch nicht, wie er weitere Schadensersatz- und Kostenerstattungsbeträge noch aufbringen soll.

Einige der Vorgenannten (Einzelheiten wurden aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht selbstverständlich beliebig kombiniert) haben von dem aktuellen WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 gehört, ohne wirklich etwas damit anfangen zu können. Andere haben aus dem Fernsehen oder im Rahmen eigener Internet-Recherchen unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Informationen und Empfehlungen erhalten. Allen gemeinsam ist, dass sie gerade ein "Drama" aus Erschrecken, Überforderung, Verärgerung und vermeintlicher Ausweglosigkeit erleben.

Das Drama entwickelt zunächst ein sich als unauflöslich darstellendes Eigenleben, zumal wenn man die mit Fachterminologie, Paragraphen und Urteils-Zitaten gespickte Abmahnungspost kurz vor oder unmittelbar am Wochenende oder auch nach Urlaubsrückkehr im Briefkasten vorgefunden hat und schnelle Hilfe oft nicht sofort greifbar ist oder relativ kostspielig erscheint. Der Inhalt des Schreibens ist recht umfangreich, teilweise unverständlich und in jedem Fall stressfördernd. Irgendwas scheint dran zu sein, irgendwas kommt einem aber auch komisch vor.


Ist das ein Formular, ein Rundschreiben? Wie kommen die auf mich? Warum bieten die gleich eine massive Herabsetzung des "Preises" an? Stimmt das alles? Was kann danach kommen? Kann man da noch was machen? Das sind nur einige der Fragen, die sich den Internet-Anschlussinhabern aufdrängen.

Was ist mit den behaupteten Schadens-Szenarien? Was ist mit den Ansprüchen auf  Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung?

Wie verhält es sich mit den angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnissen und deren vermeintlichen Konsequenzen auch im Zusammenhang mit dem landgerichtlichen Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG, auf den verwiesen oder der sogar beigefügt wird?

Sind die Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge, die in den Raum gestellt werden, realistisch bzw. seriös?

Wie hoch sind die Prozess-Risiken? Und was bedeutet das Thema Vertragsstrafe für mich?

Soll ich eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und wenn ja, in welcher Form?

Wie soll ich das in der kurzen Frist geregelt kriegen?

Die ständig wachsende Zahl irritierter und verängstigter Abmahnungs-Adressaten gibt berechtigten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und den Geboten von Treu und Glauben zu stellen.


Eins sei allerdings aus Anlass der immer gehäufter und zunehmend dreister auftretenden Abmahnungszunft grundsätzlich gesagt: Es gibt ein Leben nach der Abmahnung. Der auftretende Stress trifft unzählige Leidensgenossinnen und -genossen und hat System - und zwar ein Drama-System, das nicht unfehlbar, nicht untadelig und nicht unschlagbar ist.

Es lassen sich viele Fehler vermeiden und man kann eine Menge richtig machen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" bzw. "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall interessengerechten modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung ist machbar.

Kopf hoch und Bühne frei für das Ende des Dramas.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Rügen und "Abmahnungen" an den BGH: WLAN-Urteil zu Filesharing und Störerhaftung in der Kritik

Das WLAN-Urteil des I. Zivilsenats des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) ist geeignet, als auf Dauer zur sachverhaltlich sachgerechten und urheber- sowie medienrechtlich gerechten Klärung des Geschäftsmodells "Filesharing-Abmahnung" nicht sehr geeignet zu erscheinen.

Hierzu die m. E. wesentlichen Aspekte, wobei Urteils-Zitate kursiv gefasst sind:

1. Überbewertungen an der einen oder anderen Stelle des Urteils verbieten sich bereits deshalb, weil der BGH z. T. nicht vollständig aufgeklärte und nicht vollständig von den Prozess-Parteien dargelegte, geltend gemachte und ausargumentierte Sachverhaltsfragmente seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte bzw. zugrunde gelegt hat. Dies betrifft insbesondere auch technische Abläufe und Details.

2. Die Bewertung des BGH zu "tatsächlichen Vermutungen" über eine vermeintlich grundsätzliche Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers für eine öffentliche Zugänglichmachung (über eine bestimmte, ihm vermeintlich zuordbare dynamische IP-Adresse) entbehrt einer näheren, nachvollziehbaren Begründung.

3. Die aus den nicht näher dargelegten "Vermutungen" pauschal und ebenfalls ohne nähere Begründung geschlossenen Bewertungen des BGH zur  sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers lassen ebenfalls substanzielle Ableitungen vermissen.

4. Der BGH verneint mit nachvollziehbarer Argumentation eine täterschaftliche oder teilnehmermäßige Haftung und damit auch eine Schadensersatzpflicht des Anschlussinhabers mangels Erfüllung der "Merkmale eines der haftungsbezogenen Verletzungstatbestände des Urheberrecht".

Den Fall einer "Haftung für die Verletzung einer Verkehrspflicht" verneint der BGH selbst bei nicht ausreichend gesichertem privaten WLAN-Netzwerk ausdrücklich. Er grenzt den Fall privater Internet-Nutzung ab von dem demgegenüber bei der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht vom gleichen Senat als Begründung herangezogenen Fall eigener geschäftlicher Interessen beispielsweise einer Handelsplattform.

Auch eine entsprechende Anwendbarkeit der sog. "Halzband"-Entscheidung lehnt der BGH entgegen anderslautender Instanzen-Rechtsprechung zu Recht ab.

Gleichzeitig meint der BGH aber, der Anschlussinhaber habe "adäquat kausal" und "willentlich" ... "zur Verletzung des geschützten Rechts beigetragen". Insbesondere der Aspekt der vermeintlichen "Willentlichkeit" des Anschlussinhabers entbehrt dabei einer ausreichend  konkreten und vertieften Darlegung.

5. Die vom BGH angenommene Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten begründet der BGH schlicht und pauschal - ohne jedes Eingehen auf spezifische Fallkonstellationen - mit der These, das "es regelmäßig im wohlverstandenen eigenen Interesse des Anschlussinhabers liegt, seine Daten vor unberechtigtem Eingriff von außen zu schützen". Dabei verkennt der Senat, dass inhaltlich und technisch die möglichen Sicherungsmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen durch insbesondere von außen eingreifende Dritte und die möglichen Sicherungsmaßnahmen zugunsten der eigenen persönlichen Daten keineswegs identisch sein müssen. Persönliche Daten können selbstverständlich in unterschiedlichster anderer Weise aus dem WLAN-Netz herausgehalten werden; die vom BGH angedeuteten Verschlüsselungen des Routers sind dafür keineswegs zwingend.

6. Soweit der BGH im privaten Bereich die zum Kaufzeitpunkt (was ist beim Kauf gebrauchter Router?) "marktüblichen Sicherungen" verlangt, wobei diese "ihrem Zweck entsprechend wirksam einzusetzen sind", will er ohne durchgreifende Begründung andererseits die "werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen" nicht als ausreichend ansehen (im vorliegenden Fall ein Passwort aus 16 Ziffern). Diese hätten bereits 2006 nicht "zum Mindeststandard privater Computernutzung" gehört, vielmehr stattdessen ein "Schutz von Computern ... durch individuelle Passwörter". Die wirkliche (fehlende) Qualität derartiger, tatsächlich regelmäßig verwendeter individueller Passwörter (da werden eine Menge Namen geliebter Personen und Tiere auftauchen) wird dabei ersichtlich verkannt, wobei der BGH wohl auch Router und Computer verwechselt oder gleichsetzt. Ferner disqualifiziert das Gericht zu Unrecht die immerhin vom Hersteller seinerzeit wohl kaum unprofessioneller als vom laienhaften Kunden vorgegebene Verschlüsselungssystematik und verkennt damit korrespondierende vermeintlich unterschiedliche oder gleichartige technische Möglichkeiten, die Passwörter jeweils zu überwinden.

7. Will der BGH den privaten Internet-Nutzer, auf dessen Seite nach den Feststellungen des Senats kein "Geschäftsmodell" besteht, "das durch die Auferlegung präventiver Prüfungspflichten gefährdet wäre", deshalb von den Privilegien des TMG ausnehmen? Ist es akzeptabel, auf diese Weise das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" demgegenüber weniger zu "gefährden" ?

8. Warum setzt der BGH sich zwar kurz mit § 10 TMG, nicht aber mit den viel näher liegenden Privilegierungen des § 8 TMG auseinander?

9. Warum nutzt der I. Zivilsenat nicht die vielleicht doch bestandene und gebotene Möglichkeit, die Anforderungen an die zur vermeintlichen IP-Adressen- und sonstigen Recherche und Dokumentierung erforderlichen substantiierten Darlegungen zu thematisieren?

10. Hat der BGH sich wirklich in angemessener und ausreichend tiefgründiger Weise mit dem Thema Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit auseinandergesetzt?

Mein vorläufiges Resümee, das sich an meine früheren Einschätzungen zum BGH-WLAN-Urteil anschließt:

Das reicht so nicht für eine wesentliche und nachhaltige Klärung.

Kein absehbares Ende der Debatte und des Ringens um
erfolgreiche Abmahnungsabwehr.