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Mittwoch, 8. März 2017

BGH stärkt familiäre Grundrechte gegen Filesharing-Abmahnungen



http://www.zumAnwalt.de
Frühlingserwachen beim BGH:
Karlsruhe stoppt Recherchestress nach Abmahnungen.
 
Kein pauschaler Verdacht gegen Internet-Anschlussinhaber
 
Keine Spionage und keine Verhöre innerhalb der Familie

Lange warten mussten die Adressaten von Filesharing-Abmahnungen und Filesharing-Klagen auf die schriftlichen Entscheidungsgründe zum Filesharing-Urteil des BGH vom 06.10.2016(Az. I ZR 154/15 – „Afterlife"); jezt ist das vollständige Urteil endlich veröffentlicht worden. Und in dieser Entscheidung hat der BGH die zuvor praktizierte vorrangige Verdächtigung des jeweiligen Internetanschlussinhabers in erheblichem Umfang relativiert – wenn nicht sogar revidiert – und gleichzeitig den familiären grundrechtlichen Schutz aus Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG betont und gestärkt.  

Hintergrund des vom BGH zu entscheidenden Falls bildet eine „klassische“ Filesharing-Abmahnung der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer aus München hinsichtlich des Films „Resident Evil: Afterlife 3D“. Die Klägerin hatte insgesamt 14 Zeitpunkte behauptet, zu denen der Film angeblich über den Internetanschluss des Beklagten illegal im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sein sollte. Das Landgericht Braunschweig hatte mit Berufungsurteil vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S433/14 (59)) die Filesharing-Klage der Constantin Film abgewiesen. Dieses Urteil wurde vom BGH nun bestätigt. 

Aus dem Karlsruher Urteil entnehme ich insbesondere die folgenden Gesichtspunkte und Bewertungen, die gerade bei familiären Internetanschlüssen den oft übermotivierten Filesharing-Abmahnungen und -Klagen entgegengehalten werden können (in Anführungszeichen gesetzte Passagen sind wörtliche Zitate aus dem BGH-Urteil): 

1.    „Es besteht keine generelle Vermutung, dass der Anschlussinhaber Täter einer Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem Anschluss aus begangen worden ist und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des Anschlusses ist.“ 

2.    „Für die Annahme, der Inhaber eines Internetanschlusses sei ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität des Geschehensablaufs. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, besteht für die Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit.“ 

3.    „Da es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis hat, obliegt dem Anschlussinhaber insoweit … eine sekundäre Darlegungslast“. 

4.    Bei der Bestimmung der Reichweite der dem Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast zur Nutzung des Anschlusses durch andere Personen sind auf Seiten des Urheberrechtsinhabers die Eigentumsgrundrechte gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Handelt es sich bei den Personen, die den Anschluss mitgenutzt haben, um den Ehegatten oder Familienangehörige, so wirkt zugunsten des Anschlussinhabers der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU- Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 GG).“ 

5.    Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses ist es regelmäßig nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar ist es regelmäßig, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.“ 

6.    Der bei einem familiären Internetanschluss „zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG)“ steht „der Annahme zusätzlicher Nachforschungs- und Mitwirkungspflichten entgegen.“ 

Es wurde lange erwartet und nun hat der BGH sich endlich substantieller dazu geäußert: Innerhalb der Familie sind von interessierter Seite oft geforderte, quasi detektivische oder polizeiliche Recherche- oder Verhör-Maßnahmen nicht zumutbar und ein gegenteiliges Verlangen ist grundrechtswidrig. Eine derartige Klarstellung wäre bereits früher wünschenswert gewesen.
Schlagworte wie "tatsächliche Vermutung" und "sekundäre Darlegungslast" haben nun nicht mehr die Schärfe, die ihnen in so manchen Filesharing-Abmahnungen angedichtet wurde.
 
 

Freitag, 23. Dezember 2016

GUTE ABMAHNUNGEN, SCHLECHTE ABMAHNUNGEN


  

Marken- und Urheberrecht als in Serie gehendes Geschäftsmodell


Nicht alle anwaltlichen Abmahnungen sind per se unzulässige oder unanständige Massenabmahnungen. Wo massenhaft gesetzlich geschützte Rechte verletzt werden, da darf grundsätzlich auch massenhaft abgemahnt werden. Das Dilemma ist allerdings, dass in der fortlaufenden Abmahnungsflut, insbesondere in den immer wieder neuen urheberrechtlichen und markenrechtlichen Abmahnungswellen, besonders bedenkliche und kritikwürdige Gesichtspunkte und Vorgehensweisen auftauchen, die die jeweiligen Adressaten übervorteilen oder – wie es häufig heißt – „abzocken“.

Die Guten

In der anwaltlichen Praxis gibt es durchaus Abmahnungsfälle, in denen der oder die Abgemahnte in klarer und verständlicher Weise über den Abmahner selbst, die angeblich begangene Rechtsverletzung, daraus ggf. konkret herleitbare Zahlungsansprüche und den Hintergrund sowie den Inhalt einer seriösen strafbewehrten Unterlassungserklärung informiert wird – wie dies ja u. a. auch § 97a Abs. 1 UrhG vorschreibt.

In diesen Fällen sind vielleicht dennoch einige sachverhaltliche Details und rechtliche Streitpunkte zu klären; dies aber in fairer und verständigungsorientierter Weise und mit wechselseitig vertretbaren Argumenten. Und das ist gut so.

Die Bösen

Leider trifft man allerdings auch immer wieder auf Abmahnungen, in denen nicht einmal der angeblich anwaltlich vertretene Rechteinhaber selbst nachvollziehbar und nachprüfbar dargestellt wird. Da finden sich verkürzte oder verfremdete Namensangaben oder Pseudonyme, es fehlen konkrete Adressangaben und nähere Darlegungen dazu, aus welcher plausiblen sachverhaltlichen und rechtlichen Grundlage, wie, woher und mit welcher etwaigen Rechtekette die vermeintlichen Rechte (Urheberrechte, Leistungsschutzrechte, Markenrechte, exklusive Nutzungsrechte u. Ä.) denn hergeleitet werden sollen.

Nicht selten durchaus mit darauf ausgerichtetem Kalkül enthalten derartige Abmahnungsschreiben teilweise lückenhafte, widersprüchliche oder schlicht falsche tatsächliche und technische Darstellungen – etwa zu vermeintlichen Sachverhalten, Recherche-, Protokollierungs- oder Archivierungsvorgängen.

Die lieben Technik

Zu erwähnen sind exemplarisch ferner die – bis zur entsprechenden Korrektur durch die Rechtsprechung – aufgetretenen Fälle, in denen im Rahmen von Filesharing-Abmahnungen den Internetanschlussinhabern zu Unrecht vorgeworfen wurde, das vom Internetservicepro-vider vorgegebene Router- bzw. WLAN-Passwort unverändert verwendet zu haben.

Dass in Zeiten zunehmend komplexer und komplizierter werdender Medienangebote und Medientechnik sowie massenhaft auftretender, durch Root-Kits verschleierter Trojaner und „Staatstrojaner“ viele Verbraucher überfordert sind mit einer nachvollziehbaren Bewertung auf sie zukommender Abmahnungsfälle, macht man sich im Rahmen des Geschäftsmodells „Abmahnungen“ gerne zunutze. Die lieben eben Technik – auch im Zusammenhang mit oft nicht nachvollziehbaren Behauptungen zu angeblichen Crawling-Recherchen.

Datenmissbrauch mit gerichtlichem Siegel

Neben fragwürdigen Ermittlungsmethoden kommt es gelegentlich zur Herausgabe von persönlichen Daten im Rahmen von gerichtlichen Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren, die an Netzbetreiber gerichtet wurden, die mit dem betroffenen Verbraucher aufgrund von Reseller-Konstellationen gar nicht vertraglich verbunden sind. Das daraus resultierende Beweisverwertungsverbot wird dann schlicht übergangen.

Eigentore

Im Zusammenhang mit den sog. Filesharing-Abmahnungen machen sich manche Abmahner sogar selbst urheberrechtlich verletzbar, indem u. a. Audioaufnahmen aus sog. Samplern oder Chart-Containern zum Gegenstand angeblich recherchierter Rechtsverletzungen gemacht werden, obwohl dann, wenn entsprechende Urheberrechtsverstöße tatsächlich durch ein Recherche-Unternehmen im Wege angeblich durch das Crawling-Unternehmen durchgeführter vollständiger Downloads protokolliert und archiviert wurden, zwangsläufig auch Rechtsverletzungen durch das Recherche-Unternehmen selbst begangen worden sein müssen, und zwar hinsichtlich der übrigen, nicht von dem jeweiligen Rechteinhaber innegehaltenen Werke auf dem jeweiligen Musikalbum.

Drama

Geradezu unerträglich sind in zahlreicher Abmahnungspost enthaltene, völlig übertriebene und dramatisierende Ausführungen zum angeblichen Ausmaß von Auskunfts-, Darlegungs- und Beweispflichten des Adressaten. Dies erzeugt häufig ungerechtfertigten, quasi „postfaktischen“ Psychostress – wenn nicht sogar Panik. Dem gleichen Ziel dient wohl die weit verbreitete Praxis, derartige Abmahnungsbriefe insbesondere zum Wochenende oder im Zusammenhang mit Ferien- oder Feiertagszeiten zu versenden.

In die Kategorie „Psycho-Terror“ gehört auch das Bestreben zahlreicher Abmahner, Familienmitglieder zu quasi geheimpolizeilichen Ermittlungs- oder Verhörmethoden verpflichten zu wollen oder durch massive Inanspruchnahmen gegeneinander auszuspielen. Dabei wird dann gerne auf obergerichtliche oder sogar höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen – allerdings ohne Berücksichtigung der insbesondere in einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs angesprochenen Gesichtspunkte der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit.

Geschäftliches

Fatal ist die manchmal anzutreffende Praxis, Verbrauchern ein gewerbliches oder geschäftliches Verhalten bzw. auf dem Feld des Markenrechts z. B. eine markenmäßige Nutzung bestimmter Kennzeichen zu unterstellen, obwohl vielleicht nur ein von dem entsprechenden Verbotstatbestand gar nicht umfasster privater Geschehensablauf vorliegt. In manchen von den Abmahnern selbst allerdings sehr wohl „geschäftlich“ betriebenen Abmahnungsfällen fußen die streitgegenständlichen Vorwürfe auf kriminellen Handlungsweisen Dritter, für die eine angebliche Verantwortlichkeit des angeschriebenen Verbrauchers behauptet wird, obwohl dessen Haftung insoweit gar nicht gegeben ist. Die in den vergangenen Jahren exzessiv herangezogene „Störerhaftung“ ist ein erschreckendes Beispiel dafür.

Kassensturz

Es werden dann nicht selten überhöhte Schadensersatzforderungen und überhöhte Kostenansätze gepflegt und zudem strafbewehrte Unterlassungserklärungen verlangt, die evtl. für die Zukunft bereits das nächste „Geschäftsmodell“ eröffnen: Mit unverhältnismäßigen Vertragsstrafen, ausgeweiteten Unterlassungstatbeständen und sonstigen, für den Unterlassungsschuldner suboptimalen Vorgaben.

Serienreif

Die oben beschriebenen Abmahnungsdramen werden wohl auch als Geschäftsmodell weiter „in Serie“ gehen. Alle bisher vom Gesetzgeber eingebauten „Bremsen“ haben ja bekanntlich de facto wenig Wirkung gezeigt.
  



Dienstag, 6. September 2016

Fettes Urheberrecht: Der BGH und das Fat-Model

Verfremdete Foto-Modelle werden auch von höchsten Instanzen veröffentlicht

Der BGH hat mit seinem Parodie-Urteil vom 28.07.2016 (Az. I ZR 9/15 - „auf fett getrimmt“) nicht nur „Fettes“ zum Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Urheberrecht kundgetan, sondern sogar selbst ein Fat-Model-Foto der Schauspielerin Bettina Zimmermann veröffentlicht. Wird jetzt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe urheberrechtlich abgemahnt?


Das durch digitale Manipulationen verfremdete Bild der hübschen Schauspielerin mit Hot Pants und Bikini-Oberteil war 2009 im Rahmen eines Internet-Wettbewerbs entstanden. Dabei sollten die Teilnehmer Fotos von Prominenten mit Bildbearbeitungssoftware so bearbeiten, dass die Promis möglichst fett aussehen. Eines der Promi-Opfer war die bekanntermaßen sehr attraktive Schauspielerin Bettina Zimmermann, die nach der „Bearbeitung“ (wenn es denn eine war) mit voluminösen Schwimmringen und unförmigen Cellulite-Schenkeln auftauchte.

Die BZ aus Berlin veröffentlichte dann diese digital „verfettete“ Optik in einem den Fotowettbewerb aufgreifenden Online-Beitrag.

Der Fotograf des ursprünglichen Portrait-Fotos verlangte mit Abmahnung und Klage von der BZ Schadensersatz und immaterielle Entschädigung wegen der Verwendung und „Entstellung“ seiner Fotografie und der unterbliebenen Angabe seines Namens.

Das BGH-Urteil enthält spannende Ausführungen zur urheberrechtlichen Zulässigkeit und zu der Schrankenwirkung von Parodien, zur Interessenabwägung zwischen Urheberrecht und Meinungsfreiheit und zu den aktuellen unionsrechtlichen Regelungen eines neuen weiten europäischen Parodie-Begriffs.
„Die wesentlichen Merkmale der Parodie bestehen danach darin, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Der Begriff der Parodie hängt nicht von der weiteren Voraussetzung ab, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen. Zu den Voraussetzungen einer Parodie gehört es außerdem nicht, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft … Die Annahme einer … Parodie setzt deshalb nicht voraus, dass durch die Benutzung des fremden Werkes eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG entsteht. Sie setzt ferner keine antithematische Behandlung des parodierten Werkes oder des durch das benutzte Werk dargestellten Gegenstands voraus.“
Der Erste Zivilsenat des BGH hat den Streit zurückverwiesen an das die Klage des Fotografen abweisende OLG Hamburg.

Ob die Hamburger Richterinnen und Richter - dann zunächst dort beim Landgericht – sich demnächst wohl auch mit der fetten
Foto-Veröffentlichung aus Karlsruhe auf Seite 4 des öffentlich zugänglich gemachten BGH-Urteils
befassen müssen?


Freitag, 16. Oktober 2015

BGH-Abmahnung an das OLG Hamburg: Der Rap zum Urheberrecht

BGH-Urteil: Da ist Musik drin.
Mit nachlesbarem Urteil des BGH vom 16. April 2015 (Az.I ZR 225/12) hat der Erste Zivilsenat aus Karlsruhe dem OLG-Senat in Hamburg zur Musik von Bushido den urheberrechtlichen und verfahrensrechtlichen Marsch geblasen.

Die Kläger sind Mitglieder einer französischen Band. Sie behaupten, Bushido habe bei 13 von ihm veröffentlichten Musiktiteln Musik-Sequenzen von je etwa zehn Sekunden verwendet, die aus den Originalaufnahmen der Band gesampelt worden seien. Diese Musikteile habe Bushido jeweils als sich ständig wiederholende Tonschleifen, sogenannte Loops, zusammengesetzt, mit einem Schlagzeug-Beat verbunden und darüber seinen Rap gelegt.  
Einer der Kläger beruft sich auf sein Urheberrecht als Komponist. Die anderen Kläger berufen sich auf vermeintliche urheberrechtliche Ansprüche als Texter, obwohl der beklagte Rapper deren Texte nicht übernommen hat. Die Kläger verlangen nach vorausgegangener Abmahnung mit der Klage Unterlassung, Erstattung von Abmahnkosten und Zahlung einer Entschädigung für einen erlittenen immateriellen Schaden sowie ferner, dass der Beklagte einer Auskunftserteilung der GEMA gegenüber den Klägern über die sämtlichen Auswertungen und gegenüber dem Beklagten abzurechnenden Erlöse zustimmt. Die Kläger streben außerdem an, dass der Beklagte im Hinblick auf 12 der beanstandeten Musikstücke gegenüber der GEMA die Zustimmung zu seiner Streichung als Komponist sowie zur Eintragung des Klägers zu 1 als Komponist erteilt.

Der Rapper hat gegen das der Klage überwiegend stattgebende OLG-Urteil Revision zum BGH eingelegt.   
Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die klagenden Textdichter keine Urheberrechte hinsichtlich der Musik-Sequenzen geltend machen können, sie nicht als Miturheber der Musikstücke anzusehen sind. Deren sogenannte Aktivlegitimation wird also verneint. Die Annahme einer Miturheberschaft setzt nämlich voraus, dass mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen haben, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, was aber bei einerseits Text und andererseits Musik nicht der Fall ist. Liedtexte sind Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, musikalische Kompositionen sind demgegenüber Werke der Musik gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG. Diese beiden Werkarten sind selbstverständlich gesondert verwertbar und ein urheberrechtlicher Schutz hinsichtlich einer Verbindung von zwei unterschiedlichen Werkarten gewährt das Gesetz nicht.
Der BGH-Senat hat dann geprüft, ob eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung oder lediglich eine freie Benutzung fremder Werke vorliegt. Dabei ist zu untersuchen, ob und ggf. welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werkes ausmachen. Danach sind die streitgegenständlichen Gestaltungen zu vergleichen dahingehend, ob und ggf. in welchem Umfang in der gerügten Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind. Dabei kommt es auf den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gestaltungen an. Stimmt der Gesamteindruck überein, liegt eine Vervielfältigung des früheren Werkes vor. Dennoch kann das gerügte Werk derart wesentliche Veränderungen aufweisen, dass es nicht als reine Kopie zu bewerten ist. Es kann sich dann entweder als unzulässige Bearbeitung oder andere Umgestaltung gemäß § 23 UrhG darstellen oder als zulässige freie Benutzung des Ausgangswerkes gemäß § 24 UrhG. Die schöpferische Eigentümlichkeit liegt bei Musikwerken in ihrer individuellen ästhetischen Ausdruckskraft, woran urheberrechtlich auch nicht zu übertriebene Anforderungen gestellt werden dürfen. Es wird auch die sogenannte  kleine Münze geschützt, also auch recht einfache Kompositionsleistungen mit verhältnismäßig geringem Eigentümlichkeitsgrad.
Auf den künstlerischen Wert kommt es also nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an. Eine schutzfähige Leistung kann sich aus der Melodie, dem Einsatz von Rhythmik, Tempo, Harmonik und Arrangement, aber auch Instrumentierung und Orchestrierung ableiten lassen. Keinen Urheberrechtsschutz genießen allerdings rein handwerkliche Leistungen „unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen“.
Zum sogenannten „musikalischen Allgemeingut“ gehörende Tonfolgen einfachster Art oder bekannte rhythmische Strukturen sind nicht urheberrechtsfähig. Eine gewisse Gestaltungshöhe ist eben auch bei Musikwerken unverzichtbar. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung „der mit musikalischen Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise“.
Der BGH vermisst beim Urteil des Hanseatischen OLG dazu nachvollziehbare Darlegungen des Gesamteindrucks der sich im Streitfall gegenüberstehenden Musik-Sequenzen. 
Die Rügen des BGH gegenüber dem Hamburger Berufungsgericht lauten unter Anderem:
„Soweit im Berufungsurteil auf einen ‚Gesamteindruck‘ Bezug genommen wird und sich das Berufungsgericht insoweit auf das den wechselseitig eingereichten Parteigutachten zu entnehmende Notenbild sowie auf den durch wiederholtes Anhören der entsprechenden Passagen gewonnenen Höreindruck gestützt hat, hat es zwar die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung benannt, nicht aber den daraus gewonnenen Gesamteindruck selbst nachvollziehbar beschrieben.“ 
und

„Die Beurteilung des Berufungsgerichts lässt nicht erkennen, warum der kompositorische Einsatz sphärischer Klänge mit Blick auf die vom Kläger verfolgte musikalische Stilrichtung des ‚Gothic‘ nicht als musikalisches Allgemeingut anzusehen ist, sondern über ein rein handwerks- oder routinemäßig anzusehendes Klangspektrum hinausgeht und deshalb eine individuelle Leistung ist.“
und

„Soweit das Berufungsgericht die von ihm durch Anhören der vom Kläger zur Akte gereichten Tonträger ermittelten Instrumente nur benennt (‚Streichinstrumente und Keyboard‘), ohne diese Instrumentierung konkret von einer rein handwerks- oder routinemäßigen Leistung abzugrenzen, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an der Darlegung einer individuellen kompositorischen Schöpfung. Soweit das Berufungsgericht von einer ‚besonderen Art der Instrumentierung‘ oder deren ‚Eigentümlichkeit‘ ausgeht, hat es nicht nachvollziehbar dargelegt, worin die Besonderheit und Eigentümlichkeit bestehen soll. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Einsatz einer ‚Röhrenglocke (tatsächlich wohl Keyboard)‘, die an den Klang von Kirchenglocken erinnere, sei eine Besonderheit, ist ohne Feststellungen zur für die im Streitfall maßgebliche Musikrichtung des ‚Gothic‘ gewöhnlich gewählten Instrumentierung nicht nachvollziehbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht an anderer Stelle festgestellt hat, dass die Musikrichtung des ‚Gothic‘ sich durch eine getragene Musik und einen mit Metaphern geschmückten Inhalt der Texte über Abschied und Tod auszeichnet. In diesem Kontext erscheint die Annahme nicht fernliegend, dass der Einsatz von Kirchenglocken zum musikalischen Allgemeingut zählt.“
und

„Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen weder erkennen, wodurch sich der Rhythmus der jeweiligen Passagen in Bezug auf Takt, Tempo, Betonung und Phrasierung auszeichnet, noch welchen Einfluss der gewählte Rhythmus in der Zusammenschau mit anderen Gestaltungsmitteln auf die ästhetische Gesamtwirkung der Passage hat.
Auch die vom Berufungsgericht teilweise zusätzlich zur Instrumentierung und Rhythmisierung herangezogenen Kriterien begründen nicht hinreichend nachvollziehbar eine hinreichende Schöpfungshöhe der als übernommen gerügten Musiksequenzen. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkte der ‚Einprägsamkeit‘ und des ‚Wiedererkennungseffekts‘ sind für die Begründung einer eigenschöpferischen kompositorischen Leistung nicht geeignet.“
und

„Die Revision hat ferner zutreffend einen Verfahrensfehler darin gesehen, dass das Berufungsgericht die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der streitbefangenen Passagen der vom Kläger komponierten Musiktitel aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat.

… Hat das Berufungsgericht das Verständnis des Verkehrs ohne Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe beurteilt, obwohl es selbst nicht hinreichend sachkundig ist, oder hat es eine mögliche, aber keineswegs selbstverständliche eigene Sachkunde nicht dargelegt, handelt es sich um einen Verfahrensfehler nach § 286 ZPO, der im Revisionsverfahren uneingeschränkt gerügt werden kann (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 254 - Marktführerschaft, mwN). Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler vor.“
und
„Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, seine Mitglieder verfügten über eigene Sachkunde, die zum Teil aus eigener musikalischer Praxis erwachsen sei, hat es weder Art noch Umfang dieser Praxis und der sich daraus ergebenden Kenntnisse mitgeteilt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob damit allein praktische Fertigkeiten gemeint sind oder die für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Musikwerken notwendigen theoretischen Kenntnisse der Lehren der Harmonik, Rhythmik und Melodik sowie das notwendige spezielle Wissen über die Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln in der maßgeblichen Musikrichtung. Auch der Hinweis auf die langjährige Beschäftigung mit Musik im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen als Mitglieder eines auf Urheberrecht spezialisierten Senats lässt nicht hinreichend konkret erkennen, ob der Inhalt und Umfang der Sachkunde des Berufungsgerichts den im Streitfall maßgeblichen Anforderungen genügen.“
Der BGH wendet sich gegen die Auffassung des OLG, die Übernahme der Musiksequenzen stelle eine unzulässige urheberrechtsverletzende Bearbeitung, weil sich der Beklagte nicht auf eine zulässige freie Benutzung im Sinne von § 24 UrhG berufen könne. Der BGH vermisst in dem Zusammenhang eine sachgerechte Analyse nach objektiven Merkmalen seitens das Hanseatische Oberlandesgericht.
Dazu heißt es dann im BGH-Urteil:
„Den Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es urheberrechtsverletzende Benutzungshandlungen angenommen hat, fehlt damit eine tragfähige Grundlage.“
Der dritte Leitsatz der Bundesrichter lautet schließlich:

„Für die Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit eines Musikstücks und die insoweit maßgebliche Abgrenzung von nicht dem Urheberrechtsschutz zugänglichem rein handwerklichem Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder die sonst zum musikalischen Allgemeingut gehören, reicht das bloße Anhören eines Tonträgers durch die Tatrichter grundsätzlich nicht aus; es wird vielmehr im Regelfall die Hilfe eines Sachverständigen unerlässlich sein.“ 
Da werden dem Hanseatischen Berufungsurteil musikalisch aber im rhythmisch heftigen Takt die urheberrechtlichen Leviten gelesen; dass hört sich schon fast wie eine gerappte Abmahnung aus Karlsruhe an.  

Donnerstag, 16. April 2015

BGH-Urteil: Urheberrecht verbietet keine Buch-Digitalisierung für öffentliche Leseplätze in Unis und Bibliotheken

In einem Streit über die Zulässigkeit elektronischer Leseplätze in Bibliotheken hat der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH heute mit Urteil vom 16.04.2015 (Az. I ZR 69/11 „Elektronische Leseplätze II“) die Klage eines Verlages gegen die Technische Universität Darmstadt abgewiesen. Es ging um die Frage, ob für elektronische Leseplätze in Bibliotheken Bücher auch ohne Einwilligung des Verlages digitalisiert und sodann den Nutzern zugänglich gemacht werden dürfen - auch zum Ausdruck und zur Speicherung per USB-Stick seitens der Bibliotheksnutzer.
 

Öffentliche elektronische Leseplätze

Die TU Darmstadt stellt in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek mehrere elektronische Leseplätze zur Verfügung. Dort können Bibliotheksbesucherinnen und -besucher bestimmte Werke aus dem Bestand der Universität nach von der Uni vorgenommener Digitalisierung durchsuchen, lesen, ausdrucken und auch per USB-Stick speichern - so u.a. das im klagenden Verlag herausgegebene und von der beklagten TU digitalisierte Lehrbuch mit dem Titel "Einführung in die neuere Geschichte". 

Lizenz-Angebot des Verlages abgelehnt

Die Klägerin hatte vor Abmahnung und Klage der Universität angeboten, im Verlag erscheinende Lehrbücher als E-Book-Version zu kaufen und in der Bibliothek zu nutzen. Darauf ließ sich die Uni-Bibliothek aber nicht ein.
Ist – wie der Verlag meint – die Digitalisierung der Bücher und deren Bereitstellung an den Uni-Leseplätzen nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt, wonach veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich gemacht werden dürfen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen?  

Das Landgericht Frankfurt a.M. meinte Jein

Es hat zwar mit Urteil vom 16.03.2011 (Az. 2/06 O 378/10) den Unterlassungsantrag abgewiesen, soweit der TU verboten werden sollte, Bücher des Verlages zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen Uni-Bibliothek zu benutzen, wenn der Verlag ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet. Das Landgericht hat der beklagten TU allerdings verboten, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern des Verlages an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern.  

Sprungrevision und EuGH-Vorlage

So landete die Sache nach zugelassener Sprungrevision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wo beide Seiten weiterstritten.
Der BGH setzte (Beschluss vom 20.09.2012) das Verfahren aus und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung einige Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor. Die Regelung des § 52b UrhG setzt nämlich Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und muss deshalb „richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Hierüber hat der EuGH mit Urteil vom 11.09.2014 (Az. C-117/13) zugunsten der Bibliotheken entschieden.  

Der BGH erlaubt Digitalisierung, elektronische Leseplätze und USB-Sticks

Das Verlagsangebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages hindert auch nach Auffassung der BGH-Richter die Hochschule urheberrechtlich nicht daran, im Verlag herausgegebene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen; die Bibliothek durfte die Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung des Verlages auf die geschehene Art und Weise nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Verwendung entgegenstehen, sind nach der BGH-Entscheidung „allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.“
Die Technische Universität war und  ist nach dem BGH-Urteil auch analog § 52a Abs. 3 UrhG berechtigt, die Bücher zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist für eine Zugänglichachung der Bücher an elektronischen Leseplätzen.
Der Bundesgerichtshof führt dazu in seiner heutigen Presseerklärung aus:
„§ 52b UrhG sieht zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch ist in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigungen erlaubt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Die Beklagte hat das Urheberrecht an dem Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten war es nach § 52b UrhG erlaubt, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG ist im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte haftet auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon kann auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken kann in vielen Fällen als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.“ (Markierung durch den Blogger)

Gut so. 

Update vom 25.09.2015:

Mittlerweile liegt das Urteil hier im Volltext vor.