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Freitag, 31. März 2017

Filesharing: Eltern haften eigentlich doch nicht für ihre Kinder


Da wird der BGH vielleicht doch noch vor dem
Bundesverfassungsgericht sein "blaues Wunder" erleben

Erstaunlich, was Heribert Prantl aus der Süddeutschen heute zum gestrigen Filesharing-Urteil des BGH (Urteil vom 30. März 2017 - I ZR 19/16 – Loud) kundtut:
Das ist zu großen Teilen Blödsinn:

Verpflichtung
Eltern haften nicht generell im Internet für Ihre Kinder: Minderjährige Kinder sind von ihren Eltern über das Verbot illegalen Filesharings zu belehren. Nicht mehr und nicht weniger. Bei volljährigen Kindern sind die Eltern nicht einmal zu Belehrungen verpflichtet. Zu mehr schon gar nicht.

Es gibt keine verschuldensunabhängige "Halterhaftung" für Kinder oder den Internetanschluss - anders als z. B. bei der Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen.

Verraten
Gegenteiliges hat auch der BGH gestern gar nicht verlauten lassen. Der BGH hat aber - m. E. zu Unrecht und verfassungswidrig - den „Schwarzen Haftungspeter“ der sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ bei den Elternteilen gelassen, die Internet-Anschlussinhaber sind und trotz konkreter Detail-Kenntnis (!) ihr Kind nicht an die Abmahnlobby verraten.

Verfassung
Das verstößt zumindest gegen den grundrechtlichen Schutz der Familie und gegen geltende zivilprozessuale und strafrechtliche Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte.
Hier geht es nicht um die Haftung seitens ihrer Aufsichtspflicht nicht genügender Eltern für als Täter ermittelte, aufsichtsbedürftige Minderjährige, sondern um eine ansonsten in keinem vergleichbaren Bereich propagierte Verpflichtung zur Denunzierung bzw. zum Verrat innerhalb der Familie.
Da wundert das Frohlocken des Herrn Prantl doch.

Verhören
Eltern ist  auf der Basis vorausgegangener Urteile aus Karlsruhe  zu empfehlen, ihren Kindern auch nach dem Empfang einer Filesharing-Abmahnung mit Respekt zu begegnen und nicht zu quälenden und überpflichtmäßigen Verhör- oder Recherche-Methoden auszusetzten. Eltern müssen eben nicht den Spion oder gar Folterknecht vermeintlicher Rechteinhaber spielen.


Donnerstag, 11. Juni 2015

Neue BGH-Filesharing-Urteile überraschen - Dennoch keine Familien-Panik bei Abmahnung

Da ist Musik drin...BGH zum Filesharing
Heute hat der BGH über drei Filesharing-Klagen verhandelt. Die in den drei Verfahren soeben ergangenen Entscheidungen dürften für viel Streit und Diskussionsstoff sorgen. Die Abwehr übermotivierter Filesharing-Abmahnungen und -Klagen wird nicht einfacher. 

Klägerinnen sind in allen drei Revisonsverfahren die vier führenden deutschen "Tonträgerherstellerinnen" Warner, Sony, Universal und EMI. Diese berufen sich jeweils auf angeblich ordnungsgemäße Recherchen eines Crawling-Unternehmens, wonach im Jahre 2007 über eine IP-Adresse jeweils mehrere hundert bzw. mehrere tausend Musiktitel zum Herunterladen innerhalb eines P2P-Systems verfügbar gemacht worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mithilfe des Internetserviceproviders die jeweiligen Beklagten als vermeintliche Inhaber des der IP-Adresse zugewiesenen Internetanschlusses.
Die Musikverlage verlangen von den Beklagten urheberrechtlichen Schadensersatz in Höhe von mehreren tausend Euro sowie Ersatz von anwaltlichen Abmahnkosten in ähnlicher Größenordnung.
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1. Im BGH-Verfahren I ZR 75/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlungen des Recherche-Unternehmens und die zeitgleiche Zuweisung der dynamischen IP-Adresse bestritten - ebenso wie die angeblichen Uploads durch ihn, seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder durch Dritte. Er sowie seine Ehefrau und seine beiden Söhnen hätten sich zur angeblichen Tatzeit im Urlaub auf Mallorca befunden und vor dem Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden, wobei allerdings nicht auszuschließen sei, dass einer der Familienangehörigen vor Abreise heimlich die Anlage wieder angestellt hat.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 24.10.2012 (Az. 28 O 391/11) die Klage abgewiesen. 
Das OLG Köln hat den Beklagten mit Urteil vom 14.03.2014 (Az. 6 U 210/12) nach Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des Crawling-Unternehmens sowie der Familienangehörigen antragsgemäß verurteilt. Der OLG-Senat hat es als erwiesen angesehen, dass die Musikdateien von dem Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten worden sind. Der Beklagte habe als Anschlussinhaber für die Urheberrechtsverletzungen einzustehen, weil nach seinem eigenen Vortrag ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme. Das Bestreiten seiner Verantwortlichkeit stelle sich "als denklogisch fernliegend und daher prozessual nicht erheblich dar."
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2. Im BGH-Verfahren I ZR 7/14 wurde der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16jährigen Sohn und ihrer 14jährigen Tochter genutzt. Gegenüber der Polizei hatte die Tochter zugegeben, "die Musikdateien heruntergeladen zu haben". Auf die anwaltliche Abmahnung reagierte die Mutter mit der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Die Beklagte wendet sich zivilgerichtlichen Klageverfahren gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter. Zudem trägt sie vor, ihre Tochter über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Musiktauschbörsen belehrt zu haben.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 02.05.2013 (Az. 14 O 277/12) nach der Zeugenvernehmung der Tochter der Klage überwiegend stattgegeben. 
Das OLG Köln hat diese Entscheidung mit Berufungsurteil vom 06.12.2013 (Az. 6 U 96/13) im Wesentlichen bestätigt.. Das OLG hält die Täterschaft der Tochter für erwiesen und wirft der Mutter die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vor.
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3. Im BGH-Verfahren I ZR 19/14 liegt der Fall so, dass der Internetserviceprovider als angeblichen Inhaber der IP-Adresse eine Person angegeben hatte, die in einem Buchstaben von dem Familiennamen des Beklagten abwich und ansonsten mit seinem Vor- und Nachnamen und seiner Anschrift übereinstimmte.
Nach anwaltlicher Filesharing-Abmahnung gab der Beklagte, ein selbständiger IT-Berater, ohne Rechtsanerkenntnis eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und wies gleichzeitig die geltend gemachten Zahlungsansprüche zurück. Er bestreitet die Richtigkeit der Recherchen des Crawling-Unternehmens und die per Excel-Tabelle übermittelten Angaben des Internetserviceproviders sowie seine und die Täterschaft eines in gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen. Der im Arbeitszimmer des Beklagten installierte PC war zur fraglichen Zeit unstreitig eingeschaltet und mit dem Internet verbunden. Die beim Beklagten angestellte und den Computer insoweit ebenfalls beruflich nutzende Ehefrau verfügte nicht über ausreichende Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen. Dem damals im Haushalt des Beklagten lebenden, seinerzeit 17 Jahre alten Sohn war das Rechner-Passwort unbekannt.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 31.10.2012 (Az. 28 O 306/11) der Klage stattgegeben. 
Zweitinstanzlich wurde auch dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Die entsprechende Entscheidung des OLG Köln (Az. 6 U 205/12) datiert vom 20.12.2013. Der Berufungssenat des OLG hielt es aufgrund der in beiden Tatsachen-Instanzen durchgeführten Beweisaufnahmen für nachgewiesen, dass die Musikdateien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sind. Der Beklagte sei hinsichtlich der Urheberrechtsverletzungen als Täter anzusehen.

Das Ergebnis:
Der BGH hat für viele überraschend alle drei Revisionen der Beklagten zurückgewiesen.

So gehen nach der soeben veröffentlichten Pressemitteilung des BGH die Richter des 1. Zivilsenats davon aus, dass die Eintragung der Klägerinnen in die Phononet-Datenbank ein erhebliches Indiz für die klägerische Rechteinhaberschaft darstellt. Es seien auch keine Anhaltspunkte zur Entkräftung dieser Indizwirkung vorgetragen worden.
Die theoretische Möglichkeit, dass bei Ermittlungen von proMedia oder des Internetserviceproviders Fehler vorkommen können, spräche nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle -  wie im dritten oben angesprochenen Verfahren (I ZR 19/14) - reiche insoweit nicht aus. 
In dem Rechtsstreit I ZR 75/14, dem ersten der drei oben erläuterten Verfahren,  sei das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien im Urlaub auf Mallorca gewesen und hätten vor Urlaubsantritt insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der BGH bejaht sogar eine täterschaftliche Haftung des Beklagten. Dieser habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Somit greife die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses ein.
In dem zweiten oben erwähnten Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 7/14 habe das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen hat. Das OLG habe sich rechtsfehlerfrei auf das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter und dessen zeugenschaftliche Bestätigung vor dem Landgericht gestützt. Die Beklagte hafte für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:
"Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 24 - Morpheus). Das Berufungsgericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem "ordentlichen Verhalten" aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus."
Schließlich bestätigt der BGH bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie einen Betrag in Höhe von 200 Euro pro Musiktitel sowie ferner den ausgeurteilten Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten auf der Basis des RVG.

Die genauen Entscheidungsgründe bleiben zunächst abzuwarten. In jedem Fall wurde diese BGH-Entscheidung so von vielen - auch von mir - nicht erwartet. Andererseits wird das Urteil des 1. Zivilsenats auch kein Grund zur Panik sein, gelten die höchstrichterlichen Grundsätze zur Beweislast der Abmahner und zur lediglich sekundären Darlegungslast der Abgemahnten doch auch weiterhin.

Festzuhalten bleibt schon jetzt:
  • Kinder sorgfältig und nachweisbar über die Rechtswidrigkeit illegalen Filesharings belehren.
  • Kinder oder andere Familienangehörige nach einer Abmahnung nicht ohne weiteres belasten.
  • Etwaige Verstöße von Familienangehörigen nicht voreilig als alternatives "Tatgeschehen" ausschließen.
  • Nicht allein oder primär auf etwaige technische Zweifel und diesbezügliche Argumentationen setzen, da Gerichte sich damit nur selten vertiefter auseinanderzusetzen bereit sind.
  • Nicht allein oder primär auf Diskussionen über Schadenshöhen und Kosten-Reduzierungen setzen.

Welche sachverhaltlichen Nuancen bei den oben dargestellten drei Revisionsfällen jeweils die entscheidende Rolle spielten, wird sorgfältiger Analyse bedürfen.


Donnerstag, 5. Februar 2015

Filesharing-Klage: Neuer Hinweis des AG Bielefeld

 ++++ Widerspruch in der Argumentation der Content-Industrie zur sekundären Darlegungslast ++++
 
Niemand zu Hause?
Einen interessanten Hinweis gab heute einer der beim Amtsgericht Bielefeld bereits seit mehreren Jahren für Urheberrecht zuständigen Richter im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme in Filesharing-Sachen. Damit wurde eine oft widersprüchliche Argumentation der abmahnenden Rechteinhaber überzeugend entlarvt. Kein zweierlei Maß bei Verdacht und Verteidigung.
 
Klägerin ist eine Pornofilm-Produzentin, Beklagter ist der Inhaber eines familiären Internetanschlusses. Dieser verteidigte sich nach vorausgegangener Filesharing-Abmahnung im Rahmen des anhängigen Schadensersatzprozesses u. a. damit, dass er kein illegales Filesharing betrieben hat und dass sein Internetanschluss zur fraglichen Zeit zumindest auch von einem seiner drei Söhne, die namentlich benannt wurden, genutzt werden konnte. Der Beklagte hatte zur „Tatzeit“ (nachts) geschlafen und konnte naturgemäß zum konkreten Internet-Nutzungs­ver­halten seiner volljährigen Söhne zu dieser Zeit nichts Substantielleres vortragen. 

Das Amtsgericht Bielefeld wies auf einen im Zusammenhang mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers recht interessanten Gesichtspunkt hin, nämlich auf einen häufig auftretenden Argumentationswiderspruch der Klägerseite,  

wenn 
 
zum einen der Einwendung des Anschlussinhabers, er sei zur fraglichen Zeit nicht zu Hause gewesen, damit begegnet wird, dass eine Nutzung des Internetanschlusses durch entsprechende (Vor-)Einstellungen auch ohne körperliche Anwesenheit des Anschlussinhabers möglich ist,
 
und andererseits vom sekundär darlegungspflichtigen Anschlussinhaber gleichzeitig verlangt wird, detailliert dazu vorzutragen, ob die behaupteten anderen möglichen familiären Internetnutzer zur fraglichen Zeit zu Hause anwesend waren, wobei manche Fragestellungen dann sogar so weit gehen, ob die betreffenden Familienangehörigen zur fraglichen Zeit praktisch auch vor ihrem PC bzw. ihrem Laptop oder Tablet gesessen haben.

Dem Amtsgericht Bielefeld ist zuzustimmen in der Einschätzung, dass es für eine Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Vorwürfe ausreichen kann, eine vermeintliche eigene Täterschaft zu bestreiten und auf die grundsätzliche selbstständige und eigenverantwortliche Internet-Nutzungsmöglichkeit seiner Familienangehörigen bzw. Mitbewohner zu verweisen. Eine Nutzung des Internetanschlusses durch die Familienangehörigen oder „Hausgenossen“ kann schließlich auch ohne körperliche Präsenz stattfinden. Die ernsthafte Möglichkeit eines von den den Beklagten verdächtigenden Filesharing-Vorwürfen abweichenden Geschehensablaufs besteht also auch ohne konkret darlegbare oder gar belegbare Anwesenheit der Mitbewohner bzw. Mitbewohnerinnen. Für welchen Zeitraum sollte eine Klärung derartige Präsenz denn auch konkret verlangt werden können? Für die gesammte Dauer des angeblich protokollierten Uploads? Für einen Teil? Für eine oder mehrere Stunden zuvor? Kann der Abmahnende bzw. der Kläger überhaupt vom Anschlussinhaber eine entsprechende Überwachung oder Recherche erwarten oder beanspruchen? Nein!

Ein weiteres Mal sind folglich Argumentations- (und Einschüchterungs-)Versuche der Abmahnungslobby entplausibilisiert worden. Die oft so vollmundig beschworene "tatsächliche Vermutung" zu Lasten des Abmahnungsadressaten und dessen angebliche quasi-polizeilichen Haus-und-Hof-Pflichten nehmen also praktisch "zunehmend" ab.
 
Dass im Übrigen Familienangehörige sich bereits vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie nach Art. 6 Grundgesetz nicht verpflichtet fühlen müssen, sich wechselseitig im Zusammenhang mit der Internetnutzung und etwaigen Filesharing-Verstößen zu überwachen oder im Falle von Filesharing-Ab­mahnungen bzw. -Klagen zu recherchieren oder Angehörige zu belasten, war auch weitergehender Gegenstand der heutigen mündlichen Verhandlung. Eine vom anwaltlichen Vertreter der Klägerin am liebsten gewünschte Gefährdungshaftung für Internetanschlüsse - also eine Art „Halter-Haftung“ der Anschlussinhaber entsprechend den Haltern von Kraftfahrzeugen - besteht unstreitig nach der geltenden Gesetzeslage nicht und bleibt wohl auch frommer bzw. unfrommer sowie unerfüllter Wunsch der Content-Industrie an den deutschen und den europäischen Gesetzgeber.

Das Amtsgericht und das Landgericht Bielefeld sind in urheberrechtlichen Streitigkeiten örtlich zuständig auch für die Bereiche der Landgerichtsbezirke Detmold, Paderborn und Münster. 

 

Donnerstag, 27. November 2014

Falsche Tipps zur Filesharing-Abmahnung

Mit Update vom 30.11.2014


Wieder mal geistern falsche Tipps zur richtigen Reaktion auf Filesharing-Abmahnungen durch das Netz. Jüngstes Beispiel: Ein Beitrag auf n24.de (zwischenzeitlich von N24 korrigiert - siehe Update).
Die dortige Erwähnung angeblich „illegaler Downloads“ zeigt bereits die Verkennung oder Verwirrung der Tatsachen. Der Vorwurf bei Filesharing-Abmahnungen liegt nicht primär im Download, sondern im Upload urheberrechtlich geschützter Werke, deren öffentliche Zugänglichmachung im Rahmen sogenannter P2P-Netzwerke.
„Meistens seien die Forderungen berechtigt, heißt es dann weiter. Wie sich diese Behauptung verifizieren lassen soll, muss wohl das Geheimnis des dortigen Autors bleiben, werden eine Vielzahl von Internetanschlüssen doch regelmäßig von mehreren Personen genutzt, ohne dass den Anschlussinhaber oder die Anschlussinhaberin selbst für den etwaigen Filesharing-Vorgang eine Verantwortung trifft.
Pauschalpreis verhandeln“ ist sodann der Rat-„Schlag“, der aus den vorgenannten Gründen in seiner Grundsätzlichkeit ebenso falsch ist.
Nichts anderes gilt für die an die Eltern gerichtete Aufforderung: „Mit dem eigenen Anwalt sollten Eltern einen Pauschalbetrag vereinbaren, der zwischen 300 und 600 Euro liegt…“. Damit werden zahlreiche Eltern zu Zahlungen veranlasst, die sie sich in ebenso zahlreichen Fällen gut und gerne sparen können.
Rechtlich falsch ist auch die Angabe, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung binde die Abgemahnten 30 Jahre lang: Richtig ist, dass jede Unterlassungserklärung des Abgemahnten lebenslang gilt und nicht nach 30 Jahren verjährt.
Wenn sodann generell behauptet wird, dass es “besser sei, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben“, mit der „der Abgemahnte lediglich (verspricht), einen Rechtsverstoß wie den illegalen Up- und Download eines bestimmten Musikalbums in Zukunft zu unterlassen“, ist auch dies nicht in jedem Fall richtig. In bestimmten Fallkonstellationen kann es demgegenüber empfehlenswerter sein, zur Vorbeugung gegen weitere Abmahnungen bzw. Ketten-Abmahnungen eine umfassendere modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben. Zudem sind bei etwaiger Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung zahlreiche weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Und was hat es mit dieser These auf sich? Eltern haften zunächst als Inhaber des Internetanschlusses für Urheberrechtsverletzungen, die über diesen begangen werden. Kinder ab sieben Jahren können aber schon auf Schadenersatz verklagt werden, wenn sie einsichtsfähig und durch die Eltern belehrt worden sind.“ Falsch: Es gibt keine automatische Haftung für den eigenen Internetanschluss, auch nicht für Eltern. Es wird lediglich bei fehlender ausreichender Verteidigung zunächst eine sogenannte „tatsächliche Vermutung“ aufgestellt dahingehend, dass verifizierte Filesharing-Verstöße vom registrierten Anschlussinhaber begangen wurden. Wenn der andere Elternteil und zusätzlich ggf. noch Kinder den familiären Internetanschluss nutzen, fällt die „tatsächliche Vermutung“ bzw. Unterstellung aber in sich zusammen.
Immerhin wird in der leider an etlichen Stellen fehlerbehafteten Tipp-Sammlung dann doch noch wenigstens darauf hingewiesen, dass „nach dem Morpheus-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2012 Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht (verletzen), wenn sie ihr Kind ordnungsgemäß über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Tauschbörsen belehrt haben und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich das Kind dem Verbot widersetzt. Eltern sind dann nicht zum Schadenersatz verpflichtet. (BGH, I ZR 74/12)“.
Schade. Undifferenzierte Rat-"Schläge" mit fehlerhaften Angaben und kontraproduktiven Empfehlungen zu rechtlichen und taktischen Details sind für die häufig ohnehin überforderten Adressaten von Filesharing-Abmahnungen leider eher schädlich als hilfreich.
 

Update vom 30.11.2014:

Hoppla, N24 hat inzwischen reagiert und den größten Teil der Fehl-Informationen korrigiert.
Geht doch - wenn auch die Korrekturen nicht als solche transparent erkennbar gemacht worden sind. War das zu peinlich?

Freitag, 3. Januar 2014

Odyssee einer Filesharing-Abmahnung: Störerhaftung vor dem BGH

Mit Update vom 08. Januar 2014

In Sachen "Filesharing-Abmahnungen" und "Störerhaftung" wird es am Mittwoch, den 08.01.2014, spannend vor dem Ersten Zivilsenat des BGH in Karlsruhe: Termin zur mündlichen Verhandlung im BearShare-Fall (Az. I ZR 169/12).
 
Nach einer wahren Instanzen-Odyssee vom gerichtlichen Mahnverfahren vor dem Amtsgericht Hamburg zum erstinstanzlichen Klageverfahren vor dem Landgericht Köln (Urteil vom 24.11.2010, Az. 28 O 202/10) über das Berufungsverfahren vor dem Kölner OLG (Urteil vom 22.07.2011, Az. 6 U 208/10) bis zur Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 21.03.2012, Az. 1 BvR 2365/11) sowie zurück zum wiederholten Verfahren vor dem Berufungsgericht (OLG-Urteil vom 17.08.2012, Az. wiederum 6 U 208/10) und schließlich zum - nach diesmaliger Zulassung der Revision - Bundesgerichtshof (Az. I ZR 169/12) in Karlsruhe.
 
Klage erhoben hatten die vier führenden deutschen Tonträgerhersteller, anwaltlich rasch vertreten durch eine führende Hamburger Abmahnkanzlei. Beklagter ist sinniger Weise ein auf Onlinerecherchen und Internetpiraterie spezialisierter Kriminalbeamter als Inhaber eines familiären Internetanschlusses, der auch von seiner Ehefrau und dessen damals 20-jährigem Sohn genutzt wird.
 
Mit anwaltlicher Filesharing-Abmahnung vom 30.01.2007 warfen die vier Musiklabels dem Beklagten vor, über seinen häuslichen Internetanschluss seien im Juni 2006 über 3.700 Musikaufnahmen, in einer Online-Tauschbörse zum Download angeboten bzw. verfügbar gemacht worden, obwohl allein die Klägerinnen an dem Musikmaterial die ausschließlichen Nutzungsrechte hätten. Der Beklagte gab ohne Rechtsanerkenntnis, aber mit rechtlicher Verbindlichkeit, eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, lehnte allerdings eine Begleichung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche und der Abmahnkosten ab.

Auf Antrag der Klägerinnen vom 30.12.2009 hat das Amtsgericht Hamburg gegen den Beklagten am 05.01.2010 wegen „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall gem. Rechtsanwaltshonorar – 06-32862 KS vom 12.06.06 bis 30.01.07“ einen Mahnbescheid über 5.925,60 Euro (nebst Zinsen) erlassen, der dem Beklagten am 12.01.2010 zugestellt worden war. Nach Widerspruchseinlegung durch den Beklagten hatten die Klägerinnen in ihrer Anspruchsbegründung vom 31.03.2010 zunächst, gestützt auf 200 im Einzelnen benannte und jeweils einer der Klägerinnen zugeordnete Musiktitel, Schadensersatz i. H. v. 2.471,00 Euro sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.454,60 Euro verlangt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Köln haben sie die Klage dann auf den Ausgleich der anwaltlichen Abmahnkosten beschränkt. Diese sind ihnen mit Urteil des Landgerichts vom 24.11.2010 über 3.454,60 Euro zugesprochen worden.
 
Der streitbare Polizist, fühlt sich für die vermeintlichen Rechtsverletzungen nicht verantwortlich. Sein volljähriger Stiefsohn habe die Musikdateien über den Internetanschluss öffentlich zugänglich gemacht. Der Stiefsohn hatte bei der polizeilichen Vernehmung zugegeben, dass er mit einem Filesharing-Programm ("BearShare") Musik auf seinen Computer heruntergeladen hat.
  
Das OLG Köln verurteilte den Beklagten nach seiner Berufung dennoch - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dazu, an die Klägerinnen (nach entsprechender Streitwert-Reduzierung) zu gleichen Teilen 2.841 Euro zu zahlen und ließ gegen das Berufungsurteil keine Revision zu. Auch die Anhörungsrüge des Beklagten, mit der er seinen Antrag auf Zulassung der Revision wiederholte, fand vor dem Oberlandesgericht keine "Gnade".
 
Der Beklagte legte deshalb Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, das daraufhin das Berufungsurteil aufhob und die Sache an das OLG Köln zurückverwies wegen Verletzung des grundgesetzlich geschützten Rechtes des Beklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Nichtzulassung der Revision sei von den Kölner Berufungsrichtern nicht nachvollziehbar - nämlich gar nicht - begründet worden, obwohl die Zulassung der Revision eigentlich offensichtlich nahegelegen hätte.
 
Das Oberlandesgericht hat daraufhin den beklagten Polizeibeamten erneut zur Zahlung von 2.841 Euro verurteilt. Der Beklagte sei für die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen verantwortlich. Er habe dadurch, dass er seinem volljährigen Stiefsohn den Internetanschluss zur Verfügung gestellt habe, die Gefahr geschaffen, dass dieser illegales Filesharing betreibe. Deshalb sei es ihm zumutbar gewesen, seinen Stiefsohn auch ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihm die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu verbieten. Die Volljährigkeit seines Stiefsohnes ändere daran nichts. Der Beklagte habe seine Stiefsohn pflichtwidrig nicht - jedenfalls nicht hinreichend - belehrt.
 
Das OLG Köln hat dann diesmal die Revision zugelassen, sodass nach vom Beklagten eingelegter Revision nun der in Filesharing-Streitsachen bereits mehrfach befasste Erste Zivilsenat des BGH "dran ist".

Zu klären ist insbesondere die Frage, wie weit die Haftung eines Internetanschlussinhabers bei familiärem Internetanschluss geht, ob und inwieweit etwaige anlasslose Belehrungs-, Aufklärungs-, Instruktions- und/oder Untersagungspflichten gegenüber volljährigen Familienangehörigen bestehen.

Das OLG hatte die lebensalltägliche Situation, dass "der Beklagte seinen Internetanschluss seinem zwanzigjährigen Stiefsohn zur ungestörten Nutzung auf einem in dessen Zimmer stehenden Computer zur Verfügung gestellt hat (Fettdruck durch den Autor)", zum Anlass genommen, wegen unzureichender Instruktion des Zwanzigjährigen eine Störerhaftung des Familien(Stief)vaters für Filesharing-Aktivitäten des "ungestörten" Familienmitgliedes zu bejahen. Das schreit m. E. nach der Korrektur vielleicht "gestörter" Wahrnehmung oder Bewertung familiärer Lebensrealitäten.
 

Update vom 08. Januar 2014:

Heute hat der Bundesgerichtshof die erhoffte und erwartete Korrektur vorgenommen und lt. Pressemitteilung des Ersten Zivilsenates  "entschieden, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für das Verhalten eines volljährigen Familienangehörigen nicht haftet, wenn er keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass dieser den Internetanschluss für illegales Filesharing missbraucht."
 
Der BGH hat das Berufungsurteil des OLG Köln aufgehoben und die Filesharing-Klage insgesamt abgewiesen. Bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige sei zu berücksichtigen, dass die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Es bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen. Deshalb und wegen der Eigenverantwortung von Volljährigen dürfe der Anschlussinhaber einem volljährigen Familienangehörigen seinen Internetanschluss überlassen, ohne das insoweit Belehrungspflichten oder gar Überwachungspflichten bestehen. Erst wenn der Anschlussinhaber - z. B. aufgrund einer Abmahnung - konkreten Anlass für die Befürchtung hat, dass der volljährige Familienangehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht, hat er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da derartige Anhaltspunkte hier nicht vorlagen, verneinten die Karlsruher Richter eine Störerhaftung.
 
Also gab es auch keine Unterlassungsansprüche und damit auch keine Ansprüche auf Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten.  Sobald das vollständige Urteil mit schriftlichen Entscheidungsgründen vorliegt, werden weitere Bewertungen über die Konsequenzen für zukünftige bzw. noch nicht rechtskräftig gerichtlich behandelte Filesharing-Abmahnungen erfolgen können. In jedem Fall hat diese höchstrichterliche Entscheidung die Position des Geschäftsmodells "Filesharing-Abmahnung" erheblich geschwächt und die Verteidigungsmöglichkeiten gegen unberechtigte Abmahnungen entscheidend verbessert.
 
 
 

Sonntag, 27. Oktober 2013

Filesharing Abmahnungen: OLG Köln sucht den BGH und findet Grenzen der „tatsächlichen Vermutung“


Einbahnstraße für Filesharing-Abmahnungen vor dem OLG Köln?
Wie Familien bei Filesharing-Abmahnung nicht in eine Einbahnstraße geraten
 
Berufungsverhandlungen vor dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts am vergangenen Freitag am Reichensperger Platz in Köln: 
 
  • Einbahnstraße für Tauschbörsen-Abmahner bei familiärem Internetanschluss?

  • Eiskalte Haftung für den Anschlussinhaber, nur weil er seine Familienangehörigen, seine Ehefrau oder seine Kinder, nicht verhören, nicht verdächtigen oder nicht denunzieren will?

  • Oder etwa „Sippenhaft“, weil der abgemahnte und verklagte Anschlussinhaber seiner abstreitenden Familie vertraut und glaubt?


Erstaunlich aufgeräumt und offen zeigte sich am 25.10.2013 der Berufungssenat des OLG Köln anlässlich von ihm als rechtsfehlerhaft erkannter landgerichtlicher Verurteilungen zu Schadensersatz und zur Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten:

Das OLG habe etwas längere Zeit gebraucht, um eine klare Linie zur sekundären Darlegungslast bei Filesharing-Abmahnungen zu finden, erläuterte der Vorsitzende. Gleichzeitig bedauerte der Senat, dass der BGH bisher keine Gelegenheit bekommen hat, sich eindeutiger dazu zu äußern, welche Angaben vom abgemahnten Anschlussinhaber verlangt werden können (und müssen). Die Fall-Konstellationen seien durchaus unterschiedlich und man mache sich den schmalen Grat zwischen dem Schutz der Rechteinhaber vor wahrheitswidrigen pauschalen Schutzbehauptungen und der Ablehnung pauschaler falscher Verdächtigung von vielleicht unschuldigen Anschlussinhabern keineswegs leicht. 
Was ist zur Zerstreuung der angeblichen tatsächlichen Vermutung, der Anschlussinhaber selbst habe die streitgegenständlichen Uploads vorgenommen oder zugelassen, darzulegen? Reicht die substantiierte Behauptung, der Anschlussinhaber selbst sei es nicht gewesen, sein Ehepartner oder seine Kinder hätten zur fraglichen Zeit zwar grundsätzlich eine eigene Internetanschluss-Zugriffsmöglichkeit gehabt, ein eigenes Fehlverhalten aber ebenfalls bestritten und dem würde der Anschlussinhaber vertrauen?

Ja!

Nach zwischenzeitlichen Irritationen über tatsächliche oder vermeintliche Rückzieher des 6. Zivilsenats von entsprechenden Bewertungen z. B. im OLG-Beschluss vom 28.05.2013 (Az. 6 W 60/13) durch nachfolgende Berufungsurteile des OLG Köln (z. B. vom 02.08.2013, Az. 6 U 10/13) und über fortgesetzt unangemessene Verurteilungen der 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts kündigt sich nun eine klare, gefestigte und angemessene Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln zur sekundären Darlegungslast an. Die Ausführungen der Berufungsrichter im Verlauf der mündlichen Verhandlungen vom 25. Oktober 2013 geben berechtigten Anlass dazu, weitere Rückzieher des OLG Köln von einer angemessenen familienfreundlichen Rechtsprechung für die Zukunft nahezu auszuschließen.
Festzuhalten bleibt bei sachgerechter Würdigung des aktuellen Verhandlungsverlaufs vor dem OLG-Senat:
  • Im Fall eines über einen bestimmten Internetanschluss verifizierten Filesharing-Verstoßes nimmt auch das OLG Köln an, dass eine tatsächliche Vermutung, ein Anscheinsbeweis, dafür spricht, dass der Verstoß vom Anschlussinhaber selbst zu verantworten ist (als unmittelbarer oder mittelbarer Täter oder als vorsätzlicher Anstifter oder Gehilfe).
  • Diese (m. E. durchaus fragwürdige) Vermutung kann nun zumindest dann nicht aufrechterhalten werden, wenn der/die Abgemahnte darlegt (und im Bestreitensfall beweist), dass zumindest eine andere berechtigte Person im verifizierten Zeitraum grundsätzlich die Möglichkeit hatte, auf den Internetzugang zuzugreifen.
  • Dies gilt auch dann, wenn der/die beklagte Anschlussinhaber/in vorträgt, die Familie habe zwar die Zugriffsmöglichkeit gehabt, eigene Verstöße aber glaubwürdig bestritten. Der Anschlussinhaber darf seiner Familie vertrauen, muss ihr nicht misstrauen – was in (anderem) Zusammenhang mit einer in Abmahnungen gern unterstellten Überwachungspflicht des Anschlussinhabers auch bereits vom BGH mit seiner (Morpheus)-Entscheidung vom 15.11.2012 festgestellt worden ist.
  • Auch wenn die abgemahnte und beklagte Partei den bestreitenden Angaben der zum Verstoßzeitpunkt mit grundsätzlicher Zugriffsmöglichkeit ausgestatteten Familienangehörigen vertraut, kann dennoch eine zur Zerstreuung der tatsächlichen Täterschaftsvermutung geeignete ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs nicht ausgeschlossen werden, was zur erfolgreichen Abmahnungs- und Klageabwehr ausreichen kann.
Der steinige Weg aus der Abmahnungs-Einbahnstraße für zu Unrecht abgemahnte Inhaber eines familiären bzw. häuslichen Internetanschlusses wird also doch weiter geebnet. Voraussetzung sind nicht die Überwachung, Aushorchung, Verdächtigung oder Denunzierung von Familienangehörigen, wohl aber wahrheitsgemäßer und sachgerechter, nicht lediglich pauschaler Sach-und Rechtsvortrag, der aber nicht darauf hinauslaufen muss, Ehefrau oder Kinder ans Messer zu liefern.
Den weiteren Entscheidungen des OLG Köln dürfen viele Familien folglich optimistisch entgegensehen.
Dennoch bleiben weiterhin - auch beim OLG Köln - sachverhaltliche, technische und rechtliche Streitfelder mit nicht unerheblichem Klärungs- und Argumentationsbedarf: So etwa, wenn der Berufungssenat davon ausgeht, bei bloßem LAN-Netzwerk wären mit krimineller Energie ausgestattete Trojaner-Infektionen nicht möglich (unter Verkennung von möglichen E-Mail- und Webseiten-Angriffen sowie der etwaigen Verschleierung z. B. durch Rootkits). Oder wenn Recherche-, Protokollierungs- und Archivierungs-Abläufe von Anti-Piracy-Unternehmen im Streit stehen. Auch die Qualität mancher tatsächlichen Vermutung sowie die konkreten Anforderungen an sekundäre Darlegungs- und Beweis-Pflichten werden für die verschiedensten Fall-Konstellationen noch so manche Einbahnstraße entstehen lassen, die es zu öffnen gilt.

 

Freitag, 7. Juni 2013

Neues Filesharing-Urteil des LG Köln verlangt mehr Familien-Misstrauen bei Abmahnung und Klage


Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 05.06.2013 (Az. 28 O 346/12) erneut im Zusammenhang mit Filesharing-Vorwürfen einen Familienvater und Inhaber eines häuslichen Internetanschlusses zur Zahlung von Schadensersatz und zur Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten verurteilt zugunsten von vier großen deutschen Musikverlagen. 

Die klagenden Musiklabel behaupten, der beklagte Ehemann und Vater von zwei Kindern habe Nutzungs- und Verwertungsrechten an 15 Musikwerken verletzt – und zwar durch angeblich über den häuslichen Internetanschluss an einem Sonntagvormittag im Juni 2008 vorgenommene illegale Filesharing-Teilnahme.

Der Beklagte hat im Verfahren vorgetragen und durch Zeugen sowie durch sachverständige Analyse der noch vorhandenen Router- und Rechner-Hardware unter Beweis gestellt, dass er zu keinem Zeitpunkt jemals Filesharing betrieben hat - auch nicht an dem in der urheberrechtlichen Klage behaupteten Vormittag. Das Landgericht Köln ist den Beweisantritten allerdings nicht nachgekommen

Auf die anwaltliche Abmahnung hin hatte der Anschlussinhaber eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ohne weitergehende Rechtsanerkenntnisse abgegeben.

Nachdem seine Ehefrau und sowohl der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige, als auch der zum damaligen Zeitpunkt bereits erwachsene Sohn dem Beklagten versichert hatten, ebenfalls kein illegales Filesharing betrieben zu haben, sah dieser keinen Anlass, seine Familienangehörigen gegenüber den Musikverlagen, den abmahnenden Rechtsanwälten oder dem Gericht dennoch vermeintlicher illegaler Filesharing-Teilnahme zu bezichtigen. Der beklagte Familienvater wies allerdings gleichzeitig darauf hin, dass er - ungeachtet seines grundsätzlichen Vertrauens in die Angaben seiner Ehefrau und seiner beiden Söhne - andererseits selbstverständlich naturgemäß etwaige ihm entgangene oder verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen oder von Freunden oder Gästen seiner Familienangehörigen nicht völlig ausschließen kann und dass jede andere Bewertung vermessen wäre. 

Der Beklagte hatte bereits im Jahre 2007 und insbesondere auch in der ersten Hälfte des Jahres 2008 seine Familienmitglieder eingehend auf das Verbot einer öffentlichen Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Musik- oder Filmdateien im Rahmen von sog. Filesharing-Börsen hingewiesen und generell die Teilnahme an Online-Tauschbörsen über seinen häuslichen Internetanschluss untersagt. Diesbezüglich benannte der Beklagte ebenfalls mehrere Zeugen.

Die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat den Beklagten dennoch als angeblichen "Täter" zu Schadensersatz und Kostenerstattung verurteilt.  

Der Beklagte habe eine gegen ihn gerichtete "tatsächliche Vermutung ... nicht erschüttern können, da er keine konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalts dargelegt" habe. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Angaben seiner Familienangehörigen dahingehend, dass auch diese kein Filesharing betrieben haben, grundsätzlich vertraut, und dass der Beklagte auf der anderen Seite gleichzeitig klarstellt, dass er naturgemäß etwaige ihm entgangene oder ihm verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen (oder auch von Gästen seiner Familienangehörigen) nicht völlig ausschließen kann, leitet das Gericht "widersprüchlichen Vortrag" ab, aufgrund dessen der Beklagte "seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen" sei.

Dies wird der Lebenssituation im Zusammenhang mit familiären Internetanschlüssen, den zwangsläufig insoweit oft eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Anschlussinhabers und realistischen Anforderungen an die sekundäre Darlegungspflicht eines familiären Internetanschlussinhabers sowie insbesondere den in dem Zusammenhang zu berücksichtigenden Zumutbarkeitsgrenzen nicht gerecht.

Zumindest hätte das Gericht den Beweisantritten des Beklagten, der schließlich sogar überpflichtmäßig zum Gegenbeweis bereit war, nachkommen müssen. Oder? Ist letzteres wirklich richtig? Nein! Das Gericht hätte nicht den Beweisantritten des Beklagten nachgehen müssen, es hätte allenfalls entsprechenden Beweisantritten der klagenden Musikverlage nachgehen müssen. Die klagenden Musikverlage haben aber von ihrem Recht, derartige, vom Beklagten überpflichtmäßig angebotene Beweismittel auch ihrerseits aufzugreifen, nicht Gebrauch gemacht. Das kann nicht dem nur sekundär Darlegungspflichtigen angelastet werden. Und dies werden die klagenden Musiklabel zivilprozessual auch zweitinstanzlich nicht mehr nachholen können.

Hier das nicht rechtskräftige Urteil im Original-Text:
 










 


























Wie man demgegenüber fair und sachgerecht mit vergleichbaren Fällen familiärer Filesharing-Vorwürfe und diesbezüglichem Sachvortrag des Internetanschlussinhabers bzw. der Internetanschlussinhaberin umgeht, zeigt - neben Entscheidungen auch des OLG Köln - sehr anschaulich u.a. das Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 O 353/11).

Donnerstag, 15. November 2012

Filesharing-Abmahnung verliert nach BGH-Urteil an Boden und Grund

Mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 74/12 - "Morpheus" ) haben die Musik-Konzerne und die Abmahn-Industrie nicht nur einen Prozess verloren, sondern auch die Grundlage für unzählige Filesharing-Abmahnungen.

Der Pressemitteilung des BGH vom 15.11.2012 sind unter Berücksichtigung des mit der höchstrichterlichen Entscheidung aufgehoben Urteils des OLG Köln vom 23.03.2012 (Az. 6 U 67/11) sowie des erstinstanzlichen Urteils der vielkritisierten 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30.03.2011 (Az. 28 O 716/10) aus meiner Sicht insbesondere die folgenden berechtigten Bewertungen bzw. Erwartungen zu entnehmen:

  1. Es gibt keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer minderjährigen Kinder.
  2. Erst recht gibt es keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer volljährigen Kinder.
  3. Es gibt auch keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare Störerhaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer Kinder und damit auch keine grundsätzliche Berechtigung zur Abmahnung der Eltern sowie insbesondere keine grundsätzlich daraus etwa ableitbare Verpflichtung der Eltern zur Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten.
  4. Eltern sind bei häuslichem Internetanschluss lediglich verpflichtet, minderjährige Kinder über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen zu belehren. Dies reicht zumindest dann aus, wenn das Kind (im Streitfall 13 Jahre alt) normal entwickelt ist und grundlegende Gebote und Verbote der Eltern regelmäßig befolgt.
  5.  Eine grundsätzliche Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren - z. B. durch Portsperren oder Kindersicherungen, besteht nicht. Eine Verpflichtung der Eltern zu derartigen Maßnahmen besteht allenfalls dann, wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.
Das entzieht zu Recht etlichen an die Inhaber familiärer Internetanschlüsse gerichteten Filesharing-Abmahnungen die deliktsrechtliche und urheberrechtliche Grundlage.

  • Update:  "Früher hätten die Eltern dafür auch schon mal Ohrfeigen verteilt." Interessanter Terminsbericht zur Verhandlung vor dem 1. Zivisenat des BGH von Rechtsanwalt Solmecke