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Sonntag, 1. Dezember 2013

Wenn Filesharing-Klagen unseriös auf entfernte Gerichte fliegen

 – schnell noch kurz vor dem in Kraft getretenen Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken 

Mit Update vom 04.12.2013


Aktuell erhalten etliche Internetanschlussinhaber, die in den vergangenen drei bis vier Jahren eine Filesharing-Abmahnung erhalten haben, Gerichtspost mit einer Klage, die noch schnell kurz vor offiziellem Inkrafttreten einer zugunsten der Verbraucher bzw. der privaten Internetnutzer neu festgelegten Gerichtsstandsregelung erhoben wurde. 

Für Klagen wegen illegalen Uploads in Online-Tauschbörsen ist nach dem seit dem 09.10.2013 geltenden § 104a UrhG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die abgemahnte Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz hat – und nicht mehr das nach dem Grundsatz des fliegenden Gerichtsstandes vom Abmahner nach seinem Belieben ausgewählte Wunschgericht. Bei der Bestimmung des Wohnsitzgerichts sind selbstverständlich landesrechtliche Sonderzuweisungen zur Konzentration von Streitigkeiten im Urheberrecht zu beachten. 

Was ist denn nun eigentlich mit den von vielen Filesharing-Abmahnern gerade noch kurz vor förmlicher Geltung der Wohnsitz-Regel, also kurz vor dem 09.10.2013 erhobenen Klagen? Darf oder muss darüber das vom (vermeintlichen) Rechteinhaber ausgesuchte „Lieblingsgericht“ entscheiden? Oder ist der fliegende Gerichtsstand auch dann angreifbar?

Der Angriff - also die Rüge fehlender örtlicher Zuständigkeit - kann sich lohnen, da der anschließende Rechtsstreit außerhalb des gegnerischen Wunschgerichts doch regelmäßig zumindest „ergebnisoffener“ geführt werden kann. Die Rüge sollte selbstverständlich auch dann erhoben werden, wenn – was in der jüngsten Zeit ebenfalls erstaunlich oft passiert – die Filesharing-Klage sogar noch nach dem 08.10.2013 nicht vor dem Wohnsitzgericht erhoben wird. Entsprechendes gilt, wenn nach längerem gerichtlichen Mahnverfahren die gerichtliche Abgabenachricht nicht an das Wohnsitzgericht erfolgt. 

Häufig hat keine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zuständigkeitsbereich des vom Rechteinhaber angerufenen (Lieblings-)Gerichts. Es fehlt nicht selten ein die örtliche Zuständigkeit rechtfertigender Bezug zum Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts. Vor diesem Hintergrund haben schon vor der Verkündung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (mit der gesetzlichen Bestimmung zum Wohnsitz-Gerichtsstand gem. § 104a UrhG) insbesondere auch in der jüngeren Vergangenheit immer mehr deutsche Gerichte die unbeschränkte Geltung eines "fliegenden Gerichtsstandes" für sog. "Filesharing"-Klagen gem. § 32 ZPO verneint. 

So etwa die beiden Entscheidungen des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13.02.2012 (Az. 31 C 2528/11) und vom 13.06.2013 (Az. 30 C 906/13), darüber hinaus die Entscheidungen des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13), des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 26.08.2013 (Az. 6 C 65/13), des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.08.2013 (Az. 42 C 160/13) und des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (Az. 2 AR 28/13).

Die Klägerseite behauptet oft nicht einmal selbst, dass der oder die Beklagte bei der unterstellten Filesharing-Handlung das Ziel verfolgt habe, dass das streitgegenständliche Audio- oder Filmwerk etwa auch im Bezirk des angerufenen Gerichts heruntergeladen wird oder heruntergeladen werden kann. Aus dem Klagevortrag ist ein derartiges zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten bzw. eine diesbezügliche Behauptung der Klägerseite häufig nicht zu entnehmen. Den klägerischen Behauptungen bzw. Vermutungen kann zumeist allenfalls entnommen werden, dass die Klägerseite wohl von einer etwaigen Billigung der beklagten Partei hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit der entsprechenden Audio- oder Filmdatei - und damit eventuell auch von der etwaigen Billigung einer Zugänglichkeit im Gerichtsbezirk - ausgehen möchte. Derartige Andeutungen oder Rückschlüsse ersetzen aber keinen brauchbaren Tatsachenvortrag für ein etwa diesbezügliches zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten. 

Im oben erwähnten Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13) heißt es zu dem entsprechenden Gesichtspunkt: 

"Ein solcher bedingter Vorsatz reicht aber nicht aus für die Annahme, dass die hiesige Herunterlademöglichkeit seiner Bestimmung entsprach. Erforderlich dafür ist vielmehr Absicht im engeren Sinne, d. h. es hätte ihm darauf ankommen müssen, dass hier heruntergeladen werden kann. 

Ein anderes Verständnis von dem, was bestimmungsgemäß ist, führt zu beziehungsarmen Gerichtsständen, die zu vermeiden sind, weil sie Sinn und Zweck von § 32 ZPO nicht gerecht werden (vgl. BGH MDR 2011/812; MDR 2010, 744). Dieser geht dahin, dass das Gericht eine gewisse Sachnähe haben soll, etwa weil typischer Weise im gleichen Großraum Zeugen ansässig sind oder eine Ortsbesichtigung stattzufinden hat. Reicht es für die Bestimmungsgemäßheit dagegen aus, dass die Herunterlademöglichkeit lediglich billigend in Kauf genommen wird, besteht ein ubiquitärer Gerichtsstand, d. h. es können Gerichte angerufen werden, die keinerlei näheren Sachbezug haben als andere. Dieser ist abzulehnen (vgl. Zöller-Vollkommer, 29. Auflage, § 32 Rn. 17, Stichwort "Internetdelikte" mwN)." 

Ähnlich argumentiert auch das Amtsgericht Berlin-Mitte (unter gleichzeitigem Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, veröffentlicht in MMR 2011, 594). 

Das Amtsgericht Berlin-Mitte weist gleichzeitig auf die gesetzgeberische Begründung zu dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken hin. 

Die Anrufung bzw. Auswahl des jeweiligen Gerichts seitens der Klagepartei – häufig in München, Köln, Hamburg oder aktuell verstärkt in Leipzig - ist oft nicht nur unsachgerecht und willkürlich, der (vermeintliche) Rechteinhaber übt seine Wahl nicht selten auch erkennbar entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben aus. Es fehlt dann nicht nur an auf den Gerichtsbezirk bezogenen bestimmungsgemäßen und zielgerichteten Handlungen des oder der Beklagten und diesbezüglichen substantiierten Darlegungen der Klagepartei und es fehlt nicht nur an jeglichem Bezug beider Parteien zum gewählten Gerichtsbezirk und manchmal sogar jeglichem Bezug der Prozessbevollmächtigten beider Parteien zum ausgewählten Gerichtsbezirk. Die Anrufung des ausgewählten Gerichts erfolgt häufig offensichtlich auch unter bewusster Missachtung des am 27.06.2013 vom Gesetzgeber beschlossenen und am 01.10.2013 vom Bundespräsidenten ausgefertigten Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken bzw. des darin zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens. In der Begründung zur Einführung des § 104a UrhG (Bundestagsdrucksache 17/13429) hat der Gesetzgeber u. a. ausgeführt:

"Der fliegende Gerichtsstand erlaubt sogenanntes Forum-Shopping, wobei der Kläger das zuständige Gericht je nach günstiger Rechtsprechung und möglichst weiter Entfernung vom Wohnsitz des Beklagten auswählen kann. Dies führt dann zu einer Erhöhung des Aufwandes und der Kosten für die Verbraucher, wenn diese nicht an ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden. Es besteht die Gefahr, dass Verbraucher deswegen eher auf außergerichtliche Vergleichsangebote eingehen und vor einer Überprüfung durch die Gerichte zurückscheuen". 

Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten des Abmahners als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein, erst recht wenn wenige Tage vor Verkündung des die vorerwähnte gesetzgeberische Intention betreffenden Gesetzes noch schnell in der inkriminierten Art "Forum-Shopping" zu Lasten des oder der Abgemahnten betrieben wird.

Eine entsprechende Bewertung ist auch der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (AZ. 2 AR 28/13) zu entnehmen - und zwar selbst ohne den hinzukommenden äußerst engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des § 104a UrhG. Im dortigen Verfahren ging es um eine Filesharing-Klage nach Mahnbescheidsantrag vom 26.03.2013 und Anspruchsbegründung vom 06.06.2013. Das OLG führt in der Entscheidung vom 13.09.2013 u. a. aus: 

"Die durch die Regelung des fliegenden Gerichtsstandes ermöglichte deutschlandweite Gerichtswahl schließt die Annahme einer im Einzelfall rechtsmissbräuchlich getroffenen Wahl nicht aus (OLGR Rostock 2009, S. 663 ff.; KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.; Musilak-Heinrich, ZPO, 10. Auflage, 535 Rn. 4; Zöller, Vollkommer, a. a. O., § 35 Rn. 4). ....

Die Ausnutzung eines formal gegebenen (fliegenden) Gerichtsstandes ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie aus sachfremden Gründen erfolgt, insbesondere in der Absicht, den Gegner zu schädigen (KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.). ... 

Diese Annahme liegt nahe, wenn im fliegenden Gerichtsstand ausgerechnet ein besonders entlegenes Gericht gewählt wird in der Hoffnung, der Gegner werde sich im gerichtlichen Verfahren nicht zur Wehr setzen, weil er die Kosten und den erheblichen persönlichen Aufwand einer Reise scheut. Diese Gefahr kann bei Internetdelikten sogar noch verstärkt bestehen, wenn die in Anspruch genommene Person ein in geschäftlichen Dingen unerfahrener Verbraucher ist, was in Fällen der Urheberrechtsverletzungen durch Nutzung von Tauschbörsen häufig der Fall ist."

Andere, weniger sachfremde, weniger willkürliche und weniger rechtsmissbräuchliche Intentionen der Klagepartei sind in vielen Fällen nicht wirklich ersichtlich, zumal bei „weit fliegender“ Gerichtswahl zeitgleich mit der Verabschiedung oder der Ausfertigung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken oder sogar nur wenige Tage vor, manchmal sogar genau am Tag dessen förmlicher Verkündung im Bundesgesetzblatt (08.10.2013). 

Eine örtliche Zuständigkeit des gewählten Gerichts kann und muss deshalb auch gerade in derartigen Fällen aus guten Gründen bezweifelt werden.
 
 

Update vom 04.12.2013:

 
Eine zwischenzeitlich veröffentlichte weitere Entscheidung des Amtsgerichts Köln vom 18.11.2013 (Az. 137 C 262/13) bestätigt die von mir vertretene Ansicht, dass die vom Gesetzgeber im Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken geregelte Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts und die darin zum Ausdruck gekommene Bewertung und Intention auch schon in Altfällen - bei Klageerhebung vor der formalen Gesetzesgeltung - von den Gerichten zu berücksichtigen sind.
 
Das Amtsgericht Köln hat in der jüngsten Entscheidung u.a. ausgeführt: 
"Durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1.10.2013 hat er ins Urheberrechtsgesetz § 104 a eingeführt. Das erlaubt den Rückschluss, dass er bei mittels Internet begangenen Urheberrechtsverstößen die bloße Berufung auf die Aufrufbarkeit überall oder auch die bestimmungsgemäße Aufrufbarkeit grundsätzlich überall zur Stützung eines Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO gegenüber natürlichen Personen als unseriös betrachtet, die nicht gewerblich oder selbstständig beruflich handeln."
Das sind deutliche Worte zur mangelnden Seriosität willkürlicher und im Ergebnis oft schikanöser Gerichtswahl zahlreicher Filesharing-Abmahner. Das Amtsgericht hat - sogar trotz Säumnis des Beklagten - die beim fliegenden Gerichtsstand erhobene Klage eines Software- bzw. Spiele-Labels wegen örtlicher Unzuständigkeit abgewiesen.

Bei der Verurteilung der unseriösen klägerischen Gerichtswahl betonte das Gericht zu recht auch den verfassungsrechtlichen Fairness-Grundsatz:
"Das ist auch gem. Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dieser fordert ein faires Verfahren, auch für den Beklagten des Zivilprozesses."
Dem ist nichts hinzufügen.

 
 
 

Freitag, 26. November 2010

Das Ende des fliegenden Gerichtsstandes bei Internet-Veröffentlichungen? Kein Wunsch-Gericht für Abmahner?

Über zwei aktuelle Urteile vom Amtsgericht Charlottenburg aus November 2010 (226C130-10, 226 C 128/10) berichtet Andreas Maurer im Blog 1und1.

Danach sind die Stunden der ungehemmten Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstandes durch Abmahner und Rechteverwerter gezählt. Das Amtsgericht Charlottenburg leitet seine die Anwendbarkeit des § 32 ZPO für die Geltendmachung presserechtlicher Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung stark eingrenzende Rechtsauffassung aus den Entscheidungen des BGH v. 10.11.2009 (VI ZR 217/08, Vorlagebeschluss zum EuGH) und v. 02.03.2010 (VI ZR 23/09, New York Times-Urteil)  ab - mit m.E. interessanter, allerdings bei aktueller Gesetzeslage wohl von den Obergerichten eher nicht mitgetragener Manier.

Immerhin gibt es zum fliegenden Gerichtsstand im Zusammenhang mit vermeintlichen Rechtsverletzungen durch Internet-Veröffentlichungen bereits vergleichbare Vorstöße anderer Gerichte wie z.B.


Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil v. 17.02.2000 – Az.: 2 U 139/99
LG Krefeld, Urteil v. 14.09.2007 – Az.: 1 S 32/07
AG Frankfurt a.M., Urteil v. 13.02.2009 – Az.: 32 C 2323/08
AG Frankfurt a.M., Beschluss v. 21.08.2009 – Az.: 31 C 1141/09-16
OLG München, Urteil v. 08.10.2009 – Az.: 29 U 2636/09.

Für die gegenteilige herrschende Meinung in der Rechtsprechung sei exemplarisch verwiesen auf

LG Frankfurt a.M., Urteil v. 05.11.2009 – Az.: 2/3 S 7/09
OLG Rostock, Beschluss v. 20.07.2009 – Az.: 2 W 41/09,

die eine eher weite Anwendbarkeit des § 32 ZPO auch  insbesondere im urheberrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Kontext befürworten.

Die immerhin zunehmend kritischen Bewertungen einer “beliebigen” Gerichtswahl der professionellen “Rechteverwerter” gehen wohl auch einher mit der immer offensichtlicher in Erscheinung tretenden, kritikwürdigen Massen-Handhabung des “Geschäftsmodells Abmahnung”. Insofern können derartige vereinzelte Rechtsprechungs-Tendenzen grundsätzlich begrüßt werden, ohne dass man derzeit diese Einzel-Entscheidungen allerdings zu sehr überbewerten darf: Gefragt ist in diesem Zusammenhang eher und vornehmlich der Gesetzgeber.