Posts mit dem Label Verfassung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Verfassung werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 18. Juni 2016

Abmahnung: Das LG Hamburg im medienrechtlichen Abseits beim Streit um Böhmermann-Satire


Schräger Spielverlauf im Böhmermann-Prozess vor dem LG Hamburg

„Was jetzt kommt, das darf man nicht machen.“ So leitete Jan Böhmermann sein Erdogan-Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Schmähkritik“ in der Satire-Sendung des ZDF am 31.03.2015 ein. Im eiligen Verbotsbeschluss der hanseatischen Pressekammer findet sich zu diesem instruktiven Kommentar-Vorspiel nichts: Keine (schieds)richterliche Auseinandersetzung mit den zuvor vom Spielführer aufgestellten Spielregeln. Das darf man nicht machen.

Mittlerweile liegen die schriftlichen Gründe zur einstweiligen Verpfeifung der ersten Instanz vom Sievekingplatz in Hamburg vor: 

Wohlplatzierte Worthülsen zur unzulässigen „Niveaukontrolle der Kunst“, zur verbotenen Unterscheidung zwischen „guter und schlechter Kunst“ und zur gebotenen Differenzierung zwischen „Aussagegehalt“ und „Einkleidung“.
"Das angegriffene Gedicht ist zweifelsohne Satire." ... So „geht die Kammer von Kunst aus“ und bemerkt, dass „die konkrete Präsentation … zu berücksichtigen“ ist: „Es ist fernliegend, dass der Rezipient annimmt, das Gedicht weise (insgesamt) einen Wahrheitsgehalt auf.“ Das Gericht verkennt angeblich auch nicht, dass „Meinungsfreiheit … gerade aus dem Bedürfnis der Machtkritik erwachsen“ ist.
Der „Schweinefurz“ und die Zeilen mit einem „sexuellen Bezug“ überschritten aber das von Erdogan „hinzunehmende Maß“ – auch wenn dieser als „Oberhaupt des Staates“ für polizeiliches „Schlagen von demonstrierenden Frauen“ sowie das sonstige „gewalttätige Vorgehen gegen andere Demonstranten … sowie gegen Minderheiten wie Kurden“ die „politische Verantwortung“ trägt.

Die Dreier-Abwehrkette des medienrechtlichen Schiedsgerichts verkennt dabei nicht nur, nein, sie unterschlägt den quasi medienpolitischen und medienpädagogischen, künstlerischen und journalistischen Ansatz von Böhmermann, der zusammen mit seinem Sidekick Ralf Kabelka vor und während der Präsentation des „Schmähkritik“-Gedichtes sehr deutlich und unmissverständlich Abgrenzungen zu „Artikel 5 unseres Grundgesetzes“ vornimmt und darauf hinweist:

„Das ist Schmähkritik … Das kann bestraft werden … Das ist vielleicht etwas kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel … Also das Gedicht. Das was jetzt kommt, das darf man nicht machen … das würde in Deutschland verboten … Das darf man nicht machen.“

Dazu hätte man eine sportliche und faire medienrechtliche Auseinandersetzung des Gerichts erwarten dürfen: Es geht dabei nicht einmal primär um das Spielergebnis in dieser prozessualen Vorrunde. Es geht vielmehr um fehlenden technischen und konditionellen Einsatz des Gerichts im Spielverlauf. Gerade die spielerische Technik des böhmermannschen Zuspiels von trainerischen Hinweis-Pässen und seine verfassungsrechtlichen Einwürfe hätten der unverzichtbaren schiedsrichterlichen Beachtung und Beurteilung bedurft. Fehlanzeige. Medienrechtliches Foulspiel.


Das verdient eine Rote Karte für diese Instanz, zumindest eine anwaltliche Abmahnung.

Update:  Lesenswert hierzu auch die Beiträge der Kollegen Kahl und Kompa



Donnerstag, 2. April 2015

Presse-Auskunftsrecht der Journalisten vom BVerwG weiter gestärkt

Behörden dürfen sich nur begrenzt auf Geheimhaltungspflichten berufen
Die Pressefreiheit fliegt nicht auf Geschäftsgeheimnisse
Bei überwiegendem Informationsinteresse können Pressevertreter nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2015 (Az. 6 C 12.14) von der staatlichen Stelle – im vorliegenden Fall die Bundesanstalt für Immobilien-Aufgaben (BImA) - Auskunft auch über Sachverhalte verlangen, die dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unterliegen, selbst wenn ein vom Bund vermietetes Flughafen-Gelände betroffen ist.
Konkret ging es um von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin an die BREAD & butter GmbH & Co. KG zur Durchführung von zwei ca. vierwöchigen Modemessen pro Jahr vermietete Teilflächen des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Kläger ist ein Chefreporter der BILD-Zeitung, der von der beklagten Bundesanstalt u.a. Auskunft über die Höhe des Mietzinses sowie über weitere Vertragsbestimmungen verlangte, weil in den Medien bzw. in der Öffentlichkeit wegen diverser auffällig gewordener Umstände des Entscheidungsverfahrens nicht unerhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Vermietung aufgetreten waren.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte sein im Ergebnis gleichlautendes Urteil vom 18.12.2013 (Az. 5 A 413/11) trotz betroffener Bundesbehörde und streitgegenständlicher Bundes-Liegenschaft noch auf das Landespressegesetz gestützt. Während der Bundesgesetzgeber bislang keine Regelungen zu Presseauskunftspflichten getroffen hat, steht Journalisten in derartigen Fällen demgegenüber nach der Rechtsprechung des BVerwG ein Anspruch auf Auskunftserteilung unmittelbar aus der Verfassung zu, soweit nicht berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen.
Nach begrüßenswerter und verfassungsrechtlich gebotener Einschätzung der Bundesrichter überwiegt im Flughafen-Fall eindeutig das Informationsinteresse des Journalisten gegenüber dem Vertraulichkeitsinteresse des Bundes bzw. der Bundesbehörde und des mietenden Messe-Unternehmens.
Der Presse musste es anhand der in Rede stehenden Auskünfte über die Konditionen des Mietvertrages ermöglicht werden, sich ein belastbares und sachgerechtes Urteil zu bilden über die Wirtschaftlichkeit der vorgenommenen Vermietung an den Messe-Veranstalter. Durch die eingangs erwähnten öffentlichen Gerüchte und Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Vermietung kommt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den journalistischen Auskunftsinteressen ein besonderes Gewicht zu, hinter dem der Vertrauens- und Geheimnis-Schutz zurückstehen muss. Öffentliche Meinungsbildung durch fundierte journalistische Recherche funktioniert nicht ohne starke Auskunftsrechte der Medien, die auch nicht durch Verweis auf Geheimhaltungspflichten quasi automatisch ausgebremst werden dürfen.

Samstag, 15. Juni 2013

Kunst-Verbot wegen "Porno"-Falten an der "Seemanns Braut"


 
Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes beschädigte und entfernte in der Ausstellung einer Herforder Atelier-Gemeinschaft ein provokantes Kunstwerk der Künstlerin Alexandra Sonntag aus Bielefeld. Wie die Neue Westfälische in ihrer Wochenend-Ausgabe berichtet, handelt es sich um eine Installation von mehreren Papierschiffchen, die die studierte Künstlerin aus Sex-Heftchen hergestellt hatte. Die Rauminstallation mit dem Titel „Seemanns Braut“ zielte als künstlerischer und kritischer Kommentar auf die Seefahrer-Romantik und die Zurschaustellung weiblicher Sexualität.
Nach einigen Beschwerden von Passanten, die wohl kein (Kunst-)Verständnis beim Blick in das Schaufenster des ostwestfälischen Kunst-Quartiers aufbringen wollten, marschierte ohne Vorankündigung eine Behörden-Vertreterin in die Galerie und entfernte die Installation. Nach Angaben der Atelier-Gemeinschaft wurden dabei einige Schiffchen sogar zertreten.

Vor dem Ausstellungslokal trafen Beamtin und Künstlerin – wie die NW berichtet – dann doch noch zusammen. Das Ordnungsamt rechtfertigt den Eingriff in die Kunstfreiheit mit dem Vorwurf der „Verbreitung pornografischer Schriften“.  Man verständigte sich. Alexandra Sonntag griff zum schwarzen Filzstift und übermalte auf den Faltungen der Schiffchen teilweise erkennbare Geschlechtsteile und baute die Installation wieder auf.
Zwei Kripo-Beamte der Hansestadt Herford nahmen nach der Zensur die „Seemanns Braut“ nochmals in Augenschein, ohne die Ausstellung weiter zu verbieten.

Einerseits hat nun eine ostwestfälische Behörde an der (veränderten) Schaffung eines neuen, das eigene, m. E. verfassungswidrige Verhalten dokumentierenden Kunstwerkes mitgewirkt. Andererseits hat hier behördliche Gewalt einen sehr bedenklichen unverhältnismäßigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Kunstfreiheit und einen provinziellen Eklat produziert, der in seiner Dimension über eine Provinz hinausreicht.

Donnerstag, 24. Januar 2013

"Grundrecht auf Internet" und Nutzungsausfall für eine Lebensgrundlage

Mit Update vom 21. Februar 2013

Das Urteil des BGH vom 24.01.2013 (Az. III ZR 98/12), das dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens grundsätzlich Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses und die damit entgangenen Nutzungsmöglichkeiten zuspricht, kann in seiner Bedeutung weit über finanzielle Regress-Phantasien hinausgehen. Wenn Karlsruhe das Internet als Lebensgrundlage anerkennt, ist es vielleicht kein zu weiter Weg zum "Grundrecht auf Internet":


Der Inhaber eines DSL-Internetanschlusses verlangt mit prozessualem Erfolg Schadensersatz für die wegen einer technisch missglückten Tarifumstellung fortgefallene Möglichkeit, seinen DSL-Anschluss während eines Zeitraums von ca. zwei Monaten für die Festnetztelefonie und den Telefaxverkehr (Voice und Fax over IP, VoIP) sowie insbesondere auch für den Internetverkehr zu nutzen.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung bleibt Nutzungsausfall für Wirtschaftsgüter grundsätzlich solchen Fällen vorbehalten, "in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt". 

Das wird für den Ausfall eines Telefaxes ausdrücklich verneint, da ein Telefax lediglich ermöglicht, "Texte oder Abbildungen bequemer und schneller als auf dem herkömmlichen Postweg zu versenden", ohne dass sich dies im privaten Bereich signifikant auswirkt, zumal das Telefax zunehmend beispielsweise durch E-Mail verdrängt wird. Im Ergebnis hat der BGH auch für den Ausfall des Festnetztelefons einen Anspruch auf Nutzungsausfall verneint, obwohl die Nutzungsmöglichkeit des Telefons ein Wirtschaftsgut darstellt, "dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensgestaltung von zentraler Wichtigkeit ist". Nutzungsausfall für das Festnetztelefon wird aber verneint, weil dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz z. B. per Mobiltelefon zur Verfügung steht und ihm der hierfür anfallende Mehraufwand ersetzt wird. 

Zur Bedeutung der darüber hinausgehenden Nutzungsmöglichkeiten eines Internetanschlusses heißt es in der Pressemitteilung des III. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes:

 Demgegenüber hat der Senat dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit zuerkannt, seinen Internetzugang für weitere Zwecke als für den Telefon- und Telefaxverkehr zu nutzen. Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. (Fettdruck durch den Verfasser)
Mit dieser höchstrichterlichen Analyse und Bewertung ist in Karlsruhe das Tor geöffnet worden auch für zeitgerechte und mediengerechte Einordnungen in Richtung einer Art "Grundrecht auf Internet" - vor dem Hintergrund der gerichtlich anerkannten aktuellen Lebens- und Kommunikationswirklichkeit sowie der damit korrespondierenden schutzwürdigen Bedürfnisse und Interessen samt den verfassungsrechtlich normierten Grundrechten der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auch der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) sowie den Rechten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG) und den grundgesetzlichen Garantien und Prinzipien zu elterlicher Erziehung und schulischer Bildung (vgl. Art. 6 und 7 GG) und nicht zuletzt dem Sozialstaatsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.

Das heutige BGH-Urteil kann der unumkehrbare Beginn lebensnaher höchstrichterlicher Ankunft in der Wirklichkeit "2.0"  bzw. der Realität von "Social Media" sein. Da öffnen sich weitere Argumentationsfenster gegen Netzsperren und Three- oder Six-Strikes-Modelle.

Update vom 21. Februar 2013 

Zwischenzeitlich liegt das Urteil des BGH vom 24.01.2013 im Volltext vor.
Auch darin finden u.a. "Foren, Blogs und soziale Netzwerke" signifikante und relevante Erwähnung:

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer, jedenfalls vor dem hier maßgeblichen Jahreswechsel 2008/2009 beginnender Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt (von der unübersehbaren Vielfalt z.B. nur: Fernabsatzkäufe, Hotel-, Bahn- und Flugbuchungen, Erteilung von Überweisungsaufträgen, Abgabe von Steuererklärungen, An- und Abmeldung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie der Müllabfuhr, Verifikation von Bescheinigungen). Nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag des Klägers bedienen sich nahezu 70 % der Einwohner Deutschlands des Internets, wobei dreiviertel hiervon es sogar täglich nutzen. Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. Die Unterbrechung des Internetzugangs hat typischerweise Auswirkungen, die in ihrer Intensität mit dem Fortfall der Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu nutzen, ohne weiteres vergleichbar sind.

Dienstag, 11. Dezember 2012

Pressefreiheit zum Advent: Abmahnung des BGH nach Hamburg

Der BGH hat mit zwei Urteilen vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10 und VI ZR 315/12 - wieder sehr bedenkliche Urteile des LG Hamburg und des Hanseatischen OLG Hamburg
(LG Hamburg: Urteil vom 15. August 2008 - 324 O 774/04
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 89/08
und
LG Hamburg: Urteil vom 30. Mai 2008 - 324 O 18/05
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 67/08)
mit  unmissverständlicher Kritik aufgehoben und damit ein weiteres Mal ein deutliches Zeichen für mehr Respekt vor der Pressefreiheit gesetzt.


Der klagende, seinerzeitige Professor an der Universität Leipzig, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der PDS im Sächsischen Landtag und Spitzenkandidat der PDS für die Landtagswahl am 19. September 2004 nimmt die Beklagten - nämlich die Verleger von "Sächsische Zeitung", "Dresdner Morgenpost", "Bild" und "Die Welt" - wegen redaktioneller Berichterstattung über angebliche Tätigkeiten als IM (Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR) auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beklagten berichteten im August 2004 in mehreren Artikeln über einen Verdacht: Der Kläger habe als langjähriger IM "Christoph" mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet und dabei insbesondere seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt. 

Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Ministerium für Staatssicherheit ihn als "IM Christoph" geführt habe. Er sei ohne sein Wissen "abgeschöpft" worden. Die Beklagten stützten ihre Verdachtsberichterstattung u.a. auf eine entsprechende Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat den Klagen überwiegend stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten blieben noch erfolglos. Auf die Revisionen der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Urteile des OLG Hamburg aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

In seiner heutigen Pressemitteilung lässt es der VI. Zivilsenat des BGH an abmahnender Deutlichkeit und harscher Kritik gegenüber den Hamburger Entscheidungen nicht fehlen:

"Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten habe. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet habe, ist unvollständig und verstößt gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die von ihm vorgenommene Deutung der in den Akten des MfS verwendeten Begriffe ist weit hergeholt und mit dem natürlichen Sprachempfinden kaum in Einklang zu bringen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt. Das Berufungsgericht hat auch zu Unrecht die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung verneint. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Beklagten der Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, den gefundenen Unterlagen sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Kläger als IM Christoph für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei, ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen durften. Bei dem Bundesbeauftragten handelt es sich um eine Bundesoberbehörde, der durch Gesetz die Aufgabe zugewiesen ist, die Stasi-Unterlagen auszuwerten und zu archivieren." (Fettdruck durch den Verfasser)

Da ist eine presserechtliche Klatsche aus Karlsruhe bei den Hamburger Spruchkörpern angekommen; Advent heißt ja auch "Ankunft".

Den schriftlichen Entscheidungsgründen darf mit Spannung und Interesse entgegengesehen werden.

Samstag, 21. Januar 2012

Mach Dir ein Bild von der BILD-Werbung: Der Preis von Briefkästen, Schenkungen, Verboten und Abmahnungen.

Ein werbliches Sonderprodukt der BILD-Zeitung sorgt aktuell für - z. T. negative - Furore in den Medien.
Die "geburtstagskindische" Werbe-Strategie der Axel  Springer AG mit dem Slagan:
"BILD für ALLE"
steht in der Kritik.

Muss da noch nachgebessert werden? Die abgegebenen Werbeversprechen sind praktisch und rechtlich nicht in jeder Hinsicht unangreifbar.

Einige kritische Bewertungen:

Die 
"kostenlose Sonderausgabe" 
vom 23. Juni 2012 zum 60. Geburtstag der Boulevard-Zeitung soll angeblich 
"an alle Haushalte in Deutschland" 
verteilt bzw. 
"verschenkt" 
werden.

Viele haben bereits signalisiert diese "Schenkung" nicht annehmen zu wollen. Eine Schenkung ist ein Vertrag (gemäß § 516 BGB), der frühestens mit der Annahme durch den Beschenkten wirksam wird; es muss sich also niemand eine schenkungsweise Zuwendung aufzwingen lassen.

Dies gilt erst recht bei "Postwurfsendungen". So hat beispielsweise die 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg im vergangenen Jahr mit Urteil vom 30.09.2011 (Az. 4 S 44/11) folgende Leitsätze aufgestellt:
"1. Das Zusenden von Postwurfsendungen gegen den ausdrücklichen Willen des Empfängers stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.
2. Postwurfsendungen, die der Empfänger erkennbar nicht wünscht, stellen stets eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG dar.
3. Für die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens des Empfängers genügt eine entsprechende Mitteilung an das werbende Unternehmen, es besteht keine Pflicht zum Anbringen eines Aufklebers "Werbung - Nein danke" auf dem Briefkasten."
Andererseits reicht ein sich lediglich auf "Werbung" beziehender Verbots-Aufkleber nicht einmal aus zur eindeutigen Ablehnung des Einwurfs von Anzeigenblättern. Der 4. Zivilseat des OLG Hamm hat mit Urteil vom 14.07.2011 (Az. I-4 U 42/11) entschieden:
"Die auf Werbeprospekte bezogene ablehnende Willensbekundung ist dabei nicht so auszulegen, dass den betreffenden Verbrauchern auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil als solche unerwünscht wären (OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 502). Der Begriff "Werbung" hat aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers keinen eindeutigen Erklärungsinhalt und lässt somit für den Verleger eines Anzeigenblattes nicht sicher erkennen, ob derjenige, der keine Werbeprospekte im Briefkasten haben will, auch den Einwurf von Anzeigenblättern ausschließen will oder nicht (vgl. Harte / Henning / Ubber, UWG, 2. Auflage, § 7 Rdn. 74). Erfasst von dem Sperrvermerk ist im Übrigen auch nicht die Zeitungsbeilagenwerbung, die regelmäßig mit dem Bezug von abonnierten Zeitungen und Zeitschriften verbunden ist."
Handelt es sich bei dem in der Kritik stehenden "Sonderprodukt" überhaupt um ein Anzeigenblatt? 

In der Bewerbung  der BILD gegenüber Anzeigenkunden heißt es ausdrücklich:
"Diese Sonderausgabe ist nicht tagesaktuell."
Der Verlag will 
"einen Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft spannen" 
und so erkennbar insbesondere auch zu eigenen Werbezwecken agieren (wogegen selbstverständlich grundsätzlich zunächst nichts einzuwenden ist). Verteilt wird insofern nicht die übliche BILD-Zeitung. Dennoch wird man rechtlich die Wurfsendung nicht als bloße Werbung bewerten können; immerhin wird die Sonderausgabe auch redaktionelle und damit presserechtlich und verfassungsrechtlich besonders geschützte Inhalte enthalten. Deshalb wird man - wie oben erwähnt - durch ein bloßes Verbot des Einwurfs von "Werbung" dem Briefkasten eine entsprechende Befüllung nicht ersparen. Andererseits handelt es sich bei der kostenlosen Sonderausgabe aber wohl auch nicht um ein klassisches Anzeigenblatt - wenn man den verbleibenden redaktionellen Kontext mit der "klassischen" BILD-Zeitung berücksichtigt. Deshalb wird ein Briefkasten-Aufkleber, der den Einwurf von Anzeigenblättern untersagt, von den Zustellern wohl ebenfalls nicht zwingend beachtet werden müssen.

Der Kollege Udo Vetter denkt deshalb etwa an einen Briefkasten-Hinweis wie "Bitte keine BILD einwerfen". Der Kollege Andreas Schwartmann hat alternativ ein Muster-Anschreiben an die Springer AG entworfen.

Beide Möglichkeiten dürften eine hinreichende Möglichkeit bieten, die Zustellung des "Sonderproduktes" in den eigenen Briefkasten rechtswirksam zu untersagen und bei Verstoß im Wege der Abmahnung bzw. Klage die entstandenen Unterlassungsansprüche rechtlich erfolgreich durchzusetzen. Der Kollege Arno Lampmann meldet sogar etwas plakativ: "Es drohen 41 Millionen Abmahnungen".

Auf einer Seite der an die Anzeigenkunden gerichteten Bewerbung des fast pensionsreifen Jubilars heißt es vielleicht auch deshalb bei genauerer Betrachtung - indem das Angebot insoweit einschränkend nicht als Zusage, sondern als bloßes "Ziel" deklariert wird:
"Unser Ziel: jeder Haushalt erhält ein Exemplar in den Briefkasten!"
Sich hohe Ziele zu setzen, hat ja grundsätzlich noch keiner (Werbe-) Kampagne geschadet. Ob die Ziele dann auch erreicht werden, ist natürlich eine andere Frage.

An anderer Stelle der Kundenwerbung wird der Mund dann allerdings schon wieder etwas voller genommen:
"Die größte Auflage aller Zeiten
Alle Haushalte in Deutschland"
und
"Verteilung: ca. 41 Mio. Haushalte inkl. Werbeverweigerer, innerhalb eines Tages"
Also doch Freiwild für BILD und Frei-Bild für alle? 

Mit der pauschal behaupteten Verteilung an "ALLE" und insbesondere auch an alle "Werbeverweigerer" könnten einige Mitbewerber i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG wettbewerbsrechtliche Probleme haben und diese Vollmundigkeit ihrerseits zum Anlass nehmen, über wettbewerbsrechtliche Abmahnungen wegen etwaiger unlauterer und/oder irreführender Werbung nachzudenken. Ausgeschlossen ist auch das vor dem Hintergrund der oben erwähnten rechtlichen Bewertungen nicht. Vollmundige Werbung hat ihren Preis.

Zumindest soll nach dem Willen der BILD auch das fulminante Werbe-/Anzeigen-Angebot seinen Preis haben (nämlich vier Millionen Euro pro Anzeigenseite) und:
"Bestehende Konditionsvereinbarungen sowie die Rabattstaffeln laut BILD Preisliste sind für dieses Sonderprodukt nicht anwendbar. Angebote folgen auf Anfrage."
Und nicht übersehen werden darf zusätzlich:
"Bei Stornierung einer Buchung wird eine Gebühr in Höhe von 10% des gebuchten Anzeigen-Bruttopreises erhoben."
Mal sehen, wie die Kampagne und das daraus erwachsene Streit-Potenzial sich weiter entwickeln. Der öffentlich ausgetragene Streit stellt - jedenfalls und immerhin - auch selbst bereits eine nicht zu unterschätzende Werbe-Kampagne dar, worauf vielleicht sogar der Blogger dieses Beitrags hereingefallen ist.

Sonntag, 19. Juni 2011

BGH verhandelt über "Falschzitat" oder journalistische Interpretationsfreiheit

Eine ehemalige Tagesschau-Sprecherin und populäre Moderatorin, Journalistin und Buchautorin und der Springer-Verlag verhandeln am 21.06.2011 vor dem 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (VI ZR 262/09). Der Klage der prominenten Medienfrau vorausgegangen waren Urteile des Landgerichts Köln vom 14.01.2009 (28 O 511/08) und des Oberlandesgerichts Köln vom 28.07.2009 (15 U 37/09).
 
Die Klägerin hat den Verlag  auf Unterlassung, Richtigstellung und Zahlung einer Geldentschädigung verklagt wegen einer Wortberichterstattung über eine mündliche Äußerung anlässlich ihrer Buchvorstellung.

Die Klägerin hatte auf der streitbefangenen Pressekonferenz am 6. September 2007 gegenüber den anwesenden Journalisten geäußert:
"Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch ´ne Gerechtigkeit schaffen zwischen kinderlosen und kinderreichen Familien. Wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er-Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das - alles was wir an Werten hatten - es war ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle - aber es ist eben auch das, was gut war - das sind die Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben."
Der beklagte Verlag hatte in der Print- und der Online-Ausgabe des "Hamburger Abendblatts" vom 7. September 2007 u.a. ausgeführt:
"Das Buch „sei wieder ein ‚Plädoyer für eine neue Familienkultur, die zurückstrahlen kann auf die Gesellschaft’, heißt der Klappentext.“ Die Autorin, „die übrigens in vierter Ehe verheiratet ist, will auch schon festgestellt haben, dass die Frauen ‚im Begriff sind, aufzuwachen’, dass sie Arbeit und Kariere nicht mehr unter dem Aspekt der Selbstverwirklichung betrachten, sondern unter dem der ‚Existenzsicherung’. Und dafür haben sie ja den Mann, der ,kraftvoll’ zu ihnen steht."
Weiter heißt es dort:
"In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter. Die hätten die 68er abgeschafft, und deshalb habe man nun den gesellschaftlichen Salat. Kurz danach war diese Buchvorstellung Gott sei Dank zu Ende."
Die Klägerin sieht sich als Sympathisantin des Nationalsozialismus verunglimpft und erachtet ihr Persönlichkeitsrecht als durch Falschzitate schwerwiegend verletzt. Ihre berufliche und gesellschaftliche Existenz sei zerstört und ihr sei großer seelischer Schaden zugefügt worden.

Die Klägerin hat den Verlag erstinstanzlich auf Unterlassung und auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 50.000 € verklagt.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von lediglich 10.000 € sowie zur Unterlassung der Behauptung verurteilt: 
„In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter.“ 

Auf die Berufung der Klägerin, die im Berufungsrechtszug zusätzlich die Richtigstellung verlangt hat, dass sie die streitgegenständliche Äußerung so nicht getätigt habe, hat das OLG die Beklagte darüber hinaus zur begehrten Richtigstellung und zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von weiteren 25.000 € verurteilt. Die weitergehende Berufung und das Rechtsmittel der Beklagten hat es zurückgewiesen. 

Der beklagte Verlag begehrt mit der vom BGH zugelassenen Revision weiterhin die vollständige Klageabweisung. 

Es bleibt abzuwarten, wie der 6. Zivilsenat die strittige Berichterstattung im Spannungsfeld zwischen der Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite beurteilt. Dabei wird es auch auf die Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung und -bewertung ankommen. Wie weit geht die journalistische Interpretationsfreiheit - insbesondere dann, wenn mit indirekter Rede als Zitate zu verstehende Sätze in den Mund gelegt werden, die so nicht geäußert wurden? Und das auch noch, ohne die "eingearbeitete" Interpretation als solche kenntlich zu machen. 

Es spricht m.E. vieles dafür, dass hier bedauerlicherweise nicht verantwortungsvoll genug zwischen dem Zitat (als Tatsachenbehauptung) und dessen Interpretation (als Meinung und Dafürhalten) getrennt worden ist. In einer Zitat-Wiedergabe hat die Meinung des - oder in diesem Fall - der Zitierenden (Redakteurin) nichts zu suchen. Neben dem Zitat sind selbst gewagte Interpretationen als Meinung und Kommentierung durchaus zulässig und verfassungsrechtlich gewollt.

Update 21.06.2011: Der Bundesgerichtshof hat heute der Revision Recht gegeben und die Klage abgewiesen. In der aktuellen Pressemitteilung des BGH heißt es dazu:
"Der u. a. für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die beanstandete Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht beeinträchtigt. Zwar umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht am eigenen Wort und schützt den Einzelnen davor, dass ihm Äußerungen zugeschrieben werden, die er nicht getan hat und die seine Privatsphäre oder den von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen. Der grundrechtliche Schutz wirkt dabei nicht nur gegenüber Fehlzitaten, sondern auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung. Die Beklagte hat die Äußerung der Klägerin aber weder unrichtig noch verfälscht oder entstellt wiedergegeben. Die Äußerung lässt im Gesamtzusammenhang betrachtet gemessen an Wortwahl, Kontext der Gedankenführung und Stoßrichtung nur die Deutung zu, die die Beklagte ihr beigemessen hat."

Montag, 15. November 2010

Kunstfreiheit siegt über Urheberrecht. Mit Grundrechten gegen Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Nachdem eine verfassungsrechtliche Güter- und Interessenabwägung über die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts hinaus von den Gerichten in der Vergangenheit strikt abgelehnt wurde (vgl. Grass-Briefe-Urteil des Kammergerichts v. 27.11.2007, Az. 5 U 63/07 und Gies-Adler-Entscheidung des BGH v. 20.03.2003, Az. I ZR 117/00), scheint sich das Blatt nun vielleicht doch zu wenden. Und zwar zugunsten einer sensibleren Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte insbesondere aus Art. 5 GG im Verhältnis zur verbreiteten Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Der 6. Senat des OLG Brandenburg hat mit Urteil vom 09.11.2010, Az. 6 U 14/10 der Kunstfreiheit eines Autors (Buchtitel: "Blühende Landschaften") im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Presse während der Wende-Zeit den Vorzug gegeben vor der urheberrechtlich geschützten Position des Zeitungsverlages an den streitgegenständlichen Zeitungsartikeln und Lichtbildern. Die literarische Collage und Montage und die damit geschaffenen Anschauungsobjekte genießen nach Einschätzung der brandenburgischen Richter gesteigerte verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit, um die politische und soziale Atmosphäre im Rahmen der dargestellten Ereignisse erfahrbar machen zu können. Insofern sah sich das OLG zur "kunstspezifischen Auslegung" des Urheberrechts veranlasst. Die künstlerische Freiheit dürfe in einem derartigen Fall auch nicht durch das etwaige Erfordernis einer Einwilligungseinholung eingeschränkt werden.

Den Entscheidungsgründen darf mit Spannung entgegengesehen werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Freitag, 4. Juni 2010

OLG Hamm zum Streit um Pressefoto von Kindern bei politischer Protest-Demo im Karneval

Wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder unter den Bedingungen eines öffentlichen Auftretens vor Zuschauern bewusst in der dann abgelichteten Situation der Öffentlichkeit präsentieren, scheidet aus mehreren presserechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen ein Veröffentlichungs-Verbot hinsichtlich anlassbezogen gefertigter und veröffentlichter Fotos der Kinder aus, auch wenn die Fotos nur einen ein oder zwei Kinder abbildenden repräsentativen Ausschnitt zeigen. Das OLG Hamm hat mit Beschlüssen vom 31.05.2010 ( I-3 W 26/10 und I-3 W 27/10) im einstweiligen Verfügungsverfahren zwei vorausgegangene Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld bestätigt. 

Mit in diesem Blog bereits bekanntgegebenen und kommentierten Beschlüssen vom 16.04.2010 hatte das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung von sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützte sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang hatte ich bereits ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hingewiesen; diese Entscheidung ging in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte die Zivilkammer - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Dies hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun ohne Einschränkungen bestätigt. In den Beschwerde-Beschlüssen heißt es u. a.:

Der Senat teilt insoweit angesichts der konkreten Umstände, unter denen das streitgegenständliche Foto (anlassbezogen) gefertigt und unter denen es von der Beklagten (anlassbezogen) veröffentlicht wurde, die Erwägungen des Landgerichts, dass es vorliegend vor allem deshalb an einem Schutzbedürfnis der (so) abgebildeten Kinder fehlt, weil sie von ihren Eltern in der abgelichteten Situation "bewusst der Öffentlichkeit zugewendet" wurden und den "Bedingungen eines (derartigen) öffentlichen Auftretens vor Zuschauern ausgeliefert" wurden (vgl. dazu: BGH, GRUR 2010, 173 - juris-Rdnr. 10). Zudem wurden die Kinder hier weder durch die abgelichtete öffentliche Situation noch durch das textliche Umfeld der in Rede stehenden Aufnahme verfälschend oder herabsetzend dargestellt noch sie selbst als heranreifende Persönlichkeiten in irgendeiner Weise kritisiert.

Kritik war textlich vielmehr an dem Verhalten der in der oben beschriebenen Weise provokant agierenden Eltern geübt worden, was diese zum Anlass genommen hatten, zunächst per Abmahnung und sodann bei Gericht ein Veröffentlichungs-Verbot gegen den Zeitungsverlag anzustreben. Dieser Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit zu beschneiden, scheiterte nun zu Recht auch vor dem OLG Hamm.

Dienstag, 20. April 2010

Landgericht stärkt Presse- und Meinungsfreiheit in Eilverfahren um Pressefoto von politischer Protest-Demonstration

Mit Beschluss vom 16.04.2010 hat das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung eines sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützt sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hinweisen; diese Entscheidung geht in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte das Gericht - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.