Das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" funktioniert in größerem und wachsendem Ausmaß seit über fünf Jahren. Ein Rückgang der Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG und der danach verbreiteten Abmahnungsschreiben ist - auch nach dem WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 - nicht absehbar.
Um es vorweg zu nehmen: Nicht jede Abmahnung ist per se unanständiger "Psycho-Terror".
Bei etlichen Abmahnungs-Pamphleten spielen allerdings gezielte psychologische Strategien der Abmahnungs-Branche eine nicht unbedeutende Rolle, um die Internet-Anschlussinhaber und Abmahnungs-Empfänger subtil zu beeinflussen bzw. unter Druck zu setzen
In der anwaltlichen Praxis tauchen immer wieder insbesondere die folgenden Manöver auf:
1. Die Abmahnungspost erreicht die Adressaten gehäuft kurz vor dem oder am Wochenende, kurz vor Feiertagen oder während der Ferienzeit, um die Einholung kurzfristiger anwaltlicher Beratung bzw. Hilfe zu erschweren, den etwaigen familiären Zwist zusätzlich zu schüren und den Psycho-Stress noch zu erhöhen.
2. Das Abmahnungsschreiben wird mit komplexer Fachterminologie gespickt, um zum einen besonders bedeutungsschwangere Eindrücke zu vermitteln und zum anderen eine kritische Auseinandersetzung mit den Abmahnungs-Thesen zu erschweren und zu unterdrücken.
3. Aus den gleichen Gründen werden zahllose, z. T. veraltete und singuläre Gerichtsentscheidungen benannt und/oder zitiert.
4. Das Abmahnungsschreiben wird mit den vorbeschriebenen Inhalten und weiterer juristischer Prosa übermäßig aufgefüllt und "verlängert", um auch hierdurch den Lese-Stress für den juristischen Laien zu erhöhen.
5. Die Diktion der Abmahnung ist sehr entschieden, vielleicht sogar scharf und bedrohlich - unter missverständlicher Vorspiegelung angeblich handgreiflicher extremer Bestrafungs- und Verteuerungs-Risiken.
6. Eine andere Variante ist die bemüht freundliche, zugewandte Ansprache, die sich vermeintlich vornehmlich um die Interessen des bzw. der Abgemahnten sorgt.
7. Im Laufe nachfolgender Korrespondenz kann sich die vorbeschriebene Taktik jeweils austauschen oder ändern (nach dem Motto: Wenn es im Guten nicht geht, ...).
8. Aktuellere, die Rechtsposition des oder der Abgemahnten verbessernde Rechtsprechung wird verschwiegen oder mit zweifelhafter Argumentation als nicht einschlägig deklariert.
9. Es werden unzutreffende und übertriebene Schadens-Szenarien dargestellt zur "politischen" und klimatischen Rechtfertigung der Abmahnungs-Aktion.
10. Die vermeintliche Qualität bzw. Wertigkeit des vermeintlich betroffenen Werkes wird unrealistisch übertrieben.
11. Die unterschiedlichen Voraussetzungen unterschiedlicher urheberrechtlicher Ansprüche ( gerichtet etwa auf Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung) werden in missverständlicher und/oder unzutreffender Weise vermischt.
12. Die möglichen bzw. angebrachten technischen und/oder prozessualen Zweifel hinsichtlich der angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnisse und deren vermeintliche Konsequenzen werden verschwiegen oder verniedlicht (z. B. bzgl. dynamischer IP-Adresse, Datei-Name, Hash-Werte, Gutachten etc.).
13. Die im summarischen Verfahren ergangenen landgerichtlichen Beschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG werden überinterpretiert, als wenn damit praktisch die Verantwortlichkeit der abgemahnten Anschluss-Inhaberin bzw. des abgemahnten Anschluss-Inhabers bereits gerichtlich festgestellt worden ist.
14. Es werden Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge in den Raum gestellt, die mit dem konkreten Fall oft nichts zu tun haben.
15. Schließlich wird ein "großzügiger" Vergleich mit einem vermeintlich entgegenkommenden Vergleichsbetrag angeboten zur "endgültigen" Erledigung der Angelegenheit und zur Vermeidung von Schlimmerem, insbesondere zur angeblichen Vermeidung ansonsten bevorstehender Gerichtsverfahren (einstweilige Verfügung und/oder Klage), wobei gleichzeitig eine unangemessene und nicht verantwortbare strafbewehrte Unterlassungserklärung vorgelegt wird, die angeblich keinesfalls verändert werden darf.
16. Der oder die Abgemahnte wird so in diffusen Stress versetzt, der durch knappe Fristsetzung noch erhöht wird.
Dieses Vorgehen gibt erneuten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot von Treu und Glauben zu stellen.
Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" und "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall modifizierten interessengerechten strafbewehrten Unterlassungserklärung soll durch derartige Psycho-Tricks sicher nicht gefördert werden.
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Freitag, 28. Mai 2010
Mit allen Mitteln: Die psychologischen Tricks bei Abmahnung wegen Filesharing
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Montag, 26. April 2010
Das Urheberrecht der Künstlerin und die Thumbnails von Google
BGH - Verkündungstermin am 29.04.2010 (I ZR 69/08)
Verhandlungstermin vor dem 1. Zivilsenat war am 10.12.2009. Der BGH verkündet seine Entscheidung am 29.04.2010. Vielleicht finden die Revisionsrichter noch neue Betrachtungswinkel auf die Trefferlisten und Thumbnails.
LG Erfurt , 15.03.2007 (3 O 1108/05) / Thüringisches OLG, 27.02.2008 (2 U 319/07)
Eine bildende Künstlerin und Klägerin hat auf ihrer Website mehrere ihrer Bilder mit Copyrightvermerk veröffentlicht. Google, die Beklagte, zeigt über eine textgestützte Bildsuchfunktion in der Trefferliste die fraglichen Bilder in verkleinerter und komprimierter Form als sogenannte Thumbnails (auf Servern in den USA gespeicherte Miniaturansichten der Bilder).
Die Klägerin beansprucht die Unterlassung der Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Bilder über die Internet-Suchmaschine der Beklagten sowie ein Verbot der Umgestaltung ihrer Bilder in Thumbnails.
Das Landgericht Erfurt und das OLG in Jena haben die Klage abgewiesen (GRUR-RR 2008, 223).
Google verletze zwar grundsätzlich die Urheberrechte der Künstlerin gemäß § 23 UrhG. Die von Google erstellten und in der Trefferliste veröffentlichten Thumbnails seien auch unzulässige Umgestaltungen der Bildwerke. Allerdings verstoße die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Künstlerin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und sei rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB. Dies wird damit begründet, dass die Künstlerin eine Suchmaschinenoptimierung mit im Quellcode versteckten, gezielt ausgesuchten Suchworten vorgenommen habe, den Zugriff von Suchrobotern nicht blockiert habe und so zu erkennen gäbe, dass sie eigentlich am Zugriff durch die Suchmaschine interessiert sei. Dies sei im Verhältnis zum Klagebegehren als widersprüchliches Verhalten zu bewerten.
Das ist bei sonst stringenter gerichtlicher Bejahung aller tatbestandlichen Voraussetzungen für urherrrechtliche Ansprüche der Künstlerin und bei klarer Verneinung von Rechtfertigungsgründen oder etwaig eingreifenden gesetzlichen Schranken ein dünner Faden, an dem die streitgegenständliche Thumbnail-Praxis von Google hängt.
Sonntag, 28. Februar 2010
Abmahnung bei Filesharing und die Frage nach Verhältnismäßigkeit und "Treu und Glauben"
Gegen Abmahnungen durch die Musik-, Film- und Porno-Branche wegen vermeintlicher Teilnahme am Filesharing in sog. P2P-Netzwerken finden sich zahlreiche Argumentations-Schienen:
Formfehler, zweifelhafte Aktivlegitimation, Datenschutz-Aspekte, Vorwurf unzulässiger Massenabmahnung bzw. sittenwidriger Abmahnung, Grundlagen-, Ermittlungs- und Nachweisfehler im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG, Grenzen einer etwaigen Störerhaftung, Beweisfragen, Probleme bei der Schadens-Spezifizierung und -Berechnung, rechtswidrige Kosten-Szenarien, grenzwertige Vorgaben für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung und einiges mehr.
Was ist in dem Zusammenhang eigentlich mit der Geltung der althergebrachten und dennoch fortgeltenden Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und von Treu und Glauben?
Zu berücksichtigen sind dabei m. E. auf Seiten der Abmahnungs-Industrie die gerade in der jüngeren Vergangenheit an´s Licht gekommenen Organisationsformen, Vorgehensweisen, Gewichtungen, Vorspiegelungen und Volumina und auf der Seite vieler Abmahnungs-Adressaten und Internet-Anschlussinhaber deren technische, mediale, kognitive und wirtschaftliche Überforderung.
Eingedenk derartiger Ungleichgewichte können häufig zumindest die pekuniären Forderungen der Abmahnungs-Unternehmen nicht als verhältnismäßig bewertet werden.
Die fehlende Verhältnismäßigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht drängt sich bei Hochrechnung der Abmahnungszahlen sowie bei Addition der fiktiven Schadenssummen und Kostenrechnungen und auch bei Betrachtung der überschwemmungsartigen Betroffenheit zahlloser Familien, Schülerinnen und Schüler, Senioren etc. auf.
Die konkreten Aspekte berührter Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB werden noch an anderer Stelle zu substantiieren sein (venire contra factum proprium, Anstand, Redlichkeit, Lauterkeit als Schlagworte, die mit Substanz und Abwägung zu füllen sein werden).
Ja, und zwar nicht aus vermeintlicher Argumentationsnot im Rahmen treffsicherer Abmahnungsabwehr (Es gibt - wie oben aufgelistet - eine Menge Argumente), sondern zur Überprüfung und Abrundung im Einzelfall gefundener Ergebnisse.
Es muss in beide Richtungen die Frage nach Redlichkeit und Lauterkeit erlaubt sein, die Frage nach widersprüchlichem Verhalten und auch nach den Grenzen der Abmahnung als instrumentalisiertem und kommerzialisiertem Selbstzweck.
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