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Dienstag, 12. April 2022

Emojis, Meinungsfreiheit und verletzte Gefühle

 

Emojis können verschiedenste Meinungen und Gefühle mitteilen.

 Nur zur Erinnerung: Das Grundgesetz schützt – wenn auch nicht schrankenlos – das Recht, seine Meinung „in Wort, Schrift und Bild“ frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 des Grundgesetzes). 

Als Bilder mit zusätzlichem ansatzweisem Schriftcharakter stellen sich auch die sog. Emojis dar. Und im digitalen Zeitalter der sog. „sozialen“ Medien und unzähliger Gelegenheiten, online zu kommentieren und zu bewerten, spielen die kleinen, mal niedlichen, ein anderes Mal hässlichen digitalen Piktogramme eine zunehmende Rolle.

 

Da wird gelacht und geweint, gestaunt und geblinzelt, gestrahlt und gemeckert, geküsst und gewunken, geschwitzt, gefürchtet und getrauert. 


Kann man damit die Rechte anderer verletzen? 

Was man allgemein mit einem klaren Ja, einem gehobenen Daumen, beantworten kann, lässt sich im jeweiligen Einzelfall keineswegs immer so einfach und so eindeutig beurteilen. Wie im analogen Leben kommt es auch in der digitalen Welt häufig auf den Kontext und den Gesamtzusammenhang bzw. die Begleitumstände an. 

Dazu gehören u. a. der vorausgegangene Kommunikationsverlauf, die typischen Kommunikationsweisen auf der jeweils benutzten Plattform und der sog. „Empfängerhorizont“ des  Adressaten und des erreichbaren Publikums respektive der Follower.

Da werden Richterinnen und Richter bei der Klärung etwaiger Rechtsverletzungen keinen leichten Job haben, müssen sie sich doch in die Wahrnehmung eines „unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums“ hineinversetzen. 

Die Juristen haben dann zu klären, ob Persönlichkeitsrechte verletzt wurden und ob sich daraus im konkreten Fall Unterlassungs-, Löschungs- und Entschädigungsansprüche ergeben. 

Dabei kommt es insbesondere auf den jeweiligen Sinngehalt an, der der streitgegenständlichen Emoji-Verwendung zu entnehmen ist. 


Emojis können, das soll nicht vergessen werden, so viel: 

Sie betonen, verstärken oder dramatisieren die Aussage, sie können aber auch vorausgegangene schärfere Formulierungen abmildern, Statements Dritter kommentieren, eigene Positionen klarstellen oder unterschiedliche Gefühle wie Liebe, Trauer, Angst, Wohlwollen und Hass transportieren. 

Nutzen wir die vorhandene Vielfalt an kleinen Gesichtern, Gegenständen, Symbolen und Gesten nicht als destruktive Waffenkammer, sondern als Schatzkiste wortloser – aber nicht sprachloser – Emotionen, als kleine kommunikative Hilfe bei empfundener Sprachlosigkeit und vielleicht als hoffnungsvolle Brücke zu nachfolgend wiedergefundener Sprache.

 

Freitag, 21. August 2020

Bei Filesharing-Abmahnung primär wichtig:

Die erfolgreiche Abwehr unberechtigter Filesharing-Abmahnungen ist kompliziert.

DIE SEKUNDÄREN DARLEGUNGSPFLICHTEN


Viele Internetnutzer ereilen beim Erhalt von urheberrechtlichen Filesharing-Abmahnungen noch immer etliche Unsicherheiten und Irrtümer hinsichtlich der sog. „sekundären Darlegungspflichten“. Wenn der Internetanschlussinhaber eigentlich auch erst im etwaig nachfolgenden gerichtlichen Verfahren zur substantiierten Rechtsverteidigung prozessual verpflichtet ist, empfiehlt es sich in einer Vielzahl von Abmahnungsfällen doch, der Gegenseite zwecks Vermeidung anschließender Klageverfahren bereits frühzeitig überzeugende Verteidigungsargumente entgegenzuhalten.

Dazu gehört die unmissverständliche Zurückweisung unberechtigter Tatvorwürfe und wahrheitsgemäße Darlegungen zur eigenen Router- und Endgeräte-Ausstattung, zur WLAN-Verschlüsselung sowie zum eigenen Internetnutzungsverhalten.

Anzugeben ist ferner, welche Haushaltsangehörigen oder Besucher mit Rücksicht auf ihre technische Ausstattung, ihr Nutzerverhalten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.

Insoweit ist der Anschlussinhaber auch im Rahmen des Zumutbaren zu Befragungen und Nachforschungen verpflichtet und hat mitzuteilen, welche relevanten Kenntnisse er auf welche Weise dabei ggf. erhalten hat.

Die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen und die darauf fußenden Darlegungen des Internetanschlussinhabers dürfen allerdings – was häufig selbst von Teilen der Rechtsprechung übersehen wird – vor dem Hintergrund des etwaigen Zeitablaufs von mehreren Wochen, mehreren Monaten und manchmal sogar mehreren Jahren nicht überspannt werden. Die prozessualen Anforderungen sind nämlich unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sachgerecht und fair zu begrenzen.

Ein zu dieser Thematik diesseits bereits im September 2018 errungenes Urteil des Landgerichts Bielefeld hat das in überzeugender Weise bestätigt. Soweit dennoch oft überhöhte Anforderungen an detailliertere sekundäre Darlegungen zurückliegender technischer, häuslicher und familiärer Abläufe und Verhaltensweisen gestellt werden, dient dies demgegenüber primär der zusätzlichen Verunsicherung vieler Abmahnungsadressaten.

Dem ist dann ggf. unter Hinweis auf einschlägige gerichtliche Urteile entschieden entgegenzutreten.

Freitag, 19. Oktober 2018

„Unzumutbar“: Neues Urteil zu Filesharing-Abmahnungen



http://zumanwalt.de
Landgericht Bielefeld setzt Grenzen der Zumutbarkeit bei Filesharing-Abmahnung

Erstmalig hat sich das Landgericht Bielefeld in einem diesseits erwirkten aktuellen Berufungsurteil konkret und hilfreich mit den Zumutbarkeitsgrenzen bei der Verteidigung gegen Filesharing-Abmahnungen und –Klagen befasst.

Die in anwaltlichen Abmahnungsschreiben und Klageschriftsätzen häufig überstrapazierte sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ des Internet-Anschlussinhabers hat ihre Grenzen.

Wieviel konkrete Erinnerung kann nach welchem Zeitablauf vom Anschlussinhaber verlangt werden?


Im Urteil vom 11.09.2018 (Az. 20 S 18/17) heißt es dazu u. a.:

„Zu konstatieren ist, dass nicht minutengenau zur konkreten Nutzung zum Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzung vorzutragen ist. Zum einen bedingt die Funktionsweise der Tauschbörsen, dass keine Anwesenheit des Nutzers vor dem Rechner erforderlich ist. Zum anderen ist dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht abzuverlangen, die Internetnutzung naher Angehöriger einer Dokumentation zu unterwerfen, BGH, Urteil vom 27.02.2017, I ZR 68/16 „Ego-Shooter“- juris Rn. 18 für die Ehefrau des Anschlussinhabers. Dass schon Ende Januar 2013 keine konkreten Erinnerungen bezüglich der minutengenauen Nutzung des Internets am 03.01.2013 mehr vorhanden gewesen sein dürften, liegt auf der Hand.


Erst recht können bei der Parteivernehmung der Beklagten am 08.03.2017 keine entsprechenden Angaben erwartet werden. Die Klägerin kann daher aus insofern unterbliebenen Angaben nichts für sich herleiten.

Hier überspannt die Klägerin die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast. Derartige Angaben sind unzumutbar.“  
 
Entsprechendes gilt nach der Entscheidung der Bielefelder Richter, wenn die oder der Abgemahnte seine Angehörigen über die in der Abmahnung enthaltenen Vorwürfe verhören und diesbezügliche Recherchen anstellen soll.

Wieviel Nachforschungen und Nachfragen bei Familienangehörigen können vom Anschlussinhaber verlangt werden?


Dazu das Landgericht:

„Des Weiteren kann die Klägerin der Beklagten auch nicht unzureichende Nachfragen bei den Kindern vorhalten. Entscheidend ist, dass die Beklagte unter hinreichender Darstellung des in Rede stehenden Sachverhaltes bei beiden Kindern nachgefragt hat, diese sich zur Rechtsverletzung aber nicht erklärt hätten. Sie konnten oder wollten nichts weiter dazu sagen. Auch später hätten die Kinder nur mit Schulterzucken und ohne weitere Gesprächsbereitschaft reagiert, vgl. dazu Bl. 129 d.A., S. 2 des Schriftsatzes vom 30.01.2017.


Der Klägerin kann nicht dahin gefolgt werden, die Beklagte habe sich einer Wahrheitsfindung bewusst verschlossen. Vielmehr ist es so, dass die Beklagte eben bei den Nachforschungen an ihre Grenzen gekommen ist und es letztlich dabei bleibt, dass keine über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu beschaffen, vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 27.02.2017, I ZR 68/16 „Ego-Shooter“ – juris Rn. 13.“

Und wieviel konkrete Erinnerung an die vom Anschlussinhaber ggf. vorgenommen Nachforschungen und Befragungen können von diesem verlangt werden?

Das Berufungsgericht in Bielefeld führt dazu aus:

„Eine konkrete Erinnerung und entsprechende Wiedergabe derselben ist auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufes, den letztlich im Wesentlichen die Klägerin durch die Beantragung des Mahnbescheides erst am 11.01.2016 verursacht hat, nicht zu erwarten.

Insofern sind nach Auffassung der Kammer die Anforderungen an den Inhalt der Darlegungen des Anschlussinhabers in eine gerechte Relation zu dem Interesse des Rechteinhabers an hinreichendem Schutz seiner Rechte aus Art. 14 GG zu setzen.

Da eine vorprozessuale sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers generell nicht angenommen werden kann, hat die Klägerin als mutmaßliche Rechteinhaberin dann gegebenenfalls geringere Anforderungen an den Umfang der notwendigen und zumutbaren Darlegungen des in Anspruch genommenen Anschlussinhabers hinzunehmen.“
 
Diese praxisnahe, realistische und angemessene gerichtliche Entscheidung unterstützt die erfolgreiche Abwehr überambitionierter und ungerechtfertigter urheberrechtlicher Abmahnungen und ist ein begrüßenswertes Zeichen dafür, dass der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit bei den internetrechtlichen und prozessrechtlichen Hürden zukünftiger erfolgreicher Abmahnungsabwehr eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wird.

 

Mittwoch, 22. August 2018

Der Internetanschluss als Zumutung urheberrechtlicher Fallen

Es landen wieder mehr Filesharing-Abmahnungen und -Klagen im Briefkasten

Zumutbares zur sekundären Darlegungslast bei Filesharing-Abmahnungen und -Klagen

Auch nach den BGH-Urteilen mit so klingenden Namen wie „Everytime we touch“ (BGH-Urteil vom 12.05.2016, Az. I ZR 48/15), „Loud“ (BGH-Urteil vom 30.03.2017, Az. I ZR 19/16) und „Konferenz der Tiere“ (BGH-Urteil vom 06.12.2017, Az. I ZR 186/16) erleben zahlreiche Internetanschlussinhaber derzeit wieder gehäuft die Zustellung einer oder mehrerer anwaltlicher Filesharing-Abmahnungen.

Hintergrund der auflebenden anwaltlichen Abmahnungspraxis ist die sich bei einigen Gerichten zunehmend entwickelnde Praxis, im Rahmen der Verteidigung gegen derartige urheberrechtliche Abmahnungen immer detailverliebtere Darlegungen des Internetanschlussinhabers zu verlangen - zu allen möglichen und teilweise auch unmöglichen häuslichen, technischen und familiären Vorgängen, Abläufen und Handhabungen. Dies alles soll der Erfüllung der sog. „sekundären Darlegungspflicht“ dienen.

Ein Gesichtspunkt ist dabei allerdings in der letzten Zeit etwas zu kurz gekommen, obwohl gerade der BGH eigentlich im Rahmen seiner Filesharing-Rechtsprechung nie einen Zweifel hat aufkommen lassen daran, dass es auf diesen Gesichtspunkt häufig in besonderer Weise ankommt, wenn darüber zu befinden ist, was von einem Internetanschlussinhaber unter welchen Voraussetzungen verlangt werden kann, wenn er sich erfolgreich und zu Recht gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und -Klagen wehren will.

Das ist der Gesichtspunkt der „Zumutbarkeit“.

Grundsätzlich gilt, dass der Adressat einer Filesharing-Abmahnung bzw. einer Filesharing-Klage dann, wenn er nicht für die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen verantwortlich ist, seine eigene persönliche Täterschaft ausdrücklich verneinen muss. Dieses bloße Bestreiten reicht allerdings nicht aus.

Darüber hinaus ist vorzutragen, ob und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu dem Internetanschluss hatten und als Täter der behaupteten Rechtsverletzung in Betracht kommen. Dabei wird „im Rahmen des Zumutbaren“ auch verlangt, innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises Nachforschungen, insbesondere Befragungen anzustellen und sodann auch wahrheitsgemäß mitzuteilen, welche Erkenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung dabei gewonnen werden konnten.

In dem Zusammenhang werden nachvollziehbare Angaben erwartet dazu, wie die anderen, ernsthaft für die betroffenen Rechtsverletzungen in Betracht kommenden Personen in welcher Weise und mit welcher technischen Ausrüstung wie oft und mit welchen Kenntnissen und Fähigkeiten das Internet nutzen. Ferner sollen Angaben dazu gemacht werden, inwiefern die benannten Personen in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, den etwaigen Rechtsverstoß ohne Wissen und Zutun des Abmahnungsadressaten zu begehen.

Da ist so mancher schnell überfordert. Dies wird besonders anschaulich, wenn entsprechende, möglichst konkrete „sekundäre Darlegungen“ im Rahmen eines Klageverfahrens für eine sachgerechte Klageverteidigung vorausgesetzt werden, obwohl die prozessrelevanten Vorgänge vielleicht bereits mehrere Jahre zurückliegen. Aktuelle Filesharing-Klagen betreffen nicht selten Sachverhalte aus den Jahre 2013 und 2014, liegen also etliche Jahre zurück und sind deshalb kaum vollständig erinnerlich oder ermittelbar.

Aber selbst dann, wenn die Vorgänge erst einige Wochen oder Monate zurückliegen, fällt es oft schwer, zu sämtlichen der oben angedeuteten Detail-Themen umfassend und in jeder Hinsicht substantiiert den genauen Sachstand zu schildern.

Dann wird die sog. „sekundäre Darlegungslast“ schnell zur primär den Internetanschlussinhaber treffenden „primären Darlegungsfalle“.

Deshalb sind in dem Zusammenhang möglichst schnell substantiellere Vorgaben der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den diesbezüglichen Zumutbarkeitsgrenzen für die Inhaber von Internetanschlüssen von Nöten.


Freitag, 10. Februar 2017

Narrenfreiheit für Internet-Abmahnungen?


Gewitzter Umgang mit „zickiger“ Anwaltspost zur Faschingszeit

Das Ausmaß der aktuell wieder im Umlauf befindlichen Abmahnungen nimmt schon „karnevalistische Züge“ an. Die Adressaten der entsprechenden Anwaltspost wissen oft nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Im Ergebnis wird es sich in den meisten Fällen empfehlen, einerseits den Ernst der Lage nicht zu verkennen, andererseits die Sache dennoch mit Humor und vielleicht zusätzlicher versierter Hilfestellung anzugehen.

Da marschieren üppige Paragraphenketten und jecke Fachterminologien durch die Fastnacht in den häuslichen Briefkasten, gepaart mit launigen Rechtsprechungszitaten in kaum verständlichem Juristen-Dialekt. An den Kostümkragen geht es insbesondere vermeintlich rechtsverletzenden Online-Veröffentlichungen (z. B. Fotos, Texte, Musik, Werbung, Ebay-Angebote oder sonstige Shop- bzw. Webseiten-Präsentationen etc.). Im anwaltlichen Dichterstreit spielen neben den rechtlichen Klimmzügen zusätzlich dann auch reale und virtuelle, geschäftliche und technische Details eine Rolle.

Grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass ein Abmahnungschreiben umso seriöser ist, je nachvollziehbarer und verständlicher es verfasst wurde; hat der Gesetzgeber gerade auf den Rechtsfeldern des Medienrechts, des Urheberrechts, des Markenrechts und des Werbe- und Wettbewerbsrechts doch bewusst das Rechtsinstitut der Abmahnung geschaffen, um auf diese Weise nach Möglichkeit gerichtliche Klageverfahren zu vermeiden. Wer will schon einen prozessualen Zickenkrieg - außer etwaige "Zicken"?

Das Verhindern teurer Prozesse ist natürlich auch vorrangiges Ziel der Abmahnungsempfänger selbst, die allerdings nicht selten aus diesem Antrieb heraus zu übereilt närrische Erklärungen abgeben und Zahlungen leisten – in dem Glauben, sich damit der verrückten Angelegenheit abschließend entledigt zu haben. Dies kann leider ein bedauerlicher und kostspieliger Irrtum sein.

Von den Elferräten der Abmahnungszünfte in die Bütt gelegte Erklärungsmuster, sogenannte strafbewehrte Unterlassungserklärungen, enthalten nämlich oft als harmlose Formsache verkleidete Fußangeln und Fallstricke, die bei ungeprüfter und unveränderter Unterzeichnung zu einem späteren Absturz in eine wenig witzige Katerstimmung führen können: Dann werden hektisch zugesagte Vertragsstrafen plötzlich zu einem unabsehbaren Fass ohne Boden. Zudem können zu weit gefasste Verbotssachverhalte die weitere geschäftliche oder private Bewegungsfreiheit unnötig einschränken. 

Arglos unterzeichnete Formulierungen stellen sich im Nachhinein als geschickt maskierte Anerkenntniserklärungen heraus, zu deren Abgabe in der Form und in dem Umfang überhaupt keine Verpflichtung bestand. Dann bestimmen auf einmal weitere Schadensersatz- und Kostenforderungen die närrische Sitzung, von denen vorher so noch gar nicht die Büttenrede war. Ganz zu schweigen vom Narrhallamarsch der bösen, pseudojuristischen Begleitmusik - wie dem „Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs“, listigen Ermessensklauseln oder raffinierten Gerichtsstandsvereinbarungen.

Da reiht sich so manche Faschingspost ein in den gar nicht so witzigen aktuellen Trend zu „alternativen Fakten“ und „Fake-News“. Aber wer will sich schon freiwillig durch Mummenschanz zum Hoppeditz machen lassen? Dem begegnet der auf solche Weise angegangene Jeck am besten nicht nur mit karnevalistischem Humor, sondern zusätzlich mit gewitzten und schlagkräftigen Argumenten, die an zahlreichen Stellen dieses Blogs mittlerweile über mehrere Sessionen angesammelt worden sind.

Dann gibt’s vielleicht doch noch den verdienten Karnevalsorden...


Freitag, 23. Dezember 2016

GUTE ABMAHNUNGEN, SCHLECHTE ABMAHNUNGEN


  

Marken- und Urheberrecht als in Serie gehendes Geschäftsmodell


Nicht alle anwaltlichen Abmahnungen sind per se unzulässige oder unanständige Massenabmahnungen. Wo massenhaft gesetzlich geschützte Rechte verletzt werden, da darf grundsätzlich auch massenhaft abgemahnt werden. Das Dilemma ist allerdings, dass in der fortlaufenden Abmahnungsflut, insbesondere in den immer wieder neuen urheberrechtlichen und markenrechtlichen Abmahnungswellen, besonders bedenkliche und kritikwürdige Gesichtspunkte und Vorgehensweisen auftauchen, die die jeweiligen Adressaten übervorteilen oder – wie es häufig heißt – „abzocken“.

Die Guten

In der anwaltlichen Praxis gibt es durchaus Abmahnungsfälle, in denen der oder die Abgemahnte in klarer und verständlicher Weise über den Abmahner selbst, die angeblich begangene Rechtsverletzung, daraus ggf. konkret herleitbare Zahlungsansprüche und den Hintergrund sowie den Inhalt einer seriösen strafbewehrten Unterlassungserklärung informiert wird – wie dies ja u. a. auch § 97a Abs. 1 UrhG vorschreibt.

In diesen Fällen sind vielleicht dennoch einige sachverhaltliche Details und rechtliche Streitpunkte zu klären; dies aber in fairer und verständigungsorientierter Weise und mit wechselseitig vertretbaren Argumenten. Und das ist gut so.

Die Bösen

Leider trifft man allerdings auch immer wieder auf Abmahnungen, in denen nicht einmal der angeblich anwaltlich vertretene Rechteinhaber selbst nachvollziehbar und nachprüfbar dargestellt wird. Da finden sich verkürzte oder verfremdete Namensangaben oder Pseudonyme, es fehlen konkrete Adressangaben und nähere Darlegungen dazu, aus welcher plausiblen sachverhaltlichen und rechtlichen Grundlage, wie, woher und mit welcher etwaigen Rechtekette die vermeintlichen Rechte (Urheberrechte, Leistungsschutzrechte, Markenrechte, exklusive Nutzungsrechte u. Ä.) denn hergeleitet werden sollen.

Nicht selten durchaus mit darauf ausgerichtetem Kalkül enthalten derartige Abmahnungsschreiben teilweise lückenhafte, widersprüchliche oder schlicht falsche tatsächliche und technische Darstellungen – etwa zu vermeintlichen Sachverhalten, Recherche-, Protokollierungs- oder Archivierungsvorgängen.

Die lieben Technik

Zu erwähnen sind exemplarisch ferner die – bis zur entsprechenden Korrektur durch die Rechtsprechung – aufgetretenen Fälle, in denen im Rahmen von Filesharing-Abmahnungen den Internetanschlussinhabern zu Unrecht vorgeworfen wurde, das vom Internetservicepro-vider vorgegebene Router- bzw. WLAN-Passwort unverändert verwendet zu haben.

Dass in Zeiten zunehmend komplexer und komplizierter werdender Medienangebote und Medientechnik sowie massenhaft auftretender, durch Root-Kits verschleierter Trojaner und „Staatstrojaner“ viele Verbraucher überfordert sind mit einer nachvollziehbaren Bewertung auf sie zukommender Abmahnungsfälle, macht man sich im Rahmen des Geschäftsmodells „Abmahnungen“ gerne zunutze. Die lieben eben Technik – auch im Zusammenhang mit oft nicht nachvollziehbaren Behauptungen zu angeblichen Crawling-Recherchen.

Datenmissbrauch mit gerichtlichem Siegel

Neben fragwürdigen Ermittlungsmethoden kommt es gelegentlich zur Herausgabe von persönlichen Daten im Rahmen von gerichtlichen Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren, die an Netzbetreiber gerichtet wurden, die mit dem betroffenen Verbraucher aufgrund von Reseller-Konstellationen gar nicht vertraglich verbunden sind. Das daraus resultierende Beweisverwertungsverbot wird dann schlicht übergangen.

Eigentore

Im Zusammenhang mit den sog. Filesharing-Abmahnungen machen sich manche Abmahner sogar selbst urheberrechtlich verletzbar, indem u. a. Audioaufnahmen aus sog. Samplern oder Chart-Containern zum Gegenstand angeblich recherchierter Rechtsverletzungen gemacht werden, obwohl dann, wenn entsprechende Urheberrechtsverstöße tatsächlich durch ein Recherche-Unternehmen im Wege angeblich durch das Crawling-Unternehmen durchgeführter vollständiger Downloads protokolliert und archiviert wurden, zwangsläufig auch Rechtsverletzungen durch das Recherche-Unternehmen selbst begangen worden sein müssen, und zwar hinsichtlich der übrigen, nicht von dem jeweiligen Rechteinhaber innegehaltenen Werke auf dem jeweiligen Musikalbum.

Drama

Geradezu unerträglich sind in zahlreicher Abmahnungspost enthaltene, völlig übertriebene und dramatisierende Ausführungen zum angeblichen Ausmaß von Auskunfts-, Darlegungs- und Beweispflichten des Adressaten. Dies erzeugt häufig ungerechtfertigten, quasi „postfaktischen“ Psychostress – wenn nicht sogar Panik. Dem gleichen Ziel dient wohl die weit verbreitete Praxis, derartige Abmahnungsbriefe insbesondere zum Wochenende oder im Zusammenhang mit Ferien- oder Feiertagszeiten zu versenden.

In die Kategorie „Psycho-Terror“ gehört auch das Bestreben zahlreicher Abmahner, Familienmitglieder zu quasi geheimpolizeilichen Ermittlungs- oder Verhörmethoden verpflichten zu wollen oder durch massive Inanspruchnahmen gegeneinander auszuspielen. Dabei wird dann gerne auf obergerichtliche oder sogar höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen – allerdings ohne Berücksichtigung der insbesondere in einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs angesprochenen Gesichtspunkte der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit.

Geschäftliches

Fatal ist die manchmal anzutreffende Praxis, Verbrauchern ein gewerbliches oder geschäftliches Verhalten bzw. auf dem Feld des Markenrechts z. B. eine markenmäßige Nutzung bestimmter Kennzeichen zu unterstellen, obwohl vielleicht nur ein von dem entsprechenden Verbotstatbestand gar nicht umfasster privater Geschehensablauf vorliegt. In manchen von den Abmahnern selbst allerdings sehr wohl „geschäftlich“ betriebenen Abmahnungsfällen fußen die streitgegenständlichen Vorwürfe auf kriminellen Handlungsweisen Dritter, für die eine angebliche Verantwortlichkeit des angeschriebenen Verbrauchers behauptet wird, obwohl dessen Haftung insoweit gar nicht gegeben ist. Die in den vergangenen Jahren exzessiv herangezogene „Störerhaftung“ ist ein erschreckendes Beispiel dafür.

Kassensturz

Es werden dann nicht selten überhöhte Schadensersatzforderungen und überhöhte Kostenansätze gepflegt und zudem strafbewehrte Unterlassungserklärungen verlangt, die evtl. für die Zukunft bereits das nächste „Geschäftsmodell“ eröffnen: Mit unverhältnismäßigen Vertragsstrafen, ausgeweiteten Unterlassungstatbeständen und sonstigen, für den Unterlassungsschuldner suboptimalen Vorgaben.

Serienreif

Die oben beschriebenen Abmahnungsdramen werden wohl auch als Geschäftsmodell weiter „in Serie“ gehen. Alle bisher vom Gesetzgeber eingebauten „Bremsen“ haben ja bekanntlich de facto wenig Wirkung gezeigt.
  



Samstag, 27. August 2016

Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht - Urteil des AG München


Das Alter einer Frau … im Internet

 - Falten und „Persönlichkeitsentfaltung“ einer Filmproduzentin -


Vorfahrt für die Medien- und Meinungsfreiheit beim Amtsgericht München

Prominente kämpfen mit einer kleinen Schar darauf spezialisierter, insbesondere in Berlin und Hamburg ansässiger Rechtsanwälte um ihre tatsächlich oder vermeintlich verletzten Persönlichkeitsrechte - oft bis aufs letzte Komma sowie um jedes Haar. Dies geschieht durchaus nicht selten auch aus meiner Sicht mit berechtigten Belangen und Argumenten.

Gerade die spezialisierten Pressekammern in Hamburg, Berlin und Köln überheben sich allerdings immer wieder bei der Gewichtung der Persönlichkeitsrechte auf der einen Seite und der Informations- und Meinungsfreiheit sowie der Medien- und Pressefreiheit auf der anderen Seite.

Da fällt ein zwischenzeitlich rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts München (Az. 142 C 30130/14) ins Auge.

Der umstrittene Geburtstag der Filmproduzentin


Ein Online-Lexikon veröffentlichte das Geburtsdatum einer recht bekannten und renommierten Filmproduzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin aus München, die dagegen auf Unterlassung, auf ein gerichtliches Verbot der Veröffentlichung, klagte. Eine durchaus öffentliche Aufmerksamkeit erlangende Dissertation der Regisseurin hatte dem Betreiber des Online-Lexikons als Quelle für den Tag der Geburt gedient.

Die Klägerin sah ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, da sie keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sei und die Veröffentlichung ihres Alters mit erheblichen Nachteilen für sie verbunden sei. Die Medienbranche sei eben stark von deutlich jüngeren Menschen geprägt und bei Fernsehsendern gäbe es Intendanten-Vorgaben, vornehmlich junge Regisseurinnen und Regisseure zu engagieren, um entsprechend insbesondere das junge Publikum zu erreichen.

Das Verfahren und das Urteil


Nach erfolgloser anwaltlicher Abmahnung erfolgte die ebenso erfolglose Klage der ewig jungen Drehbuchautorin und geburtstagsresistenten Regisseurin. Das Amtsgericht München hat eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin verneint und die Klage abgewiesen.

Personenbezogene Daten stellen eben auch einen Teil der sozialen Realität einer Person dar. Solange veröffentlichte Tatsachen zutreffen, ein öffentliches Informationsinteresse zur öffentlichen Meinungsbildung besteht und soweit die Folgen der Veröffentlichung für den Betroffenen oder die Betroffene nicht schwerwiegend sind, müssen nach der Einschätzung des Gerichts selbst bei Daten aus der Privatsphäre die Persönlichkeitsinteressen hinter der Meinungsfreiheit zurückstehen. 

Der zuständige Richter berücksichtigte dabei zudem, dass die Geburtstags-Information aus einer öffentlich zugänglichen Quelle stammte. Im Übrigen habe die Öffentlichkeit bezüglich der Klägerin ein berechtigtes Interesse, zu erfahren, „in welchem Alter sie welchen Film produziert hat“. Die Beeinträchtigung der Filmschaffenden wegen der Veröffentlichung ihre Geburtsjahres sei demgegenüber eher gering. Welche "Rolle" – um in der Terminologie der Filmbranche zu bleiben – der Eintrag des Geburtsdatums bei der Produktionsvergabe spielen könnte, war für das Gericht nicht wirklich nachvollziehbar, zumal schon aus den öffentlich bekannten Produktionsdaten ihrer ersten Filme sich problemlos „eine Alterseinstufung der Klägerin vornehmen“ lässt.


Resumé


Ich denke, gegen etwaige Altersdiskriminierung darf und muss sich jeder Betroffene und auch die Gesellschaft insgesamt aufstellen und wehren. Eine Veröffentlichung des Alters stellt für sich genommen aber noch keine Diskriminierung dar. Gegenteiliges anzunehmen ginge m. E. viel eher in eine diskriminierende Richtung. 

"Gesicht zeigen" und "Alter zeigen" sollte die Devise sein, um gerade im Medien- und Film-Geschäft offensiv übertriebenem Jugendwahn zu begegnen. Gleichzeitig verlangt ein fairer und für alle konstruktiver Umgang miteinander - eigentlich selbstverständlich - eine genauso offene und respektierende Haltung der "Älteren" gegenüber Jüngeren, Branchen-Neulingen und vermeintlich "Verrückten".

Mit dem Urteil des Amtsgerichts München kann und muss die altersbewusste Filmproduzentin leben, mit weniger oder mehr Falten und - auch unbeschadet der Veröffentlichung - hoffentlich hinreichender Gelegenheit zu privater und professioneller Entfaltung.




Donnerstag, 14. Januar 2016

Facebook-Mail-Werbung findet beim BGH keine Freunde


Sieg der Verbraucherzentralen gegen Facebook: Mit heutigem Urteil (14.01.2016) hat der Erste Zivilsenat des BGH höchstrichterlich bestätigt, dass die Versendung von Einladungs-E-Mails durch eine soziale Plattform oder deren Nutzer an nicht auf der Plattform registrierte Personen (über die sogenannte Funktion „Freunde finden“) wettbewerbsrechtlich unzulässig ist, da es faktisch belästigende Werbung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG ist, wenn der Empfänger dem nicht zugestimmt hat.

Der Karlsruher Wettbewerbssenat unter Vorsitz von Wolfgang Büscher untersagte zum Az. I ZR 65/14 ferner die von Facebook im Jahr 2010 eingesetzte Handhabung der Importierung von Kontaktdaten ohne korrekte Offenlegung der nach der Registrierung stattfindenden tatsächlichen Datennutzung. Letzteres bewertet der BGH als unlautere Irreführung gem. § 5 UWG.
Der Bundesgerichtshof folgt damit auf Klage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland zu Recht den vorausgegangen Urteilen des Berliner Landgerichts vom 06.03.2012 (Az. 16 O 551/10) und des Kammergerichts vom 24.01.2014 (Az.  5 U 42/12) und hat die von Facebook eingelegte Revision zurückgewiesen.
Soziale Plattformen dürfen nicht in automatisiert vorgegebener Form ihre Nutzer dazu instrumentalisieren, unaufgeforderte Werbung an Dritte zu verbreiten. Die in das „nette“ Kleid einer privaten Kontaktaufnahme gekleidete E-Mail stellt sich nämlich in Wahrheit als eine getarnte Werbetrommel medialer Großkonzerne dar – und ist zudem eine bedenkliche Datenschleuder. Die kostbarsten „Produkte“ bei diesen Werbeaktionen sind m. E. die (potentiellen) Nutzer selbst mit ihren Daten und Datenverflechtungen.
An dieser grundsätzlichen Problematik ändert auch der Umstand nichts, das Facebook auf zwischenzeitlich veränderte Portalversionen hinweist: Aktuell geben Nutzer über den Link "Lade Deine Freunde ein" jeweils einzelne E-Mail-Adressen ein und können zudem jede „Einladung“ um eine persönliche Nachricht ergänzen. Auch diese Handhabung ist kritikwürdig, handelt es sich doch auch dabei um unverlangte E-Mail-Werbung und im Endeffekt um unklare Datenverwendung und -verknüpfung.
In Berlin sind derzeit in den unteren Instanzen nach ca. 20 Abmahnungen noch mindestens zwei weitere Verfahren der Verbraucherschützer gegen Facebook anhängig. Irreführung, fehlende Transparenz und unzureichende Beachtung des Datenschutzes sind die wesentlichen Themen.

Freitag, 27. November 2015

Foto-Abmahnung: Land haftet für vom Lehrer gestaltete Schul-Webseite


Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 09.11.2015 (Az. 13 U 95/15) entschieden, dass ein Lehrer, der für das Fachangebot seiner Schule im Internet wirbt, „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ handelt und dass das beklagte Land deshalb für dadurch entstehende Urheberrechtsverletzungen haftet (nach §§ 13, 15, 72, 97 Abs. 2 UrhG  i. V. m. § 839 BGB und Art. 34 GG).

Damit hat das OLG das vorausgegangene Urteil des LG Hannover vom 14.07.2015 (Az. 18 O 413/14) bestätigt und die Berufung des Landes Niedersachsen zurückgewiesen.

Das fremde Foto auf der Schul-Homepage

Auf seinen Internetseiten warb ein niedersächsisches Gymnasium u.a. für seine Fremdsprachen-Angebote. Der Schulleiter oder - was nicht aufgeklärt werden konnte - ein anderer Lehrer hatte, ein vom Kläger gefertigtes Foto in die Schul-Webseite eingestellt, um so für den an der Schule angebotenen Spanisch-Unterricht zu werben.
Der Kläger verlangte nun dafür erfolgreich Schadensersatz vom Land Niedersachsen - nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie und unter Berücksichtigung der Honorartabellen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM).

Die Webseiten-Gestaltung vom Beamten

Schulleiter und die Lehrerinnen und Lehrer des Gymnasiums sind Landesbeamte im staatsrechtlichen bzw. zumindest im haftungsrechtlichen Sinne. Das OLG stellte fest, dass „der jeweilige Beamte, der das von dem Kläger gefertigte Lichtbild zur Bewerbung der an dem …-Gymnasium G. angebotenen Fremdsprache Spanisch auf die Internet-Seiten dieser Schule eingestellt hat, dabei in Ausübung seines öffentlichen Amtes gehandelt hat.“
Dies begründete das Berufungsgericht wie folgt:

„Ist die eigentliche Zielsetzung, in deren Dienst der Beamte tätig wurde, eine hoheitliche, so ist „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ nicht nur die unmittelbare Verwirklichung, sondern auch eine entferntere (vorangehende, begleitende oder nachfolgende) dienstliche Betätigung, wenn ein solcher Zusammenhang besteht, dass die vorangehende oder nachfolgende Tätigkeit ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung zugehörend anzusehen ist (Wöstmann, a. a. O. Rn. 85 m. w. N.).“

Die hoheitliche Online-Werbung 

Den haftungsrechtlich erforderlichen "engen Zusammenhang mit dem Schulbetrieb" begründet das Gericht wie folgt:

„Der hiernach erforderliche enge Bezug der Nutzung des Lichtbildes des Klägers auf den Internet-Seiten der Schule zum Zwecke der Werbung für deren Fremdsprachenangebot mit einer hoheitlichen Tätigkeit besteht. Der Schulbetrieb an öffentlichen Schulen ist eine hoheitliche Aufgabe und für Lehrer die Ausübung eines vom Staat anvertrauten öffentlichen Amtes (Wöstmann a. a. O. Rn. 778 m. w. N.). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Werbung für das Fremdsprachenangebot der Schule im vorliegenden Fall weder eine Lehrtätigkeit als solche darstellte, die den Kernbereich des hoheitlichen Schulbetriebs darstellt, noch vergleichbar eng mit dieser Lehrtätigkeit verbunden war, wie beispielsweise die Zurverfügungstellung von Lehrmaterialien oder Computerprogrammen zur Nutzung während des Studiums, die Gegenstand der vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1992 und vom 20. Mai 2009 waren. Dennoch besteht der erforderliche enge Zusammenhang. Die als hoheitlich einzuordnende Tätigkeit von Lehrkräften und Beamten der Schulverwaltung geht über den eigentlichen Lehrbetrieb hinaus und umfasst den gesamten Schulbetrieb. Die Bewerbung eines Fremdsprachenangebots stellt sowohl formal als auch materiell Teil des Schulbetriebes dar. Sie soll einerseits die Nachfrage nach entsprechenden Fremdsprachenkursen steigern und damit deren Angebot ermöglichen. Als dergestalt der eigentlichen Lehrtätigkeit vorgelagerte Handlung steht sie weiter auch in der Sache mit dieser im engen Zusammenhang, weil sie auf die in der Lehrveranstaltung zu vermittelnden Inhalte bezogen ist. Sie ist insbesondere nicht mit Fiskalmaßnahmen wie der Beschaffung von Verwaltungshilfsmitteln (z. B. Schreibmaterial) vergleichbar, die nicht Ausübung öffentlicher Gewalt sind (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O., Tz. 20 a. E.). Solche nicht als hoheitlich einzuordnenden Fiskalmaßnahmen sind regelmäßig Maßnahmen, die nur die wirtschaftlichen oder technischen Voraussetzungen für die eigentliche hoheitliche Tätigkeit schaffen (BGH, Urteil vom 4. März 1982 - III ZR 150/80, juris Tz. 8). Hierüber geht die Bewerbung des fachlichen Angebots einer Schule aus den vorgenannten Gründen hinaus."


Die Verletzungen von Urheberrecht und Amtspflicht

Der 13. Zivilsenat des OLG Celle bestätigt die erstinstanzlich bereits vom Landgericht Hannover vertretene Rechtsauffassung und bewertet Urheberrechtsverletzungen als gleichzeitige Amtspflichtverletzungen:

"Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes eine unerlaubte Handlung auch i. S. d. § 97 UrhG begeht, dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O. Tz. 21).
Dass Diensteanbieter nach dem Telemediengesetz nicht die Anstellungskörperschaft, sondern der Schulträger ist, ist für die Beurteilung des Anspruchsübergangs nach § 839 BGB, Art. 34 GG unerheblich.“ 

Die anderen Gerichte

Zu vom beklagten Land eingewendeten anderslautenden gerichtlichen Entscheidungen führte das OLG aus:
„Im Hinblick auf die vorprozessual von dem beklagten Land vertretene Rechtsauffassung weist der Senat insbesondere darauf hin, dass das dort in Bezug genommene Urteil des OLG Braunschweig vom 8. Februar 2012 den hier nicht vergleichbaren Sonderfall einer ungenehmigten Fotonutzung für einen privaten E.-Verkauf betraf (2 U 7/11, juris Tz. 57 ff.). Die in Bezug genommene Entscheidung des OLG Hamburg vom 2. September 2009 stützte sich insoweit, als die Zuerkennung eines Zuschlags zum üblichen Honorar aufgrund der unterlassenen Urheberbenennung nicht zuerkannt wurde, tragend darauf, dass dort die unterbliebene Urheberbenennung bereits Teil der vorangegangenen Vereinbarungen und daher durch die dort vereinbarte Vergütung mit abgegolten war (Urteil vom 2. September 2009 - 5 U 8/08, juris Tz. 34).“

Der Internetauftritt als kommunale "Schulanlage"

Das OLG stellt zur nicht in Betracht kommenden Haftung des kommunalen Schulträgers klar:
„Dass der Schulleiter nach § 111 Abs. 2 Satz 1 NSchG u.a. die Aufsicht über die Schulanlage im Auftrag des Schulträgers ausübt, führt nicht dazu, dass der Schulträger anstelle des beklagten Landes passivlegitimiert wäre. Dabei kann offen bleiben, ob der Internetauftritt der Schule Teil der „Schulanlage“ i.S.d. § 111 Abs. 2 Satz 1 NSchG ist, wofür allerdings einiges spricht. ...
 Allein durch die Heranziehung eines Kommunalbeamten zur Erfüllung staatlicher Aufgaben wird dieser aber nicht zu einem Beamten mit einer Doppelstellung im haftungsrechtlichen Sinne; er verbleibt vielmehr in seinem ursprünglichen Anstellungsverhältnis (BGH a.a.O. Tz. 19). Dieser Grundsatz gilt vorliegend entsprechend, wo der Schulleiter als Landesbeamter für die Erfüllung kommunaler Aufgaben herangezogen wird.“ 

Die Bundesländer als neue bzw. nun vielleicht öfter bedachte Abmahnungsadressaten: ... Wenn das "Schule macht", kündigen sich ja spannende Vorgänge an - und vielleicht auch zukünftige Ambitionen des Gesetzgebers, über das sanierungsbedürftige Urheberrecht im digitalen, medialen und kulturellen Wandel neu nachzudenken. 


 

Donnerstag, 5. November 2015

Recherche-Technik bei Filesharing-Klagen mangelhaft

Neues Urteil des Amtsgerichts Braunschweig rügt Ermittlungen

Das Landgericht Braunschweig befasst sich wohl bald mit der Recherche-Software bei Filesharing-Abmahnungen

Die technischen Inhalte von Filesharing-Abmahnungen verdienen kritischere Betrachtungen: Das Amtsgericht Braunschweig hat in einem von den Kollegen Werdermann und von Rüden erwirkten erstinstanzlichen Filesharing-Urteil vom 19.102015 (Az. 117 C 2852/15) deutliche Feststellungen zu fragwürdigen sowie tatsächlich und rechtlich nicht verwertbaren Ermittlungsmethoden durch Crawling-Unternehmen getroffen.

In der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung heißt es u. a.:   
„Die anderen Teilnehmer müssen aber in die Lage versetzt sein, auf das gesamte Werk oder zumindest auf verwertbare Teile davon zuzugreifen. Der nach der Darstellung der Klägerin vom Beklagten eingesetzte File-Sharing-Client basiert auf dem BitTorrent-Protokoll. Es erlaubt Teilnehmern, jeweils einzelne Stücke einer Dateien, die Chunks genannt werden, herunterzuladen und diese nach ihrer Komplettierung zu der ganzen Datei zusammenzufügen. Diese Chunks müssen eine Mindestgröße von 9 MB aufweisen (vgl. http:bittorrent-faq.de/). Ein üblicher DSL-16.000-Anschluss erlaubt ein maximales Uploadvolumen von 2.400 Kbit/Sek, so dass das Hochladen von 9 MB mehr als 30 Sekunden benötigt. Die Feststellung der Firma Guardaley Ltd. lasten dem Beklagten aber nur 1 Sekunde oder sogar nur einen Bruchteil davon während der Verletzungshandlung an, denn sie gibt für sie keinen Zeitraum, sondern einen einzelnen sekundengenau festgehaltenen Zeitpunkt an. In einer Sekunde lassen sich aber höchstens 0,29 MB hochladen.“
Weiter wird ausgeführt:
„Folglich ist es ebenso gut möglich und nach allgemeiner Lebenserfahrung sogar naheliegend, dass der Nutzer im Moment der ihm angelasteten Verletzungshandlung eine völlig andere als die geschützte Dabei heruntergeladen hat.“
Sodann folgt die konsequente und überzeugende richterliche Schlussfolgerung:
„Nach alldem ist die von der Guardaley Ltd. angewandte Ermittlungsmethode ungeeignet, Rechtsverletzungen im Wege des öffentlichen Zugänglichmachens geschützter Werke nachzuweisen oder auch nur plausibel erscheinen zu lassen.“
Dieses Urteil korrespondiert mit vorausgegangenen richterlichen Bedenken gegen die hier betroffene Ermittlungssoftware „Observer“:
Die mit Filesharing-Klagen befassten Gerichte sind zu Recht immer weniger bereit, die den Filesharing-Abmahnungen zugrunde gelegten Recherche-„Ergebnisse“ unreflektiert als schlüssig oder gar bewiesen hinzunehmen. Das ist sachgerecht und prozessgerecht.
 

Sonntag, 1. November 2015

Neues Filesharing-Urteil des AG Bielefeld: Kein Verdacht gegen Kinder „ins Blaue hinein“ und kein Ausforschungsbeweis



Einbahnstraße für Filesharing-Klagen "ins Blaue hinein"
Internetrecht: Keine Sippenhaft vor dem Amtsgericht Bielefeld
Der Versuch, nach einer Filesharing-Abmahnung die gegen den abgemahnten Anschlussinhaber erhobene Klage anschließend durch Klageerweiterung gegen die beiden Söhne des Beklagten durchzusetzen, ist erstinstanzlich gescheitert.
 
Der Hintergrund:
Der klagende Insolvenzverwalter der insolventen Computerspiel-Produzentin hielt es jüngst für raffiniert, die fehlende Tatbegehung des zunächst allein verklagten Familienvaters unstreitig zu stellen und sich dann zusätzlich dessen zwei minderjährige Söhne als Beklagte zu 2) und zu 3) vorzunehmen.  Diese verdächtigte der Kläger wegen „üblichem Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen in entsprechendem Alter“ als die angeblichen „Täter“ der behaupteten Urheberrechtsverletzung.  Und der Vater, der Beklagte zu 1), sollte sodann wegen Verletzung seiner elterlichen Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB haften.
Dem folgte das Amtsgericht Bielefeld mit aktuellem Urteil vom 15.10.2015 (Az. 42 C 526/14) zu Recht nicht:
In den richterlichen Entscheidungsgründen heißt es dazu u.a. (Fettdruck durch den Blogger):  

„Allein der Umstand, dass das behauptete Filesharing über den Internetanschluss des Beklagten zu 1) durchgeführt worden sein soll, führt nicht zu einer Haftung des Beklagten zu 1) als Störer. Vielmehr setzt die verschuldensunabhängige Haftung als Störer voraus, dass eine Verletzung von Prüfpflichten gegeben ist. Dies ist aber nicht der Fall, weil ohne besonderen Anlass keine Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, die Internetnutzung volljähriger Mitbenutzer, wie vorliegend durch die Ehefrau S., auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu überwachen.“
„Der Beklagte zu 1) haftet auch nicht aus § 832 BGB, da es insoweit bereits an einer substantiierten Darlegung fehlt, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung durch eine Person widerrechtlich verursacht wurde, über die der Beklagte zu 1) kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht verpflichtet ist. Insoweit hat der Kläger vorgetragen, dass der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Nutzungshandlung nicht begangen habe und daher nur 2 Personen als Täter übrig blieben. Es handele sich hierbei um die beiden Söhne des Beklagten zu 1), … . Im Übrigen entspreche es dem üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter der beiden jetzigen Beklagten zu 2) und 3), entsprechende Computerspiele wie beispielsweise „Two Worlds II“ zu spielen. Bei diesem Vorbringen des Klägers handelt es sich um eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, da der Kläger keine näheren Tatsachen vorträgt, aus denen sich ergibt, dass die Beklagten zu 2) und 3) für die Rechtsverletzung verantwortlich seien. Neben dem Beklagten zu 1) hatte nämlich des Weiteren die Ehefrau des Beklagten zu 1), Frau S., ungehinderten Zugang zum Internetanschluss. Darüber hinaus ist eine gemeinschaftliche Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) nicht plausibel. Allein die bloße Vermutung, dass Spielen entsprechender Computerspiele gehöre zum üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter rechtfertigt es nicht, eine Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) anzunehmen. Für eine Haftung des Beklagten zu 1) aus § 832 BGB reicht es auch nicht aus, vorzutragen, dass möglicherweise eines der Kinder des Beklagten zu 1) für die Rechtsverletzung verantwortlich sei. Die Haftung nach § 832 BGB setzt vielmehr voraus, dass konkret der Minderjährige festgestellt wird, der für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Der Beklagte zu 1) kann nämlich erst dann, wenn der konkrete Täter feststeht, nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB dazu vortragen, dass er seiner Aufsichtspflicht hinsichtlich des konkreten Täters genügt hat. Ohne Feststellung des konkret handelnden Täters wird nach § 832 Abs. 1 BGB nicht verlangt, dass sich der Erziehungsberechtigte bzgl. aller möglichen in Betracht kommenden minderjährigen Täter entlastet.
„Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2) und zu 3) scheitert bereits daran, dass es an einer substantiierten Darlegung des Klägers fehlt, dass die Beklagten zu 2) und zu 3) für das behauptete Anbieten des Computerspiels verantwortlich sind. … Mangels eines substantiierten Sachvortrages zu einer Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) und zu 3) für die behauptete Urheberrechtsverletzung kam auch eine Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) als Partei nicht in Frage. Bei der entsprechenden Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) hätte es sich aufgrund des Fehlens eines substantiierten Sachvortrags bzgl. einer Haftung der Beklagten zu 2) und zu 3) um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt.“ 
 
Résumé:

Viele diskutieren den Umfang sekundärer Darlegungspflichten der Abmahnungsadressaten und Filesharing-Beklagten.

Es wird Zeit, sich - wie in dem von meinem Mandanten errungenen neuen urheberrechtlichen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld - auch prozessual sachgerecht mit den primären Darlegungs-, Substantiierungs- und Beweispflichten der abmahnenden und klagenden Rechteinhaber zu befassen. Schlichter familiärer Generalverdacht, realitätsferne "tatsächliche Vermutungen" und Sippenhaft ins Blaue hinein widersprechen geltendem Urheberrecht, Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht.
 

Dienstag, 29. September 2015

Verblüffendes Filesharing-Urteil entlarvt Abmahnungen und Schadensfantasie

Es gibt noch Richter und Richterinnen, die rechnen können.
Der von mir geschätzte Kollege Jens Ferner postet in einem lesenswerten Beitrag heute zu einem brillanten urheberrechtlichen Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015 (Az. 8 C 1023/15). Die Akribie, mit der das Gericht sich in urheberrechtliche, technische und mathematische Details und Abläufe von Online-Tauschbörsen hineingefuchst hat, ist bewundernswert und in der bisherigen deutschen Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen einmalig.

Das Gericht bricht medien-technisch und rechnerisch die von der Abmahnungsindustrie propagierten Schadensszenarien auf realistische und marktrelevante Größen herunter und schmilzt damit korrespondierend gleichzeitig die überhöhten Gegenstandswerte ein. Diese Entscheidung ist allen Betroffenen und insoweit Interessierten dringend ans Herz zu legen.
Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich übrigens gleichzeitig auch kritisch ("technisch nicht haltbar") mit einer der drei bisher unveröffentlichten Entscheidungen des BGH vom 11.06.2015 (Az. I ZR 7/14) auseinander, in der der BGH recht unkritisch Kölner Schadensbezifferungen bzw. -Schätzungen i. H. v. 200,00 € übernommen und akzeptiert hat.
Noch mehr als das Ergebnis ("2,04 €") bringen die vom Gericht fundiert aufgezeigten (Auf-)Lösungswege eine realistische Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und überhöhte Geld-Forderungen weiter.
Am Ende des Urteils heißt es zu Recht:
„Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.“
Lesen!

Sonntag, 19. April 2015

Filesharing-Klagen auch bei Single-Haushalten in Beweis-Not


 
Neues Urteil des AG Bielefeld zu untauglichen Auskünften und Zeugen

Über die zunehmende Beweis-Not der Abmahn-Lobby und wachsende Abwehr-Chancen auch für Single-Haushalte hat der Kollege Gerth gepostet. Mit Urteil des AG Bielefeld vom 24.03.2015 (Az. 42 C 458/15) ging die Filesharing-Klage leer aus, weil der von der Rechteinhaberin benannte Zeuge, der Geschäftsführer und Entwickler der Ermittlungsfirma, nichts Genaues nicht wusste und IP-Adressen Auskunft-Ausdrucke der Internet Service Provider nicht wirklich einen ausreichenden Beweiswert haben.
In dem Urteil heißt es u.a.:
„Zum einen hat die Klägerin die Richtigkeit der Ermittlung der betreffenden IP-Adresse nicht bewiesen. Der hierzu vernommene Zeuge Perino hat bekundet, dass im vorliegenden Fall nicht er, sondern einer seiner Mitarbeiter die Ermittlung im Zusammenspiel mit der Ermittlungssoftware durchgeführt hat und hierbei insbesondere das Originalwerk mit dem in einer Referenzdatei enthaltenen Film eigenständig verglichen habe bzw. darüber hinaus auch den Hashwertvergleich durchgeführt habe. …
… Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Zeuge nur die allgemeine Vorgehensweise bei den Ermittlungen sowie den Inhalt eines firmen internen Protokolls darlegen konnte, darüber hinaus aber nicht aus eigener Anschauung bestätigen konnte, dass im vorliegenden Fall die konkrete Referenzdatei tatsächlich den streitgegenständlichen Film enthalten hat bzw. die Hashwerte übereingestimmt haben, kann das Gericht nicht mit der notwendigen Gewissheit davon ausgehen, dass die Rechtsverletzung tatsächlich unter Nutzung eines Anschlusses mit der IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX erfolgt ist.
Zur Überzeugung des Gerichts steht des Weiteren nicht fest, dass die IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss Beklagten zugewiesen war. Insofern wurde klägerseits als Beweis nur der Ausdruck einer in Form einer Datei übermittelten Auskunft des zuständigen Internet Service Providers vorgelegt, welche den klägerischen Vortrag stützt. Allein aufgrund dieser Auskunft ist der Beweis der Richtigkeit dieser Zuordnung aber noch nicht erbracht, da im Zivilprozessrecht der allgemeine Grundsatz gilt, dass eine in irgendeiner Weise festgehaltene nichtöffentliche Gedankenerklärung nicht ihre eigene inhaltliche Richtigkeit beweist. ...
Da … das Gericht auch nicht ernsthaft ausschließen kann, dass der Internetservice Provider infolge eines technisch oder menschlich bedingten Fehlers bei der Erfassung und/oder Archivierung der Verbindungsdaten bzw. aufgrund eines Versehens eines Mitarbeiters bei der Auskunftserteilung eine inhaltlich unrichtige Auskunft erteilt hat, kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass die fragliche IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss der Beklagten zugewiesen war.“

Die Luft wird zunehmend dünner für kecke und generalverdächtigende Filesharing-Abmahnungen gegenüber zahlreichen Internetanschlussinhabern, auch wenn diese den Anschluss als Single alleine nutzen. Das Urheberrecht bleibt also auch in diesen Fällen wohl doch kein Geschäftsmodell für das quasi automatisierte Einsammeln pauschaler Abmahn-Gelder.