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Freitag, 22. Juli 2022

NICHT NUR ZUR SOMMERZEIT


Sternchen und Likes verfliegen bei hitzigen Gemütern.

Coole Abwehr hitziger Rezensionen 


Die Lust darauf, ein Unternehmen oder einen Dienstleister im Internet öffentlich nicht nur mit Sternchen und Likes zu bewerten, sondern in teilweise vernichtender Art und Weise hinsichtlich der angebotenen Produkte bzw. Leistungen oder auch persönlich in ungerechtfertigter Weise zu diskreditieren, nimmt seit einiger Zeit fühlbar zu. Bei allem Verständnis für zutreffend begründete Kritik, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das berechtigte Interesse potenzieller Kunden oder Geschäftspartner an auch subjektiven und wortstark zugespitzten Informationen und Wahrnehmungen, kann dennoch der oder die jeweils Bewertete nicht völlig schutzlos jeglicher Bewertungswillkür ausgesetzt sein. 

Schließlich geht es dabei in unserem zunehmend digitalisierten und internetaffinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben nicht selten um geschäftliche bzw. berufliche Existenzen. Da können im Einzelfall mit jahrelangem, teilweise jahrzehntelangem Engagement aufgebaute unternehmerische Wertschätzung und Anerkennung, ja die gesamte erreichte Reputation, mit einem Klick zunichte gemacht werden. 

Doch der Adressat entsprechender unberechtigter Anwürfe und Missbilligung ist dem nicht schutzlos ausgesetzt. Das Medienrecht, das Persönlichkeits- und Reputationsrecht und nicht zuletzt auch das Deliktsrecht sowie das Strafrecht geben bei seriöser rechtlicher Prüfung und Handhabung in den meisten Fällen juristische Instrumente an die Hand, mit denen verbreitende Medien und/oder die agierenden Personen, um nicht „Täter“ zu sagen, in ihre Schranken zu weisen und das Risiko fortdauernder Existenz gefährdender Rufbeeinträchtigung zu begrenzen, wenn nicht gar zu beseitigen.

Dabei wird es u. a. darauf ankommen, inwieweit unwahre Tatsachenbehauptungen, die Vermittlung falscher Eindrücke, ehrverletzende Schmähungen oder unzulässige Abwertungen vorliegen. Dies ist seitens des rechtlichen Beistands – bei aller verständlicher Emotionalisierung des betroffenen Bewertungsadressaten – engagiert und detailliert, aber dennoch besonnen und mit kühlem Kopf zu prüfen und bei der Einleitung rechtlicher Schritte zu berücksichtigen und abzuwägen. 

Zur Erreichung möglichst kurzfristiger und damit möglichst schnell schadensmindernder Löschungen oder Entschärfungen überhitzter Bewertungsinhalte sollte es dabei das Ziel sein, durch klares und argumentationsstarkes Agieren bereits außergerichtlich eine schnelle Lösung zu erzielen. Das setzt selbstverständlich eine ebenfalls möglichst kurzfristige, umfassende, konkrete und sachgerechte Information seitens des Beeinträchtigten voraus. Eventuell durch mehrere Instanzen zu führende gerichtliche Verfahren – außerhalb ggf. bei zeitnahem Agieren möglicher prozessualer Eilverfahren – können insoweit allenfalls die zweitbeste, weil langsamere Lösung bieten. 

Und tatenloses Zusehen stellt überhaupt keine Lösung dar, sondern beflügelt vielleicht sogar weitere überambitionierte Rezensenten, Querulanten oder Lästerer.

Donnerstag, 27. Januar 2022

Alles KLAR im Internet? Aktuelle BGH-Urteile zur Klarnamenpflicht in sozialen Medien

Der III. Zivilsenat in Karlsruhe urteilte zu Online-Pseudonymen

Der Bundesgerichtshof hatte am 27.01.2022 darüber zu entscheiden, ob die Anbieter sozialer Netzwerke deren Nutzung in anonymisierter bzw. pseudonymisierter Form zu ermöglichen haben. Mediennutzer und Medienanwälte waren gespannt. 

Die beiden Verfahren vor dem III. Zivilsenat (Az. III ZR 3/21 und Az. III ZR 4/21) richten sich gegen Facebook. Der Portalbetreiber hatte, gestützt auf seine Nutzungsbedingungen vom 30.01.2015 und vom 19.04.2018, die in den beiden prozessualen Verfahren betroffenen Nutzerkonten wegen Nichteinhaltung der vorgegebenen Klarnamenpflicht gesperrt. Nach den streitgegenständlichen Facebook-AGB ist bei der Nutzung der Plattform der wahre Name bzw. der Name zu verwenden, der auch im täglichen Leben verwendet wird. 

Hiergegen sind der im ersten Fall betroffene Nutzer und die im zweiten Fall betroffene Nutzerin gerichtlich vorgegangen. Sie stützen sich dabei auf die bis November 2021 geltende Regelung des § 13 Abs. 6 S. 1 Telemediengesetz (TMG). Dort heißt es, dass ein Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. 


Was geschah bisher vor Gericht?

Nach unterschiedlichen erstinstanzlichen Urteilen des Landgerichts Traunstein v. 02.05.2019 (Az. 8 O 3510/18) sowie des Landgerichts Ingolstadt v. 13.09.2019 (Az. 31 O 227/18) hatte das OLG München am 08.12.2020 (Az. 18 U 2822/19 Pre und Az. 18 U 5493/19 Pre) in beiden Fällen Facebook Recht gegeben und eine Klarnamenpflicht auf der dortigen Plattform gestattet. Zwar sei die oben erwähnte gesetzliche Regelung des TMG grundsätzlich anwendbar; es sei Facebook allerdings – auch um Nutzer von einem rechtswidrigen Verhalten im Internet abzuhalten – nicht zumutbar, die Verwendung von Pseudonymen zu ermöglichen und damit von der Klarnamenpflicht abzusehen.

 

Und was sagt nun der BGH zur Klarnamenpflicht?

Der III. Zivilsenat hat die beiden Streitfälle praktisch für Altfälle entschieden, d. h. für Nutzerinnen und Nutzer, die seit langem Pseudonyme auf der Plattform verwenden. 

In dem Fall des klagenden Nutzers (Az. III ZR 3/21) hat der Bundesgerichtshof Facebook verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert; die soziale Plattform hat dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen seines Nutzerkontos zu gewähren.

Die gegenteilige Vorgabe, der Kontoinhaber habe bei der Nutzung des sozialen Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet, sei rechtlich unwirksam, weil eine derartige Klarnamenpflicht den Nutzer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Eine derartige Regelung sei mit der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG, insbesondere mit dem darin zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass ein Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym bzw. pseudonymisiert zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht vereinbar. 

Der Kläger darf folglich das Netzwerk unter einem Pseudonym nutzen. Eine Klarnamenpflicht wird höchstrichterlich in dem Zusammenhang verneint. 

Auch die Klägerin im Verfahren zum Az. III ZR 4/21 muss sich nicht auf eine Klarnamenpflicht verweisen lassen und kann von Facebook die Freischaltung ihres Nutzerkontos und den Zugriff auf dessen Funktionen beanspruchen. 

Der BGH stellt in seinen Urteilen klar, dass es auf die aktuellen gesetzlichen Vorgaben der DSGVO für seine Entscheidung nicht angekommen ist, da diese datenschutzrechtlichen Regelungen zum damaligen Zeitpunkt des Facebook-Beitritts der Kläger und damit bei Einbeziehung der strittigen AGB-Klauseln noch nicht galten. 

Zumindest für langjährige Facebook-Nutzerinnen und -nutzer besteht folglich keine Klarnamenpflicht.


Dienstag, 10. August 2021

Social Media: Rechtliche Minenfelder für Influencer & Co.


Urheberrecht, Markenrecht, Internetrecht für Influencer
Influencer sind auf rechtlich gefährlichen Feldern unterwegs.

Die Unbefangenheit und Arglosigkeit, mit der viele sich aufmachen, ohne jede Vorbereitung und Prüfung auf Instagram, bei Snapchat oder in anderen sozialen Medien bildliche und/oder textliche Inhalte zu veröffentlichen, erstaunt mich immer wieder. Immerhin sind die Medien doch voll von Berichten zu juristischen Auseinandersetzungen bspw. über Bildrechte oder Persönlichkeitsrechte. Entsprechende Abmahnungen und Klagen gehören fast schon zum sozialmedialen Alltag. Das sogenannte Internetrecht und Medienrecht birgt dabei oft mehr rechtlichen Sprengstoff, als so mancher vermutet. 

Ohne an dieser Stelle jungen Newcomern, Influencern, Bloggern, Start-Ups und Mediensternchen jeden Mut zum kreativen Durchstarten in lukrative virtuelle Karrierehimmel nehmen zu wollen, sollen hier doch einmal wesentliche Rechtsgebiete bzw. rechtliche „Minenfelder“ aufgezeigt werden, auf denen für die angesprochenen Zielgruppen besonders häufig juristische Konflikt- und Regressrisiken auftauchen. 

Da ist zum einen das Urheberrecht. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der vollständigen oder auch nur teilweisen Übernahme fremder Fotos oder Zeichnungen und dies kann durchaus auch sog. „freies“ oder „kostenloses“ Material betreffen, wenn bspw. die im Zusammenhang mit den entsprechenden Angeboten vorgegebenen Nutzungsbedingungen nicht eingehalten werden oder die grundsätzlich vorgeschriebene Urhebernennung nicht erfolgt. 

Unabhängig vom Urheberrecht ist – auch bei selbst geschossenen Fotos – das Bildrecht der abgebildeten Person zu beachten, ohne deren ausdrückliche Einverständniserklärung nur in rechtlichen Ausnahmefällen eine Veröffentlichung gestattet ist. 

Das vorerwähnte Bildrecht leitet sich ab aus dem Persönlichkeitsrecht bzw. dem Reputationsrecht, das nicht nur im Zusammenhang mit Abbildungen eine Rolle spielen kann, sondern auch im Zusammenhang mit textlichen Äußerungen, die wegen unwahrer oder diskreditierender Inhalte rechtsverletzend sein können. 

Neben den zuvor angesprochenen Bild- und Persönlichkeitsrechten kann zudem auch das Hausrecht der betroffenen Person verletzt werden z. B. durch einverständnislose Veröffentlichung von Abbildungen, die das Grundstück oder auf dem Grundstück befindliche Gegenstände betreffen. Da hilft selbst die sog. „Panoramafreiheit“ nicht immer weiter. 

Häufig verkannte Rechtsmaterien im Zusammenhang mit Kennzeichnungen und Ausgestaltungen innerhalb sozialer Medien bilden das Markenrecht, das Titelrecht und auch das Namensrecht. Mit den vorgenannten Konfliktfeldern können darüber hinaus auch unverhoffte Verstöße im Designrecht, das früher Geschmacksmusterrecht genannt wurde, korrespondieren. Da schmückt man sich schon mal gerne mit prominenten Kennzeichen oder Gestaltungen und selbst dann, wenn es sich dabei im Einzelfall nicht um eine rechtswidrige marken- oder designrechtsverletzende Darstellung handeln sollte, kann unabhängig davon dennoch manchmal das Wettbewerbsrecht dem übermotivierten Internetsternchen einen Strick drehen – etwa bei wettbewerbsrechtlich unzulässiger Rufausbeutung bzw. unlauterer Anlehnung an fremde Leistungen. 

Dass Online-Veröffentlichungen zudem ggf. bestehendes Vertragsrecht verletzen können, liegt in der Natur mancher vertraglicher Regelungen. 

Und dass bei allen Veröffentlichungen auch das Datenschutzrecht nicht unbeachtet bleiben darf, hat gerade in den letzten Jahren viele überfordert. 

Das ist schon eine Menge Stoff, der bei begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen möglichst praktikabel, aber dennoch verantwortungsvoll zu beachten, zu prüfen und zu bewältigen ist, wenn man auf diesen Felden nicht ungewollt in die Luft fliegen möchte.



Mittwoch, 24. März 2021

Private Geheimpolizei in Familien und Wohnungen

 BGH-Urteil: Verdächtigungen und Verhöre nach anwaltlichen Abmahnungen

Was unbescholtene Haus- und Wohnungseigentümer in ihren Briefkästen vorfinden, löst auch und gerade in aktuellen Pandemiezeiten nicht selten Bestürzung und Entsetzen aus. Da wird in umfangreicher Anwaltspost unter Vorlage gerichtlicher Beschlüsse und unter Hinweis auf ergangene höchstrichterliche Entscheidungen verlangt, Familienangehörige, Mitbewohner und Gäste wegen vermeintlich über das Internet begangener Urheberrechtsverletzungen quasi geheimdienstlich zu bespitzeln und zu denunzieren. Andernfalls drohen die Abmahner mit erheblichen Schadensersatz- und Kostenforderungen. Gleichzeitig wird für den Fall eines unkooperativen Verhaltens die Gefahr mehr­instanzlicher gerichtlicher Verfahren mit immensen Prozesskosten angekündigt.

 

Ist man dann zu familiärem Verrat verpflichtet?

 Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (verkündet am 17.12.2020, Az. I ZR 228/19) hat nun auf über 30 Seiten Klarheit dazu geschaffen. Obwohl einige Abmahnanwälte dies anders darzustellen versuchen, sind die Inhaber*innen von häuslichen Internetanschlüssen nicht dazu verpflichtet, nach Erhalt einer Filesharing-Abmahnung den Abmahnern außergerichtlich etwa Familienangehörige oder Mitbewohner*innen der illegalen Teilnahme an Online-Tauschbörsen zu bezichtigen und sie ggf. so „ans Messer zu liefern“.

 

Greift die sekundäre Darlegungslast oder die Störerhaftung ein?

 Die in derartigen Abmahnungsschreiben häufig zu findende gegenteilige Argumentation, der schuld- und ahnungslose Abmahnungsadressat müsse innerhalb der eingeräumten Frist seinen sog. „sekundären Darlegungspflichten“ nachkommen, da er ansonsten selbst hafte, ist ebenso falsch wie ein etwaiger Versuch der Film-, Serien- oder Audio-Produzenten, mit sog. „tatsächlichen Vermutungen“ oder gar mit einer angeblich jeden Anschlussinhaber treffenden „Störerhaftung“ zu argumentieren. Dies geht spätestens seit der Änderung des Telemediengesetzes (TMG) vom 28.09.2017 ebenso fehl wie der in manchen Abmahnungen ausdrücklich oder unterschwellig enthaltene Vorwurf, man habe evtl. den häuslichen Internetanschluss nicht ausreichend abgesichert oder unzulänglich kontrolliert.

 

Was ist mit drohenden Abmahnungs- und Prozesskosten?

 Wenn die Abmahner schließlich damit drohen, trotz fehlender Täterschaft des Anschlussinhabers sei dieser für den Fall anschließender gerichtlicher Verfahren zumindest gesetzlich verpflichtet, die wegen fehlender Auskunft erforderlich gewordenen Prozesskosten zu erststatten, wird mit der o. g. BGH-Entscheidung auch derartigen fehlerhaften Rechtsbehauptungen ein Riegel vorgeschoben. Karlsruhe verneint eindeutig entsprechende vorgerichtliche Kostenerstattungsansprüche.

 

Keine Panik!

 Wie so oft bei rechtlichen Auseinandersetzungen gilt auch in urheberrechtlichen und medienrechtlichen Streitfällen der Grundsatz: Bange machen gilt nicht. Und zu Stasi-ähnlichen Methoden innerhalb der eigenen Familie bzw. der eigenen Wohnung ist man auch urheberrechtlich nicht verpflichtet.



Mittwoch, 3. März 2021

Kerniger Meinungskampf unter blutigem Verdacht

Eine boshafte Glosse 
zu Meinungsfreiheiten, Tatsachenkernen und Geisteshaltungen

Wer seine Meinung äußert, hat es oft nicht besonders leicht. Die Schere im oder der Maulkorb vor dem Kopf sind durchaus anzutreffende Utensilien. Da wird dann nicht selten über die Frage zulässiger Meinungsäußerung oder unzulässiger Tatsachenbehauptung gestritten. 

Eins ist klar, wenn der Meier „meint“, der Müller habe den Lehmann umgebracht, und das dann auch gegenüber Dritten oder gar öffentlich auf dem analogen oder digitalen Marktplatz äußert, dann ist das keine Meinungsäußerung, sondern eine Tatsachenbehauptung. Eine derartige Tatsachenäußerung ist grundsätzlich dann, wenn sie der Wahrheit entspricht, zulässig; anderenfalls ist sie selbstverständlich grundsätzlich unzulässig. Das hat dann nämlich mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. 

Grundsätzlich im vorgenannten Sinne bedeutet, dass auch wahre Tatsachen keineswegs immer und überall aufgestellt bzw. verbreitet werden dürfen. Gerade die Wahrheit kann ja bekanntlich weh tun, also verletzen und damit auch Rechte verletzen. Berührt werden können dabei insbesondere persönliche Persönlichkeitsrechte von Personen. Das ist dann für diejenigen nicht immer witzig und nicht selten muss die Waage der Justitia die tangierten wechselseitigen schwereren oder leichteren Rechtsmeinungen abwägen. 

Wenn der Müller meint, der Meier wolle mit seiner bösartigen Aussage lediglich verhindern, selbst in den Verdacht zu geraten, den Lehmann umgebracht zu haben, stellt eine derartige Aussage nach herrschender Rechtsprechung grundsätzlich eine Bewertung, eine Einschätzung und damit eine Meinungsäußerung dar. Diese Meinungskundgabe beinhaltet allerdings gleichzeitig einen sog. „Tatsachenkern“, in diesem Fall die – wenn auch nur angedeutete - Behauptung, es gäbe einen mehr oder weniger plausiblen oder gar begründeten Verdacht gegen den Meier, er habe den Lehmann mehr oder weniger kaltblütig oder blutrünstig umgebracht. 

Die Verbreitung derartiger – eventuell auch blutiger - Tatsachenkerne ist grundsätzlich wiederum dann zulässig, wenn sie der Wahrheit entsprechen. 

Wann entspricht ein Verdacht in diesem Sinne der nackten Wahrheit? 

Ein Verdacht entspricht zweifelsohne jedenfalls dann der Wahrheit, wenn er nachweislich den Tatsachen entspricht. Tatsachen sind nämlich anerkanntermaßen dem Beweis zugänglich, Meinungen demgegenüber leider nicht. 

Aber wie sieht es aus, wenn und solange der tatsächliche Sachverhalt noch verflixt und zugenäht ungeklärt ist? 

Wird ein Verdacht einfach munter „ins Blaue hinein“ geäußert, ist dies selbstverständlich nicht zulässig. Gibt es ernsthafte Anhaltspunkte oder Belege, die den geäußerten Verdacht als solchen begründen, kann eine Verdachtsäußerung durchaus zulässig sein. Dies ist dann u. a. von der gewichtigen Schwere des Vorwurfs und davon abhängig, wie schwer eine entsprechende Behauptung die Person des von der Äußerung Betroffenen und deren Rechte, insbesondere deren Persönlichkeitsrechte, beeinträchtigt. Also müssen etwa für einen Verdacht, den Lehmann umgebracht zu haben, schon ganz besonders gewichtige Erkenntnisse vorliegen. 

Nicht ganz unerheblich ist bei Verdachtsäußerungen zudem, wie groß das Publikum einer derartigen Äußerung ist, wie weit die entsprechende Aussage also verbreitet wird. 

Bösartige Geisteshaltungen

Wie ist es denn zu beurteilen, wenn der Meier äußert, der Müller würde sich über ein zeitnahes Ableben des Lehmanns wahrscheinlich unbändig freuen? Immerhin impliziert dies doch eine angeblich „tatsächlich“ mögliche Geisteshaltung des Müllers, oder? 

Ja, dem ist wohl so; andererseits werden abweichende Einstellungen des Müllers damit nicht ausgeschlossen, was juristisch wiederum den Meinungsanteil überwiegen lässt. 

Sofern es zudem konkrete Anknüpfungspunkte für die behauptete Niedertracht des Müllers gibt, wird der Boshaftigkeitsvorwurf des Meiers hinsichtlich der angeblichen Freude des Müllers folglich als zulässige Meinungskundgabe zu bewerten sein, die nicht an die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verdachtsäußerung gebunden ist. 

Alles klar soweit? 

Wie beurteilt sich denn der Fall, dass der Lehmann hinsichtlich der eingangs zitierten Aussage des Meiers die Einschätzung äußert, dieser wolle ihn ruinieren?

Der Begriff des Ruinierens, nicht zu verwechseln mit dem Begriff des Urinierens, ist kaum genau objektivierbar und primär durch subjektive Bewertungen und Vorstellungen geprägt und beinhaltet deshalb vornehmlich eine Meinungsäußerung. Das ist zumindest meine Meinung. 

Nicht abgedeckt von zulässigen Meinungskundgaben bzw. Bewertungen sind verächtlich machende Herabwürdigungen, bei denen es nicht um eine kritische und vielleicht auch pointierte Auseinandersetzung mit der betroffenen und vielleicht auch getroffenen Person geht, sondern allein deren Ehrabschneidung, Schmähung und Verächtlichmachung bezweckt wird. 

Im Spannungsfeld zwischen Meinungen, Bewertungen, Verunglimpfungen, Verdächtigungen und Tatsachenkernen gibt es viele rechtliche Grauzonen mit diversen Fallstricken und Tretminen. Deshalb verdienen diejenigen, die sich dennoch mutig am Meinungskampf beteiligen, unseren Respekt.

Wer in belastbarerer und spezifischerer Form die unterschiedliche aktuelle Rechtsprechung zum Thema Meinungsfreiheit studieren möchte, der sei exemplarisch verwiesen auf nachfolgend benannte gerichtliche Entscheidungen, in denen es in dem Kontext teilweise zudem um Fotoveröffentlichungen oder die Bereithaltung von früherer Berichterstattung im Internet durch Inhalteanbieter oder Suchmaschinen geht: 

BVerfG NJW 2020, 300; BVerfG NJW 2020, 314; BVerfG NJW 2020, 1.793; BVerfG NJW 2020, 1.824; BVerfG NJW 2020, 2.096; BVerfG NJW 2020, 2.531; BVerfG NJW 2020, 2.873; BVerfG NJW 2020, 3.302; BVerfG BeckRS 2020, 39.777; BVerfG BeckRS 2021, 1.003; NdsStGH MMR 2021, 96; BGH NJW 2020, 45; BH NJW 2020, 2.032; BGH NJW 2020, 3.444; BGH NJW 2020, 3.715; BGH GRUR 2020, 664; BGH GRUR 2020, 1.344; BGH GRUR 2021, 106; BGH AfP 2020, 149 …

  

Sonntag, 1. November 2015

Neues Filesharing-Urteil des AG Bielefeld: Kein Verdacht gegen Kinder „ins Blaue hinein“ und kein Ausforschungsbeweis



Einbahnstraße für Filesharing-Klagen "ins Blaue hinein"
Internetrecht: Keine Sippenhaft vor dem Amtsgericht Bielefeld
Der Versuch, nach einer Filesharing-Abmahnung die gegen den abgemahnten Anschlussinhaber erhobene Klage anschließend durch Klageerweiterung gegen die beiden Söhne des Beklagten durchzusetzen, ist erstinstanzlich gescheitert.
 
Der Hintergrund:
Der klagende Insolvenzverwalter der insolventen Computerspiel-Produzentin hielt es jüngst für raffiniert, die fehlende Tatbegehung des zunächst allein verklagten Familienvaters unstreitig zu stellen und sich dann zusätzlich dessen zwei minderjährige Söhne als Beklagte zu 2) und zu 3) vorzunehmen.  Diese verdächtigte der Kläger wegen „üblichem Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen in entsprechendem Alter“ als die angeblichen „Täter“ der behaupteten Urheberrechtsverletzung.  Und der Vater, der Beklagte zu 1), sollte sodann wegen Verletzung seiner elterlichen Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB haften.
Dem folgte das Amtsgericht Bielefeld mit aktuellem Urteil vom 15.10.2015 (Az. 42 C 526/14) zu Recht nicht:
In den richterlichen Entscheidungsgründen heißt es dazu u.a. (Fettdruck durch den Blogger):  

„Allein der Umstand, dass das behauptete Filesharing über den Internetanschluss des Beklagten zu 1) durchgeführt worden sein soll, führt nicht zu einer Haftung des Beklagten zu 1) als Störer. Vielmehr setzt die verschuldensunabhängige Haftung als Störer voraus, dass eine Verletzung von Prüfpflichten gegeben ist. Dies ist aber nicht der Fall, weil ohne besonderen Anlass keine Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, die Internetnutzung volljähriger Mitbenutzer, wie vorliegend durch die Ehefrau S., auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu überwachen.“
„Der Beklagte zu 1) haftet auch nicht aus § 832 BGB, da es insoweit bereits an einer substantiierten Darlegung fehlt, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung durch eine Person widerrechtlich verursacht wurde, über die der Beklagte zu 1) kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht verpflichtet ist. Insoweit hat der Kläger vorgetragen, dass der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Nutzungshandlung nicht begangen habe und daher nur 2 Personen als Täter übrig blieben. Es handele sich hierbei um die beiden Söhne des Beklagten zu 1), … . Im Übrigen entspreche es dem üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter der beiden jetzigen Beklagten zu 2) und 3), entsprechende Computerspiele wie beispielsweise „Two Worlds II“ zu spielen. Bei diesem Vorbringen des Klägers handelt es sich um eine ins Blaue hinein aufgestellte Behauptung, da der Kläger keine näheren Tatsachen vorträgt, aus denen sich ergibt, dass die Beklagten zu 2) und 3) für die Rechtsverletzung verantwortlich seien. Neben dem Beklagten zu 1) hatte nämlich des Weiteren die Ehefrau des Beklagten zu 1), Frau S., ungehinderten Zugang zum Internetanschluss. Darüber hinaus ist eine gemeinschaftliche Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) nicht plausibel. Allein die bloße Vermutung, dass Spielen entsprechender Computerspiele gehöre zum üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter rechtfertigt es nicht, eine Tatbegehung durch die Beklagten zu 2) und 3) anzunehmen. Für eine Haftung des Beklagten zu 1) aus § 832 BGB reicht es auch nicht aus, vorzutragen, dass möglicherweise eines der Kinder des Beklagten zu 1) für die Rechtsverletzung verantwortlich sei. Die Haftung nach § 832 BGB setzt vielmehr voraus, dass konkret der Minderjährige festgestellt wird, der für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Der Beklagte zu 1) kann nämlich erst dann, wenn der konkrete Täter feststeht, nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB dazu vortragen, dass er seiner Aufsichtspflicht hinsichtlich des konkreten Täters genügt hat. Ohne Feststellung des konkret handelnden Täters wird nach § 832 Abs. 1 BGB nicht verlangt, dass sich der Erziehungsberechtigte bzgl. aller möglichen in Betracht kommenden minderjährigen Täter entlastet.
„Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2) und zu 3) scheitert bereits daran, dass es an einer substantiierten Darlegung des Klägers fehlt, dass die Beklagten zu 2) und zu 3) für das behauptete Anbieten des Computerspiels verantwortlich sind. … Mangels eines substantiierten Sachvortrages zu einer Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) und zu 3) für die behauptete Urheberrechtsverletzung kam auch eine Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) als Partei nicht in Frage. Bei der entsprechenden Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) hätte es sich aufgrund des Fehlens eines substantiierten Sachvortrags bzgl. einer Haftung der Beklagten zu 2) und zu 3) um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt.“ 
 
Résumé:

Viele diskutieren den Umfang sekundärer Darlegungspflichten der Abmahnungsadressaten und Filesharing-Beklagten.

Es wird Zeit, sich - wie in dem von meinem Mandanten errungenen neuen urheberrechtlichen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld - auch prozessual sachgerecht mit den primären Darlegungs-, Substantiierungs- und Beweispflichten der abmahnenden und klagenden Rechteinhaber zu befassen. Schlichter familiärer Generalverdacht, realitätsferne "tatsächliche Vermutungen" und Sippenhaft ins Blaue hinein widersprechen geltendem Urheberrecht, Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht.
 

Dienstag, 25. August 2015

Filesharing-Urteil des LG München I: Verwunderungen aus dem Rahmen des (Un)Zumutbaren

Urheberrecht: In München wundern sich Gerichte - und Internetanschlussinhaber
Das kann nicht wahr (und nicht rechtens) sein: Das Landgericht München I zeigt sich verwundert über den detaillierten Sachvortrag eines Internetanschlussinhabers fast fünf Jahre nach einer Filesharing-Abmahnung, verlangt aber gleichzeitig einen noch viel detaillierten Verteidigungsvortrag.

Fragwürdige schriftliche Niederlegung hat diese prekäre Widersprüchlichkeit gefunden im Urteil der 21.Zivilkammer des Landgerichts München I vom 08.07.2015 (Az. 21 S 19026/14).

Darin werden vorausgegangene BGH-Entscheidungen zwar korrekt zitiert; die daraus von den Münchner Richtern abgeleiteten Argumentationsstränge verlieren allerdings erkennbar den Faden nach Karlsruhe.

In den Entscheidungsgründen aus Bayern heißt es u. a. zu Recht:

„Nicht verhehlen kann die Kammer ihre Verwunderung darüber, dass der Beklagte – gleichsam aus dem Nichts – nach knapp fünf Jahren detailliert rekonstruieren kann, wann er welche Maßnahmen im Nachgang zur Abmahnung vom xxxxxxxxxx  vorgenommen hat.“

Dennoch meint das Berufungsgericht, dass „der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht“ genügt.

Ein Schelm, wer da nicht den in den landgerichtlichen Entscheidungsgründen selbst zitierten, von der einschlägigen BGH-Rechtsprechung aufgestellten „Rahmen des Zumutbaren“ für gesprengt erachtet.

Das Landgericht München I erwartete insbesondere noch detailliertere Angaben des Beklagten „zu seinen einzelnen Nachforschungen“ innerhalb der Familie, dazu, „welche konkreten Maßnahmen er unternommen hat, um relevante Informationen zu erhalten“, sowie alle möglichen Details zu Fragen der Auffindung, der Speicherung, der Entnahme und/oder der Inhalte eines etwaigen Routerprotokolls.

Wenn man dieses Urteil liest, wird man das Gefühl nicht los, dass versucht wird, die Anforderungen an die sekundären Darlegungen zur Nutzung des familiären Internetanschlusses und die Anforderungen an etwaige Nachforschungen (zumal innerhalb des eigenen Haus­halts bzw. innerhalb der eigenen Familie) in gleicher Weise zu überspannen, wie die frühere und zwischenzeitlich vom BGH und vom Bundesverfas­sungs­gericht korrigierte Kölner Rechtsprechung dies hinsichtlich ihrer übertriebenen (und mittlerweile überholten) Anforderungen zur Familien-Überwachung und -Belehrung getan hat.

Mit derart ausufernden und praktisch nie erfüllbaren richterlichen Ansprüchen an interfamiliäre Ermittlungen, technischen Sachverstand und archivarisches Erinnerungsvermögen der Internetanschlussinhaber wird die aktuelle "Münchner Linie" allerdings m. E. in Karlsruhe ebenso wenig durchkommen wie die früheren Überforderungstendenzen des LG und des OLG Köln.

Entgegenstehende realistischere und auch urheberrechtlich und verfassungsrechtlich angemessenere Entscheidungen beispielsweise aus Bielefeld müssen demgegenüber nicht verwundern; sie zeigen vielmehr den richtigen Weg auf - im Rahmen des Zumutbaren.


Donnerstag, 20. August 2015

AG Bielefeld stoppt Filesharing-Abmahnung

... Mit 12 Argumenten auf einen Schlag

++++ Verliebt. Verlobt. Verklagt. Und nicht verurteilt. ++++

Filesharing-Klagen kommen beim Amtgericht Bielefeld kaum durch.

Auch ohne Trauschein muss man nach urheberrechtlichen Tauschbörsen-Abmahnungen keine Ermittlungen gegen den Partner oder die Partnerin aufnehmen. Und die Frage nach ausreichender Belehrung der den häuslichen Internetanschluss nutzenden minderjährigen Kinder stellt sich prozessual gar nicht, wenn es weitere potentielle Nutzer des Internetanschlusses gibt.

Dies und 10 weitere Gesichtspunkte hat das Bielefelder Amtsgericht nun in einem besonders klar, plausibel und umfassend begründeten Urteil vom 08.07.2015 (Az. 42 C 708/14) gebündelt. 

Mit dem für unsere Mandantin errungenem Urteil hat das Gericht zahlreichen angeblichen Argumenten aus derzeit wieder grassierenden Filesharing-Abmahnungen einen Riegel vorgeschoben. 
 
Das überzeugend begründete und nachvollziehbar strukturierte Urteil lässt sich auch nicht von dem gegenwärtigen unangebrachten Hype um die vier Wochen vor Urteilsverkündung verhandelten und entschiedenen drei BGH-Verfahren (noch nicht veröffentlichte Urteile des BGH vom 11.06.2015 zu den Az. I ZR 7/14, I ZR 19/14 und I ZR 75/14) in die Irre leiten. In der gegenwärtigen Abmahnungspraxis werden die absehbaren Entscheidungsfindungen der Karlsruher Richter in den vorerwähnten drei BGH-Verfahren nämlich zumeist fehlinterpretiert bzw. überinterpretiert.

Im Einklang mit derzeit seriös ableitbarer BGH-Rechtsprechung bleibt vor dem Hintergrund der einleuchtenden Urteilsfindung des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.07.2015 insbesondere Folgendes festzuhalten:
 
1.    „Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten.“

2.    „Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder … bewusst anderen Personen zur Benutzung überlassen wurde.“

3.    „Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.“

4.    „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, auch andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“

5.    Nur in „diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (BGH NJW 2014, 2360 „Bearshare“).“

6.    „Hinsichtlich einer etwaigen Aufsichtspflichtsverletzung kann eine Kausalität zum etwaigen Schaden nicht bejaht werden, wenn nicht feststeht, dass die Person, über die Aufsicht zu führen ist, eine Verletzungshandlung überhaupt begangen hat.“

7.    Der Beklagtenseite ist es „nicht zumutbar, den Täter im von Art. 6 GG geschützten Bereich zu ermitteln.“

8.    „Die Intention, den Familienfrieden zu wahren und niemanden zu verpflichten, den Partner auszuforschen und ihn einer illegalen Handlung zu überführen, muss auch für Verlobte gelten. Diese Intention ergibt sich auch aus § 383 Abs. 1 NR 1 ZPO, welcher auch dem Verlobten ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.“

9.    „Der BGH hat zwar entschieden, dass der Inhaber eines ungesicherten WLAN Anschlusses als Störer auf Unterlassung haftet, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (BGH NJW 2010, 2061 „Sommer unseres Lebens“). Diese Entscheidung ist aber nicht auf die … Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt (BGH NJW 2014, 2360; ebenso LG Bielefeld Beschluss vom 22. Juli 2014, 21 S 76/14).“

10.  „Die dreijährige Verjährungsfrist gilt auch für den Schadensersatzanspruch.“

11.  Ein Mahnbescheid, der verjährungshemmende Wirkung haben soll, muss den geltend gemachten Anspruch, und soweit es um mehrere Ansprüche geht, jeden einzelnen Anspruch ausreichend genau und individualisiert bezeichnen. Eine Bezugnahme auf ein vorausgegangenes Abmahnungsschreiben setzt eine sich entsprechende, nachvollziehbare einzelne und individualisierte Bezifferung der konkreten Forderungsbeträge verbunden mit dem vermeintlichen Anspruchsgrund voraus. Eine Individualisierung der Ansprüche erst in der Anspruchsbegründung bzw. der Klagebegründung nach bereits eingetretener Verjährung lässt die Verjährung nicht entfallen.“

12.  Auch ein auf die Erstattung außergerichtlicher anwaltlicher Abmahnungskosten gerichteter Anspruch verjährt in der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB.

 

Sonntag, 19. April 2015

Filesharing-Klagen auch bei Single-Haushalten in Beweis-Not


 
Neues Urteil des AG Bielefeld zu untauglichen Auskünften und Zeugen

Über die zunehmende Beweis-Not der Abmahn-Lobby und wachsende Abwehr-Chancen auch für Single-Haushalte hat der Kollege Gerth gepostet. Mit Urteil des AG Bielefeld vom 24.03.2015 (Az. 42 C 458/15) ging die Filesharing-Klage leer aus, weil der von der Rechteinhaberin benannte Zeuge, der Geschäftsführer und Entwickler der Ermittlungsfirma, nichts Genaues nicht wusste und IP-Adressen Auskunft-Ausdrucke der Internet Service Provider nicht wirklich einen ausreichenden Beweiswert haben.
In dem Urteil heißt es u.a.:
„Zum einen hat die Klägerin die Richtigkeit der Ermittlung der betreffenden IP-Adresse nicht bewiesen. Der hierzu vernommene Zeuge Perino hat bekundet, dass im vorliegenden Fall nicht er, sondern einer seiner Mitarbeiter die Ermittlung im Zusammenspiel mit der Ermittlungssoftware durchgeführt hat und hierbei insbesondere das Originalwerk mit dem in einer Referenzdatei enthaltenen Film eigenständig verglichen habe bzw. darüber hinaus auch den Hashwertvergleich durchgeführt habe. …
… Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Zeuge nur die allgemeine Vorgehensweise bei den Ermittlungen sowie den Inhalt eines firmen internen Protokolls darlegen konnte, darüber hinaus aber nicht aus eigener Anschauung bestätigen konnte, dass im vorliegenden Fall die konkrete Referenzdatei tatsächlich den streitgegenständlichen Film enthalten hat bzw. die Hashwerte übereingestimmt haben, kann das Gericht nicht mit der notwendigen Gewissheit davon ausgehen, dass die Rechtsverletzung tatsächlich unter Nutzung eines Anschlusses mit der IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX erfolgt ist.
Zur Überzeugung des Gerichts steht des Weiteren nicht fest, dass die IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss Beklagten zugewiesen war. Insofern wurde klägerseits als Beweis nur der Ausdruck einer in Form einer Datei übermittelten Auskunft des zuständigen Internet Service Providers vorgelegt, welche den klägerischen Vortrag stützt. Allein aufgrund dieser Auskunft ist der Beweis der Richtigkeit dieser Zuordnung aber noch nicht erbracht, da im Zivilprozessrecht der allgemeine Grundsatz gilt, dass eine in irgendeiner Weise festgehaltene nichtöffentliche Gedankenerklärung nicht ihre eigene inhaltliche Richtigkeit beweist. ...
Da … das Gericht auch nicht ernsthaft ausschließen kann, dass der Internetservice Provider infolge eines technisch oder menschlich bedingten Fehlers bei der Erfassung und/oder Archivierung der Verbindungsdaten bzw. aufgrund eines Versehens eines Mitarbeiters bei der Auskunftserteilung eine inhaltlich unrichtige Auskunft erteilt hat, kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass die fragliche IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss der Beklagten zugewiesen war.“

Die Luft wird zunehmend dünner für kecke und generalverdächtigende Filesharing-Abmahnungen gegenüber zahlreichen Internetanschlussinhabern, auch wenn diese den Anschluss als Single alleine nutzen. Das Urheberrecht bleibt also auch in diesen Fällen wohl doch kein Geschäftsmodell für das quasi automatisierte Einsammeln pauschaler Abmahn-Gelder.
 

Donnerstag, 9. April 2015

Falsche Abmahnungen im Namen der Marke

Neues hilfreiches Urteil: Landgericht Bielefeld zu Grenzen im Markenrecht

Mit bisher unveröffentlichtem Urteil vom 06.03.2015 (Az. 17 O 12/15) hat das Landgericht Bielefeld einem Apotheker Recht gegeben, der sich nach vorausgegangener Abmahnung gegen angebliche markenrechtliche Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche sowie Abmahnungskosten in Höhe von über 2.500,00 Euro wehren musste. Die Klage der vermeintlichen Rechteinhaberin wurde zurückgewiesen. Abmahnung und Klage enthalten einen häufig übersehenen Fehler: 
 
Die Klägerin beruft sich auf eine beim DPMA eingetragene Wortmarke und eine gleichlautende Wort-/Bildmarke. Dabei handelt es sich um eine Kombination von dem rein beschreibenden Begriff „Apotheke“ mit einer lateinisch anmutenden, aus den Bereich „Medizin“ abgeleiteten Begrifflichkeit. 

Die von mir anwaltlich vertretene Apotheke führt in ihrem Namen eine aus Sicht der Klägerin ähnliche und angeblich verwechslungsfähige Bezeichnung: Die Abweichung besteht darin, dass der letzte Buchstabe des Klage-Kennzeichens fehlte und die von der beklagten Apotheke gewählte Begrifflichkeit eine sog. Zentralversalie (das ist ein Großbuchstabe innerhalb eines Wortes) aufwies.  

In dem landgerichtlichen Verfahren wurde heftig gestritten - u. a. über markenrechtliche Freihaltebedürfnisse und Monopolisierungsverbote, über die Aktivlegitimation,  über das Recht beschreibender Kennzeichnungen sowie über Kennzeichnungen mit örtlichem oder geografischem Bezug und über einige andere juristische Gesichtspunkte.  

Streitentscheidend war - auch aus Sicht des Gerichts - allerdings ein in markenrechtlichen Auseinandersetzungen häufig übersehener Aspekt: Nämlich die Frage, ob der beklagte Apotheker die angegriffene Kennzeichnung lediglich im Namen der Apotheke und damit als Kennzeichnung seines Unternehmens benutzt, oder ob er die Kennzeichnung tatsächlich markenmäßig für seine Waren oder Dienstleistungen verwendet. Eine Markenverletzung setzt nämlich im Regelfall voraus, dass das gerügte Kennzeichen tatsächlich auch als Marke und nicht lediglich als Name, Firmierung oder Unternehmenskennzeichen verwendet wird. Dies ignorieren aber zahlreiche Abmahnungen bzw. Abmahner. So auch hier.  

Das Landgericht Bielefeld hat dazu u. a. ausgeführt: 

"Letztlich kann die Verwechslungsgefahr dahinstehen, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, dass die Beklagte die Bezeichnung M…-Apotheke nicht nur als Bezeichnung ihres Unternehmens benutzt, sondern darüber hinaus markenmäßig für die Dienstleistungen eines Apothekers. Dies ist aber Voraussetzung eines markenrechtlichen Anspruchs nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, da dieser nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes (GRUR 2007, 971) eine Benutzung des Zeichens für Waren und Dienstleistungen und nicht lediglich zur Kennzeichnung des Unternehmens voraussetzt. 
 
 
Als Dienstleistung kann insoweit nicht schon das Haben des Unternehmens ausreichen, weil es sonst keinen Unterschied zwischen einem Unternehmenskennzeichen und einer Produktkennzeichnung gäbe; erforderlich ist zumindest eine Benutzung des Zeichens in der Weise, dass zwischen dem Unternehmenskennzeichen und den vertriebenen Produkten oder Dienstleistungen eine Verbindung hergestellt wird (EUGH aaO). 

Eine derartige Verbindung zwischen Unternehmen und Dienstleistungen der Beklagten legt die Klägerin nicht dar. Es ergibt sich aus ihrem Vortrag nicht, dass die Beklagte ihre Dienstleistung, etwa die Beratung der Kunden oder die Herstellung besonderer Mixturen, unter der Bezeichnung M… erbrächte. Soweit die Beklagte vorgefertigte Produkte der Pharmaindustrie vertreibt, geschieht das ohnehin unter Bezugnahme auf die Produktnamen oder allenfalls auf die Namen der Hersteller, nicht aber auf den Namen der eigenen Apotheke. Lediglich bei eigenen Anfertigungen, Beratungen und anderen individuellen Leistungen kommt ein das Produkt aber die Dienstleistung kennzeichnender Hinweis auf die Herkunft aus dem Betrieb der Beklagten überhaupt in Betracht. Eine derartige Benutzung der Bezeichnung „M…-Apotheke“ legt aber die Klägerin nicht dar. 

Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem Internetauftritt der Beklagten. Eine Produkte und Dienstleistungen kennzeichnende Benutzung des Apothekennamens ist auch nicht etwa selbstverständlich. Namen von Apotheken dienen regelmäßig nur deren Individualisierung, sei es, dass etwa an einen Tiernamen angeknüpft wird (Adler-, Bären-, Löwenapotheke) oder an Örtlichkeiten (Dom-, Bahnhofs-, Marktapotheke). Bei den Dienstleistungen gerade eines Apothekers wird demgegenüber regelmäßig das besondere Vertrauen des Apothekers selbst in Anspruch genommen und nicht der Name des Geschäftslokals. Das gilt auch für die Apotheke der Beklagten. 

Dasselbe Ergebnis folgt im Übrigen aus der Vorschrift des § 23 Nr. 1 MarkenG, wonach der Inhaber einer Marke einem Dritten nicht untersagen kann, im geschäftlichen Verkehr seinen Namen zu benutzen; als Name kommt insoweit nach neuerer Rechtsprechung nicht nur der bürgerliche Name, sondern auch der Handelsname oder Name eines Betriebs in Betracht, und zwar ohne Rücksicht auf die Priorität der Benutzung (…). Die Einschränkung, dass dies nicht in sittenwidriger Weise geschehen darf, spielt hier keine Rolle, weil die Benutzung eines an der Örtlichkeit (dem M…-Zentrum) orientierten Namens nicht gegen die guten Sitten verstößt und der Klägerin, deren Apotheken im wesentlichen im Raum … beheimatet sind, auch ersichtlich keinen Schaden zufügt.“ 

Die Klage wurde so m. E. zu Recht abgewiesen. Das - noch nicht rechtskräftige – Urteil aus Bielefeld fußt auf überraschend häufig übersehenen oder ignorierten Entscheidungen des EuGH vom 16.11.2004 (Az. C-245/02;„Anheuser Busch“) und vom 11.09.2007 (Az. C-17/06; „Céline“) sowie des BGH vom 13.09.2007 (Az. I ZR 33/05; „THE HOME DEPOT“) und ist ein ermutigendes Signal gegen die aktuell wieder ausufernden Tendenzen „überambitionierter“ markenrechtlicher Abmahnungen. Im Namen der Marke können eben doch nicht so einfach unzählige kleine Unternehmer, Dienstleister, (Online)-Händler, Gaststätten-, Praxis-, Institut-, Agentur- und Salon-Inhaber oder Handwerker um ihre gutwillig geführten Namen gebracht werden.