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Dienstag, 29. September 2015

Verblüffendes Filesharing-Urteil entlarvt Abmahnungen und Schadensfantasie

Es gibt noch Richter und Richterinnen, die rechnen können.
Der von mir geschätzte Kollege Jens Ferner postet in einem lesenswerten Beitrag heute zu einem brillanten urheberrechtlichen Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015 (Az. 8 C 1023/15). Die Akribie, mit der das Gericht sich in urheberrechtliche, technische und mathematische Details und Abläufe von Online-Tauschbörsen hineingefuchst hat, ist bewundernswert und in der bisherigen deutschen Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen einmalig.

Das Gericht bricht medien-technisch und rechnerisch die von der Abmahnungsindustrie propagierten Schadensszenarien auf realistische und marktrelevante Größen herunter und schmilzt damit korrespondierend gleichzeitig die überhöhten Gegenstandswerte ein. Diese Entscheidung ist allen Betroffenen und insoweit Interessierten dringend ans Herz zu legen.
Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich übrigens gleichzeitig auch kritisch ("technisch nicht haltbar") mit einer der drei bisher unveröffentlichten Entscheidungen des BGH vom 11.06.2015 (Az. I ZR 7/14) auseinander, in der der BGH recht unkritisch Kölner Schadensbezifferungen bzw. -Schätzungen i. H. v. 200,00 € übernommen und akzeptiert hat.
Noch mehr als das Ergebnis ("2,04 €") bringen die vom Gericht fundiert aufgezeigten (Auf-)Lösungswege eine realistische Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und überhöhte Geld-Forderungen weiter.
Am Ende des Urteils heißt es zu Recht:
„Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.“
Lesen!

Donnerstag, 11. Juni 2015

Neue BGH-Filesharing-Urteile überraschen - Dennoch keine Familien-Panik bei Abmahnung

Da ist Musik drin...BGH zum Filesharing
Heute hat der BGH über drei Filesharing-Klagen verhandelt. Die in den drei Verfahren soeben ergangenen Entscheidungen dürften für viel Streit und Diskussionsstoff sorgen. Die Abwehr übermotivierter Filesharing-Abmahnungen und -Klagen wird nicht einfacher. 

Klägerinnen sind in allen drei Revisonsverfahren die vier führenden deutschen "Tonträgerherstellerinnen" Warner, Sony, Universal und EMI. Diese berufen sich jeweils auf angeblich ordnungsgemäße Recherchen eines Crawling-Unternehmens, wonach im Jahre 2007 über eine IP-Adresse jeweils mehrere hundert bzw. mehrere tausend Musiktitel zum Herunterladen innerhalb eines P2P-Systems verfügbar gemacht worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mithilfe des Internetserviceproviders die jeweiligen Beklagten als vermeintliche Inhaber des der IP-Adresse zugewiesenen Internetanschlusses.
Die Musikverlage verlangen von den Beklagten urheberrechtlichen Schadensersatz in Höhe von mehreren tausend Euro sowie Ersatz von anwaltlichen Abmahnkosten in ähnlicher Größenordnung.
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1. Im BGH-Verfahren I ZR 75/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlungen des Recherche-Unternehmens und die zeitgleiche Zuweisung der dynamischen IP-Adresse bestritten - ebenso wie die angeblichen Uploads durch ihn, seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder durch Dritte. Er sowie seine Ehefrau und seine beiden Söhnen hätten sich zur angeblichen Tatzeit im Urlaub auf Mallorca befunden und vor dem Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden, wobei allerdings nicht auszuschließen sei, dass einer der Familienangehörigen vor Abreise heimlich die Anlage wieder angestellt hat.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 24.10.2012 (Az. 28 O 391/11) die Klage abgewiesen. 
Das OLG Köln hat den Beklagten mit Urteil vom 14.03.2014 (Az. 6 U 210/12) nach Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des Crawling-Unternehmens sowie der Familienangehörigen antragsgemäß verurteilt. Der OLG-Senat hat es als erwiesen angesehen, dass die Musikdateien von dem Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten worden sind. Der Beklagte habe als Anschlussinhaber für die Urheberrechtsverletzungen einzustehen, weil nach seinem eigenen Vortrag ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme. Das Bestreiten seiner Verantwortlichkeit stelle sich "als denklogisch fernliegend und daher prozessual nicht erheblich dar."
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2. Im BGH-Verfahren I ZR 7/14 wurde der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16jährigen Sohn und ihrer 14jährigen Tochter genutzt. Gegenüber der Polizei hatte die Tochter zugegeben, "die Musikdateien heruntergeladen zu haben". Auf die anwaltliche Abmahnung reagierte die Mutter mit der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Die Beklagte wendet sich zivilgerichtlichen Klageverfahren gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter. Zudem trägt sie vor, ihre Tochter über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Musiktauschbörsen belehrt zu haben.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 02.05.2013 (Az. 14 O 277/12) nach der Zeugenvernehmung der Tochter der Klage überwiegend stattgegeben. 
Das OLG Köln hat diese Entscheidung mit Berufungsurteil vom 06.12.2013 (Az. 6 U 96/13) im Wesentlichen bestätigt.. Das OLG hält die Täterschaft der Tochter für erwiesen und wirft der Mutter die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vor.
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3. Im BGH-Verfahren I ZR 19/14 liegt der Fall so, dass der Internetserviceprovider als angeblichen Inhaber der IP-Adresse eine Person angegeben hatte, die in einem Buchstaben von dem Familiennamen des Beklagten abwich und ansonsten mit seinem Vor- und Nachnamen und seiner Anschrift übereinstimmte.
Nach anwaltlicher Filesharing-Abmahnung gab der Beklagte, ein selbständiger IT-Berater, ohne Rechtsanerkenntnis eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und wies gleichzeitig die geltend gemachten Zahlungsansprüche zurück. Er bestreitet die Richtigkeit der Recherchen des Crawling-Unternehmens und die per Excel-Tabelle übermittelten Angaben des Internetserviceproviders sowie seine und die Täterschaft eines in gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen. Der im Arbeitszimmer des Beklagten installierte PC war zur fraglichen Zeit unstreitig eingeschaltet und mit dem Internet verbunden. Die beim Beklagten angestellte und den Computer insoweit ebenfalls beruflich nutzende Ehefrau verfügte nicht über ausreichende Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen. Dem damals im Haushalt des Beklagten lebenden, seinerzeit 17 Jahre alten Sohn war das Rechner-Passwort unbekannt.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 31.10.2012 (Az. 28 O 306/11) der Klage stattgegeben. 
Zweitinstanzlich wurde auch dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Die entsprechende Entscheidung des OLG Köln (Az. 6 U 205/12) datiert vom 20.12.2013. Der Berufungssenat des OLG hielt es aufgrund der in beiden Tatsachen-Instanzen durchgeführten Beweisaufnahmen für nachgewiesen, dass die Musikdateien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sind. Der Beklagte sei hinsichtlich der Urheberrechtsverletzungen als Täter anzusehen.

Das Ergebnis:
Der BGH hat für viele überraschend alle drei Revisionen der Beklagten zurückgewiesen.

So gehen nach der soeben veröffentlichten Pressemitteilung des BGH die Richter des 1. Zivilsenats davon aus, dass die Eintragung der Klägerinnen in die Phononet-Datenbank ein erhebliches Indiz für die klägerische Rechteinhaberschaft darstellt. Es seien auch keine Anhaltspunkte zur Entkräftung dieser Indizwirkung vorgetragen worden.
Die theoretische Möglichkeit, dass bei Ermittlungen von proMedia oder des Internetserviceproviders Fehler vorkommen können, spräche nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle -  wie im dritten oben angesprochenen Verfahren (I ZR 19/14) - reiche insoweit nicht aus. 
In dem Rechtsstreit I ZR 75/14, dem ersten der drei oben erläuterten Verfahren,  sei das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien im Urlaub auf Mallorca gewesen und hätten vor Urlaubsantritt insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der BGH bejaht sogar eine täterschaftliche Haftung des Beklagten. Dieser habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Somit greife die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses ein.
In dem zweiten oben erwähnten Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 7/14 habe das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen hat. Das OLG habe sich rechtsfehlerfrei auf das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter und dessen zeugenschaftliche Bestätigung vor dem Landgericht gestützt. Die Beklagte hafte für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:
"Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 24 - Morpheus). Das Berufungsgericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem "ordentlichen Verhalten" aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus."
Schließlich bestätigt der BGH bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie einen Betrag in Höhe von 200 Euro pro Musiktitel sowie ferner den ausgeurteilten Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten auf der Basis des RVG.

Die genauen Entscheidungsgründe bleiben zunächst abzuwarten. In jedem Fall wurde diese BGH-Entscheidung so von vielen - auch von mir - nicht erwartet. Andererseits wird das Urteil des 1. Zivilsenats auch kein Grund zur Panik sein, gelten die höchstrichterlichen Grundsätze zur Beweislast der Abmahner und zur lediglich sekundären Darlegungslast der Abgemahnten doch auch weiterhin.

Festzuhalten bleibt schon jetzt:
  • Kinder sorgfältig und nachweisbar über die Rechtswidrigkeit illegalen Filesharings belehren.
  • Kinder oder andere Familienangehörige nach einer Abmahnung nicht ohne weiteres belasten.
  • Etwaige Verstöße von Familienangehörigen nicht voreilig als alternatives "Tatgeschehen" ausschließen.
  • Nicht allein oder primär auf etwaige technische Zweifel und diesbezügliche Argumentationen setzen, da Gerichte sich damit nur selten vertiefter auseinanderzusetzen bereit sind.
  • Nicht allein oder primär auf Diskussionen über Schadenshöhen und Kosten-Reduzierungen setzen.

Welche sachverhaltlichen Nuancen bei den oben dargestellten drei Revisionsfällen jeweils die entscheidende Rolle spielten, wird sorgfältiger Analyse bedürfen.


Donnerstag, 29. Mai 2014

Bei Filesharing-Klagen: Vorfahrt für mehr Lebenswirklichkeit

Vorfahrt und Himmelfahrt beim Amtsgericht München

 Weniger realitätsferner Verdacht gegen Anschlussinhaber 

 - auch in München  

Nach entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen z. B. aus Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Hamburg, Hamm, Köln und Hannover öffnet sich nun auch vermehrt beim Amtsgericht München der Himmel für mehr Realitätssinn bei der oft grundlosen und haltlosen Filesharing-Verdächtigung gutgläubiger Internetanschlussinhaber. Die Kollegin Rechtsanwältin Martina Lehner berichtet über eine weitere auf Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten gerichtete P2P-Klage, die mit Urteil des AG München vom 07.05.2014, Az. 171 C 24437/13, abgewiesen wurde.

Tatsächlicher Verdacht? 
Der Amtsrichter aus München erkannte im Zusammenhang mit der in zahlreichen Filesharing-Abmahnungen überstrapazierten Rechtsfigur der „tatsächlichen Vermutung“ doch „diverse Schwierigkeiten“, weil auch nach seiner Auffassung nicht erkennbar ist, aus welchen tatsächlichen Anknüpfungspunkten überhaupt ein schlüssiger Generalverdacht gegen den jeweils verklagten Anschlussinhaber aufgestellt bzw. konstruiert werden soll. Worauf soll sich eine angebliche „tatsächliche Vermutung“ stützen, dass gerade der jeweilige Anschlussinhaber für die vermeintlich festgestellte Rechtsverletzung verantwortlich ist? Entspricht ein derartiger Verdacht wirklich den aktuellen gesellschaftlichen, häuslichen und familiären Lebensrealitäten?
Auch dem Münchener Richter sind keine diesbezüglichen wissenschaftlichen Studien oder empirischen Untersuchungsergebnisse zum Online-Nutzungsverhalten bei häuslichen Internetanschlüssen bekannt und letztendlich widersprachen derartige Verdachtsthesen - zu Recht - seiner richterlichen Überzeugung.
Und die sekundäre Darlegungslast? 
Das Amtsgericht München verlangte im aktuellen Verfahren vom Beklagten, der zur angeblichen Tatzeit nach eigenen Angaben nicht zu Hause war, keine genauere Darlegung zu etwaigen konkreten Nutzungs- bzw. Verletzungsabläufen. Dem Amtsrichter genügte der Hinweis des Beklagten auf die grundsätzliche Möglichkeit der berechtigten Nutzung des häuslichen Internetanschlusses durch bei ihm wohnende bzw. im Besitz der Wohnungsschlüssel befindliche erwachsene Kinder des Abgemahnten, die selbständig und eigenverantwortlich auf den familiären Internetanschluss zugreifen konnten.
Es bestand insofern also die durch Tatsachen begründete Möglichkeit eines alternativen Geschehensablaufs, wodurch die etwaige „tatsächliche Vermutung“, soweit man überhaupt von einer derartigen „Verdächtigung“ ausgehen kann, zumindest erschüttert wurde.
Die Abmahnungswolken lichten sich also - trotz bisheriger, teilweise engerer Sichtweisen des Landgerichts München I - auch im Süden zunehmend.

Sonntag, 19. Mai 2013

Das P2P-Pfingstwunder oder Der Filesharing-Geist

Eine Glosse über die fromme Sprache und den süßen Wein der Abmahnung


 


Und als der Tag von Pfingsten und Kommunikationsfreiheit erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah schnell ein Browser vom Himmel wie eines gewaltigen Daten-Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie an ihren Rechnern, Laptops, Tabletts und Ultrabooks saßen. Und es erschienen ihnen Zungen und Hashwerte, zerteilt und geteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und sie wurden alle voll des Filesharing-Geistes und fingen an, zu predigen und zu mahnen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab gefährliche Unterlassungserklärungen auszusprechen.

Es waren aber Abgemahnte und als Störer Verschriene in den Netz-Gemeinden, an den IP-Adressen und an den Hot Spots wohnend, die waren gottesfürchtige Frauen und Männer aus allerlei Volk, das unter dem Internet-Himmel ist. Da nun diese vermeintlich jüngstrichterliche Abmahnstimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit ihrer und seiner Sprache über ihren und seinen Internetanschluss, über Lieder und Choräle, Bücher und Spiele, Taufen und Tauschbörsen redeten und über Lizenzanalogien spekulierten.

Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da rasch reden, aus Geldiläa? Oder doch frommer aus Waldorf? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache und seinen Dialekt, darin wir geboren sind? Hamburger und Frankfurter, Münchener und Berliner, und die wir wohnen in Mecklenburg-Vorpommern und in Bavaria, Ludwigshafen und Kaltenkirchen, Colonia und Ostfriesland, Baden-Württemberg, Bielefeld und Norderney, Lipperland, Münsterland und an den Enden von Schleswig-Holstein bei Flensburg und Ausländer von Rom, wie auch Polen und Türken: wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten der Rechteverwerter reden.

Sie entsetzten sich aber alle und drohten, irre zu werden, und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Die andern aber hatten's ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

Prosit und frohe Pfingsten.
(sehr frei nach Lukas)

Freitag, 2. November 2012

Filesharing-Abmahnung ohne Strom? Urlaub für Täter- und Störerhaftung?

Es wird nicht leichter für Filesharing-Abmahnungen - selbst auf Kölner Terrain: Auf ein neues Urteil der 28. Zivilkammer des Langerichts Köln vom 24.10.2012 ( Az. 28 O 391/11) weisen die Rechtsanwälte Wagner Halbe hin.

Nach der insoweit richtungsweisenden Entscheidung des OLG Köln vom 16.05.2012 (Az. 6 U 239/11) und dem die dortigen Vorgaben aufgreifenden Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 = 353/11) hat nun auch die zuvor recht großzügig mit P2P-Abmahnungen umgehende 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts sich kritischer als sonst mit Filesharing-Vorwürfen von Warner, Universal, EMI und Sony Music auseinandergesetzt. Dennoch gibt das aktuelle Urteil keinen Anlass zu Über-Interpretationen, wenn auch neben den immer klarer gezogenen Grenzen einer Täter- und Störerhaftung zunehmende Zweifel an den Recherche-Methoden auftauchen.

Zum zugrundeliegenden Sachverhalt führt das Landgericht u. a. aus:
...
Die Klägerinnen haben ... die Firma pro Media GmbH mit der Ermittlung solcher Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Diese ermittelte, dass am 19.06.2007 um 15:04:56 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, mittels einer Tauschbörsensoftware insgesamt 2.200 Audiodateien zum Download verfügbar gemacht wurden.
...
Die Klägerinnen stellten daraufhin am 20.06.2007 Strafanzeige. Nach der in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Auskunft der Deutsche Telekom AG als zuständigem Internet-Service-Provider war die vorgenannte IP-Adresse zu dem streitgegenständlichen Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesen. In dem Haushalt des Beklagten lebten seinerzeit dessen Ehefrau sowie dessen zum damaligen Zeitpunkt 16 bzw. 20 Jahre alten Söhne.

Nachdem die Klägerinnen durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakten Kenntnis von der Person des Beklagten erhalten hatten, mahnten sie diesen durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2007 ab und forderten ihn auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte der Beklagte nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Klägerinnen nunmehr Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von EUR 200.000,00 sowie Schadensersatz in Form der Lizenzentschädigung, die Sie pro Musiktitel mit EUR 200,00 beziffern.
...
Die Klägerinnen beantragen, den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 2) EUR 800,00, an die Klägerin zu 3) EUR 200,00 und an die Klägerin zu 4) EUR 2.000,00 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;


2. an die Klägerinnen zu 1) bis 4) zu gleichen Teilen EUR 2.380,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.


...
Er sei mit der gesamten Familie vom 18.-25.06.2007 im Urlaub gewesen und vor Urlaubsantritt seien sämtliche technische Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden. Ein Datentausch über seinen Internetanschluss sei daher zum streitgegenständlichen Zeitpunkt unmöglich gewesen. Im Übrigen hält der Beklagte den Lizenzschaden für übersetzt, ebenso die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten: der zu Grunde gelegte Gegenstandswert sei überhöht und es sei von einer pauschalen Entgeltabrede im Verhältnis der Klägerinnen zu ihren Prozessbevollmächtigten auszugeben.
Abmahnkosten könnten aber auch dem Grunde nach nicht verlangt werden: die Abmahnung sei zu weit gefasst und der Unterlassungsanspruch überdies nicht weiterverfolgt worden.


...
 In den Entscheidungsgründen heißt es dazu u. a.:
...
1. Die Klage ist zulässig, ...
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Nach den unstreitigen familiären Umständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte die behauptete Rechtsverletzung weder selbst begegangen, noch an ihr als Teilnehmer beteiligt war; er ist für sie auch nicht als Störer verantwortlich. Gegen ihm bestehen daher weder Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten (§§ 683, 670 BGB) noch auf Schadenersatz (§ 97 UrhG); ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung elterlicher Aufsichtspflichten besteht ebenfalls nicht.
a) Der verfolgte Anspruch auf Schadensersatz besteht gegen den Beklagten weder aus § 97 UrhG noch aus § 832 BGB.


aa) Ein Anspruch aus § 97 UrhG scheidet aus, da der Beklagte nach den gegebenen Umständen nicht selbst Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung ist und an diese auch nicht als Teilnehmer beteiligt war.


Gegen den Beklagten spricht zwar im Ausgangspunkt die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen worden ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens). Die Klägerinnen haben mithilfe der Screenshots (Anlage K1) belegt, dass am 19.06.2007, 15:04:56 Uhr über den Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, die aus der Anlage K1 ersichtlichen Dateien mit den Namen von Musiktiteln öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Die Deutsche Telekom AG hat weiterhin ausweislich Anlage K3 bestätigt, dass die vorgenannte IP-Adresse zum vorgenannten Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesenen war. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Screenshots oder der Beauskunftung durch die Deutsche Telekom AG begründen könnten, sind auf den ersten Blick nicht ersichtlich, so dass in einem ersten Schritt davon auszugehen war, dass die streitgegenständliche Verletzungshandlung vom Internetanschluss des Beklagten aus erfolgte.


Allerdings ist die darauf aufbauende tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Beklagten vorliegend schon durch den tatsächlichen Umstand entkräftet, dass außer diesem auch dessen Frau und Kinderzugriff auf den Internetzugang hatten. Die Vermutung der Täterschaft greift bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht ein. Hinzu kommt, dass die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, dass sich der Beklagte mitsamt seiner Familie zum streitgegenständlichen Zeitpunkt im Urlaub befand und PC und Router vom Stromnetz getrennt waren.


Dafür, dass der Beklagte als Anstifter oder Gehilfe an der Tat eines Dritten beteiligt gewesen sein könnte, und aus diesem Grunde auf Schadensersatz haften würde, ist nichts ersichtlich.
bb) Der Beklagte haftet auch nicht nach § 832 BGB wegen der Verletzung von elterlichen Aufsichtspflichten auf Schadensersatz, da nicht ersichtlich ist, dass die Rechtsverletzung durch einen zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Sohn erfolgte.
b) Die Klägerinnen können von dem Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beanspruchen. Aus Schadensersatzgesichtspunkten besteht ein solcher Anspruch nicht (s.o.). Den Klägerinnen steht darüber hinaus auch kein Anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB ) zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haftet der Beklagte auch nicht als Störer für die behauptete Rechtsverletzung, so dass die Abmahnung unberechtigt erfolgte.


Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Allerdings darf die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben; sie setzt daher die Verletzung von Prüfpflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung nach den Umständen zumutbar ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08).
aa) Eine solche Prüf- und Kontrollpflicht nimmt die Kammer in Bezug auf die Überlassung eines Internetanschlusses an minderjährige Kinder an. Die Überlassung des Internetanschlusses an minderjährige Kinder begründet - nicht zuletzt auch als Ausfluss elterlicher Aufsichtspflicht – die Verpflichtung des überlassenden Anschlussinhabers, das Kind über die Wahrung von Rechten Dritter zu belehren und das Verhalten des Kindes regelmäßig darauf hin zu kontrollieren.


Gleichwohl kann insoweit nicht von einer Störerhaftung des Beklagten ausgegangen werden, da nicht feststeht, dass die Rechtsverletzung gerade durch den minderjährigen Sohn des Beklagten begangen wurde.
bb) Ob auch die Überlassung des Internetanschlusses an erwachsene Haushaltsangehörige oder Dritte entsprechende Prüf- und Kontrollpflichten mit sich bringt, die eine Störerhaftung begründen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Rechtsverletzung nicht durch eine Person begangen worden ist, der der Beklagte den Internetanschluss überlassen hat. Sämtliche Personen, die Zugang zu diesem Internetanschluss hatten, befanden sich danach zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung im Urlaub auf Mallorca. Dies hat die Zeugin X übereinstimmend mit dem vorgelegten Mietvertrag bekundet und die Kammer hat keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden.


Soweit die Klägerinnen in diesem Zusammenhang einwenden, die körperliche Anwesenheit sei für die Teilnahme an Filesharing-Programmen weder Voraussetzung noch auch üblich, stimmt die Kammer dem im Grundsatz zu, hält dies aber bei einer einwöchigen Urlaubsabwesenheit für fernliegend. Hinzu kommt, dass angesichts der Aussagen der Zeugen Y und Z davon auszugehen ist, dass PC und Router vom Stromnetz getrennt waren (s.u.).
cc) Eine Störerhaftung des Beklagten ließe sich danach nur noch damit begründen, dass die Rechtsverletzung durch ein rechtsmissbräuchlichen Zugriff Dritter auf den Internetanschluss des Beklagten erfolgt ist und der Beklagte diesen Zugriff ermöglicht hat, indem er den Internetanschluss nicht ausreichend gegen Zugriffe durch Dritte gesichert hatte. Insoweit hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ (s.o.) erkannt, dass den Betreiber eines W-Lan-Anschlusses eine Prüfpflicht hinsichtlich ausreichender Sicherheitsmaßnahmen treffe. Diese gehe zwar nicht so weit, dass der private W-Lan-Betreiber das Netzwerk stets dem neuesten Stand der Technik anpassen müsse. Die Prüfpflicht beziehe sich aber auf die Einhaltung der im Kaufzeitpunkt des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.

Ob die Sicherung des Routers des Beklagten diesen Anforderungen entsprach, ist zumindest zweifelhaft. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Router vom Stromnetz getrennt war. Sowohl der Zeuge Y als auch der Zeuge Z haben bekundet, dass die Ehefrau des Beklagten vor Urlaubsantritt durch das ausgegangen ist und die elektrischen Geräte vom Stromnetz getrennt hat. Die Zeugen haben insoweit ausgeführt, dass die Mutter dies immer so mache und auch an diesem Tage so gehandelt hatte. Zwar hat keiner der Zeugen direkt gesehen, dass die Mutter auch den im Büro befindlichen Router vom Stromnetz getrennt hat; der Zeuge Z hat jedoch beobachtet, dass seine Mutter im Zusammenhang mit dem Ziehen der Stecker vor Urlaubsantritt auch im Büro in der Ecke tätig gewesen sei, in der sich die Stecker befunden haben. Die Kammer geht auf der Grundlage dieser Aussage davon aus, dass die Mutter regelmäßig die Stecker gezogen hat und dass dies auch an diesem Tag geschehen ist. Auch wenn nicht unmittelbar von den Zeugen bestätigt werden konnte, dass die Mutter auch just den Stecker des Routers entfernt hat, hat die Kammer doch – vor dem Hintergrund der detaillierten Schilderung zum üblichen Verhalten der Mutter – keine Veranlassung anzunehmen, dass dies nicht geschehen sein könnte. Auch hat die Kammer keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden....
Bleibt festzuhalten: Die ganze Familie in Urlaub und Router und Computer vom Stromnetz getrennt. Da bleibt nicht viel mehr als die Abweisung der Klage mangels Täterhaftung und mangels Störerhaftung.

Gleichzeitig fragt man sich bei derartiger Konstellation allerdings rasch: Wie verlässlich oder wie fehlerhaft sind die "Ermittlung" der dynamischen IP-Adresse, deren Zuordnung zum vermeintlichen Anschlussinhaber und die Prüfung der vermeintlich festgestellten Datei-Identität? Sind die Ermittler urlaubsreif?

Samstag, 13. Oktober 2012

Filesharing-Abmahnung und Familie: Keine Sippen-Störerhaftung im Urheberrecht



Langsam wird die Luft für die Abmahnungs-Lobby immer dünner. Fragwürdige Anti-Piracy-Ermittlungssoftware, kritische Trojaner-Diskussionen, Schelte an Abzock-Mentalität und Pranger-Taktik, differenzierte Signale vom Bundesverfassungsgericht und nun zunehmende Begrenzung der in den Filesharing-Abmahnungen ausufernd ge- oder missbrauchten Störerhaftung für Familien-Angehörige nun auch durch ein Urteil des viel gescholtenen Landgerichts Köln.

Die zur pauschalen Unterstellung ausgeartete Vermutung, dass der Internetanschlussinhaber vermeintlich festgestelltes und vermeintlich dokumentiertes illegales Filesharing und daraus abgeleitete Rechtsverletzungen angeblich täterschaftlich begangen, unterstützt, zugelassen oder in verantwortlicher Weise als sogenannter Störer ermöglicht habe, geht bei einem von einer Familie genutzten Internetanschluss zunehmend ins Leere.

Die Kollegen Ferner und Stadler befassen sich erhellend mit der aktuellen Entscheidung der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (33 O 353/11), das seine klageabweisende Entscheidung m. E. differenziert und überzeugend begründet – ohne Diskrepanz zum Urteil des Ersten Zivilsenats des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) – Sommer unseres Lebens – und im Einklang mit der im LG-Urteil umfangreich zitierten aktuellen Rechtsprechung des OLG Köln vom 16.05.2012.

Der demgegenüber für einige als Alarm und Rückschlag empfundene, recht rechteinhaber-freundliche BGH-Beschluss vom 19.04.2012 (I ZB 80/11) betrifft nicht Fragen der Täter- oder Störerhaftung, sodass man m. E. durchaus optimistisch sein darf in Richtung auf eine zunehmende auch höchstrichterliche Tendenz, mit einer ausufernden Filesharing-Haftung kritischer und sachgerechter umzugehen.

Hoffnung macht dabei auch der Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2012 (1 BvR 2365/11), in dem es zwar primär um verfahrensrechtliche und verfassungsrechtliche Bewertungen geht, in dem  die höchsten deutschen Richter allerdings zwischen den Zeilen (und mit Beschlusszitaten des OLG Frankfurt) ziemlich deutlich gezeigt haben, mit welchen Bewertungen zur Störerhaftung man in Karlsruhe “sympathisiert”.

Die neuen richterlichen Bewertungs-Tendenzen sind dabei durchaus kein Freibrief für sanktionslose illegale Rechtsverletzungen oder unsubstantiiertes bzw. ungeschicktes Verteidigungsvorbringen, allerdings auch keineswegs als "Lästigkeits"-Reaktion der Richterinnen und Richter ob der zunehmenden Klagehäufigkeit nach erfolglosen Filesharing-Abmahnungen abzutun, sondern entsprechen vielmehr sachgerecht und sauber subsumierend den geltenden gesetzlichen Regelungen aus dem Urheberrecht, dem Delikts- und Haftungsrecht sowie dem Verfassungsrecht. Pauschale Sippenhaft zu Lasten ganzer Familien war und ist mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.

Eine bloße Filesharing-Vermutung gegenüber einer mit Internetanschluss ausgestatteten Familie macht noch keinen Abmahnungs-"Sommer".

Montag, 6. August 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (3)

Teil 3:

Der Gutachter soll die "Messung" vom Filesharing-"Blitzer" prüfen

 - mit Update vom 09. Februar 2013 -


Jetzt kommt verkehrs-technischer Sachverstand vom Sachverständigen: Das Amtsgericht München nimmt die Ermittlungssoftware der Firma ipoque GmbH aufs Korn.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen.

Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007. Das engagierte Bemühen des Gerichts, den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden, scheiterte - obwohl das Gericht den Inhaber eines Internetanschlusses haftungsmäßig mit dem Halter eines PKWs zu vergleichen versuchte.

Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber vermeintlich dramatische Beweislasten vor Augen. Es verwechselte dabei m. E. "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist.
Das Gericht erklärte, es sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei, woraufhin der Anwalt des Beklagten anmerkte, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind.

Und so ist nun der folgende Beweisbeschluss ergangen (orthographische und interpunktionelle Fehler werden mitzitiert):

"I.         Es ist Beweis zu erheben über die Behauptungen der Klageparteien,


1. 
In den in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) aufgeführten Zeiträumen protokollierte die Software "PFS", der Firma ipoque GmbH, dass ausgehend von einem Rechner, der über die jeweils dort aufgeführte IP Adresse mit dem edonkey Netzwerk verbunden war, jeweils eine Datei mit dem jeweils dort genannten File-Hash-Wert vervielfältigt und zum Download angeboten wurde.

2.
Die jeweiligen Dateien, die in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) genannt sind, mit den jeweiligen File-Hash-Werten enthielten die jeweils aufgeführten Hörbücher/Werke:

"Unsichtbare Spuren", File-Hash: ...
"Nacht über den Wassern", File-Hash: ...
"Das Methusalem-Komplott", File-Hash: ...
"Der Schwarm", File-Hash: ...
"Eine Billion Dollar", File-Hash: ...
"Eisfieber", File-Hash: ...
"Die Pfleiler der Macht", File-Hash: ...

durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu I.

 II.         Zum Sachverständigen wird bestimmt:

                   ...
                   ...
                   ... München



 III.        Der Klagepartei wird aufgegeben den Netzwerkmitschnitt der hier gegenständlichen Verletzungsdaten dem Sachverständigen zur Erstattung seines Gutachtens auszuhändigen.


 IV.        Die Klagepartei hat einen Auslagenvorschuss von 6.000,00 € einzuzahlen.
Die Versendung der Akten zum Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, dass bis spätestens 14.08.2012 die Einzahlung des Auslagenvorschusses dem Gericht nachgewiesen wird."


Der gerichtlich bestimmte Sachverständige aus München zeichnet sich durch ausgewiesene Expertise und anscheinend gründliche Vorgehensweise aus - ohne Angst vor längeren Fahr- oder Flugstrecken. Der Kollege Stadler berichtet aus einem parallelen Filesharing-Klageverfahren beim Amtsgericht München, wo derselbe Sachverständige für die vergangene Woche einen Ortstermin in den Räumlichkeiten des Recherche-Unternehmens angesetzt hat und das Amtsgericht München durch Beschluss vom 25.07.2012 dem abgemahnten Beklagten gestattet hat, eine sachkundige Person vom Chaos Computer Club quasi als Beifahrer zum Ortstermin nach Leipzig mitzunehmen.

Die Einbahnstraße in die Filesharing-Abmahnung muss also nicht unbedingt eine Sackgasse sein. Das gilt übrigens auch deshalb, weil es auf die Klärung der oben zitierten Beweisfragen und damit das Ergebnis des aktuell in Auftrag gegebenen Sachverständigen-Gutachtens nicht einmal allein streitentscheidend ankommen muss.

Fortsetzung folgt.


Update vom 09. Februar 2013:

Nun konnte doch noch - mit viel Geduld und konsequenter Verhandlung - eine "recht und billige" außergerichtliche Lösung erzielt werden - unter angemessener Berücksichtigung der in diesem Fall vorgebrachten sachverhaltlichen, technischen und rechtlichen Argumente und weit unterhalb der Abmahnungs- und Klageforderungen - auch ohne teure sachverständige Untersuchung technischer Fragen. 

In einigen Parallelverfahren liegen allerdings nach meinem Informationsstand zwischenzeitlich Sachverständigengutachten vor, deren Inhalte und Bewertungen aber wohl noch nicht vollständig außer Streit stehen und im Übrigen ja ohnehin nicht alle entscheidungserheblichen Fragen klären können.



Zuvor im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Und davor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Samstag, 30. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (2)

Teil 2:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt immer noch.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen. Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007.
Das Gericht hatte mit bemerkenswerter, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschreitender Sprech-Geschwindigkeit in den Sach- und Streitstoff eingeführt und bemühte sich erkennbar darum, möglichst innerhalb der zunächst angesetzten 30-minütigen Verhandlung den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden. Die Vergleichsbereitschaft des Internetanschluss-Inhabers sollte mit einem - nach den Worten des Gerichts - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses, beflügelt werden: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren sei.

Die - ohnehin und insbesondere auch in ihren konkreten Anwendung - umstrittene Störerhaftung ist allerdings nicht wirklich seriös mit der verkehrsrechtlichen Halterhaftung vergleichbar: Für Internetanschlüsse gibt es (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften. Die von der Rechtsprechung entwickelte urheberrechtliche Störerhaftung verlangt - anders als die Halterhaftung - zudem die Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten. PKW und Router: Ein verkehrs- und urheberechtlich vollkommen "verunglückter" Vergleich also. Der LAN-/WLAN-Router ist eben kein PKW. 
Da hilft es auch nichts, dass die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage wieder mal zu zweit bei Gericht erscheinen, also praktisch mit "Beifahrer" - oder man könnte auch, humorvoll und nett gemeint, sagen: Wie "Waldorf und Statler".
Der engagierte Amtsrichter meinte dann, es gehe ihm darum, "gewisse Wahrscheinlichkeiten nachzufragen."

Damit sind wir beim Thema "Beweislast im Filesharing-Verkehr" angekommen:
Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber dramatische Beweislasten vor Augen, m. E. so dramatisch wie falsch: Tatsächlichen Vermutungen dürfe nicht mit anderen Vermutungen begegnet werden. Unwägbarkeiten gingen zu Lasten des Internetanschluss-Inabers. Ja, dann ist ja alles klar. Keine Chance für Internet-User.

Nein. Das Gericht verwechselt anscheinend "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist. 
Insoweit werden gleichzeitig - wie so oft - eingeschränkte Beweisführungspflichten mit weitergehenden Beweislasten verwechselt.

Ist das der gerichtliche Filesharing-Beweislaster-Schwerverkehr oder der schwer lastende Verkehrsbeweis bei Filesharing-Gerichten oder sind das die verkehrten Gerichtslasten bei schweren Filesharing-Beweisen? Es gipfelte jedenfalls - wie gesagt - in der gerichtlichen Kundgabe: "Unwägbarkeiten gehen zu Lasten des Beklagten."

Das Gericht erklärte, nach seiner Kenntnis sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei. Der Anwalt des Beklagten wies darauf hin, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit erstmalig entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind. Aussagekräftige Gutachten liegen bis heute nicht vor, schon gar nicht zu Lasten von Abmahnungsempfängern.

Auch die beiden anwesenden Rechtsanwälte der klagenden (Hör-)Buch-Verlage konnten nichts Gegenteiliges darlegen.
Ein Vergleich - bis auf den zwischen PKW und Internet-Router - ist in dieser Angelenheit bisher nicht zustande gekommen. Zu viel verkehrter Filesharing-Verkehr zu Lasten des Beklagten.

Das verfahrene Verfahren geht weiter.

Fortsetzung folgt.


Und zuvor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Mittwoch, 27. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München

Teil 1:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt:

Amtsgericht München Pacellistraße
Keine krachlederne Verhandlungsführung - nein, eine von erkennbarer Aktenkenntnis des promovierten Richters geprägte Einführung in den Sach- und Streitstand. Es geht um die Filesharing-Abmahnung von drei (Hör-)Buch-Verlagen, aus denen mittlerweile zwei Verlagskonzerne geworden sind. Diese fordern Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten vom Beklagten, der auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007 der Verletzung von Urheberrechten per Online-Tauschbörse verdächtigt wird.

Der Verkehrsfunk von Radio Arabella hatte im Taxi vom Münchener Flughafen in diePacellistraße eine freie Fahrt und keine Verkehrsstörungen vorhergesagt. Und so war es auch. Bis zur pünktlichen Ankunft bei Gericht.

Die sehr konzentrierte richterliche Zusammenfassung der  zuvor schriftsätzlich anwaltlich gewechselten Standpunkte erfolgte in einer bewundernswerten gerichtlichen Sprech-Geschwindigkeit, die - gefühlt - die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschritten hat. Wäre der Beklagte nicht zuvor eingehend von seinem Anwalt über alle relevanten materiell-rechtlichen und verfahrens-rechtlichen (das hat manchmal auch mit "sich verfahren" zu tun ;-) Gesichtspunkte eingehend unterrichtet worden, hätte der juristische Laie der Verhandlung wohl kaum folgen können - weder zu Fuß, noch mit dem Auto. Für den Verhandlungstermin nach über 100 anwaltlichen Schriftsatzseiten (zzgl. umfangreicher Anlagen) waren allerdings auch nur 30 Minuten angesetzt. Das erwies sich als knapp bemessen. Aber zunächst einmal Schluss mit dem Thema "Raserei" in "Zone 30".


Auf konkretere Sachverhalt-Details wird evtl. zu späterer Zeit einzugehen sein. Hier im ersten Teil dieser Filesharing-Verkehrs-Glosse soll es zunächst um einen Gesichtspunkt gehen:

Die Halterhaftung für Autos.

Das Gericht führte - wie in München insbesondere bei Filesharing-Verfahren (nomen est omen, s.o.) bewährt - intensive Vergleichsgespräche, woran grundsätzlich natürlich nichts auszusetzen ist. Die Mandanten sollten auch prozess-ökonomische Überlegungen nie außer Acht lassen und es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Gerichts, gerade in der Güteverhandlung den Versuch der einverständlichen Lösung einer evtl. verfahrenen (!) Streit-Situation zu unternehmen.

Im hier betroffenen Streit um Täterhaftung und Störerhaftung beim vermeintlichen Filersharing-Verkehr wagte das Gericht allerdings eine Vergleichs-Förderung und -Forderung mit einem - nach eigenen Worten - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren ist.

Das diese Beispiel nicht nur ein schlechtes, sondern ein sehr schlechtes Beispiel zur Darlegung bzw. Begründung der Störerhaftung ist, wurde selbstverständlich anwaltlich sofort unmissverständlich vorgetragen - unter anderem unter Hinweis darauf, dass es für Internetanschlüsse (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften gibt. Entlarvend für eine unangemessene Ausweitung des richterlich entwickelten Rechtsinstituts der Störerhaftung ist das unglückliche oder verunglückte Beispiel allemal. Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage waren übrigens wieder mal zu zweit erschienen, praktisch mit "Beifahrer".

Und demnächst im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr

Fortsetzung folgt.

Donnerstag, 17. Mai 2012

P2P-Abmahnung in der Finnen-Sauna: Offenes WLAN und EU-Recht

Finnische Abmahnungs-Sauna: Die Finnen bringen die Abmahn-Lobby in's Schwitzen. Ein dortiges Bezirksgericht gab einer Internet-Anschlussinhaberin Recht und wies eine auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Filesharing-Klage unter Hinweis auf europäisches Recht ab.

Auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwälte aus Helsinki berichten über einen aktuellen Tauschbörsen-Prozess, in dem das Finnish Anti-Piracy Centre, ein Verband der finnischen Unterhaltungs- und Rechteverwerter-Industrie, die Bewohnerin eines früheren Schulgebäudes angegangen ist.

Den P2P-Vorwürfen liegt ein angeblich 12-minütiger Filesharing-Vorgang vom Juli 2010 zugrunde, der über den unverschlüsselten WLAN-Zugang der Beklagten erfolgt sein soll. Gleichzeitig - allerdings wohl nicht nur 12 Minuten lang - fand auf dem Gelände der früheren Schule eine Sommer-Theater-Veranstaltung statt mit ca. 100 Besuchern. Die Beklagte war zur fraglichen Zeit nicht zu Hause und sollte nun ca. 6.000,00 Euro an die Rechteverwerter zahlen.

Das Gericht stützt seine Klageabweisung maßgeblich auf finnische Umsetzungsgesetze zur E-Commerce-Richtlinie, zur Urheberrechtsrichtlinie sowie zur Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Die Klägerseite habe eine rechtlich beachtlichen Beweis für eine Beteiligung oder Verantwortlichkeit der Anschlussinhaberin nicht erbracht. Unter Berücksichtigung der vorerwähnten EU-Richtlinien könne die Internet-Anschlussinhaberin nicht allein deshalb für etwaige Urheberrechtsverletzungen Dritter haften, nur weil sie den Internetanschluss nicht verschlüsselt habe.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der klagende und "ins Schwitzen" geratene Anti-Piraterie-Verband wird voraussichtlich Berufung einlegen. Die Anwaltskollegen Ville Oksanen und Lassi Jyrkkiö aus Helsinki wollen erforderlichenfalls eine Entscheidung des EuGH herbeiführen. Das weitere Verfahren ist insbesondere wegen der in der Vergangenheit ausufernden und unverhältnismäßigen Bemühungen der Abmahn-Lobby, das ohnehin zweifelhafte Rechtsinstitut der Störerhaftung inflationär überzuinterpretieren bzw. zu missbrauchen, hochinteressant. Über die diesbezüglich aktuell erfreulich kritische Tendenz des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits berichtet. Auch für Hotspots wird der Prozess-Fortgang von großem Interesse sein.

Ich drücke die Daumen und bleibe am Ball.


Freitag, 2. Dezember 2011

Abmahnungspost vom Nikolaus: Eine Checkliste zur modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung nach Filesharing-Abmahnung

Wegen zahlreicher Nachfragen hier eine kurze Checkliste der wesentlichen Aspekte beim Umgang mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen insbesondere nach einer Filesharing-Abmahnung. Was ist zu klären, um die im konkreten Einzelfall optimalste modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung zu gewährleisten?

  • Ist die Abmahnung überhaupt grundsätzlich schlüssig, oder haften ihr bereits so viele Fehler und Ungereimtheiten an - oder handelt es sich um eine der im Umlauf befindlichen "Fake"-Abmahnungen, die ohnehin jede Reaktion überflüssig machen?
  • Wem gegenüber soll ich im konkreten Fall die Erklärung tatsächlich in welcher Form abgeben?
  • Für wie groß halte ich das Risiko, dass während der mich nach der Unterlassungserklärung lebenslang bindenden Verpflichtung durch Dritte aufgrund von mir ggf. zu verantwortender Nichteinhaltung üblicher Sicherheitsstandards über meinen Internetanschluss Urheberrechte des Abmahners verletzt werden?
  • Enthält die Unterlassungserklärung ungewollt eine - vielleicht auch nur mittelbare -  Verknüpfung der zukünftigen Unterlassungs- und Vertragsstrafen-Verpflichtung mit weitergehenden Anerkenntnissen - wie z. B. Schadensersatz- oder Kostenerstattungs-Versprechen?
  • Genügt die Erklärung andererseits den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung an eine ausreichend ernsthafte und rechtsverbindliche Erklärung?
  • Wird fälschlicherweise ein "Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs" verlangt?
  • Wird mit der Vertragsstrafen-Zusage der falsche Eindruck vermittelt, zukünftig auch für unverschuldete Verstöße zu haften, obwohl ich dazu eigentlich nicht verpflichtet bin?
  • Ist im konkreten Einzelfall und vor dem Hintergrund der speziellen Risiken und Erwartungen eher eine möglichst eng am vorgeworfenen Verstoßsachverhalt orientierte oder eher eine weite Fassung des Verbotes innerhalb der Unterlassungserklärung sinnvoll und interessengerecht?
  • Möchte ich in der Unterlassungserklärung bereits eine konkret bezifferte Vertragsstrafe festlegen oder lieber nach dem sogenannten "Neuen Hamburger Brauch" die etwaige, zukünftig angemessene Vertragsstrafe in das gerichtlich (nicht immer nur landgerichtlich!) überprüfbare billige Ermessen des Unterlassungsgläubigers stellen und zusätzlich eine von der Rechtsprechung erlaubte, oft übersehene Obergrenze bestimmen?
  • Sollte und darf ich die Unterlassungserklärung im Einzelfall befristet und/oder bedingt abgeben und welche etwaigen auflösenden Bedingungen empfehlen sich insbesondere?
  • Welche weiteren Hinweise und Argumente sind in Reaktion auf die konkrete Abmahnung der modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung beizufügen, um anlässlich der erhaltenen Abmahnung möglichst zielführend und interessengerecht zu agieren und anschließende gerichtliche Verfahren und Kosten zu vermeiden?