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Dienstag, 12. April 2022

Emojis, Meinungsfreiheit und verletzte Gefühle

 

Emojis können verschiedenste Meinungen und Gefühle mitteilen.

 Nur zur Erinnerung: Das Grundgesetz schützt – wenn auch nicht schrankenlos – das Recht, seine Meinung „in Wort, Schrift und Bild“ frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 des Grundgesetzes). 

Als Bilder mit zusätzlichem ansatzweisem Schriftcharakter stellen sich auch die sog. Emojis dar. Und im digitalen Zeitalter der sog. „sozialen“ Medien und unzähliger Gelegenheiten, online zu kommentieren und zu bewerten, spielen die kleinen, mal niedlichen, ein anderes Mal hässlichen digitalen Piktogramme eine zunehmende Rolle.

 

Da wird gelacht und geweint, gestaunt und geblinzelt, gestrahlt und gemeckert, geküsst und gewunken, geschwitzt, gefürchtet und getrauert. 


Kann man damit die Rechte anderer verletzen? 

Was man allgemein mit einem klaren Ja, einem gehobenen Daumen, beantworten kann, lässt sich im jeweiligen Einzelfall keineswegs immer so einfach und so eindeutig beurteilen. Wie im analogen Leben kommt es auch in der digitalen Welt häufig auf den Kontext und den Gesamtzusammenhang bzw. die Begleitumstände an. 

Dazu gehören u. a. der vorausgegangene Kommunikationsverlauf, die typischen Kommunikationsweisen auf der jeweils benutzten Plattform und der sog. „Empfängerhorizont“ des  Adressaten und des erreichbaren Publikums respektive der Follower.

Da werden Richterinnen und Richter bei der Klärung etwaiger Rechtsverletzungen keinen leichten Job haben, müssen sie sich doch in die Wahrnehmung eines „unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums“ hineinversetzen. 

Die Juristen haben dann zu klären, ob Persönlichkeitsrechte verletzt wurden und ob sich daraus im konkreten Fall Unterlassungs-, Löschungs- und Entschädigungsansprüche ergeben. 

Dabei kommt es insbesondere auf den jeweiligen Sinngehalt an, der der streitgegenständlichen Emoji-Verwendung zu entnehmen ist. 


Emojis können, das soll nicht vergessen werden, so viel: 

Sie betonen, verstärken oder dramatisieren die Aussage, sie können aber auch vorausgegangene schärfere Formulierungen abmildern, Statements Dritter kommentieren, eigene Positionen klarstellen oder unterschiedliche Gefühle wie Liebe, Trauer, Angst, Wohlwollen und Hass transportieren. 

Nutzen wir die vorhandene Vielfalt an kleinen Gesichtern, Gegenständen, Symbolen und Gesten nicht als destruktive Waffenkammer, sondern als Schatzkiste wortloser – aber nicht sprachloser – Emotionen, als kleine kommunikative Hilfe bei empfundener Sprachlosigkeit und vielleicht als hoffnungsvolle Brücke zu nachfolgend wiedergefundener Sprache.

 

Mittwoch, 3. März 2021

Kerniger Meinungskampf unter blutigem Verdacht

Eine boshafte Glosse 
zu Meinungsfreiheiten, Tatsachenkernen und Geisteshaltungen

Wer seine Meinung äußert, hat es oft nicht besonders leicht. Die Schere im oder der Maulkorb vor dem Kopf sind durchaus anzutreffende Utensilien. Da wird dann nicht selten über die Frage zulässiger Meinungsäußerung oder unzulässiger Tatsachenbehauptung gestritten. 

Eins ist klar, wenn der Meier „meint“, der Müller habe den Lehmann umgebracht, und das dann auch gegenüber Dritten oder gar öffentlich auf dem analogen oder digitalen Marktplatz äußert, dann ist das keine Meinungsäußerung, sondern eine Tatsachenbehauptung. Eine derartige Tatsachenäußerung ist grundsätzlich dann, wenn sie der Wahrheit entspricht, zulässig; anderenfalls ist sie selbstverständlich grundsätzlich unzulässig. Das hat dann nämlich mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. 

Grundsätzlich im vorgenannten Sinne bedeutet, dass auch wahre Tatsachen keineswegs immer und überall aufgestellt bzw. verbreitet werden dürfen. Gerade die Wahrheit kann ja bekanntlich weh tun, also verletzen und damit auch Rechte verletzen. Berührt werden können dabei insbesondere persönliche Persönlichkeitsrechte von Personen. Das ist dann für diejenigen nicht immer witzig und nicht selten muss die Waage der Justitia die tangierten wechselseitigen schwereren oder leichteren Rechtsmeinungen abwägen. 

Wenn der Müller meint, der Meier wolle mit seiner bösartigen Aussage lediglich verhindern, selbst in den Verdacht zu geraten, den Lehmann umgebracht zu haben, stellt eine derartige Aussage nach herrschender Rechtsprechung grundsätzlich eine Bewertung, eine Einschätzung und damit eine Meinungsäußerung dar. Diese Meinungskundgabe beinhaltet allerdings gleichzeitig einen sog. „Tatsachenkern“, in diesem Fall die – wenn auch nur angedeutete - Behauptung, es gäbe einen mehr oder weniger plausiblen oder gar begründeten Verdacht gegen den Meier, er habe den Lehmann mehr oder weniger kaltblütig oder blutrünstig umgebracht. 

Die Verbreitung derartiger – eventuell auch blutiger - Tatsachenkerne ist grundsätzlich wiederum dann zulässig, wenn sie der Wahrheit entsprechen. 

Wann entspricht ein Verdacht in diesem Sinne der nackten Wahrheit? 

Ein Verdacht entspricht zweifelsohne jedenfalls dann der Wahrheit, wenn er nachweislich den Tatsachen entspricht. Tatsachen sind nämlich anerkanntermaßen dem Beweis zugänglich, Meinungen demgegenüber leider nicht. 

Aber wie sieht es aus, wenn und solange der tatsächliche Sachverhalt noch verflixt und zugenäht ungeklärt ist? 

Wird ein Verdacht einfach munter „ins Blaue hinein“ geäußert, ist dies selbstverständlich nicht zulässig. Gibt es ernsthafte Anhaltspunkte oder Belege, die den geäußerten Verdacht als solchen begründen, kann eine Verdachtsäußerung durchaus zulässig sein. Dies ist dann u. a. von der gewichtigen Schwere des Vorwurfs und davon abhängig, wie schwer eine entsprechende Behauptung die Person des von der Äußerung Betroffenen und deren Rechte, insbesondere deren Persönlichkeitsrechte, beeinträchtigt. Also müssen etwa für einen Verdacht, den Lehmann umgebracht zu haben, schon ganz besonders gewichtige Erkenntnisse vorliegen. 

Nicht ganz unerheblich ist bei Verdachtsäußerungen zudem, wie groß das Publikum einer derartigen Äußerung ist, wie weit die entsprechende Aussage also verbreitet wird. 

Bösartige Geisteshaltungen

Wie ist es denn zu beurteilen, wenn der Meier äußert, der Müller würde sich über ein zeitnahes Ableben des Lehmanns wahrscheinlich unbändig freuen? Immerhin impliziert dies doch eine angeblich „tatsächlich“ mögliche Geisteshaltung des Müllers, oder? 

Ja, dem ist wohl so; andererseits werden abweichende Einstellungen des Müllers damit nicht ausgeschlossen, was juristisch wiederum den Meinungsanteil überwiegen lässt. 

Sofern es zudem konkrete Anknüpfungspunkte für die behauptete Niedertracht des Müllers gibt, wird der Boshaftigkeitsvorwurf des Meiers hinsichtlich der angeblichen Freude des Müllers folglich als zulässige Meinungskundgabe zu bewerten sein, die nicht an die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verdachtsäußerung gebunden ist. 

Alles klar soweit? 

Wie beurteilt sich denn der Fall, dass der Lehmann hinsichtlich der eingangs zitierten Aussage des Meiers die Einschätzung äußert, dieser wolle ihn ruinieren?

Der Begriff des Ruinierens, nicht zu verwechseln mit dem Begriff des Urinierens, ist kaum genau objektivierbar und primär durch subjektive Bewertungen und Vorstellungen geprägt und beinhaltet deshalb vornehmlich eine Meinungsäußerung. Das ist zumindest meine Meinung. 

Nicht abgedeckt von zulässigen Meinungskundgaben bzw. Bewertungen sind verächtlich machende Herabwürdigungen, bei denen es nicht um eine kritische und vielleicht auch pointierte Auseinandersetzung mit der betroffenen und vielleicht auch getroffenen Person geht, sondern allein deren Ehrabschneidung, Schmähung und Verächtlichmachung bezweckt wird. 

Im Spannungsfeld zwischen Meinungen, Bewertungen, Verunglimpfungen, Verdächtigungen und Tatsachenkernen gibt es viele rechtliche Grauzonen mit diversen Fallstricken und Tretminen. Deshalb verdienen diejenigen, die sich dennoch mutig am Meinungskampf beteiligen, unseren Respekt.

Wer in belastbarerer und spezifischerer Form die unterschiedliche aktuelle Rechtsprechung zum Thema Meinungsfreiheit studieren möchte, der sei exemplarisch verwiesen auf nachfolgend benannte gerichtliche Entscheidungen, in denen es in dem Kontext teilweise zudem um Fotoveröffentlichungen oder die Bereithaltung von früherer Berichterstattung im Internet durch Inhalteanbieter oder Suchmaschinen geht: 

BVerfG NJW 2020, 300; BVerfG NJW 2020, 314; BVerfG NJW 2020, 1.793; BVerfG NJW 2020, 1.824; BVerfG NJW 2020, 2.096; BVerfG NJW 2020, 2.531; BVerfG NJW 2020, 2.873; BVerfG NJW 2020, 3.302; BVerfG BeckRS 2020, 39.777; BVerfG BeckRS 2021, 1.003; NdsStGH MMR 2021, 96; BGH NJW 2020, 45; BH NJW 2020, 2.032; BGH NJW 2020, 3.444; BGH NJW 2020, 3.715; BGH GRUR 2020, 664; BGH GRUR 2020, 1.344; BGH GRUR 2021, 106; BGH AfP 2020, 149 …

  

Freitag, 7. Dezember 2018

Prozessuale Waffengleichheit für Journalisten - Erfolgreiche medienrechtliche Verfassungsbeschwerden


Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 30.09.2018 (1BvR 1783/17 und 1 BvR 2421/17)


Eine unzulässige Verkürzung prozessualer Rechte der Presse - gerade auch im Rahmen gerichtlicher Eilverfahren - hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich untersagt.

Nur einer Prozesspartei erteilte richterliche Hinweise, die teilweise in eine Art einseitiges „Geheimverfahren“ ausarten, und nicht gewährtes rechtliches Gehör samt unzureichenden Erwiderungsmöglichkeiten des jeweiligen Antragsgegners verstoßen gegen das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Dies gilt auch in eiligen presse- bzw. äußerungsrechtlichen Verfahren.

Es handelt sich um leider immer noch vorkommende richterliche Verstöße gegen die Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG.

Und die Bundesrichter des Ersten Senats befürchten, dass sich entsprechende grobe Rechtsverstöße wiederholen.

1. Verfassungsbeschwerde im Verfahren gegen die Kölner Pressejustiz 

1 BvR 1783/17

Kölner Pressejustiz im Fokus des
Bundesverfassungsgerichts
Hier im Bild das OLG in Köln
Worum ging es?
Ausgangspunkt bildete bei diesem Verfahren eine einstweilige Verfügung des LG Köln. Dem Beschwerde führenden journalistisch-redaktionellen Recherchenetzwerk wurden damit Veröffentlichungen untersagt, und zwar ohne Begründung und ohne vorausgegangene Abmahnung und auch ohne jegliche gerichtliche Anhörung. 

Das Recherchenetzwerk hatte aus Protokollen einer Aufsichtsratssitzung zitiert, in der es um Korruptionsvorwürfe gegen das antragstellende Unternehmen im Zusammenhang mit dem Export von U-Booten ging.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht dazu?

Durch die vorerwähnte Verfahrensweise hat das Landgericht Köln nach überzeugender Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts dem Recherchenetzwerk nicht die erforderliche Möglichkeit gegeben, vor der Entscheidung des Landgerichts diesem seine Sicht der Dinge darzulegen, obwohl in keiner Weise erkennbar war, dass etwa ausnahmsweise eine „Überraschungsentscheidung“ notwendig gewesen wäre, um das Rechtsschutzziel des gegen die Journalisten vorgehenden Unternehmens nicht zu gefährden.

2. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren gegen die Hamburger Pressejustiz

1 BvR 2421/17

Geheimverhandlungen beim
Hanseatischen Oberlandesgericht?
Worum ging es?
Dieses Verfahren setzte sich äußerst kritisch mit prozessualen Vorgehensweisen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts in Hamburg auseinander im Zusammenhang mit mehrfach modifizierten Gegendarstellungen. Auch hier ging es um fehlendes rechtliches Gehör, unterbliebene mündliche Verhandlung und zudem um quasi zwischen Gericht und Antragsteller einseitig geführte „Geheimverhandlungen“.

Der äußerungsrechtlich angegangene Presseverlag hatte im Frühjahr 2017 einen redaktionellen Beitrag veröffentlicht darüber, inwieweit ein bekannter Fernsehmoderator als Eigentümer und Vermieter einer Yacht ein Steuersparmodell nutzt. Das Landgericht Hamburg wies die auf Gegendarstellung gerichteten, nach und nach modifizierten ersten drei Eilanträge des Moderators jeweils zurück, ohne den Presseverlag von den Verfahren zu unterrichten. 

Im Beschwerdeverfahren vor dem Hanseatischen OLG wurde dann - nach wiederholten, telefonisch erfolgten richterlichen Hinweisen ohne jede Verfahrensbeteiligung des Verlags – mit OLG-Beschluss vom 05.10.2017 der Presseverlag zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung gerichtlich verpflichtet.

Aus dem Akteninhalt ergab sich, dass der Antragsteller nach einem Telefonat mit einem Richter des Pressesenats seinen ersten Gegendarstellungsantrag zurückgenommen hat. Der danach seitens des Antragstellers angepasste Antrag wurde von der Pressekammer zurückgewiesen. Der Antragsteller stellte daraufhin erneut einen modifizierten Antrag beim Landgericht. Dabei teilte er dem Landgericht schriftsätzlich bemerkenswerter Weise die von ihm ohne jede Beteiligung der Antragsgegnerin in Erfahrung gebrachte Rechtsauffassung des OLG-Senats mit.

Über richterliche Telefonate mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers existieren in der Akte schlicht Aktenvermerke wie „Bedenken erörtert“, was auch den zivilprozessualen Dokumentationsanforderungen nicht genügt.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht dazu?

Das Bundesverfassungsgericht sieht zu Recht die Pressegrundrechte verletzt, da das Hanseatische OLG dem Presseverlag keinerlei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, das vorprozessuale Erwiderungsschreiben des Verlages völlig unberücksichtigt blieb und in einem über vier Monate andauernden Verfahren mit mehrfach abgeänderten Gegendarstellungsanträgen und einseitigen richterlichen Hinweisen die Hamburger Gerichte das verfassungsrechtliche Gebot der prozessualen Waffengleichheit verletzt haben.

Das Bundesverfassungsgericht befürchtet – wie oben bereits erwähnt - die Wiederholung der gerügten richterlichen Rechtsverstöße. Es gilt also, die weitere Rechtsprechungspraxis - insbesondere in Köln und Hamburg - sorgfältig zu verfolgen.



Dienstag, 26. Juni 2018

DSGVO: Mut zum öffentlichen Fotografieren


Fotografieren auf dem schwankenden Boden datenschutzrechtlicher Normen

Wer heutzutage – womit insbesondere die Zeit ab dem 25. Mai 2018 gemeint ist – als Journalist bzw. Fotograf bewegte oder unbewegte Bilder des öffentlichen Lebens erstellt oder gar die Live-Berichterstattung von Sportevents oder ähnlichen Veranstaltungen zu verantworten hat, kann sich häufig nicht von dem Gefühl freimachen, datenschutzrechtlich auf schwankendem Boden unterwegs zu sein.

Selbst wenn man sich vielleicht noch dazu in der Lage sieht, von seinen Interview-Partnern oder von den zuvorderst in Erscheinung tretenden Bild-Akteuren datenschutzrechtliche Einwilligungen – teilweise im mehrseitigem Format – einzuholen, so wird das zumindest hinsichtlich eines im Hintergrund auftauchenden Publikumsverkehrs kaum gelingen.

Was tun?

Gleich vorweg: Eine klare, eindeutige und absolut rechtssichere gesetzliche Regelung existiert dazu aktuell (noch) nicht. Aber es gibt Lösungsstrategien.

Wie war das früher?

Vor Geltung der DSGVO wären die angedeuteten Fälle mehr oder weniger problemlos nach dem Kunsturhebergesetz (KUG) gelöst worden: Danach dürfen Abbildungen von Personen grundsätzlich zwar nur mit Einwilligung des bzw. der Abgebildeten veröffentlicht werden (§ 22 KUG), von diesem Einwilligungserfordernis gibt's dann aber gesetzgeberische Ausnahmen für Bildnisse aus dem Bereich der „Zeitgeschichte“, für Bildnisse, auf denen die Personen nur als „Beiwerk“ neben einer Landschaft oder einer sonstigen Örtlichkeit erscheinen sowie für Bildnisse von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen oder bei einem höheren Interesse der Kunst (vgl. § 23 KUG).

Und heute?

Die neue DSGVO genießt nach Meinung zahlreicher Juristen einen sog. „Anwendungsvorrang“ vor dem KUG.

Nun hat zwar der EU-Gesetzgeber in Art. 85 DSGVO die Mitgliedstaaten aufgefordert, durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschl. der Verarbeitung von Daten zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Zwecken, in Einklang zu bringen. Diese bezüglich der Journalisten als „Presseprivileg“ bezeichnete europarechtliche Vorgabe ist bisher von den dafür zuständigen Landesgesetzgeber aber noch nicht umgesetzt worden. Und das zuvor nach dem alten Bundesdatenschutzgesetz geltende Presse- und Medienprivileg kann gesetzlich nicht mehr herangezogen werden.

Wie sieht eine praktikable rechtliche Lösung aus?

Wenn man sich derzeit dennoch juristisch mit angemessenen, vertretbaren und aktuell handhabbaren Lösungen helfen will, greift man auf die gesetzliche Regelung in Art. 6 Abs. 1 f DSGVO zurück, wonach eine Verarbeitung personenbezogener Daten auch dann rechtmäßig ist, wenn die Verarbeitung „zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen“.

Die grundrechtlich geschützte Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft bewerte ich als jeweiliges berechtigtes Interesse, das dann mit den Grundrechten und Grundfreiheiten der von der Bildberichterstattung betroffenen Personen, mit deren Persönlichkeitsrechten, abzuwägen ist – auch unter Berücksichtigung etwaig berührter öffentlicher Informationsinteressen sowie unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

Insofern landet man dann praktisch auch wieder bei den grundlegenden gesetzgeberischen Erwägungen und Vorgaben des guten alten KUG. Ob diese Landung mit ausreichender Rechtssicherheit vollzogen wird, bleibt aber vorerst nicht unumstritten.

Und was sagt die Bundesregierung?

Immerhin hat sich zu dieser Problematik noch im Frühjahr dieses Jahres in relativ entspannter Art und Weise das Bundesinnenministerium geäußert und ausdrücklich eine vorrangige Fortgeltung des Kunsturhebergesetzes bejaht sowie gleichzeitig insbesondere die grundrechtlich garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit eben als berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 f der DSGVO eingeordnet.

Zu einer übertriebenen eigenen Knechtung und Knebelung per exzessiver datenschutzrechtlicher Selbstzensur und Selbstbeschneidung besteht m. E. also regelmäßig eher kein Anlass.

Finale oder was oft übersehen wird:

Im für viele unübersichtlichen Meer datenschutzrechtlicher Normen sollte im Übrigen nicht aus den Augen verloren werden, dass die DSGVO insgesamt sechs(!) mögliche Rechtsgrundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten vorsieht: Das sind schlagwortartig zusammengefasst 

  • neben der Einwilligung (1) 
  • ein abgeschlossener Vertrag (2)
  • bestehende Rechtspflichten (3)
  • Schutz lebenswichtiger Interessen (4) 
  • öffentliches Interesse (5) 
  • berechtigte Interessen auf der einen Seite abgewogen mit etwaig berührten Schutzinteressen auf der anderen Seite (6). 

Damit gibt es noch viel Stoff, die aktuell aufgewühlten datenschutzrechtlichen Wogen in vielerlei Hinsicht in sachgerechter Weise zu glätten.




Freitag, 3. November 2017

Praxis der Gegendarstellung


OLG Hamm stoppt legere gerichtliche Unarten 


Das OLG Hamm mit begrüßenswerter Gesetzestreue und Formenstrenge
Die gerade auch dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit geschuldeten, vom Gesetzgeber festgelegten Anforderungen an presserechtliche Gegendarstellungen werden an etlichen deutschen Gerichten seit Jahren heruntergeschraubt.
Während noch Einigkeit darüber besteht, dass mit der „Waffe“ der Gegendarstellung ein persönlich Betroffener ausschließlich auf Tatsachenbehauptungen entgegnen kann und nicht etwa auf journalistische Meinungsäußerungen oder Werturteile, wird die Form, in der der Gegendarstellungstext dem Zeitungsverlag bzw. dem Medienunternehmen übermittelt werden muss, richterlich nicht selten contra legem aufgeweicht.  

Pragmatisch ambitionierte Richterinnen und Richter wollen den Betroffenen – zumal in unserer zunehmend schnelllebigeren und technisierteren Medienwelt – die Veröffentlichung einer Gegendarstellung möglichst erleichtern und verhelfen auch lediglich per Telefax übermittelten Gegendarstellungstexten gerichtlich zum Abdruck bzw. zur öffentlichen Zugänglichmachung (so die Praxis bei den Oberlandesgerichten in München, Saarbrücken und Bremen und auch beim Landgericht Köln). 
Anders sieht dies – mit zutreffender und überzeugender Begründung – seit längerer Zeit das OLG Hamburg (Urteil vom 18.05.2010, Az. 7 U 121/09, unter Bezugnahme u. a. auch auf das Urteil des BGH vom 30.03.1997, NJW 1997, 3169 ff., 3170). Das OLG Hamburg hat den ausdrücklichen und eindeutigen Gesetzestext des Landespressegesetzes auf seiner Seite. Die Landespressegesetze verlangen ausdrücklich „Schriftform“ und dass eine Gegendarstellung von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter „unterzeichnet“ sein muss. 
Ungeachtet der vom Gesetzgeber insofern unmissverständlich für Gegendarstellungen normierten gesetzlichen Schriftform (zu unterscheiden von einer lediglich vertraglich vereinbarten, sogenannten „gewillkürten“ Schriftform, für die Telefax oder E-Mail ausreichen), wurde das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg insoweit lange Zeit als vermeintlich einziger Vertreter einer angeblich exotisch praxisfernen presserechtlichen Mindermeinung belächelt. 
Nun hat allerdings auch das OLG Hamm mit einem diesseits erwirkten Hinweisbeschluss vom 04.09.2017 (Az. I-3 U 127/17) unter Verweis auf die Formvorschrift des § 11 Abs. 2 LPrG NRW klargestellt, dass die gesetzliche Formvorschrift „eng auszulegen (ist), weil der Anspruchsverpflichtete den Text der Gegendarstellung prinzipiell ohne Änderungen zum Abdruck bringen und für ihn daher zweifelsfrei klar sein muss, wie die Gegendarstellung exakt lautet.“ 
Dabei ging der Entscheidung des 3. Zivilsenats sogar eine noch legerere Rechtsanwendung seitens des Landgerichts Bielefeld (Urteil vom 22.08.2017, Az. 2 O 238/17) voraus. Im dortigen schriftlichen Verfahren waren nach mehreren, immer wieder modifizierten außergerichtlichen Abdruckverlangen bereits richterlich verfügte Abdruck-Anordnungen ergangen. Nach Widerspruchseinlegung erfolgten in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung daraufhin seitens des Klägervertreters verschiedene Teile des Gegendarstellungstextes betreffende Hilfsanträge. Im anschließenden Urteilstenor heißt es dann kryptisch:
"Die einstweiligen Verfügungen vom 27.07. und 03.08.2017 werden mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass im letzten Absatz der zu veröffentlichenden/abzudrückenden Gegendarstellungen die Worte ,von der Antragstellerin‘, die sich zwischen den Worten ,Verkaufspreise der genannten 25.000 Produkte seien‘ und den Worten ,unzutreffend angegeben worden,‘ in den angefochtenen Beschlüssen befinden, entfallen.“ 
(Orthographische Fehler bzw. Freud’sche Fehlleistung wörtlich zitiert / Hervorhebung durch den Verfasser)

Einer derart nebulösen Tenorierung widersprach das OLG Hamm. Der Berufungssenat kritisierte:
„Der genaue Wortlaut der nach dem landgerichtlichen Urteil von der Verfügungsbeklagten abzudruckenden Gegendarstellung liegt dieser nicht in der strengen und unmissverständlichen Form des § 11 Abs. 2 S. 3 LPrG vor, sondern ist von ihr erst unter Zuhilfenahme des ursprünglichen Gegendarstellungstextes in Verbindung mit dem Tenor des angegriffenen Urteils selbstständig zu ermitteln.“
Derartigen Auslegungsanforderungen, die praktisch schon in eine Art presserechtlicher „Bastelstunde“ ausarten würden, hat das Berufungsgericht „aber gerade in dem formalisierten Verfahren nach § 11 LPrG“ eine klare Absage erteilt.
 
Damit hat das OLG Hamm zumindest für den Bereich seines OLG-Bezirks im Gegendarstellungsrecht wieder für etwas mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit gesorgt. Das ist zu begrüßen.
 

Freitag, 17. Februar 2017

Neues Urteil stärkt Informationsrechte der Medien gegenüber Behörden

Auskunftsansprüche trotz Geheimhaltungsvereinbarung

Update vom 02.03.2017: Das vollständige schriftliche Urteil liegt vor (Link zur pdf-Datei unten)

Das Verwaltungsgericht Minden wägt ab zugunsten der Pressefreiheit
Erstmalig hat am 17.02.2017 ein Verwaltungsgericht über die Frage entschieden, ob eine Behörde den Journalisten Auskünfte verweigern darf unter Verweis darauf, dass in einem durchgeführten Mediationsverfahren eine Geheimhaltungsvereinbarung getroffen wurde.
 
Auswechselung des Schöffen

Der Verhandlungstermin vor der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden verzögerte sich etwas: Der Präsident des Verwaltungsgerichts teilte den Beteiligten sowie den anwesenden Pressevertretern mit, dass wegen nicht auszuschließender Befangenheitsgründe einer der ehrenamtlichen Richter ausgewechselt werden müsse. Mit sechzigminütiger Verspätung konnte die Verhandlung im Sitzungssaal II (Zimmer-Nr. 208) dann aber doch beginnen.

Auskünfte zu Nebeneinkünften

Die Bielefelder „Neue Westfälische“, führende Regionalzeitung in Ostwestfalen, hatte vom Landrat des Kreises Minden-Lübbecke Auskünfte darüber verlangt, in welcher Höhe der zwischenzeitlich in den Ruhestand verabschiedete Kreisbaudezernent über welchen mehrjährigen Zeitraum Nebeneinkünfte als Werkleiter eines Abfallbeseitigungsbetriebes erhalten hat und welche Summe der Beamte davon nach dem Ergebnis einer per Mediationsverfahrens erzielten Vereinbarung wieder zurückzahlen muss.

Aus Geheimhaltungsgründen

Die Behörde verweigerte dem Zeitungsverlag die begehrten Auskünfte, obwohl sie zuvor selbst eingeräumt hatte, dass die umstrittenen Zahlungen „rechtlich nicht möglich“ waren. Der Landrat berief sich auf eine im Rahmen einer Mediation getroffene  Verschwiegenheitsvereinbarung. Außerdem gelte die Vertraulichkeit des Personalakteninhalts und der Schutz der informationellen Selbstbestimmung des Beamten. Der Dienstherr habe im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Persönlichkeitsrechte des Kreisbaudezernenten vorrangig gegenüber der Pressefreiheit zu beachten.

Ausgeurteilt

Demgegenüber folgte das Verwaltungsgericht der diesseits anwaltlich vertretenen Argumentation des Verlages:

  • Die gesetzliche Geheimhaltungspflicht des Mediationsgesetzes (§ 4  MediationsG) gilt lediglich für den Mediator und dessen Hilfskräfte wie Protokollführer o. Ä., nicht aber für die Parteien. 
  • Eine etwaige Verschwiegenheitsvereinbarung der Parteien kann nicht ein Vertrag zu Lasten Dritter, hier der Presse, sein. 
  • Es ist abzuwägen zwischen den Persönlichkeitsrechten und insbesondere der informationellen Selbstbestimmung des Beamten auf der einen Seite und der Pressefreiheit auf der anderen Seite. Dabei hat das Verwaltungsgericht die essentielle Bedeutung der Pressefreiheit, erkennbare Anhaltspunkte für eine politische Relevanz der begehrten Auskünfte und eine unverzichtbare Transparenz gerade auch im Zusammenhang mit dem Einsatz von öffentlichen Mitteln betont. 

Diese – derzeit noch nicht rechtskräftige – Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden kann engagierten Journalisten Mut machen. Behörden dürfen sich vor kritischen Fragen - und vor der Pressefreiheit - eben nicht ohne weiteres in Mediationsriten, Geheimhaltungsvereinbarungen oder Personalakten „flüchten“. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn es um berechtigte Informationsinteressen der steuerzahlenden Öffentlichkeit geht.

Update vom 02.03.2017: Hier der Link zum vollständigen schriftlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 17.02.2017, Az 2 K 608/15.



Donnerstag, 2. April 2015

Presse-Auskunftsrecht der Journalisten vom BVerwG weiter gestärkt

Behörden dürfen sich nur begrenzt auf Geheimhaltungspflichten berufen
Die Pressefreiheit fliegt nicht auf Geschäftsgeheimnisse
Bei überwiegendem Informationsinteresse können Pressevertreter nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2015 (Az. 6 C 12.14) von der staatlichen Stelle – im vorliegenden Fall die Bundesanstalt für Immobilien-Aufgaben (BImA) - Auskunft auch über Sachverhalte verlangen, die dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unterliegen, selbst wenn ein vom Bund vermietetes Flughafen-Gelände betroffen ist.
Konkret ging es um von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin an die BREAD & butter GmbH & Co. KG zur Durchführung von zwei ca. vierwöchigen Modemessen pro Jahr vermietete Teilflächen des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Kläger ist ein Chefreporter der BILD-Zeitung, der von der beklagten Bundesanstalt u.a. Auskunft über die Höhe des Mietzinses sowie über weitere Vertragsbestimmungen verlangte, weil in den Medien bzw. in der Öffentlichkeit wegen diverser auffällig gewordener Umstände des Entscheidungsverfahrens nicht unerhebliche Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Vermietung aufgetreten waren.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte sein im Ergebnis gleichlautendes Urteil vom 18.12.2013 (Az. 5 A 413/11) trotz betroffener Bundesbehörde und streitgegenständlicher Bundes-Liegenschaft noch auf das Landespressegesetz gestützt. Während der Bundesgesetzgeber bislang keine Regelungen zu Presseauskunftspflichten getroffen hat, steht Journalisten in derartigen Fällen demgegenüber nach der Rechtsprechung des BVerwG ein Anspruch auf Auskunftserteilung unmittelbar aus der Verfassung zu, soweit nicht berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen.
Nach begrüßenswerter und verfassungsrechtlich gebotener Einschätzung der Bundesrichter überwiegt im Flughafen-Fall eindeutig das Informationsinteresse des Journalisten gegenüber dem Vertraulichkeitsinteresse des Bundes bzw. der Bundesbehörde und des mietenden Messe-Unternehmens.
Der Presse musste es anhand der in Rede stehenden Auskünfte über die Konditionen des Mietvertrages ermöglicht werden, sich ein belastbares und sachgerechtes Urteil zu bilden über die Wirtschaftlichkeit der vorgenommenen Vermietung an den Messe-Veranstalter. Durch die eingangs erwähnten öffentlichen Gerüchte und Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Vermietung kommt nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den journalistischen Auskunftsinteressen ein besonderes Gewicht zu, hinter dem der Vertrauens- und Geheimnis-Schutz zurückstehen muss. Öffentliche Meinungsbildung durch fundierte journalistische Recherche funktioniert nicht ohne starke Auskunftsrechte der Medien, die auch nicht durch Verweis auf Geheimhaltungspflichten quasi automatisch ausgebremst werden dürfen.