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Samstag, 18. Juni 2016

Abmahnung: Das LG Hamburg im medienrechtlichen Abseits beim Streit um Böhmermann-Satire


Schräger Spielverlauf im Böhmermann-Prozess vor dem LG Hamburg

„Was jetzt kommt, das darf man nicht machen.“ So leitete Jan Böhmermann sein Erdogan-Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Schmähkritik“ in der Satire-Sendung des ZDF am 31.03.2015 ein. Im eiligen Verbotsbeschluss der hanseatischen Pressekammer findet sich zu diesem instruktiven Kommentar-Vorspiel nichts: Keine (schieds)richterliche Auseinandersetzung mit den zuvor vom Spielführer aufgestellten Spielregeln. Das darf man nicht machen.

Mittlerweile liegen die schriftlichen Gründe zur einstweiligen Verpfeifung der ersten Instanz vom Sievekingplatz in Hamburg vor: 

Wohlplatzierte Worthülsen zur unzulässigen „Niveaukontrolle der Kunst“, zur verbotenen Unterscheidung zwischen „guter und schlechter Kunst“ und zur gebotenen Differenzierung zwischen „Aussagegehalt“ und „Einkleidung“.
"Das angegriffene Gedicht ist zweifelsohne Satire." ... So „geht die Kammer von Kunst aus“ und bemerkt, dass „die konkrete Präsentation … zu berücksichtigen“ ist: „Es ist fernliegend, dass der Rezipient annimmt, das Gedicht weise (insgesamt) einen Wahrheitsgehalt auf.“ Das Gericht verkennt angeblich auch nicht, dass „Meinungsfreiheit … gerade aus dem Bedürfnis der Machtkritik erwachsen“ ist.
Der „Schweinefurz“ und die Zeilen mit einem „sexuellen Bezug“ überschritten aber das von Erdogan „hinzunehmende Maß“ – auch wenn dieser als „Oberhaupt des Staates“ für polizeiliches „Schlagen von demonstrierenden Frauen“ sowie das sonstige „gewalttätige Vorgehen gegen andere Demonstranten … sowie gegen Minderheiten wie Kurden“ die „politische Verantwortung“ trägt.

Die Dreier-Abwehrkette des medienrechtlichen Schiedsgerichts verkennt dabei nicht nur, nein, sie unterschlägt den quasi medienpolitischen und medienpädagogischen, künstlerischen und journalistischen Ansatz von Böhmermann, der zusammen mit seinem Sidekick Ralf Kabelka vor und während der Präsentation des „Schmähkritik“-Gedichtes sehr deutlich und unmissverständlich Abgrenzungen zu „Artikel 5 unseres Grundgesetzes“ vornimmt und darauf hinweist:

„Das ist Schmähkritik … Das kann bestraft werden … Das ist vielleicht etwas kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel … Also das Gedicht. Das was jetzt kommt, das darf man nicht machen … das würde in Deutschland verboten … Das darf man nicht machen.“

Dazu hätte man eine sportliche und faire medienrechtliche Auseinandersetzung des Gerichts erwarten dürfen: Es geht dabei nicht einmal primär um das Spielergebnis in dieser prozessualen Vorrunde. Es geht vielmehr um fehlenden technischen und konditionellen Einsatz des Gerichts im Spielverlauf. Gerade die spielerische Technik des böhmermannschen Zuspiels von trainerischen Hinweis-Pässen und seine verfassungsrechtlichen Einwürfe hätten der unverzichtbaren schiedsrichterlichen Beachtung und Beurteilung bedurft. Fehlanzeige. Medienrechtliches Foulspiel.


Das verdient eine Rote Karte für diese Instanz, zumindest eine anwaltliche Abmahnung.

Update:  Lesenswert hierzu auch die Beiträge der Kollegen Kahl und Kompa



Donnerstag, 10. Juli 2014

Pressefreiheit und Meinungsfreiheit: EGMR-Urteil korrigiert Hamburger und Karlsruher Gerichte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit seinem heutigen Urteil (10.07.2014, Az. 48311/10) mal wieder eine Lanze für die Pressefreiheit gebrochen.

In seiner Entscheidung stellt der EGMR fest, dass die deutsche - und insbesodere die Hamburger - Justiz zu Unrecht die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung über das politisch umstrittene Gazprom-Engagement von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder untersagt hat.

In der "Bild"-Zeitung war am 12.12.2005 ein redaktioneller Beitrag erschienen mit der Überschrift "Schröder soll sein Russen-Gehalt offenlegen". Darin ging es um den politischen Streit und insbesondere um kritische Fragen eines FDP-Bundestagsabgeordneten hinsichtlich des fast übergangslosen beruflichen Einstiegs des Ex-Bundeskanzlers und Putin-Freundes beim Energie-Konzern Gazprom kurz nach der von Schröder herbeigeführten vorzeitigen Bundestagswahl. Schröder hatte ein Amt, einen "lukrativen Job", als Aufsichtsratschef des russisch-deutschen Gaspipeline-Unternehmens Nord Stream angenommen.

Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische OLG hatten Springer verboten, die kritischen Fragen des FDP-Abgeordneten weiterzuverbreiten. Rechtsmittel von Springer beim Bundesgerichtshof und beim Bundesverfassungsgericht scheiterten.

Ein solches Verbot journalistischer Berichterstattung könne durchaus abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit haben, urteilt der Gerichtshof und erinnert gleichzeitig daran, dass Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wenig Platz für Einschränkungen der Äußerungsfreiheit lasse, insbesondere bei politischen Fragen bzw. öffentlichen Diskussionen um Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse. Jedenfalls habe der Verlag "nicht die Grenzen der journalistischen Freiheit überschritten".

Deutschland muss dem Springer-Verlag  jetzt über 41.000,00 Euro Kosten ersetzen. Das EGMR-Urteil kann auf innerhalb von drei Monaten zu stellenden Antrag einer der Parteien noch von der Großen Kammer des Gerichtshofes überprüft werden.
 

Donnerstag, 24. Januar 2013

"Grundrecht auf Internet" und Nutzungsausfall für eine Lebensgrundlage

Mit Update vom 21. Februar 2013

Das Urteil des BGH vom 24.01.2013 (Az. III ZR 98/12), das dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens grundsätzlich Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses und die damit entgangenen Nutzungsmöglichkeiten zuspricht, kann in seiner Bedeutung weit über finanzielle Regress-Phantasien hinausgehen. Wenn Karlsruhe das Internet als Lebensgrundlage anerkennt, ist es vielleicht kein zu weiter Weg zum "Grundrecht auf Internet":


Der Inhaber eines DSL-Internetanschlusses verlangt mit prozessualem Erfolg Schadensersatz für die wegen einer technisch missglückten Tarifumstellung fortgefallene Möglichkeit, seinen DSL-Anschluss während eines Zeitraums von ca. zwei Monaten für die Festnetztelefonie und den Telefaxverkehr (Voice und Fax over IP, VoIP) sowie insbesondere auch für den Internetverkehr zu nutzen.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung bleibt Nutzungsausfall für Wirtschaftsgüter grundsätzlich solchen Fällen vorbehalten, "in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt". 

Das wird für den Ausfall eines Telefaxes ausdrücklich verneint, da ein Telefax lediglich ermöglicht, "Texte oder Abbildungen bequemer und schneller als auf dem herkömmlichen Postweg zu versenden", ohne dass sich dies im privaten Bereich signifikant auswirkt, zumal das Telefax zunehmend beispielsweise durch E-Mail verdrängt wird. Im Ergebnis hat der BGH auch für den Ausfall des Festnetztelefons einen Anspruch auf Nutzungsausfall verneint, obwohl die Nutzungsmöglichkeit des Telefons ein Wirtschaftsgut darstellt, "dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensgestaltung von zentraler Wichtigkeit ist". Nutzungsausfall für das Festnetztelefon wird aber verneint, weil dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz z. B. per Mobiltelefon zur Verfügung steht und ihm der hierfür anfallende Mehraufwand ersetzt wird. 

Zur Bedeutung der darüber hinausgehenden Nutzungsmöglichkeiten eines Internetanschlusses heißt es in der Pressemitteilung des III. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes:

 Demgegenüber hat der Senat dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit zuerkannt, seinen Internetzugang für weitere Zwecke als für den Telefon- und Telefaxverkehr zu nutzen. Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. (Fettdruck durch den Verfasser)
Mit dieser höchstrichterlichen Analyse und Bewertung ist in Karlsruhe das Tor geöffnet worden auch für zeitgerechte und mediengerechte Einordnungen in Richtung einer Art "Grundrecht auf Internet" - vor dem Hintergrund der gerichtlich anerkannten aktuellen Lebens- und Kommunikationswirklichkeit sowie der damit korrespondierenden schutzwürdigen Bedürfnisse und Interessen samt den verfassungsrechtlich normierten Grundrechten der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auch der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) sowie den Rechten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG) und den grundgesetzlichen Garantien und Prinzipien zu elterlicher Erziehung und schulischer Bildung (vgl. Art. 6 und 7 GG) und nicht zuletzt dem Sozialstaatsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.

Das heutige BGH-Urteil kann der unumkehrbare Beginn lebensnaher höchstrichterlicher Ankunft in der Wirklichkeit "2.0"  bzw. der Realität von "Social Media" sein. Da öffnen sich weitere Argumentationsfenster gegen Netzsperren und Three- oder Six-Strikes-Modelle.

Update vom 21. Februar 2013 

Zwischenzeitlich liegt das Urteil des BGH vom 24.01.2013 im Volltext vor.
Auch darin finden u.a. "Foren, Blogs und soziale Netzwerke" signifikante und relevante Erwähnung:

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer, jedenfalls vor dem hier maßgeblichen Jahreswechsel 2008/2009 beginnender Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt (von der unübersehbaren Vielfalt z.B. nur: Fernabsatzkäufe, Hotel-, Bahn- und Flugbuchungen, Erteilung von Überweisungsaufträgen, Abgabe von Steuererklärungen, An- und Abmeldung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie der Müllabfuhr, Verifikation von Bescheinigungen). Nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag des Klägers bedienen sich nahezu 70 % der Einwohner Deutschlands des Internets, wobei dreiviertel hiervon es sogar täglich nutzen. Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. Die Unterbrechung des Internetzugangs hat typischerweise Auswirkungen, die in ihrer Intensität mit dem Fortfall der Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu nutzen, ohne weiteres vergleichbar sind.

Dienstag, 11. Dezember 2012

Pressefreiheit zum Advent: Abmahnung des BGH nach Hamburg

Der BGH hat mit zwei Urteilen vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10 und VI ZR 315/12 - wieder sehr bedenkliche Urteile des LG Hamburg und des Hanseatischen OLG Hamburg
(LG Hamburg: Urteil vom 15. August 2008 - 324 O 774/04
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 89/08
und
LG Hamburg: Urteil vom 30. Mai 2008 - 324 O 18/05
Hanseatisches OLG Hamburg: Urteil vom 12. Oktober 2010 - 7 U 67/08)
mit  unmissverständlicher Kritik aufgehoben und damit ein weiteres Mal ein deutliches Zeichen für mehr Respekt vor der Pressefreiheit gesetzt.


Der klagende, seinerzeitige Professor an der Universität Leipzig, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der PDS im Sächsischen Landtag und Spitzenkandidat der PDS für die Landtagswahl am 19. September 2004 nimmt die Beklagten - nämlich die Verleger von "Sächsische Zeitung", "Dresdner Morgenpost", "Bild" und "Die Welt" - wegen redaktioneller Berichterstattung über angebliche Tätigkeiten als IM (Inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR) auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beklagten berichteten im August 2004 in mehreren Artikeln über einen Verdacht: Der Kläger habe als langjähriger IM "Christoph" mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet und dabei insbesondere seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt. 

Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Ministerium für Staatssicherheit ihn als "IM Christoph" geführt habe. Er sei ohne sein Wissen "abgeschöpft" worden. Die Beklagten stützten ihre Verdachtsberichterstattung u.a. auf eine entsprechende Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR.

Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat den Klagen überwiegend stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten blieben noch erfolglos. Auf die Revisionen der Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Urteile des OLG Hamburg aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

In seiner heutigen Pressemitteilung lässt es der VI. Zivilsenat des BGH an abmahnender Deutlichkeit und harscher Kritik gegenüber den Hamburger Entscheidungen nicht fehlen:

"Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass das von den Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinter dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten habe. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet habe, ist unvollständig und verstößt gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die von ihm vorgenommene Deutung der in den Akten des MfS verwendeten Begriffe ist weit hergeholt und mit dem natürlichen Sprachempfinden kaum in Einklang zu bringen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt. Das Berufungsgericht hat auch zu Unrecht die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung verneint. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass die Beklagten der Stellungnahme des Pressesprechers der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, den gefundenen Unterlagen sei zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Kläger als IM Christoph für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei, ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen durften. Bei dem Bundesbeauftragten handelt es sich um eine Bundesoberbehörde, der durch Gesetz die Aufgabe zugewiesen ist, die Stasi-Unterlagen auszuwerten und zu archivieren." (Fettdruck durch den Verfasser)

Da ist eine presserechtliche Klatsche aus Karlsruhe bei den Hamburger Spruchkörpern angekommen; Advent heißt ja auch "Ankunft".

Den schriftlichen Entscheidungsgründen darf mit Spannung und Interesse entgegengesehen werden.

Freitag, 1. Juni 2012

Abmahnung für zweierlei Maß: Wenn ein Link Eindruck erweckt - im Blog und bei Gericht



Medienrechtliche Begründungstechnik aus Hamburg in der Kritik

Nach einem heftig diskutierten aktuellen Urteil der Hamburger Pressekammer soll ein Blogger, und zwar der Kollege Rechtsanwalt Markus Kompa, für Inhalte verlinkter Filmdateien als Störer haften. Über medienrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen kann und darf heftig gestritten werden - auch bei Gericht und auch von unterschiedlichen Gerichten und gerichtlichen Instanzen. Das Urteil der "fliegenden" Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg (Az. 324O 596/11) ist allerdings bereits wegen der im Tatbestand und in seinen Entscheidungsgründen enthaltenen Darstellungs- und Argumentationstechnik als denklogisch, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich kritikwürdig und unangemessen zu bewerten.

In dem Zusammenhang fallen u. a. die folgenden Handhabungen auf:

1.
Schon im Urteilstatbestand wird man unter Zugrundelegung der vom Kollegen Rechtsanwalt Thomas Stadler mitgeteilten Details dem wirklichen Sachvortrag des beklagten Bloggers nicht gerecht.

Im Tatbestand finden sich einige Angaben über das vermeintliche Vorgehen der Mitarbeiter der WISO-Redaktion bzw. des ZDF anlässlich ihres "Besuchs" und der Durchführung von "Filmaufnahmen, die am 22.9.2010 mit versteckter Kamera in der Münchener Arztpraxis des Klägers" gefertigt wurden. Im richterlich abgefassten Tatbestand befinden sich auch einige Einzelheiten zu vermeintlich richtigen oder falschen Inhalten einer in dem streitgegenständlichen Fernsehbeitrag abgebildeten Presseerklärung der Charité.

Angaben zu diesbezüglichen Kenntnis- oder Erkenntnis-Möglichkeiten des bloggenden Beklagten finden sich im Urteilstatbestand demgegenüber nicht, obwohl anscheinend gegenüber dem Leser des Urteils der Eindruck erweckt werden soll, der beklagte Blogger habe diesbezügliche Detail-Kenntnisse gehabt bzw. haben müssen. Aber vielleicht sollten wir dem Urteil nicht voreilig bestimmte Eindruckerweckungen vorhalten, obwohl es selbst massiv dazu neigt; dazu sofort mehr:

2.
Die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung

"Der mit dem Antrag zu Ziffer 2. beanstandete Eindruck, der Kläger habe in seiner Münchener Praxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben, wird durch die Bezugnahme auf eben die Münchener Praxisräume erweckt. Dieser Eindruck hat jedenfalls prozessual als unwahr zu gelten."

ist entlarvend. Dies gilt insbesondere, wenn einerseits im Zusammenhang mit der Frage eines etwaigen "Eindruck Erweckens" die Pressekammer offensichtlich sehr weite und großzügige Auslegungen vorzunehmen bereit ist, andererseits aber Beweisanträge des Beklagten in recht spitzfindiger Manier und in unangemessener Weise sehr eng auslegen möchte:

"Der Beklagte trägt zwar vor, die Behauptung, der Kläger händige Eigenblutpräparate an seine Patienten aus, sei wahr. Eine solche Äußerung ist aber gar nicht streitgegenständlich. Der Kläger beanstandet nicht die pauschale Aussage, er händige Eigenblutpräparate an Patienten aus, unabhängig davon, wo dies erfolgen soll, sondern bezieht sich ausdrücklich auf eine Abgabe in seiner Münchener Arztpraxis. Ob der Kläger also möglicherweise in seiner Salzburger Praxis Eigenblutpräparate Patienten mit nach Hause gibt, ist weder Gegenstand der angegriffenen Berichterstattung noch des Antrags des Klägers. Bereits aus diesem Grund war dem angebotenen Zeugenbeweis des Beklagten nicht nach zu gehen. Auch darüber hinaus ist der Beweisantritt unsubstantiiert, so dass eine Vernehmung der Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Beweisbehauptung darauf bezieht, dass der "Kläger bzw. dessen Mitarbeiter" die Ampullen an Patienten aushändigten. Der Beklagte lässt in seinem Beweisantritt also selbst offen, ob tatsächlich der Kläger die Eigenblutpräparate den Patienten mit nach Hause gibt. Hier auf  kommt es jedoch gerade entscheidungserheblich an, da nur eine solche Behauptung streitgegenständlich ist."


Das ist nach meiner Auffassung unzulässige Wortklauberei. Hier wird in unerträglicher Weise mit zweierlei Maß gemessen.Was veranlasst das Gericht, einem Beweisantritt zu unterstellen, es gehe darin nicht um die naheliegende streitgegenständliche Auslegungsvariante?

Auch unabhängig von der Frage, welche Eindruckerweckungen man aus medialen Berichterstattungen abzuleiten in der Lage oder Willens ist, beschneidet die nicht sachgerechte Berücksichtigung der Beweisantritte des Beklagten diesen nachhaltig in seinen prozessualen Rechten.

3.
Soweit über die fragliche Existenz eines „Gutachtens“ oder einer „objektiven gutachterlichen Beurteilung“ der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des klagenden Krebsarztes gestritten wird, finden sich im erstinstanzlichen Urteil widersprüchliche Ansätze und Bewertungen:

 - „Die in dem Fernsehbeitrag gezeigte Abbildung einer Pressemitteilung der Charité bestreitet ausdrücklich die Existenz zur Wirksamkeit der Therapien.“
 - „Dieser Eindruck wird durch den vom Beklagten verfassten Text, der unterhalb des Videos mit dem ZDF-Beitrag zu sehen ist, nicht revidiert.“
 - Der beklagte Blogger weise dort lediglich darauf hin, dass der umstrittene Krebsarzt „stets mit einem vierseitigen Gutachten der Charité“ … „argumentiere“.

Heißt Distanzierung von verlinkten Inhalten jetzt neuerdings „Revidierung“?
Wie soll ein Blogger sachgerechter mit der kurzen Darstellung von (medienrechtlichen) Streitfällen umgehen, als mit der Erwähnung oder Skizzierung beider Streitpositionen?

Falls ein Blogger dabei ansatzweise eigene Bewertungen einfließen lassen sollte – was im Übrigen m. E. mit eine der vornehmsten Aufgaben eines Bloggers ist (!) – dürfte selbst dies vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.

Das Hamburger Urteil geht allerdings noch weiter: Es legt sich fest und legt dabei zu Grunde: „Der so erweckte Eindruck ist unwahr.“ In dem Zusammenhang verweist es auf eine „gutachterliche Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin.“ Ja, da wird mal wieder mit weniger anspruchsvollen Maßstäben agiert - statt mit der an anderer Stelle manchmal "akribischen" Bedeutungszumessung zu bestimmten Begrifflichkeiten oder Formulierungen: So wird schon mal schnell aus einer schlichten „gutachterlichen Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin“ ein „Gutachten der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des Dr.  …“ bzw. eine „objektive gutachterliche Beurteilung, welche den Therapieerfolg wissenschaftlich glaubwürdig belegt“, wie es im dritten Klageantrag heißt. Erstaunlich ungenau, wenn man bedenkt, wie genau die Blog-Formulierungen des Beklagten eingegrenzt werden.

4.
Mit zweierlei Maß wird auch dann gemessen, wenn es um die juristisch und prozessual übliche und zulässige Möglichkeit geht, sich im Rahmen seines Vortrages auf den Inhalt konkret beigefügter Texte zu beziehen.

Die erkennende Kammer verweist in ihren Entscheidungsgründen über lange Passagen auf Urteilstexte aus einem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren des klagenden Krebsarztes gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts, um damit das hier kritisierte Urteil zu begründen. Dem Beklagten wird im gleichen prozessualen Verfahren und mit dem gleichen Urteil demgegenüber das Recht abgesprochen, sich zur Vermeidung von Wiederholungen seinerseits auf den Text der Widerspruchsschrift vom 26.1.2012 aus eben dem vom Gericht im Urteil unter Bezug genommenen Verfahren des Klägers gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf den Schriftsatz der dortigen Antragsgegnerin vom 9.3.2012 zu beziehen und sich den dortigen Inhalt zu Eigen zu machen.

Auch dem Antrag des Bloggers, die vorerwähnte Verfahrensakte beizuziehen, wurde seitens des Gerichts nicht entsprochen.

Im Urteil halten es die Richter dennoch für richtig, sich über drei Seiten lang gerade auf den Inhalt des dort gefällten Urteils zur Begründung des hier gefällten Urteils zu beziehen.

5.
Eine Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens wäre im Übrigen auch bereits vor dem Hintergrund des prozessualen Grundsatzes der "Waffengleichheit" fair und geboten gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Kammer offensichtlich maßgeblich auf Erkenntnisse oder Bewertungen aus dem Parallelverfahren zurückgreifen will.

6.
Soweit die Pressekammer journalistische Recherchen als "Ausspionieren" klassifiziert bzw. abqualifiziert, ist auch eine derartige Urteilssprache entlarvend. Vier Seiten weiter verlangt das Urteil vom Blogger "eigene Recherchen" zu den Inhalten der verlinkten Filmdatei.

7.
Im hier der Kritik ausgesetzten aktuellen Urteil aus Hamburg ist immer wieder von "Praxis", "Praxisräumen", "Arztpraxis" oder "Arztpraxisräumen" die Rede. Eine genauere und eindeutigere Spezifizierung der Räumlichkeiten findet nicht statt, obwohl nach dem - wenn auch im gerichtlichen Urteilstatbestand nicht wiederfindbar - wohl unstreitig gebliebenen Sachvortrag des Beklagten klargestellt wurde, dass die Filmaufnahmen des ZDF-Teams "keineswegs in den Behandlungszimmern stattfanden, sondern in dem für jedermann frei zugänglichenEmpfangsbereich", was für die Qualität des rechtlich zu bewertenden Schutzbereiches nicht unerheblich sein dürfte.

Dies gilt erst recht, falls der klagende Krebsarzt auch selbst mit Bildaufnahmen seines Instituts bzw. des dortigen Empfangsbereichs nach außen öffentlich und werblich in Erscheinung tritt oder trat. Die entsprechenden Räumlichkeiten sind wohl auch grundsätzlich frei zugänglich, was bei der Abwägung etwaiger Persönlichkeitsrechts-Beeinträchtigungen naturgemäß ebenfalls nicht unbeachtet bleiben darf.

8.
Das Urteil lässt einerseits offen, ob der Blogger sich den Inhalt des verlinkten Fernsehbeitrages zu Eigen macht, andererseits heißt es in den Entscheidungsgründen, „dass er sich nicht inhaltlich mit dem Beitrag auseinandersetzt.“ Dennoch bemüht man die „Grundsätze der Störerhaftung“ und verlangt vom verlinkenden Blogger, Links „zu hinterfragen und eigene Recherchen zu unternehmen“. Der Blogger habe „bei dem Betroffenen nachfragen müssen.“ Und was ist mit weiteren Recherchen des Bloggers beim ZDF … und bei der Charité … und vielleicht auch noch bei unbeteiligten Sachverständigen? Und das alles, „um so das Verhalten des Klägers kritisch zu kommentieren“, wie es an weiterer Stelle des Urteils zu dem Blog-Beitrag des Beklagten heißt. Da werde jemand schlau draus. Medienrechtlich und verfassungsrechtlich wird da allerdings wohl so schnell keiner schlau draus.

9.
Dass die Fachkammer bei der Auslegung der bereits abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärungen des beklagten Bloggers wieder zu m. E. zu engen und zu strengen Auslegungstendenzen neigt, mag an anderer Stelle erörtert werden, wenn es auch ebenfalls ins Bild passt bzw. zu dem schlechten Eindruck einer gerichtlichen Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe.

Sonntag, 19. Juni 2011

BGH verhandelt über "Falschzitat" oder journalistische Interpretationsfreiheit

Eine ehemalige Tagesschau-Sprecherin und populäre Moderatorin, Journalistin und Buchautorin und der Springer-Verlag verhandeln am 21.06.2011 vor dem 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (VI ZR 262/09). Der Klage der prominenten Medienfrau vorausgegangen waren Urteile des Landgerichts Köln vom 14.01.2009 (28 O 511/08) und des Oberlandesgerichts Köln vom 28.07.2009 (15 U 37/09).
 
Die Klägerin hat den Verlag  auf Unterlassung, Richtigstellung und Zahlung einer Geldentschädigung verklagt wegen einer Wortberichterstattung über eine mündliche Äußerung anlässlich ihrer Buchvorstellung.

Die Klägerin hatte auf der streitbefangenen Pressekonferenz am 6. September 2007 gegenüber den anwesenden Journalisten geäußert:
"Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch ´ne Gerechtigkeit schaffen zwischen kinderlosen und kinderreichen Familien. Wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er-Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das - alles was wir an Werten hatten - es war ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle - aber es ist eben auch das, was gut war - das sind die Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben."
Der beklagte Verlag hatte in der Print- und der Online-Ausgabe des "Hamburger Abendblatts" vom 7. September 2007 u.a. ausgeführt:
"Das Buch „sei wieder ein ‚Plädoyer für eine neue Familienkultur, die zurückstrahlen kann auf die Gesellschaft’, heißt der Klappentext.“ Die Autorin, „die übrigens in vierter Ehe verheiratet ist, will auch schon festgestellt haben, dass die Frauen ‚im Begriff sind, aufzuwachen’, dass sie Arbeit und Kariere nicht mehr unter dem Aspekt der Selbstverwirklichung betrachten, sondern unter dem der ‚Existenzsicherung’. Und dafür haben sie ja den Mann, der ,kraftvoll’ zu ihnen steht."
Weiter heißt es dort:
"In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter. Die hätten die 68er abgeschafft, und deshalb habe man nun den gesellschaftlichen Salat. Kurz danach war diese Buchvorstellung Gott sei Dank zu Ende."
Die Klägerin sieht sich als Sympathisantin des Nationalsozialismus verunglimpft und erachtet ihr Persönlichkeitsrecht als durch Falschzitate schwerwiegend verletzt. Ihre berufliche und gesellschaftliche Existenz sei zerstört und ihr sei großer seelischer Schaden zugefügt worden.

Die Klägerin hat den Verlag erstinstanzlich auf Unterlassung und auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 50.000 € verklagt.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von lediglich 10.000 € sowie zur Unterlassung der Behauptung verurteilt: 
„In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter.“ 

Auf die Berufung der Klägerin, die im Berufungsrechtszug zusätzlich die Richtigstellung verlangt hat, dass sie die streitgegenständliche Äußerung so nicht getätigt habe, hat das OLG die Beklagte darüber hinaus zur begehrten Richtigstellung und zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von weiteren 25.000 € verurteilt. Die weitergehende Berufung und das Rechtsmittel der Beklagten hat es zurückgewiesen. 

Der beklagte Verlag begehrt mit der vom BGH zugelassenen Revision weiterhin die vollständige Klageabweisung. 

Es bleibt abzuwarten, wie der 6. Zivilsenat die strittige Berichterstattung im Spannungsfeld zwischen der Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite beurteilt. Dabei wird es auch auf die Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptung und -bewertung ankommen. Wie weit geht die journalistische Interpretationsfreiheit - insbesondere dann, wenn mit indirekter Rede als Zitate zu verstehende Sätze in den Mund gelegt werden, die so nicht geäußert wurden? Und das auch noch, ohne die "eingearbeitete" Interpretation als solche kenntlich zu machen. 

Es spricht m.E. vieles dafür, dass hier bedauerlicherweise nicht verantwortungsvoll genug zwischen dem Zitat (als Tatsachenbehauptung) und dessen Interpretation (als Meinung und Dafürhalten) getrennt worden ist. In einer Zitat-Wiedergabe hat die Meinung des - oder in diesem Fall - der Zitierenden (Redakteurin) nichts zu suchen. Neben dem Zitat sind selbst gewagte Interpretationen als Meinung und Kommentierung durchaus zulässig und verfassungsrechtlich gewollt.

Update 21.06.2011: Der Bundesgerichtshof hat heute der Revision Recht gegeben und die Klage abgewiesen. In der aktuellen Pressemitteilung des BGH heißt es dazu:
"Der u. a. für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die beanstandete Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht beeinträchtigt. Zwar umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht am eigenen Wort und schützt den Einzelnen davor, dass ihm Äußerungen zugeschrieben werden, die er nicht getan hat und die seine Privatsphäre oder den von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen. Der grundrechtliche Schutz wirkt dabei nicht nur gegenüber Fehlzitaten, sondern auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung. Die Beklagte hat die Äußerung der Klägerin aber weder unrichtig noch verfälscht oder entstellt wiedergegeben. Die Äußerung lässt im Gesamtzusammenhang betrachtet gemessen an Wortwahl, Kontext der Gedankenführung und Stoßrichtung nur die Deutung zu, die die Beklagte ihr beigemessen hat."

Samstag, 28. Mai 2011

Urteil der Pressekammer: Landgericht Hamburg will Unterlassung - Kein STERN für BUNTE Recherche

Wie unterschiedlich doch die Betrachtungen und Gewichtungen zur gestrigen Entscheidung der hanseatischen Ersten Instanz (der 24. Zivilkammer) sein können: Dies zeigen die aktuellen Berichterstattungen bzw. Kommentierungen durch Journalisten und Medien-Anwälte (wobei der Kollege Rechtsanwalt Prof. Schweizer als Prozessvertreter auf Kläger-Seite (Burda-Verlag) naturgemäß parteiisch sein darf und muss und für Montagnachmittag eine Veröffentlichung des Urteils angekündigt hat).

Den Hintergrund des Streits bildet ein Artikel des STERN, in dem im Frühjahr 2010 darüber berichtet wurde, dass die BUNTE  - mit Hilfe der Bild-Agentur CMK - bekannte Politiker und ihr Privatleben ausspioniert. Der SPD-Politiker Franz Müntefering hatte bereits im letzten Jahr unter Berufung auf unzumutbare Spitzelmethoden Beschwerde beim Deutschen Presserat eingelegt, der das Verfahren allerdings mangels ausreichender Beweise einstellte.

Die BUNTE widersprach auch vor dem Landgericht Hamburg den Vorwürfen: Bilder von Politikern würden zwar in Auftrag gegeben, von angeblich unlauteren Recherchemethoden habe man allerdings nichts gewusst.

Die Hamburger Richter haben nun erstinstanzlich dem STERN seine kritische Berichterstattung über die Spitzelaffäre verboten - maßgeblich wohl deshalb, weil ohne Nachweis der Eindruck erweckt worden sei, die Redaktion der BUNTE habe von den Spitzel-Methoden gewusst. 

Rechtsanwalt Kompa bewertet das Unterlassungs-Urteil und das Verfahren gegen Gruner + Jahr unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Pressefreiheit offensichtlich eher als bedauerlich und "seltsam".

Distanziert und kritisch betrachtet die FAZ die streitgegenständlichen Recherche-Methoden der vom Burda-Verlag eingesetzten Bild-Agentur CMK. Die BUNTE hat vor Gericht bestritten, von den unlauteren Spitzel-Ausspähungen gewusst zu haben. Gegenteiliges konnte vor der Pressekammer - so die Richter - nicht nachgewiesen werden.

Die Süddeutsche Zeitung setzt sich mit den Gefahren des Boulevard-Journalismus für die Privatsphäre bzw. Intimsphäre prominenter Politiker auseinander (im konkreten Fall ging es - wie erwähnt - unter Anderem um SPD-Urgestein Franz Müntefering) und betont, dass auch nach Einschätzung des Deutschen Presserats "Redaktionen, die Dritte mit Recherche-Aufgaben beauftragen, dabei grundsätzlich die Verantwortung für die Einhaltung des Pressekodex übernehmen".

Andres Lehmann, Chefredakteur des Hamburger Online-Magazins quaeng, scheint sich - wenn nicht "diebisch", dann doch mehr oder weniger (un)heimlich - über den eher papiernen Presse-Rechts-Streit zu amüsieren und überlässt dem Leser die Medien-Wahl.

Und ich werde eine vertieftere Bewertung des Streitstoffes erst dann vornehmen, wenn das vollständige Urteil der unter dem Vorsitz von Herrn Buske entscheidenden Pressekammer veröffentlicht ist.

Ich befürchte allerdings, dass die Entscheidung meinem Verständnis von Pressefreiheit nicht gerecht wird.

Samstag, 19. Februar 2011

Die Kündigung der Kunst: Kunstfreiheit in der Lebenswirklichkeit eines Roman-Autors

 Über die fristlose Kündigung eines 50-jährigen kaufmännischen Angestellten und Schriftstellers, der in seinem Roman die "Hölle" des Büro-Alltags auf's Korn genommen hatte, entschied nach Mittelung der "Neue Westfälische" am 18.02.2011 erstinstanzlich die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Herford. Dem Export-Sachbearbeiter eines westfälischen Küchen-Produzenten wurde vorgeworfen, in einigen Passagen seines Werkes würden Mitarbeiter identifizierbar diffamiert und beleidigt; es ginge teilweise auch unter die Gürtellinie.

Das Gericht stellte fest, dass seitens der Belegschaft bisher keine rechtlichen Schritte gegen das umstrittene Buch eingeleitet worden sind. Im Übrigen sei das Buch "so weit von der Wirklichkeit entfernt", dass eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten "nicht ernsthaft" geltend gemacht werden könne. Der Kammervorsitzende verwies auf die sogenannte "Esra"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.06.2007 (Az. 1 BvR 1783/05).

Darin hatte der Erste Senat grundlegende Maßstäbe der Drittwirkung von Grundrechten festgelegt - insbesondere im Spannungsfeld von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten - und zwar mit den Leitsätzen:

Samstag, 22. Januar 2011

Domain-Pfändung: Vollstreckungsschutz bei geschäftlicher Internet-Domain

Auch ein Beitrag zur Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit im Blog

Die Pfändung der Internet-Domain nerdcore.de durch Euroweb dürfte einige Domain-Inhaber in Angst und Schrecken versetzt haben. Eine etwas beruhigendere Nachricht für alle Onlineshop-Betreiber und andere Domain-Inhaber, die vielleicht eine Abmahnung erhalten haben oder sonstigen Forderungen ausgesetzt sind und eine geschäftlich und nicht nur privat genutzte Website betreiben:
Wenn eine Internet-Domain als Arbeitsmittel in Betracht kommt und von ihrem Inhaber zur Ausübung seines Berufes benötigt wird, kann sich der Domain-Inhaber gfls. auf Vollstreckungsschutz berufen.
Einer Pfändung  sind nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nämlich nicht unterworfen
die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände - bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen.

Dem Schuldner sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht Gegenstände entzogen werden, die er zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit und zur Sicherung seines Lebensunterhaltes braucht. Die betroffenen Gegenstände müssen dabei nach Auffasung des Bundesgerichtshofes - Beschluss vom 28.01.2010, Az. VII ZB 16/09 - nicht unbedingt unentbehrlich sein, der BGH neigt insoweit zu einer eher weiten Auslegung der gesetzlichen Schutzvorschrift.

Da die Domain kein Gegenstand im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist, findet diese gesetzliche Vorschrift allerdings keine direkte, aber - so auch das Landgericht Mönchengladbach mit Beschluss vom 22.09.2004, Az. 5 T 445/04 - eine entsprechende (analoge) Anwendung. Dies hat beispielsweise auch das Landgericht Essen in seiner Entscheidung vom 22.09.1999, Az. 11 T 370/99, nicht ausgeschlossen.


Die gesetzliche Schuldnerschutz-Regelung findet analoge Anwendung für die Betreiber eines Onlineshops, aber auch für andere Gewerbetreibende oder Freiberufler, die im Internet ihre Waren oder Dienstleistungen vorstellen, bewerben und anbieten: Bauunternehmer, Ärzte, Unternehmensberater, Webdesigner, Handwerker, Architekten oder auch Rechtsanwälte und Steuerberater.

Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Pfändung einer Domain vgl. den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 05.07.2005, Az. VII ZB 5/0.
 
Der wilden Jagd auf Internet-Domains durch Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger dürften allerdings insofern doch oft engere Grenzen gesetzt sein.

Interessant scheint mir in dem Zusammenhang auch der Gesichtspunkt, dass im Rahmen des gesetzlichen Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO bei betroffenen Bloggern auch die Grundrechte der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit nach Art.5 Grundgesetz stärker in eine Zulässigkeits- und Schutz-Abwägung einzubeziehen sind. Dass die Grundrechte und die Grundentscheidungen des Grundgesetzes im Rahmen der Zwangsvollstreckung und bei Fragen des Vollstreckungsschutzes insbesondere auch vom Vollstreckungsgericht zu beachten sind, hat das Bundesverfassungsgericht z. B.in seiner Entscheidung vom 16.8.20011, Az. 1 BvR 1002/01, deutlich gemacht. Auch der nicht primär geschäftlich bzw. beruflich agierende Blogger oder die insoweit aktive Bloggerin muss folglich nicht schutzlos sein. In der medialen Außendarstellung dürften die Grenzen zwischen privater und beruflicher Meinungs- und Informationsbildung ohnehin schwer zu ziehen sein.

Freitag, 17. Dezember 2010

Rechte-Verwertung und Kultur der Abmahnung: Preußische Schlösser bleiben der Medienfreiheit verschlossen.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, der auch für "Grundstücksrecht" zuständig ist, hält Gebühren für gewerbliche Außenaufnahmen (Foto- und Film-Aufnahmen) von im Eigentum und in Parks der Stiftung "Preußische Schlösser und Gärten" befindlichen historischen Bauten nicht für ungebührlich. Ein Hoch auf die Rechte von kreativen Rechte-Verwertern und eine Klatsche u. a. für Kunst-, Wissenschafts- und Presse-Fotografen.

Mit Urteil vom 17.12.2010 Az. V ZR 44/10 hat laut aktueller Pressemitteilung des BGH der V. Senat die stringente Auffassung vertreten, jeder Grundstückseigentümer, auch der Staat,  könne das Fotografieren und Filmen untersagen, wenn dies von seinem Grundstück aus erfolgt. Dies sei eine Folge des Eigentumsrechts. Jeder Eigentümer könne bestimmen, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen jemand sein Grundstück betritt und ihm stehe das ausschließliche Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien zu, die von seinem Grundstück aus aufgenommen worden sind. Diese gelte auch für öffentlich-rechtliche Stiftungen.

Eine im Ergebnis unbefriedigende Entscheidung, die bedauerlicherweise nicht den Mut findet, die gesetzlichen Voraussetzungen der Panoramafreiheit gem. § 59 UrhG vertiefter zu hinterfragen:  Soweit der Gesetzgeber von "öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen" spricht, bleibt durchaus Raum für eine den Verpflichtungen gerade auch staatlichen Eigentums sowie auch den kulturellen, kommunikativen und wissenschaftlichen Grundrechten gerechter werdende Auslegung; dies gilt selbst dann, wenn man mit der Vorinstanz (OLG Brandenburg, Urteil vom 18.02.2010, Az. 5 U 12/09) grundsätzlich eine "Widmung für den Gemeingebrauch" verlangen will für die Qualifizierung beispielsweise eines Parks als "öffentlich". Dieser Grundsatz kann - und muss m. E. - nämlich eine Ausnahme finden dann, wenn Gesichtspunkte der Sozialbindung des Eigentums und/oder Grundrechte mit kultureller, wissenschaftlicher und/oder demokratisch-kommunikativer Prägung wesentlich berührt werden - mit Wechselwirkungen aus dem staatlich-öffentlichen und auf das staatlich-öffentliche Eigentum. Das Brandenburgische OLG hat die insoweit in unserer Medien-Gesellschaft erforderlicher werdende Sensibilität für verfassungskonforme Abwägungen auch mit seinem Urteil vom 09.11.2010, Az. 6 U 14/10, erkannt, von mir aufgegriffen in einem früheren Beitrag.

Der "Grundstücksrecht"-Senat des BGH hat, soweit er zwei der drei zweitinstanzlichen Entscheidungen an den 5. Zivilsenat des Brandenburgischen OLG zurückverwiesen hat, diesem allerdings kaum Spielraum gelassen, erneut den Schrankenbestimmungen des Urheberrechts verfassungsrechtliches Leben einzuhauchen.

Es bleibt als weiter viel Raum für kreative Rechte-Verwerter und für (legale) Vermögensmehrung durch Abmahnungen und Lizenz-Analogien.

Freitag, 3. Dezember 2010

Ich knips Dir ein Schloss. Die Abmahnung und die Lizenzgebühr warten im Park.

BGH-Urteil zur Panorama-Freiheit in Parks öffentlicher Stiftungen wird am 17.12.2010 mit Spannung erwartet. 
 
Sind Fotos - insbesondere Außenaufnahmen - von "öffentlichen" Kulturgütern künftig lizenzpflichtig? 

Nach Abmahnungen durch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten erhob diese vor dem Landgericht Potsdam auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Klagen gegen zwei Bildagenturen und eine Internet-Plattform. Die Klägerin beruft sich auf ihre Eigentumsrechte und daraus erwachsende Bildrechte.

Erstinstanzlich wurde den Klagen Ende 2008 stattgegeben. Das Brandenburgische OLG hob die Urteile allerdings im Februar 2010 auf und verneinte das Erfordernis einer Zustimmung des Eigentümers von Parks und historischen Gebäuden zu davon gefertigten kommerziell genutzten Fotos.

Das Oberlandesgericht hatte u.a. auf die Zweckbindung einer öffentlichen Stiftung abgestellt, die ihr Eigentum bzw. die Kulturgüter zu pflegen, zu bewahren und öffentlich zugänglich zu machen habe. Dies wurde von den Anwälten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aufgegriffen.

Mit Spannung bleibt abzuwarten, ob und wie sich der Bundesgerichtshof insbesondere auch zu Fragen der Panorama-Freiheit sowie allgemeiner zu Ausprägungen der Pressefreiheit und der Informationsfreiheit verhält. Kritische Worte zu ausschweifenden "Verwertungs-Tendenzen" und deutliche Hinweise zur Bedeutung der kommunikativen und kulturellen Grundrechte gerade auch im Kontext von Urheberrecht und Bildrecht täten der aktuellen Diskussion m. E. gut.

Montag, 15. November 2010

Kunstfreiheit siegt über Urheberrecht. Mit Grundrechten gegen Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Nachdem eine verfassungsrechtliche Güter- und Interessenabwägung über die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts hinaus von den Gerichten in der Vergangenheit strikt abgelehnt wurde (vgl. Grass-Briefe-Urteil des Kammergerichts v. 27.11.2007, Az. 5 U 63/07 und Gies-Adler-Entscheidung des BGH v. 20.03.2003, Az. I ZR 117/00), scheint sich das Blatt nun vielleicht doch zu wenden. Und zwar zugunsten einer sensibleren Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte insbesondere aus Art. 5 GG im Verhältnis zur verbreiteten Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Der 6. Senat des OLG Brandenburg hat mit Urteil vom 09.11.2010, Az. 6 U 14/10 der Kunstfreiheit eines Autors (Buchtitel: "Blühende Landschaften") im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Presse während der Wende-Zeit den Vorzug gegeben vor der urheberrechtlich geschützten Position des Zeitungsverlages an den streitgegenständlichen Zeitungsartikeln und Lichtbildern. Die literarische Collage und Montage und die damit geschaffenen Anschauungsobjekte genießen nach Einschätzung der brandenburgischen Richter gesteigerte verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit, um die politische und soziale Atmosphäre im Rahmen der dargestellten Ereignisse erfahrbar machen zu können. Insofern sah sich das OLG zur "kunstspezifischen Auslegung" des Urheberrechts veranlasst. Die künstlerische Freiheit dürfe in einem derartigen Fall auch nicht durch das etwaige Erfordernis einer Einwilligungseinholung eingeschränkt werden.

Den Entscheidungsgründen darf mit Spannung entgegengesehen werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Samstag, 25. September 2010

Was schert mich mein Porno von vorgestern: Bald Rückruf-Aktionen auch von Politikern?

Das Landgericht Berlin hat's verboten: Das ausschnittweise "Zitieren" pornografischer Schnipsel einer mittlerweile "seriösen" und preisgekrönten Schauspielerin im TV durch den Privat-Sender RTL.
Obwohl die Einwilligung zur Veröffentlichung des ursprünglichen Filmmaterials gem. § 22 KunstUrhG ohne Zweifel  bereits vor etlichen Jahren durch die damals "freischaffendere" Künstlerin erteilt worden sein muss, scheint die Berliner Pressekammer für das Recht am eigenen bewegten (Nackt-)Bild eine Art "Rückrufrecht wegen gewandelter Überzeugung" i. S. d. § 42 UrhG einführen zu wollen. Nicht uninteressant und nicht auszudenken, was für Möglichkeiten sich da auftun, mittlerweile unliebsame bewegte Bilder und Originaltöne der vergangenen Jahre ausmerzen und vergessen machen zu können:

Eine Scheibenwaschanlage für das Promi-Schaufenster? Ein Persil-Schein für die politische Kochwäsche früherer öffentlich festgehaltener Fehleinschätzungen? Eine weiße Weste über den in der Vergangenheit vielleicht manchmal zu fett gefressenen High-Society-Bauch?

Ein Ende der ewigen Vorhaltung alter Sünden und kein Ende für Gefälligkeits-Journalismus und Hofberichterstattung?

Das Recht am eigenen Bild und die Respektierung des Persönlichkeitsrechts haben ihre Berechtigung - ebenso wie das Recht zur Einwilligung in die Veröffentlichung eigener Bildnisse und eben auch die (nicht schrankenlose) Freiheit der Berichterstattung, das öffentliche Informationsinteresse und das journalistische Veröffentlichungsinteresse, auch und gerade auch dann, wenn letztere durch frühere Schritte, die zwischenzeitlich selbst als "Fehltritte" bewertet werden, geweckt worden sein sollten.

Also besser einen Nachruf auf den möglichen Rückruf. Oder wollen wir publizistische Waschanlagen, Persilscheine und weiße Westen?

Freitag, 4. Juni 2010

OLG Hamm zum Streit um Pressefoto von Kindern bei politischer Protest-Demo im Karneval

Wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder unter den Bedingungen eines öffentlichen Auftretens vor Zuschauern bewusst in der dann abgelichteten Situation der Öffentlichkeit präsentieren, scheidet aus mehreren presserechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen ein Veröffentlichungs-Verbot hinsichtlich anlassbezogen gefertigter und veröffentlichter Fotos der Kinder aus, auch wenn die Fotos nur einen ein oder zwei Kinder abbildenden repräsentativen Ausschnitt zeigen. Das OLG Hamm hat mit Beschlüssen vom 31.05.2010 ( I-3 W 26/10 und I-3 W 27/10) im einstweiligen Verfügungsverfahren zwei vorausgegangene Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld bestätigt. 

Mit in diesem Blog bereits bekanntgegebenen und kommentierten Beschlüssen vom 16.04.2010 hatte das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung von sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützte sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang hatte ich bereits ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hingewiesen; diese Entscheidung ging in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte die Zivilkammer - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Dies hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun ohne Einschränkungen bestätigt. In den Beschwerde-Beschlüssen heißt es u. a.:

Der Senat teilt insoweit angesichts der konkreten Umstände, unter denen das streitgegenständliche Foto (anlassbezogen) gefertigt und unter denen es von der Beklagten (anlassbezogen) veröffentlicht wurde, die Erwägungen des Landgerichts, dass es vorliegend vor allem deshalb an einem Schutzbedürfnis der (so) abgebildeten Kinder fehlt, weil sie von ihren Eltern in der abgelichteten Situation "bewusst der Öffentlichkeit zugewendet" wurden und den "Bedingungen eines (derartigen) öffentlichen Auftretens vor Zuschauern ausgeliefert" wurden (vgl. dazu: BGH, GRUR 2010, 173 - juris-Rdnr. 10). Zudem wurden die Kinder hier weder durch die abgelichtete öffentliche Situation noch durch das textliche Umfeld der in Rede stehenden Aufnahme verfälschend oder herabsetzend dargestellt noch sie selbst als heranreifende Persönlichkeiten in irgendeiner Weise kritisiert.

Kritik war textlich vielmehr an dem Verhalten der in der oben beschriebenen Weise provokant agierenden Eltern geübt worden, was diese zum Anlass genommen hatten, zunächst per Abmahnung und sodann bei Gericht ein Veröffentlichungs-Verbot gegen den Zeitungsverlag anzustreben. Dieser Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit zu beschneiden, scheiterte nun zu Recht auch vor dem OLG Hamm.

Montag, 31. Mai 2010

Kampf der Kulturen im Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht: "FAZ" und "SZ" gegen "perlentaucher.de" vor dem Bundesgerichtshof

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die "Süddeutsche Zeitung" versuchen nach insoweit beim Landgericht und beim OLG Frankfurt verlorenen Klageverfahren nun in der Revisionsinstanz vor dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, dem Internet-Kulturmagazin "perlentaucher.de" die kommerzielle Verwertung sogenannter Abstracts verbieten zu lassen. Am 15.07.2010 steht die mündliche Verhandlung vor dem BGH an.

Auf ihrer angegriffenen Internetseite bietet perlentaucher.de verkürzte Zusammenfassungen verschiedener Feuilletonartikel von bedeutenden deutschsprachigen Zeitungen an. Dies betrifft u. a. in der FAZ und der SZ abgedruckte Originalrezensionen bzw. Kritiken aktueller Buchveröffentlichungen. An den Abstracts erteilt das verklagte Online-Magazin auch entgeltliche Lizenzen zu Gunsten der Internet-Buchshops amazon.de und buecher.de. 

Die Zeitungsverlage wenden sich gegen diese kommerzielle Verwertung der anerkannten Rezensionen im Wege der Weiterlizenzierung an Dritte. Sie nehmen die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch, wobei hinsichtlich des Schadensersatzes lediglich der Feststellungsantrag gestellt wird. 

Landgericht (2/3 O 171/06 und 172/06) und OLG (11 U 75/06 und 76/06) haben die Klagen abgewiesen und eine Verletzung urheberrechtlicher Schutzrechte verneint. Die Abstracts seien freie Benutzungen der Originalrezensionen gem. § 24 UrhG und als solche zulässig. 

Die Verlage hätten auch keine Ansprüche gem. § 14 Abs. 5 und 6 MarkenG. So habe die Beklagte z.B. das Zeichen „FAZ“ nicht markenmäßig benutzt. 

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche würden ebenfalls ausscheiden. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass die durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Internetnutzer die Abstracts etwa mit den entsprechenden Feuilletonkritiken der Zeitungsverlage verwechselten (§ 4 Nr. 9a UWG). Soweit die Beklagte die Wertschätzung der Originalrezensionen für ihre Internetseite überhaupt ausnutze, sei dies jedenfalls nicht unangemessen i.S. d. § 4 Nr. 9b UWG und urheberrechtlich zudem gestattet. 

Unter Berücksichtigung des aktuell eher liberalen Rechtsprechungstrends des BGH ist wohl - m. E. zu Recht - eine Bestätigung der vorherigen Instanzen zu erwarten. Andernfalls müsste man sicherlich einer weiteren Welle von Abmahnungen und Klageverfahren durch "Beton"- und "Kohle"-orientierte Urheber-Egomanen entgegensehen. Damit sollen Urheber keineswegs ihrer Rechte beraubt werden; gerade im Bereich der Online-Kultur würde uns allerdings etwas mehr fruchtbare Durchlässigkeit, friedliche Koexistenz und gönnende Gelassenheit gut tun. Hinzu kommen die verfassungsrechtlichen Dimensionen, die Rechte ... und Pflichten ... beispielsweise aus Art. 5 und Art. 14 GG - und nicht zuletzt der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit.
Trennlinie, die unterschiedliche Inhalte trennt.

Dienstag, 20. April 2010

Landgericht stärkt Presse- und Meinungsfreiheit in Eilverfahren um Pressefoto von politischer Protest-Demonstration

Mit Beschluss vom 16.04.2010 hat das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung eines sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützt sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hinweisen; diese Entscheidung geht in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte das Gericht - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.