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Samstag, 23. April 2016

TTIP: Wenn ein Handelsabkommen vom Weg abkommt - Die sieben Stolpersteine



Sind das alles die üblichen Panik-Macher, renitente Nein-Sager und unverbesserliche Globalisierungsgegner, diese TTIP-Kritiker und -Phobiker?

Nein. Denn es gibt mindestens sieben Meilensteine, die auf dem derzeitigen Weg des zwischen der EU und den USA verhandelten Freihandelsabkommens sich als echte Stolpersteine erweisen: 



1.      Demokratie   Nur wenige, zumeist wirtschaftslobbynahe Handelspolitiker bzw. deren beauftragte Beamte sitzen in über 20 Arbeitsgruppen hinter verschlossenen Türen am Verhandlungstisch und baldowern existentielle Regeln u. a. auch zu Arbeit und Leben, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Umwelt und Natur aus, ohne dass diese Normen wirklich demokratisch legitimiert werden. Eine etwaige abschließende nationale Abstimmung zu einem festgeschnürrten Vertragspaket ersetzt nicht wirklich transparente und funktionierende demokratische Prozesse.



2.      Transparenz   Nicht einmal unsere Parlamentarier erhalten vollständigen und vertieften Einblick in die geheimniskrämerischen Verhandlungen und die nebulösen Verhandlungsergebnisse. Und nicht einmal die Bundesregierung weiß, welche wahre Substanz und belastbare Qualität die fragmentarischen Dokumente besitzen, die derzeit im „Leseraum“ den Abgeordneten ohne Kopie- oder Mitnahmerecht vorgelegt werden. Sicher ist nur die Unvollständigkeit der in die feigenblättrig anmutende Lesestube verbrachten Positions-, Streit- und/oder Entwurfs-Texte.



3.      Rechtsstaat   Schiedsgerichte statt öffentlicher Gerichtshöfe mit Berufungs- oder Revisionsmöglichkeit beschneiden die Rechtsstaatlichkeit – insbesondere auch bei Investorenklagen. Dass amerikanische Anwaltskanzleien das entspannter sehen als europäische und deutsche Unternehmer und Rechtsanwälte, sollte dabei nicht weniger zu denken geben.



4.      Daseinsvorsorge   Verhandelte Privatisierungen von öffentlichen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge können nicht bedachte sowie sehr fühlbare und einschneidende leistungsmäßige, zugangsmäßige und preismäßige Konsequenzen für jeden Einzelnen haben (z. B. Stichwort „Wasser“).



5.      Vertrauen   Die bisherige Handhabung der Verhandlungen und der mangelhaften und oft mangelnden, fehlerhaften und widersprüchlichen öffentlichen Information und Beteiligung hat verständlicherweise bei den Menschen zu wenig Verständnis und wenig Vertrauen in die Verhandlungen und die Verhandlungsergebnisse geführt. Das ist keine funktionierende Basis für derart existentielle Regelungsbereiche.



6.      Prognosen-Schere    Jubel-Studien zu prognostiziertem Wirtschaftswachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen stehen kritische Untersuchungen zu rationalisierungsbedingten Job-Verlusten und der sich vergrößernden Schere zwischen Arm und Reich gegenüber. Vor dem voreiligen Genuss vollmundiger Versprechungen ist folglich zu warnen.



7.      Kultur und Medien   Die nach alledem sich abzeichnende fehlende Verhandlungskultur kann schließlich zudem unmittelbare oder mittelbare folgen selbst für unsere Kultur haben; wo Geldverteilung geregelt wird, ist immer auch stattfindende oder unterlassene Kulturförderung, Umgang mit Medien und Medienschaffenden, Kunst- und Kulturleben berührt. Und wo „Geistiges Eigentum“ allenfalls aus Sicht und Interessenlage der Rechteverwerter behandelt und verhandelt wird, darf man Gesichtspunkte wie Urheberpersönlichkeitsrecht, Privatkopie und Netzfreiheit sowie Medien- und Informationsfreiheit wohl kaum gut aufgehoben wissen.


Sonntag, 19. Juli 2015

Bundesverfassungsgericht stoppt privates Hausverbot für Flashmob-Demo


Eigentum mit Schranken: BVerfG stärkt Kommunikationsfreiheit - Foto: Labeth
Das Bundesverfassungsgericht hat am 18.07.2015 eine Einstweilige Anordnung erlassen (Az. 1 BvQ 25/15) zur Durchführung einer Flashmob-Versammlung. Das Hausverbot für ein am Ende einer Fußgängerzone gelegenes Privatgrundstück wurde aufgehoben. 
Der Veranstalter beabsichtigt, am 20.07.2015 von 18:15 Uhr bis 18:30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung durchzuführen, und zwar auf dem im Eigentum einer GmbH & Co. KG stehenden „Nibelungenplatz“ in Passau.
Mit der geplanten Versammlung unter dem Motto „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“ will der Veranstalter auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten, zentral gelegenen Platz gegen die zunehmende Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten demonstrieren. Auf das Kommando „Für die Freiheit - trinkt AUS!“ sollen die Demonstranten jeweils eine Dose Bier öffnen und diese dann so schnell wie möglich auf Ex leeren. Danach plant der Veranstalter eine kurze Ansprache mit anschließender Diskussion.
Mit seinem Antrag, ein von der GmbH & Co. KG ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben, war der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht und dem Landgericht noch gescheitert. Diese zivilgerichtlichen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gestern im Wesentlichen aufgehoben.
Es gibt bisher keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung der Karlsruher Richterinnen und Richter zur Versammlungsfreiheit auf öffentlich zugänglich gemachten Privatgrundstücken. Im Eilverfahren zeigt das Bundesverfassungsgericht nun die grundsätzliche Geltung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auch dort auf, wo durch einen Privateigentümer "bereits ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet worden ist“.

In der Pressemitteilung aus Karlsruhe heißt es dazu:
"Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.
Als private Grundstückseigentümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien rechtliche Wirkungen; die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Je nach Fallgestaltung kann dies einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226).“
Weiter heißt es zu dem von der Eigentümerin  ausgesprochenen und von den Zivilgerichten bestätigten Hausverbot:
„Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Versammlungsort kommt angesichts des Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll stationär abgehalten werden. Versammlungsrechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen.“ 
Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte geht an Privateigentümern nicht vorbei. Eigentum verpflichtet in einer demokratischen Gesellschaft eben auch zu Verantwortung und Augenmaß bei der privaten Ermöglichung öffentlicher Kommunikation und Demonstration.

Samstag, 5. Juni 2010

Abmahnung an die politische "Klasse" - Gauck für das Volk - Ein etwas anderes Plädoyer



Die Bundeskanzlerin nimmt faktisch für sich das Urheberrecht für das Amt bzw. die Person des Bundespräsidenten und seiner oder ihrer Auswahl in Anspruch. Dabei beruht die daraus abgeleitete Werkschöpfung auf machtpolitischem Kalkül statt auf wegweisender Kreativität. Hierfür verdient Frau Merkel und die derzeitige politische "Klasse" eine Abmahnung.

Und zwar eine Abmahnung aus dem Volk, ohne damit einer voreiligen und nicht immer weitsichtigen Forderung nach der direkten, basisdemokratischen Wahl des Bundespräsidenten das Wort reden zu wollen.

Die Wahlfrauen und Wahlmänner der Bundesversammlung sollten allerdings am 30.06.2010 - und schon früher - sich die folgenden, teilweise vielleicht provokanten - Argumente dahingehend vor Augen führen, was Gauck für das Volk bedeutet, wobei die Reihenfolge keine Rangfolge sein soll:

 1. Joachim Gauck ist kein Jurist, sondern Theologe. Was soll das denn, werden viele fragen: Juristen - wie Wulff (und wie im Übrigen auch der Verfasser einer ist) -  w i  s s e n  doch, während Theologen nur glauben. Was Juristen alles wissen und vor allen Dingen oft nicht wissen, führt die politische Klasse der aktuell das politische Agieren auf den höchsten Ebenen bestimmenden Juristen uns täglich vor. Juristen glauben zu wissen, der Theologe Gauck weiß, was er glauben kann und - noch wichtiger - was nicht. Die Hinterfragung vermeintlicher Wahrheiten prägt nicht unwesentlich sein Leben; und gleichzeitig der engagierte Kampf um die Wahrheit, auch wenn sie unbequem ist.

 2. Wo wir beim Thema Glauben sind: Joachim Gauck ist kein Katholik. Ja und? Müssen wir das Amt nach Proporz-Gesichtspunkten (Merkel ist evangelisch) besetzen? Wäre auch das nicht bloß Kalkül? Und was ist mit den Geschehnissen und Umgehensweisen, die die katholische Kirche in der jüngeren Vergangenheit - zu Recht - belastet haben? Diese Dinge belasten zweifelsohne nicht den niedersächsischen Ministerpräsidenten, zwingen uns allerdings auch nicht zu dem vorerwähnten Proporz-Deal.

 3. Mehr "junge Leute" (Christian Wulff ist - wie ich - 50) in höchste Staatsämter? Generationswechsel? Steht Wulff wirklich dafür? Wofür steht er eigentlich? Gauck steht jedenfalls für ein langes, zugegebener Maßen längeres Leben (70 Jahre), voller leidvoller, mutiger und zäher Geschichte, Erfahrung und Handlung. Wir werden in den kommenden Jahren zunehmender lernen müssen, neben der berechtigten Förderung und Forderung der "Jugend" ohne falschen Jugendwahn nicht nur die Last, sondern mehr noch das Potenzial und die Ressourcen erfahrener "Alter" oder "Älterer" einzubeziehen und zu nutzen; keineswegs kritiklos und rückwärtsgewandt, jedoch lernfähig und lernwillig, offen und zugewandt sowie gerne manchmal auch begeistert.

 4. Wulff ist ein Vollblut-Politiker, einverstanden. Aber reicht das? Brauchen wir an dieser Stelle genau das und den? Hieß es in einer der entscheidenden politischen Zeiten für unser Land, im Herbst 1989, "Wir sind die Politiker" oder hieß es "Wir sind das Volk"? Nun wird das Volk nicht Bundespräsident werden können. Das Volk hat aber berechtigter Weise auch kein Verständnis mehr für und keine Lust mehr auf  glattkalkulierte und durchtaktierte Gremien-Politik auf einem Weg der geringsten Widerstände. Gauck steht für das Gegenteil. Das Volk will das Gegenteil. Gauck steht für politische Unabhängigkeit mit dem Blick über den politischen Tellerrand - bei gleichzeitig ausgeprägten politischen Überzeugungen und vorzuweisenden Taten.

 5. Und Gauck steht für politischen Eigensinn im besten Sinne des Wortes und mit geschliffenem Akzent bei der geistreichen und anstoßenden - nicht anstößigen - Wahl seiner Worte. Ein Mann - und wenn schon - mit Ecken und Kanten, nicht weichgespült, aber ohne falsche Verbitterung, nicht Darling, aber sich einmischender Demokrat, durch und durch Demokrat mit Rückgrat sowie Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft.

 6. Sein Drang zur und sein ständiges Ringen um und für die Freiheit sowie für das Begreifen der Freiheit als unverzichtbare menschliche und menschenwürdige Lebensgrundlage sind Vorbild für unsere Demokratie und unser Land.

 7. Gauck ist kein Mann der Karriere, kein Laufbahn-Läufer, sondern ein Mann mit steinigem Weg, ein mutiger Kämpfer sowie ein eigensinniger und verantwortungsvoller Aufklärer für das Volk - und für die Politik.