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Donnerstag, 27. Januar 2022

Alles KLAR im Internet? Aktuelle BGH-Urteile zur Klarnamenpflicht in sozialen Medien

Der III. Zivilsenat in Karlsruhe urteilte zu Online-Pseudonymen

Der Bundesgerichtshof hatte am 27.01.2022 darüber zu entscheiden, ob die Anbieter sozialer Netzwerke deren Nutzung in anonymisierter bzw. pseudonymisierter Form zu ermöglichen haben. Mediennutzer und Medienanwälte waren gespannt. 

Die beiden Verfahren vor dem III. Zivilsenat (Az. III ZR 3/21 und Az. III ZR 4/21) richten sich gegen Facebook. Der Portalbetreiber hatte, gestützt auf seine Nutzungsbedingungen vom 30.01.2015 und vom 19.04.2018, die in den beiden prozessualen Verfahren betroffenen Nutzerkonten wegen Nichteinhaltung der vorgegebenen Klarnamenpflicht gesperrt. Nach den streitgegenständlichen Facebook-AGB ist bei der Nutzung der Plattform der wahre Name bzw. der Name zu verwenden, der auch im täglichen Leben verwendet wird. 

Hiergegen sind der im ersten Fall betroffene Nutzer und die im zweiten Fall betroffene Nutzerin gerichtlich vorgegangen. Sie stützen sich dabei auf die bis November 2021 geltende Regelung des § 13 Abs. 6 S. 1 Telemediengesetz (TMG). Dort heißt es, dass ein Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. 


Was geschah bisher vor Gericht?

Nach unterschiedlichen erstinstanzlichen Urteilen des Landgerichts Traunstein v. 02.05.2019 (Az. 8 O 3510/18) sowie des Landgerichts Ingolstadt v. 13.09.2019 (Az. 31 O 227/18) hatte das OLG München am 08.12.2020 (Az. 18 U 2822/19 Pre und Az. 18 U 5493/19 Pre) in beiden Fällen Facebook Recht gegeben und eine Klarnamenpflicht auf der dortigen Plattform gestattet. Zwar sei die oben erwähnte gesetzliche Regelung des TMG grundsätzlich anwendbar; es sei Facebook allerdings – auch um Nutzer von einem rechtswidrigen Verhalten im Internet abzuhalten – nicht zumutbar, die Verwendung von Pseudonymen zu ermöglichen und damit von der Klarnamenpflicht abzusehen.

 

Und was sagt nun der BGH zur Klarnamenpflicht?

Der III. Zivilsenat hat die beiden Streitfälle praktisch für Altfälle entschieden, d. h. für Nutzerinnen und Nutzer, die seit langem Pseudonyme auf der Plattform verwenden. 

In dem Fall des klagenden Nutzers (Az. III ZR 3/21) hat der Bundesgerichtshof Facebook verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert; die soziale Plattform hat dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen seines Nutzerkontos zu gewähren.

Die gegenteilige Vorgabe, der Kontoinhaber habe bei der Nutzung des sozialen Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet, sei rechtlich unwirksam, weil eine derartige Klarnamenpflicht den Nutzer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Eine derartige Regelung sei mit der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung des § 13 Abs. 6 S. 1 TMG, insbesondere mit dem darin zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass ein Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym bzw. pseudonymisiert zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht vereinbar. 

Der Kläger darf folglich das Netzwerk unter einem Pseudonym nutzen. Eine Klarnamenpflicht wird höchstrichterlich in dem Zusammenhang verneint. 

Auch die Klägerin im Verfahren zum Az. III ZR 4/21 muss sich nicht auf eine Klarnamenpflicht verweisen lassen und kann von Facebook die Freischaltung ihres Nutzerkontos und den Zugriff auf dessen Funktionen beanspruchen. 

Der BGH stellt in seinen Urteilen klar, dass es auf die aktuellen gesetzlichen Vorgaben der DSGVO für seine Entscheidung nicht angekommen ist, da diese datenschutzrechtlichen Regelungen zum damaligen Zeitpunkt des Facebook-Beitritts der Kläger und damit bei Einbeziehung der strittigen AGB-Klauseln noch nicht galten. 

Zumindest für langjährige Facebook-Nutzerinnen und -nutzer besteht folglich keine Klarnamenpflicht.


Mittwoch, 24. März 2021

Private Geheimpolizei in Familien und Wohnungen

 BGH-Urteil: Verdächtigungen und Verhöre nach anwaltlichen Abmahnungen

Was unbescholtene Haus- und Wohnungseigentümer in ihren Briefkästen vorfinden, löst auch und gerade in aktuellen Pandemiezeiten nicht selten Bestürzung und Entsetzen aus. Da wird in umfangreicher Anwaltspost unter Vorlage gerichtlicher Beschlüsse und unter Hinweis auf ergangene höchstrichterliche Entscheidungen verlangt, Familienangehörige, Mitbewohner und Gäste wegen vermeintlich über das Internet begangener Urheberrechtsverletzungen quasi geheimdienstlich zu bespitzeln und zu denunzieren. Andernfalls drohen die Abmahner mit erheblichen Schadensersatz- und Kostenforderungen. Gleichzeitig wird für den Fall eines unkooperativen Verhaltens die Gefahr mehr­instanzlicher gerichtlicher Verfahren mit immensen Prozesskosten angekündigt.

 

Ist man dann zu familiärem Verrat verpflichtet?

 Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (verkündet am 17.12.2020, Az. I ZR 228/19) hat nun auf über 30 Seiten Klarheit dazu geschaffen. Obwohl einige Abmahnanwälte dies anders darzustellen versuchen, sind die Inhaber*innen von häuslichen Internetanschlüssen nicht dazu verpflichtet, nach Erhalt einer Filesharing-Abmahnung den Abmahnern außergerichtlich etwa Familienangehörige oder Mitbewohner*innen der illegalen Teilnahme an Online-Tauschbörsen zu bezichtigen und sie ggf. so „ans Messer zu liefern“.

 

Greift die sekundäre Darlegungslast oder die Störerhaftung ein?

 Die in derartigen Abmahnungsschreiben häufig zu findende gegenteilige Argumentation, der schuld- und ahnungslose Abmahnungsadressat müsse innerhalb der eingeräumten Frist seinen sog. „sekundären Darlegungspflichten“ nachkommen, da er ansonsten selbst hafte, ist ebenso falsch wie ein etwaiger Versuch der Film-, Serien- oder Audio-Produzenten, mit sog. „tatsächlichen Vermutungen“ oder gar mit einer angeblich jeden Anschlussinhaber treffenden „Störerhaftung“ zu argumentieren. Dies geht spätestens seit der Änderung des Telemediengesetzes (TMG) vom 28.09.2017 ebenso fehl wie der in manchen Abmahnungen ausdrücklich oder unterschwellig enthaltene Vorwurf, man habe evtl. den häuslichen Internetanschluss nicht ausreichend abgesichert oder unzulänglich kontrolliert.

 

Was ist mit drohenden Abmahnungs- und Prozesskosten?

 Wenn die Abmahner schließlich damit drohen, trotz fehlender Täterschaft des Anschlussinhabers sei dieser für den Fall anschließender gerichtlicher Verfahren zumindest gesetzlich verpflichtet, die wegen fehlender Auskunft erforderlich gewordenen Prozesskosten zu erststatten, wird mit der o. g. BGH-Entscheidung auch derartigen fehlerhaften Rechtsbehauptungen ein Riegel vorgeschoben. Karlsruhe verneint eindeutig entsprechende vorgerichtliche Kostenerstattungsansprüche.

 

Keine Panik!

 Wie so oft bei rechtlichen Auseinandersetzungen gilt auch in urheberrechtlichen und medienrechtlichen Streitfällen der Grundsatz: Bange machen gilt nicht. Und zu Stasi-ähnlichen Methoden innerhalb der eigenen Familie bzw. der eigenen Wohnung ist man auch urheberrechtlich nicht verpflichtet.



Freitag, 21. August 2020

Bei Filesharing-Abmahnung primär wichtig:

Die erfolgreiche Abwehr unberechtigter Filesharing-Abmahnungen ist kompliziert.

DIE SEKUNDÄREN DARLEGUNGSPFLICHTEN


Viele Internetnutzer ereilen beim Erhalt von urheberrechtlichen Filesharing-Abmahnungen noch immer etliche Unsicherheiten und Irrtümer hinsichtlich der sog. „sekundären Darlegungspflichten“. Wenn der Internetanschlussinhaber eigentlich auch erst im etwaig nachfolgenden gerichtlichen Verfahren zur substantiierten Rechtsverteidigung prozessual verpflichtet ist, empfiehlt es sich in einer Vielzahl von Abmahnungsfällen doch, der Gegenseite zwecks Vermeidung anschließender Klageverfahren bereits frühzeitig überzeugende Verteidigungsargumente entgegenzuhalten.

Dazu gehört die unmissverständliche Zurückweisung unberechtigter Tatvorwürfe und wahrheitsgemäße Darlegungen zur eigenen Router- und Endgeräte-Ausstattung, zur WLAN-Verschlüsselung sowie zum eigenen Internetnutzungsverhalten.

Anzugeben ist ferner, welche Haushaltsangehörigen oder Besucher mit Rücksicht auf ihre technische Ausstattung, ihr Nutzerverhalten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.

Insoweit ist der Anschlussinhaber auch im Rahmen des Zumutbaren zu Befragungen und Nachforschungen verpflichtet und hat mitzuteilen, welche relevanten Kenntnisse er auf welche Weise dabei ggf. erhalten hat.

Die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen und die darauf fußenden Darlegungen des Internetanschlussinhabers dürfen allerdings – was häufig selbst von Teilen der Rechtsprechung übersehen wird – vor dem Hintergrund des etwaigen Zeitablaufs von mehreren Wochen, mehreren Monaten und manchmal sogar mehreren Jahren nicht überspannt werden. Die prozessualen Anforderungen sind nämlich unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sachgerecht und fair zu begrenzen.

Ein zu dieser Thematik diesseits bereits im September 2018 errungenes Urteil des Landgerichts Bielefeld hat das in überzeugender Weise bestätigt. Soweit dennoch oft überhöhte Anforderungen an detailliertere sekundäre Darlegungen zurückliegender technischer, häuslicher und familiärer Abläufe und Verhaltensweisen gestellt werden, dient dies demgegenüber primär der zusätzlichen Verunsicherung vieler Abmahnungsadressaten.

Dem ist dann ggf. unter Hinweis auf einschlägige gerichtliche Urteile entschieden entgegenzutreten.

Mittwoch, 10. Juli 2019

EuGH-Überraschung für Online-Shops und neue Grenze für Abmahnungen

http://www.zumanwalt.de
Onlinehändler und Abmahnungsgegner freuen sich über das neue EuGH-Urteil
Heute hat der Europäische Gerichtshof ein für Online-Shops recht entspannendes Urteil gefällt und gleichzeitig dem deutschen Gesetzgeber auf die Finger gehauen. Die Entscheidung dürfte auch für zukünftige wettbewerbsrechtliche Abmahnungen von nicht unerheblicher Bedeutung sein: 

Onlinehändler müssen auf ihrer Webseite eine Telefonnummer nur dann angeben, wenn diese auch tatsächlich für die Kommunikation mit dem Kunden verwendet wird. Eine Pflicht, eine telefonische Kundenkommunikation zu ermöglichen, besteht aber nicht. 

In Abwägung zwischen den Verbraucherbelangen und den Interessen insbesondere auch kleinerer Internetshop-Betreiber kommt das EuGH-Urteil zu dem Ergebnis, dass auch Online-Chats, Kontaktformulare oder Rückruf-Tools als Kommunikationsweg ausreichen können.  

Soweit eine Telefonnummer angegeben wird, muss diese auch nicht in jedem Fall praktisch mit einem Klick auf der Händler-Webseite auffindbar sein.

Und der EuGH bejaht zudem die Möglichkeit, eine lediglich kostenpflichtige Rufnummer einzurichten, wenn über andere Kanäle in zumutbarer Weise eine ausreichende Erreichbarkeit besteht. 
 
Damit wird gleichzeitig zahlreichen wettbewerbsrechtlichen Impressum-Abmahnungen der Wind aus den Segeln genommen.

Der dem heutigen Urteil in der Rechtssache C-649/17 zugrunde liegende Rechtsstreit wurde zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. und Amazon EU Sàrl geführt. Amazon kam dabei zugute, dass die maßgebliche europäische Richtlinie hinsichtlich der vorgegebenen Kommunikationsmittel etwas offener formuliert ist als die daraus abgeleitete deutsche Vorschrift gemäß Art. 246a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB i. V. m. Art. 6 Abs. 1 lit. c der Verbraucherrechterichtlinie. 
 
Na denn: „Don’t call us. We call you.“
 
 

Freitag, 19. Oktober 2018

„Unzumutbar“: Neues Urteil zu Filesharing-Abmahnungen



http://zumanwalt.de
Landgericht Bielefeld setzt Grenzen der Zumutbarkeit bei Filesharing-Abmahnung

Erstmalig hat sich das Landgericht Bielefeld in einem diesseits erwirkten aktuellen Berufungsurteil konkret und hilfreich mit den Zumutbarkeitsgrenzen bei der Verteidigung gegen Filesharing-Abmahnungen und –Klagen befasst.

Die in anwaltlichen Abmahnungsschreiben und Klageschriftsätzen häufig überstrapazierte sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ des Internet-Anschlussinhabers hat ihre Grenzen.

Wieviel konkrete Erinnerung kann nach welchem Zeitablauf vom Anschlussinhaber verlangt werden?


Im Urteil vom 11.09.2018 (Az. 20 S 18/17) heißt es dazu u. a.:

„Zu konstatieren ist, dass nicht minutengenau zur konkreten Nutzung zum Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzung vorzutragen ist. Zum einen bedingt die Funktionsweise der Tauschbörsen, dass keine Anwesenheit des Nutzers vor dem Rechner erforderlich ist. Zum anderen ist dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht abzuverlangen, die Internetnutzung naher Angehöriger einer Dokumentation zu unterwerfen, BGH, Urteil vom 27.02.2017, I ZR 68/16 „Ego-Shooter“- juris Rn. 18 für die Ehefrau des Anschlussinhabers. Dass schon Ende Januar 2013 keine konkreten Erinnerungen bezüglich der minutengenauen Nutzung des Internets am 03.01.2013 mehr vorhanden gewesen sein dürften, liegt auf der Hand.


Erst recht können bei der Parteivernehmung der Beklagten am 08.03.2017 keine entsprechenden Angaben erwartet werden. Die Klägerin kann daher aus insofern unterbliebenen Angaben nichts für sich herleiten.

Hier überspannt die Klägerin die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast. Derartige Angaben sind unzumutbar.“  
 
Entsprechendes gilt nach der Entscheidung der Bielefelder Richter, wenn die oder der Abgemahnte seine Angehörigen über die in der Abmahnung enthaltenen Vorwürfe verhören und diesbezügliche Recherchen anstellen soll.

Wieviel Nachforschungen und Nachfragen bei Familienangehörigen können vom Anschlussinhaber verlangt werden?


Dazu das Landgericht:

„Des Weiteren kann die Klägerin der Beklagten auch nicht unzureichende Nachfragen bei den Kindern vorhalten. Entscheidend ist, dass die Beklagte unter hinreichender Darstellung des in Rede stehenden Sachverhaltes bei beiden Kindern nachgefragt hat, diese sich zur Rechtsverletzung aber nicht erklärt hätten. Sie konnten oder wollten nichts weiter dazu sagen. Auch später hätten die Kinder nur mit Schulterzucken und ohne weitere Gesprächsbereitschaft reagiert, vgl. dazu Bl. 129 d.A., S. 2 des Schriftsatzes vom 30.01.2017.


Der Klägerin kann nicht dahin gefolgt werden, die Beklagte habe sich einer Wahrheitsfindung bewusst verschlossen. Vielmehr ist es so, dass die Beklagte eben bei den Nachforschungen an ihre Grenzen gekommen ist und es letztlich dabei bleibt, dass keine über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) hinausgehende Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu beschaffen, vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 27.02.2017, I ZR 68/16 „Ego-Shooter“ – juris Rn. 13.“

Und wieviel konkrete Erinnerung an die vom Anschlussinhaber ggf. vorgenommen Nachforschungen und Befragungen können von diesem verlangt werden?

Das Berufungsgericht in Bielefeld führt dazu aus:

„Eine konkrete Erinnerung und entsprechende Wiedergabe derselben ist auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufes, den letztlich im Wesentlichen die Klägerin durch die Beantragung des Mahnbescheides erst am 11.01.2016 verursacht hat, nicht zu erwarten.

Insofern sind nach Auffassung der Kammer die Anforderungen an den Inhalt der Darlegungen des Anschlussinhabers in eine gerechte Relation zu dem Interesse des Rechteinhabers an hinreichendem Schutz seiner Rechte aus Art. 14 GG zu setzen.

Da eine vorprozessuale sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers generell nicht angenommen werden kann, hat die Klägerin als mutmaßliche Rechteinhaberin dann gegebenenfalls geringere Anforderungen an den Umfang der notwendigen und zumutbaren Darlegungen des in Anspruch genommenen Anschlussinhabers hinzunehmen.“
 
Diese praxisnahe, realistische und angemessene gerichtliche Entscheidung unterstützt die erfolgreiche Abwehr überambitionierter und ungerechtfertigter urheberrechtlicher Abmahnungen und ist ein begrüßenswertes Zeichen dafür, dass der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit bei den internetrechtlichen und prozessrechtlichen Hürden zukünftiger erfolgreicher Abmahnungsabwehr eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wird.

 

Mittwoch, 22. August 2018

Der Internetanschluss als Zumutung urheberrechtlicher Fallen

Es landen wieder mehr Filesharing-Abmahnungen und -Klagen im Briefkasten

Zumutbares zur sekundären Darlegungslast bei Filesharing-Abmahnungen und -Klagen

Auch nach den BGH-Urteilen mit so klingenden Namen wie „Everytime we touch“ (BGH-Urteil vom 12.05.2016, Az. I ZR 48/15), „Loud“ (BGH-Urteil vom 30.03.2017, Az. I ZR 19/16) und „Konferenz der Tiere“ (BGH-Urteil vom 06.12.2017, Az. I ZR 186/16) erleben zahlreiche Internetanschlussinhaber derzeit wieder gehäuft die Zustellung einer oder mehrerer anwaltlicher Filesharing-Abmahnungen.

Hintergrund der auflebenden anwaltlichen Abmahnungspraxis ist die sich bei einigen Gerichten zunehmend entwickelnde Praxis, im Rahmen der Verteidigung gegen derartige urheberrechtliche Abmahnungen immer detailverliebtere Darlegungen des Internetanschlussinhabers zu verlangen - zu allen möglichen und teilweise auch unmöglichen häuslichen, technischen und familiären Vorgängen, Abläufen und Handhabungen. Dies alles soll der Erfüllung der sog. „sekundären Darlegungspflicht“ dienen.

Ein Gesichtspunkt ist dabei allerdings in der letzten Zeit etwas zu kurz gekommen, obwohl gerade der BGH eigentlich im Rahmen seiner Filesharing-Rechtsprechung nie einen Zweifel hat aufkommen lassen daran, dass es auf diesen Gesichtspunkt häufig in besonderer Weise ankommt, wenn darüber zu befinden ist, was von einem Internetanschlussinhaber unter welchen Voraussetzungen verlangt werden kann, wenn er sich erfolgreich und zu Recht gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und -Klagen wehren will.

Das ist der Gesichtspunkt der „Zumutbarkeit“.

Grundsätzlich gilt, dass der Adressat einer Filesharing-Abmahnung bzw. einer Filesharing-Klage dann, wenn er nicht für die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen verantwortlich ist, seine eigene persönliche Täterschaft ausdrücklich verneinen muss. Dieses bloße Bestreiten reicht allerdings nicht aus.

Darüber hinaus ist vorzutragen, ob und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu dem Internetanschluss hatten und als Täter der behaupteten Rechtsverletzung in Betracht kommen. Dabei wird „im Rahmen des Zumutbaren“ auch verlangt, innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises Nachforschungen, insbesondere Befragungen anzustellen und sodann auch wahrheitsgemäß mitzuteilen, welche Erkenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung dabei gewonnen werden konnten.

In dem Zusammenhang werden nachvollziehbare Angaben erwartet dazu, wie die anderen, ernsthaft für die betroffenen Rechtsverletzungen in Betracht kommenden Personen in welcher Weise und mit welcher technischen Ausrüstung wie oft und mit welchen Kenntnissen und Fähigkeiten das Internet nutzen. Ferner sollen Angaben dazu gemacht werden, inwiefern die benannten Personen in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, den etwaigen Rechtsverstoß ohne Wissen und Zutun des Abmahnungsadressaten zu begehen.

Da ist so mancher schnell überfordert. Dies wird besonders anschaulich, wenn entsprechende, möglichst konkrete „sekundäre Darlegungen“ im Rahmen eines Klageverfahrens für eine sachgerechte Klageverteidigung vorausgesetzt werden, obwohl die prozessrelevanten Vorgänge vielleicht bereits mehrere Jahre zurückliegen. Aktuelle Filesharing-Klagen betreffen nicht selten Sachverhalte aus den Jahre 2013 und 2014, liegen also etliche Jahre zurück und sind deshalb kaum vollständig erinnerlich oder ermittelbar.

Aber selbst dann, wenn die Vorgänge erst einige Wochen oder Monate zurückliegen, fällt es oft schwer, zu sämtlichen der oben angedeuteten Detail-Themen umfassend und in jeder Hinsicht substantiiert den genauen Sachstand zu schildern.

Dann wird die sog. „sekundäre Darlegungslast“ schnell zur primär den Internetanschlussinhaber treffenden „primären Darlegungsfalle“.

Deshalb sind in dem Zusammenhang möglichst schnell substantiellere Vorgaben der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den diesbezüglichen Zumutbarkeitsgrenzen für die Inhaber von Internetanschlüssen von Nöten.


Freitag, 3. November 2017

Praxis der Gegendarstellung


OLG Hamm stoppt legere gerichtliche Unarten 


Das OLG Hamm mit begrüßenswerter Gesetzestreue und Formenstrenge
Die gerade auch dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit geschuldeten, vom Gesetzgeber festgelegten Anforderungen an presserechtliche Gegendarstellungen werden an etlichen deutschen Gerichten seit Jahren heruntergeschraubt.
Während noch Einigkeit darüber besteht, dass mit der „Waffe“ der Gegendarstellung ein persönlich Betroffener ausschließlich auf Tatsachenbehauptungen entgegnen kann und nicht etwa auf journalistische Meinungsäußerungen oder Werturteile, wird die Form, in der der Gegendarstellungstext dem Zeitungsverlag bzw. dem Medienunternehmen übermittelt werden muss, richterlich nicht selten contra legem aufgeweicht.  

Pragmatisch ambitionierte Richterinnen und Richter wollen den Betroffenen – zumal in unserer zunehmend schnelllebigeren und technisierteren Medienwelt – die Veröffentlichung einer Gegendarstellung möglichst erleichtern und verhelfen auch lediglich per Telefax übermittelten Gegendarstellungstexten gerichtlich zum Abdruck bzw. zur öffentlichen Zugänglichmachung (so die Praxis bei den Oberlandesgerichten in München, Saarbrücken und Bremen und auch beim Landgericht Köln). 
Anders sieht dies – mit zutreffender und überzeugender Begründung – seit längerer Zeit das OLG Hamburg (Urteil vom 18.05.2010, Az. 7 U 121/09, unter Bezugnahme u. a. auch auf das Urteil des BGH vom 30.03.1997, NJW 1997, 3169 ff., 3170). Das OLG Hamburg hat den ausdrücklichen und eindeutigen Gesetzestext des Landespressegesetzes auf seiner Seite. Die Landespressegesetze verlangen ausdrücklich „Schriftform“ und dass eine Gegendarstellung von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter „unterzeichnet“ sein muss. 
Ungeachtet der vom Gesetzgeber insofern unmissverständlich für Gegendarstellungen normierten gesetzlichen Schriftform (zu unterscheiden von einer lediglich vertraglich vereinbarten, sogenannten „gewillkürten“ Schriftform, für die Telefax oder E-Mail ausreichen), wurde das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg insoweit lange Zeit als vermeintlich einziger Vertreter einer angeblich exotisch praxisfernen presserechtlichen Mindermeinung belächelt. 
Nun hat allerdings auch das OLG Hamm mit einem diesseits erwirkten Hinweisbeschluss vom 04.09.2017 (Az. I-3 U 127/17) unter Verweis auf die Formvorschrift des § 11 Abs. 2 LPrG NRW klargestellt, dass die gesetzliche Formvorschrift „eng auszulegen (ist), weil der Anspruchsverpflichtete den Text der Gegendarstellung prinzipiell ohne Änderungen zum Abdruck bringen und für ihn daher zweifelsfrei klar sein muss, wie die Gegendarstellung exakt lautet.“ 
Dabei ging der Entscheidung des 3. Zivilsenats sogar eine noch legerere Rechtsanwendung seitens des Landgerichts Bielefeld (Urteil vom 22.08.2017, Az. 2 O 238/17) voraus. Im dortigen schriftlichen Verfahren waren nach mehreren, immer wieder modifizierten außergerichtlichen Abdruckverlangen bereits richterlich verfügte Abdruck-Anordnungen ergangen. Nach Widerspruchseinlegung erfolgten in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung daraufhin seitens des Klägervertreters verschiedene Teile des Gegendarstellungstextes betreffende Hilfsanträge. Im anschließenden Urteilstenor heißt es dann kryptisch:
"Die einstweiligen Verfügungen vom 27.07. und 03.08.2017 werden mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass im letzten Absatz der zu veröffentlichenden/abzudrückenden Gegendarstellungen die Worte ,von der Antragstellerin‘, die sich zwischen den Worten ,Verkaufspreise der genannten 25.000 Produkte seien‘ und den Worten ,unzutreffend angegeben worden,‘ in den angefochtenen Beschlüssen befinden, entfallen.“ 
(Orthographische Fehler bzw. Freud’sche Fehlleistung wörtlich zitiert / Hervorhebung durch den Verfasser)

Einer derart nebulösen Tenorierung widersprach das OLG Hamm. Der Berufungssenat kritisierte:
„Der genaue Wortlaut der nach dem landgerichtlichen Urteil von der Verfügungsbeklagten abzudruckenden Gegendarstellung liegt dieser nicht in der strengen und unmissverständlichen Form des § 11 Abs. 2 S. 3 LPrG vor, sondern ist von ihr erst unter Zuhilfenahme des ursprünglichen Gegendarstellungstextes in Verbindung mit dem Tenor des angegriffenen Urteils selbstständig zu ermitteln.“
Derartigen Auslegungsanforderungen, die praktisch schon in eine Art presserechtlicher „Bastelstunde“ ausarten würden, hat das Berufungsgericht „aber gerade in dem formalisierten Verfahren nach § 11 LPrG“ eine klare Absage erteilt.
 
Damit hat das OLG Hamm zumindest für den Bereich seines OLG-Bezirks im Gegendarstellungsrecht wieder für etwas mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit gesorgt. Das ist zu begrüßen.
 

Freitag, 31. März 2017

Filesharing: Eltern haften eigentlich doch nicht für ihre Kinder


Da wird der BGH vielleicht doch noch vor dem
Bundesverfassungsgericht sein "blaues Wunder" erleben

Erstaunlich, was Heribert Prantl aus der Süddeutschen heute zum gestrigen Filesharing-Urteil des BGH (Urteil vom 30. März 2017 - I ZR 19/16 – Loud) kundtut:
Das ist zu großen Teilen Blödsinn:

Verpflichtung
Eltern haften nicht generell im Internet für Ihre Kinder: Minderjährige Kinder sind von ihren Eltern über das Verbot illegalen Filesharings zu belehren. Nicht mehr und nicht weniger. Bei volljährigen Kindern sind die Eltern nicht einmal zu Belehrungen verpflichtet. Zu mehr schon gar nicht.

Es gibt keine verschuldensunabhängige "Halterhaftung" für Kinder oder den Internetanschluss - anders als z. B. bei der Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen.

Verraten
Gegenteiliges hat auch der BGH gestern gar nicht verlauten lassen. Der BGH hat aber - m. E. zu Unrecht und verfassungswidrig - den „Schwarzen Haftungspeter“ der sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ bei den Elternteilen gelassen, die Internet-Anschlussinhaber sind und trotz konkreter Detail-Kenntnis (!) ihr Kind nicht an die Abmahnlobby verraten.

Verfassung
Das verstößt zumindest gegen den grundrechtlichen Schutz der Familie und gegen geltende zivilprozessuale und strafrechtliche Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte.
Hier geht es nicht um die Haftung seitens ihrer Aufsichtspflicht nicht genügender Eltern für als Täter ermittelte, aufsichtsbedürftige Minderjährige, sondern um eine ansonsten in keinem vergleichbaren Bereich propagierte Verpflichtung zur Denunzierung bzw. zum Verrat innerhalb der Familie.
Da wundert das Frohlocken des Herrn Prantl doch.

Verhören
Eltern ist  auf der Basis vorausgegangener Urteile aus Karlsruhe  zu empfehlen, ihren Kindern auch nach dem Empfang einer Filesharing-Abmahnung mit Respekt zu begegnen und nicht zu quälenden und überpflichtmäßigen Verhör- oder Recherche-Methoden auszusetzten. Eltern müssen eben nicht den Spion oder gar Folterknecht vermeintlicher Rechteinhaber spielen.


Mittwoch, 8. März 2017

BGH stärkt familiäre Grundrechte gegen Filesharing-Abmahnungen



http://www.zumAnwalt.de
Frühlingserwachen beim BGH:
Karlsruhe stoppt Recherchestress nach Abmahnungen.
 
Kein pauschaler Verdacht gegen Internet-Anschlussinhaber
 
Keine Spionage und keine Verhöre innerhalb der Familie

Lange warten mussten die Adressaten von Filesharing-Abmahnungen und Filesharing-Klagen auf die schriftlichen Entscheidungsgründe zum Filesharing-Urteil des BGH vom 06.10.2016(Az. I ZR 154/15 – „Afterlife"); jezt ist das vollständige Urteil endlich veröffentlicht worden. Und in dieser Entscheidung hat der BGH die zuvor praktizierte vorrangige Verdächtigung des jeweiligen Internetanschlussinhabers in erheblichem Umfang relativiert – wenn nicht sogar revidiert – und gleichzeitig den familiären grundrechtlichen Schutz aus Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG betont und gestärkt.  

Hintergrund des vom BGH zu entscheidenden Falls bildet eine „klassische“ Filesharing-Abmahnung der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer aus München hinsichtlich des Films „Resident Evil: Afterlife 3D“. Die Klägerin hatte insgesamt 14 Zeitpunkte behauptet, zu denen der Film angeblich über den Internetanschluss des Beklagten illegal im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sein sollte. Das Landgericht Braunschweig hatte mit Berufungsurteil vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S433/14 (59)) die Filesharing-Klage der Constantin Film abgewiesen. Dieses Urteil wurde vom BGH nun bestätigt. 

Aus dem Karlsruher Urteil entnehme ich insbesondere die folgenden Gesichtspunkte und Bewertungen, die gerade bei familiären Internetanschlüssen den oft übermotivierten Filesharing-Abmahnungen und -Klagen entgegengehalten werden können (in Anführungszeichen gesetzte Passagen sind wörtliche Zitate aus dem BGH-Urteil): 

1.    „Es besteht keine generelle Vermutung, dass der Anschlussinhaber Täter einer Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem Anschluss aus begangen worden ist und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des Anschlusses ist.“ 

2.    „Für die Annahme, der Inhaber eines Internetanschlusses sei ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität des Geschehensablaufs. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, besteht für die Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit.“ 

3.    „Da es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis hat, obliegt dem Anschlussinhaber insoweit … eine sekundäre Darlegungslast“. 

4.    Bei der Bestimmung der Reichweite der dem Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast zur Nutzung des Anschlusses durch andere Personen sind auf Seiten des Urheberrechtsinhabers die Eigentumsgrundrechte gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Handelt es sich bei den Personen, die den Anschluss mitgenutzt haben, um den Ehegatten oder Familienangehörige, so wirkt zugunsten des Anschlussinhabers der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU- Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 GG).“ 

5.    Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses ist es regelmäßig nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar ist es regelmäßig, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.“ 

6.    Der bei einem familiären Internetanschluss „zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG)“ steht „der Annahme zusätzlicher Nachforschungs- und Mitwirkungspflichten entgegen.“ 

Es wurde lange erwartet und nun hat der BGH sich endlich substantieller dazu geäußert: Innerhalb der Familie sind von interessierter Seite oft geforderte, quasi detektivische oder polizeiliche Recherche- oder Verhör-Maßnahmen nicht zumutbar und ein gegenteiliges Verlangen ist grundrechtswidrig. Eine derartige Klarstellung wäre bereits früher wünschenswert gewesen.
Schlagworte wie "tatsächliche Vermutung" und "sekundäre Darlegungslast" haben nun nicht mehr die Schärfe, die ihnen in so manchen Filesharing-Abmahnungen angedichtet wurde.
 
 

Dienstag, 18. Oktober 2016

Filesharing-Klage: Neue Hinweise des AG Bielefeld nach BGH-Urteil

Das Amtsgericht Bielefeld hilft aus der Einbahnstraße sekundärer Darlegungslast
Erhellende Hinweise zur Abwehr von Filesharing-Klagen hat jetzt das Amtsgericht Bielefeld mit Beschluss vom 13.10.2016 (Az. 42 C 151/16) erteilt. Dabei greift es das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2016 (Az. I ZR 154/15) auf: Der abgemahnte Internet-Anschlussinhaber hat nur sehr begrenzte Recherche-, Befragungs- und Auskunftspflichten.

Hier sind die richterlichen Hinweise im Einzelnen:


Das Gericht weist darauf hin, dass nunmehr höchstrichterlich geklärt bzw. klargestellt wurde, dass der Anschlussinhaber nicht verpflichtet ist, internetfähige Geräte der weiteren Nutzer seines Internetanschlusses auf das Vorhandensein von Filesharing-Software oder der streitgegenständlichen Datei zu untersuchen oder gar die tatsächlich für die behauptete Rechtsverletzung verantwortliche Person zu ermitteln und zu benennen. Auch ist aufgrund der Besonderheiten bei Nutzung einer Filesharing-Software kein konkreter Vortrag zu den An- und Abwesenheitszeiten des Anschlussinhabers und der Mitbenutzer im genauen Zeitpunkt der Rechtsverletzung erforderlich. Dies ergibt sich aus dem – noch nicht schriftlich begründeten – Urteil des BGH vom 6.10.2016, I ZR 154/15, mit welchem die Revision gegen das Urteil des LG Braunschweig vom 1.7.2015, 9 S 433/15 zurückgewiesen wurde.

Der Anschlussinhaber ist demnach lediglich verpflichtet, diejenigen Personen, die den Internetanschluss im Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzung regelmäßig mitbenutzt haben, zu ermitteln und unter Angabe einer ladungsfähigen Anschrift namentlich zu benennen. Zu einem substantiierten Sachvortrag des Anschlussinhabers gehört es, die weiteren Nutzer nicht bloß namentlich zu benennen. Ein substantiierter Sachvortrag verlangt vielmehr, dass der Anschlussinhaber nähere Angaben zum generellen Nutzungsverhalten der Personen, denen die Nutzung des Internetanschlusses gestattet wurde, macht. Hierzu gehören Angaben darüber, wie die Personen Zugang zum Internetanschluss erhalten haben (LAN oder WLAN, welche Verschlüsselung, Art des Passwortes, welches internetfähige Endgerät), wie häufig diese Personen das Internet genutzt haben (täglich, gelegentlich, selten oder fast gar nicht) und wozu das Internet generell genutzt wurde (z.B. Informationsbeschaffung, Emails, Online-Shopping, Nutzung sozialer Netzwerke, Spielen, Filesharing, Streaming, Skypen). Dies stellt – soweit es dem Anschlussinhaber bei Nutzung durch Familienangehörige nicht ohnehin bekannt ist – auch vor dem Hintergrund des Art. 6 GG keine überspannten Anforderungen an die Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers dar.

Sofern ein derart substantiierter Sachvortrag des Anschlussinhabers vorliegt, ist es unter Berücksichtigung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung im Zivilprozess Aufgabe des Rechteinhabers, zu beweisen, dass die weiteren benannten Nutzer keinen Zugriff auf den Internetanschluss des Anschlussinhabers hatten und dass der Anschlussinhaber für die behauptete Rechtsverletzung verantwortlich ist. Ob dem Rechteinhaber dieser Nachweis gelingt, ist dann eine Frage der tatrichterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall. Die pauschal vertretene Ansicht, der Anschlussinhaber hafte immer dann, wenn kein weiterer Nutzer eine Tatbegehung eingeräumt habe, vermag angesichts der vorstehenden Ausführungen in dieser Allgemeinheit nicht zu überzeugen.


Die schriftlichen Entscheidungsgründe des BGH-Urteils vom 06.10.2016 liegen noch nicht vor. Dennoch konnte das Amtsgericht Bielefeld aus den Inhalten des vom BGH im Revisionsverfahren bestätigten Urteils des Landgerichts Braunschweig vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S 433/14 (59)) und aus den bei der öffentlichen Urteilsverkündung in Karlsruhe geäußerten Anmerkungen des I. Zivilsenats mit Recht die einleuchtenden Maßstäbe möglicher angemessener Rechtsverteidigung gegen Filesharing-Klagen aufstellen. 



Freitag, 7. Oktober 2016

Neues BGH-Filesharing-Urteil hilft gegen Abmahnwut

Hilfe aus Karlsruhe bei Filesharing-Verdacht per Abmahnung
Der BGH hat am 06.10.2016 (Az. I ZR 154/15) den Opfern übermotivierter Filesharing-Abmahnungen eine große Last abgenommen und ein Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S 433/14 (59)) bestätigt. Danach wird die sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ des Internet-Anschlussinhabers erheblich begrenzt.

Die von der Münchener Rechtsanwälten Waldorf –Frommer vertretene Filmproduzentin Constantin Film verlangte von dem seitens der Kanzlei Solmecke vertretenen Beklagten Schadensersatz für angebliches illegales Film-Filesharing sowie die Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten.

Die Klägerin hatte ein Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren gem. § 101 Abs. 9 UrhG angestrengt zur Ermittlung des Anschlussinhabers anhand einer mit Zeitstempel protokollierten dynamischen IP-Adresse. Nach der Abmahnung gab der verheiratete Kläger lediglich eine Unterlassungserklärung ab.

Die Klägerin berief sich auf eine „tatsächliche Vermutung“, wonach ein Anschlussinhaber grundsätzlich als Täter für über seinen Anschluss begangene Rechtsverletzungen verantwortlich ist.

Der Beklagte hat eine eigene Urheberrechtsverletzung bestritten und - ohne weitergehende Nachforschungen hinsichtlich eines Täters - vorgetragen, auf seinem Computer sei weder eine Filesharing-Software installiert, noch der streitgegenständliche 3D-Film vorhanden. Einen derartigen Film könne er auch mit seinem Equipment überhaupt nicht abspielen. Er sei im fraglichen Zeitraum von Montag bis Freitag, häufig auch am Wochenende berufsbedingt unterwegs und könne auch deshalb die Verstöße, die sich sonntags bis dienstags ereignet haben sollen, nicht selbst begangen haben. An den entsprechenden Tagen sei er ohne Internetzugang unterwegs gewesen. Seine Ehefrau habe zu jener Zeit ständig - über einen eigenen PC - Zugang zum Internet gehabt. Dennoch ginge er nicht davon aus, dass diese etwa die vermeintlichen Rechtsverletzung begangen habe. Der benutzte Router „Speedport W504V“ sei zwar mittels WPA2 gesichert gewesen, habe aber laut Medienberichten und Produktwarnungen eine erhebliche Sicherheitslücke aufgewiesen.

Der Beklagte hat den PC seiner Ehefrau nicht untersucht.

Mit am 27.08.2014 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht Braunschweig unter Hinweis auf die Sicherheitslücke die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat das Landgericht die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Sie gab zu, den Internetanschluss genutzt zu haben, in der streitgegenständlichen Zeit für Online-Einkäufe, Online-Spiele und auf Facebook. Die Zeugin verneinte aber eigene Filesharing-Verstöße.

Das Landgericht stufte das Bestreiten der Ehefrau als mögliche Schutzbehauptung ein, nach der eine Täterschaft der Ehefrau eben dennoch möglich sei, ohne dass dies allerdings eindeutig bewiesen sei. Dies ginge zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin.

Dieses realistische und lebensnahe Urteil hat der BGH nun im Revisionsverfahren bestätigt.

Die abmahnende und klagende Rechteinhaberin muss die Rechtsverletzung und eine angebliche Täterschaft beweisen. 

Bei substantiiertem Sachvortrag des Anschlussinhabers zu Mitbenutzungsmöglichkeiten namentlich benannter Dritter geht eine Filesharing-Klage deshalb bereits ins Leere, auch ohne dass der Abgemahnte den Täter selbst - quasi polizeilich - exakter ermitteln muss. 

Ein Beklagter muss auch nicht etwa noch zu genaueren Anwesenheitszeiten seiner Familienangehörigen nähere Angaben machen, zumal eine körperliche Präsenz am Rechner zur Auslösung von Filesharing-Vorgängen ohnehin nicht erforderlich ist. 

Auch weitere Nachforschungen etwa auf dem Rechner der Ehefrau oder durch deren Vernehmung muss ein Anschlussinhaber nicht anstellen.


Damit hat der BGH eine lange erwartete und erhoffte Klarstellung getroffen, die dem Geschäftsmodell der Abmahnindustrie deutliche Grenzen aufzeigt.




Donnerstag, 8. September 2016

EuGH urteilt "verflochten" zur Verlinkung

Neues EuGH-Urteil zu Hyperlinks: Verflixt "verflochtene" Steilvorlage
für das Geschäftsmodell urheberrechtlicher Abmahnungen

Urheberrecht: Mit heutigem Urteil aus Luxemburg vom 08.09.2016 (Az. C-160/15) sorgt der EuGH für eine wachsende mediale Unsicherheit bezgl. des Postens von Links im Internet.
Verlinkungen auf illegale Quellen bzw. Inhalte können danach selbst illegal sein. Es ging um Nacktfotos aus dem Playboy.


Streitgegenstand:

Ein niederländisches Webportal hatte auf eine urheberrechtswidrige Filehoster-Webseite mit der Abbildung von Playboy-Fotos verlinkt und trotz Abmahnung fortdauernde Verlinkungen vorgenommen und auch im portaleigenen Forum durch Nutzer einsetzen lassen. Das Webportal verfolgte damit nach eigener Darstellung auch das Ziel,  die Öffentlichkeit über die illegal veröffentlichten Nacktfotos der abgebildeten TV-Moderatorin zu informieren.
Es folgte der Klageweg in den Niederlanden.


Der EuGH entschied

auf die entsprechenden Vorlagefragen der niederländischen Gerichtsbarkeit - insbesondere zur Frage der "öffentlichen Wiedergabe",
„dass zur Klärung der Frage, ob das Setzen von Hyperlinks auf eine Website zu geschützten Werken, die auf einer anderen Website ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers frei zugänglich sind, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, zu ermitteln ist, ob die Links ohne Gewinnerzielungsabsicht durch jemanden, der die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung der Werke auf der anderen Website nicht kannte oder vernünftigerweise nicht kennen konnte, bereitgestellt wurden oder ob die Links vielmehr mit Gewinnerzielungsabsicht bereitgestellt wurden, wobei im letzteren Fall diese Kenntnis zu vermuten ist."

Der EuGH-Generalanwalt hatte sich - m. E. zu Recht - zuvor im Rahmen seines Schlussantrags anders entschieden, um „die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa“ nicht zu „gefährden".
Vor zweieinhalb Jahren hatte der EuGH zu Verlinkungen auf legale Internet-Veröffentlichungen selbst noch entschieden, dass Hyperlinks auch ohne Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers auf urheberrechtlich geschützte Werke verweisen dürfen, da die Links im Internet sich nicht an ein von der Quelle abweichendes "neues Publikum" richten.

Mit der nun vorliegenden Entscheidung bereitet der EuGH das Bett oder das Feld für kaum rechtssicher prognostizierbare Streitigkeiten im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Informations- und Meinungsfreiheit - „verflochten“ u. A. mit Fragen der wirtschaftlichen, medialen und sozialen Hintergründe sowie z. B. auch zu Motiven und Kenntnisständen der Agierenden. Rechtssicherheit in der Informationsgesellschaft sieht anders aus.

Weiterer Orginalton des EuGH:
„Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden … “

Die nächsten Abmahnungen sind höchstwahrscheinlich bereits auf dem Weg.


Dienstag, 6. September 2016

Fettes Urheberrecht: Der BGH und das Fat-Model

Verfremdete Foto-Modelle werden auch von höchsten Instanzen veröffentlicht

Der BGH hat mit seinem Parodie-Urteil vom 28.07.2016 (Az. I ZR 9/15 - „auf fett getrimmt“) nicht nur „Fettes“ zum Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Urheberrecht kundgetan, sondern sogar selbst ein Fat-Model-Foto der Schauspielerin Bettina Zimmermann veröffentlicht. Wird jetzt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe urheberrechtlich abgemahnt?


Das durch digitale Manipulationen verfremdete Bild der hübschen Schauspielerin mit Hot Pants und Bikini-Oberteil war 2009 im Rahmen eines Internet-Wettbewerbs entstanden. Dabei sollten die Teilnehmer Fotos von Prominenten mit Bildbearbeitungssoftware so bearbeiten, dass die Promis möglichst fett aussehen. Eines der Promi-Opfer war die bekanntermaßen sehr attraktive Schauspielerin Bettina Zimmermann, die nach der „Bearbeitung“ (wenn es denn eine war) mit voluminösen Schwimmringen und unförmigen Cellulite-Schenkeln auftauchte.

Die BZ aus Berlin veröffentlichte dann diese digital „verfettete“ Optik in einem den Fotowettbewerb aufgreifenden Online-Beitrag.

Der Fotograf des ursprünglichen Portrait-Fotos verlangte mit Abmahnung und Klage von der BZ Schadensersatz und immaterielle Entschädigung wegen der Verwendung und „Entstellung“ seiner Fotografie und der unterbliebenen Angabe seines Namens.

Das BGH-Urteil enthält spannende Ausführungen zur urheberrechtlichen Zulässigkeit und zu der Schrankenwirkung von Parodien, zur Interessenabwägung zwischen Urheberrecht und Meinungsfreiheit und zu den aktuellen unionsrechtlichen Regelungen eines neuen weiten europäischen Parodie-Begriffs.
„Die wesentlichen Merkmale der Parodie bestehen danach darin, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Der Begriff der Parodie hängt nicht von der weiteren Voraussetzung ab, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen. Zu den Voraussetzungen einer Parodie gehört es außerdem nicht, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft … Die Annahme einer … Parodie setzt deshalb nicht voraus, dass durch die Benutzung des fremden Werkes eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG entsteht. Sie setzt ferner keine antithematische Behandlung des parodierten Werkes oder des durch das benutzte Werk dargestellten Gegenstands voraus.“
Der Erste Zivilsenat des BGH hat den Streit zurückverwiesen an das die Klage des Fotografen abweisende OLG Hamburg.

Ob die Hamburger Richterinnen und Richter - dann zunächst dort beim Landgericht – sich demnächst wohl auch mit der fetten
Foto-Veröffentlichung aus Karlsruhe auf Seite 4 des öffentlich zugänglich gemachten BGH-Urteils
befassen müssen?


Samstag, 18. Juni 2016

Abmahnung: Das LG Hamburg im medienrechtlichen Abseits beim Streit um Böhmermann-Satire


Schräger Spielverlauf im Böhmermann-Prozess vor dem LG Hamburg

„Was jetzt kommt, das darf man nicht machen.“ So leitete Jan Böhmermann sein Erdogan-Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Schmähkritik“ in der Satire-Sendung des ZDF am 31.03.2015 ein. Im eiligen Verbotsbeschluss der hanseatischen Pressekammer findet sich zu diesem instruktiven Kommentar-Vorspiel nichts: Keine (schieds)richterliche Auseinandersetzung mit den zuvor vom Spielführer aufgestellten Spielregeln. Das darf man nicht machen.

Mittlerweile liegen die schriftlichen Gründe zur einstweiligen Verpfeifung der ersten Instanz vom Sievekingplatz in Hamburg vor: 

Wohlplatzierte Worthülsen zur unzulässigen „Niveaukontrolle der Kunst“, zur verbotenen Unterscheidung zwischen „guter und schlechter Kunst“ und zur gebotenen Differenzierung zwischen „Aussagegehalt“ und „Einkleidung“.
"Das angegriffene Gedicht ist zweifelsohne Satire." ... So „geht die Kammer von Kunst aus“ und bemerkt, dass „die konkrete Präsentation … zu berücksichtigen“ ist: „Es ist fernliegend, dass der Rezipient annimmt, das Gedicht weise (insgesamt) einen Wahrheitsgehalt auf.“ Das Gericht verkennt angeblich auch nicht, dass „Meinungsfreiheit … gerade aus dem Bedürfnis der Machtkritik erwachsen“ ist.
Der „Schweinefurz“ und die Zeilen mit einem „sexuellen Bezug“ überschritten aber das von Erdogan „hinzunehmende Maß“ – auch wenn dieser als „Oberhaupt des Staates“ für polizeiliches „Schlagen von demonstrierenden Frauen“ sowie das sonstige „gewalttätige Vorgehen gegen andere Demonstranten … sowie gegen Minderheiten wie Kurden“ die „politische Verantwortung“ trägt.

Die Dreier-Abwehrkette des medienrechtlichen Schiedsgerichts verkennt dabei nicht nur, nein, sie unterschlägt den quasi medienpolitischen und medienpädagogischen, künstlerischen und journalistischen Ansatz von Böhmermann, der zusammen mit seinem Sidekick Ralf Kabelka vor und während der Präsentation des „Schmähkritik“-Gedichtes sehr deutlich und unmissverständlich Abgrenzungen zu „Artikel 5 unseres Grundgesetzes“ vornimmt und darauf hinweist:

„Das ist Schmähkritik … Das kann bestraft werden … Das ist vielleicht etwas kompliziert - vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel … Also das Gedicht. Das was jetzt kommt, das darf man nicht machen … das würde in Deutschland verboten … Das darf man nicht machen.“

Dazu hätte man eine sportliche und faire medienrechtliche Auseinandersetzung des Gerichts erwarten dürfen: Es geht dabei nicht einmal primär um das Spielergebnis in dieser prozessualen Vorrunde. Es geht vielmehr um fehlenden technischen und konditionellen Einsatz des Gerichts im Spielverlauf. Gerade die spielerische Technik des böhmermannschen Zuspiels von trainerischen Hinweis-Pässen und seine verfassungsrechtlichen Einwürfe hätten der unverzichtbaren schiedsrichterlichen Beachtung und Beurteilung bedurft. Fehlanzeige. Medienrechtliches Foulspiel.


Das verdient eine Rote Karte für diese Instanz, zumindest eine anwaltliche Abmahnung.

Update:  Lesenswert hierzu auch die Beiträge der Kollegen Kahl und Kompa