Samstag, 27. Februar 2010

Abmahnungen und Piraten ... und Piratinnen


Urheberrecht im Internet und auf hoher See
Mal eine Glosse von Rechtsanwalt Dr. Ralf Petring, Bielefeld


Piraten reißen uns hin und her: Einerseits böse Rechtsbrecher, andererseits verkappte "Robin Hoods" der Meere.

Es ist in den vergangenen Jahren nicht klar auszumachen, wer "der Böse" ist auf dem (See-Schlacht-) Feld der massenhaften Abmahnungen im Zusammenhang mit Seemannsliedern und Reeperbahn-Filmchen: Sind es die ihre Umsätze verlierenden Kommandobrücken der großen Entertainment-Tanker, sind es die inzwischen ebenfalls den mittelbaren Erwerbszweig der Lizenzanalogie entdeckenden Künstler und Gaukler, sind es die kopierenden und tauschenden sowie täuschenden Filesharing-Leichtmatrosen bzw.
Piraten oder ist es das nationale Seerecht?

Wo im weltweiten Netz auf der hohen See der Tauschbörsen, P2P-Programme und Filesharing-Systeme massenhaft schöpferisches Seemannsgarn "gekapert" wird, ohne angemessenen Tribut zu  zollen, darf naturgemäß auch massenhaft verfolgt, gefangen genommen und abgewatscht werden. Das Seerecht braucht dem See-Unrecht nicht zu weichen.
Piraten dürfen nicht mehr auf dem Meer als Andere.

Wo allerdings mit teilweise fadenscheinigen Beweisen und mit übergroßen Fangnetzen jeder gekescht wird, der nur an (Mother-)Board war und nicht schnell genug auf den (Groß-)Baum kam, bestehen Bedenken ob der seemännischen Legitimation, zumal wenn in zunehmend summarischeren Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG gerichtliche Auskunfts- (oder Fahndungs-) Titel erzeugt werden bezüglich vermeintlich gewerblicher Sachverhalte, bei denen es oft tatsächlich allenfalls um Gelegenheits-Tauschgeschäfte geht - und nicht um wirklichen "Seehandel". Seemann (oder Seefrau) oder Seeräuber?
Pirat (oder Piratin) oder Parasit?

Hinzu kommen die tatsächlich sehr unsicheren Untiefen der See-Router sowie der Wogen und W-Lan. Da reichen nicht einmal noch so viele Schlüssel und Geheim-Codes: Die Gefahr, dass fremde, unbekannte und unerkannte Seeräuber unerwünscht an Deck kommen, um auf fremde Kosten zu Surfen, lässt sich nicht hundertprozentig ausschließen. Dies gilt erst recht im Hinblick auf das ständig dichter und enger werdende Netz der Seewege und die rasend schnell zunehmende Zahl von W-Lan-Reitern und Netzwerk-Routern. Welcher
Pirat kann da noch durchfinden?

Auf den Kommandobrücken des Seehandels versucht man dann, wenn ein winziges Bändsel oder ein abgeschnittener Tampen auftaucht und von Anti-
Piraten-Weichware an Deck gespült worden ist, mit vermeintlich darauf befindlichen Fingerabdrücken einen angeblichen Piraten zu überführen, er habe das gesamte Tauwerk oder zumindest wesentliche Schoten und Trossen daraus ohne Einwilligung des Eigners anderen Piraten zum Gebrauch überlassen.

Dabei kennen die
Piraten sich häufig gar nicht genügend aus mit Achterspring, Kabelgarn, Marlspieker (oder -Speaker?), Niederholer, Slippen, Spleiß, Stag, Tampen und Wanten oder auch mit Algorithmen, W-Lan, WPA2, Clients, Access Points, Firmware-Updates, SSID, Public Key, Responder und Wired Equivalent Privacy.

Nun schützt Unwissenheit nicht vor Strafe.

Um Strafe geht es allerdings im Abmahnungsgeschäft in den seltensten Fällen - allenfalls um Vertragsstrafen. Primär geht es um das liebe Geld.

Beim Wissen um Fachterminologien, die dahinter sich verbergenden Sachverhalte und Abläufe sowie die dahinter sich verbergenden Geldquellen - stromaufwärts - sind den
Piraten die Insider des Seehandels und die See-Offiziere der Handelstanker weit voraus - auch was Ausstattung, Bewaffnung, Kontakte zu Reedereien, Erfahrungen vor Seegerichten und hilfreiche Vernetzungen betrifft.

Insofern wird viel Sympathie auf die Seite unerfahrener, gutgläubiger, aber manchmal eben doch wilder und verwegener
Piraten verteilt. Diese wären allerdings schlecht beraten, wenn sie sich durch Trotz oder Fluchtversuche noch mehr im Netz der seerechtlichen Regelwerke verheddern würden; es ist den Piraten und Leichtmatrosen vielmehr zu empfehlen, sich durch kluge Analyse, weitsichtige, zielführende Taktik und ideenreiche Strategie davor zu hüten und zu schützen, dass aus seemännischer Abmahnung nicht ein seeräuberisches Abwatschen wird.

Dabei hilft eine Klärung der wirklichen Sachverhalte, der vermeintlichen Beweislage und der oft komplexen Rechtslage sowie eine verantwortungsvolle Erarbeitung druckvoller Argumentationswerke und verantwortbarer (Unterlassungs-) Erklärungen. Bei Letzteren ist es in der Mehrzahl der Abmahnungs-Fälle nicht anzuraten, das vorgelegte Seemannslied zu singen. Stattdessen kann durch veränderte Tonlagen, zusätzliche Zwischentöne und einen Kanon von weiterem Liedgut der
Pirat das Galgen-Risiko eingrenzen und sich eine zukünftig von Untiefen freiere Seefahrer-Existenz sichern.

Schlussendlich werden wohl beide Lager auf Dauer einen durchfahrfähigen Seeweg finden müssen zwischen den Eisblöcken teilweise veralteter Verzollungsszenarien sowie unliberaler Zugangsbegrenzungen auf der einen Seite und wildem
Piratentum oder gar respektlosem Seeraub auf der anderen Seite.

Entsprechende Wege zeichnen sich bereits ab. Nicht nur die Nordwest-Passage ist inzwischen - entgegen aller früheren Seeregeln - eisfrei und schiffbar (wenn auch der Klimawandel als Ursache dieses Ergebnisses uns nicht frohlocken lassen sollte); es zeichnen sich auch bereits neue, seerechtlich abgesegnete Kauf- und Tauschbörsen für unzählige (Tau-) Werke ab, die neue Wege für einen liberaleren und offeneren Umgang mit Netzwerken, mit Leichtmatrosen und
Piraten eröffnen. Dass Piraten und Piratinnen inzwischen auch im Wahlvolk parteifähig und wählbar geworden sind, ist eine andere Geschichte. 

Für Hilfe aus See- und Abmahnungs-Not geht´s zumAnwalt.de.