Freitag, 26. November 2010

Das Ende des fliegenden Gerichtsstandes bei Internet-Veröffentlichungen? Kein Wunsch-Gericht für Abmahner?

Über zwei aktuelle Urteile vom Amtsgericht Charlottenburg aus November 2010 (226C130-10, 226 C 128/10) berichtet Andreas Maurer im Blog 1und1.

Danach sind die Stunden der ungehemmten Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstandes durch Abmahner und Rechteverwerter gezählt. Das Amtsgericht Charlottenburg leitet seine die Anwendbarkeit des § 32 ZPO für die Geltendmachung presserechtlicher Ansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung stark eingrenzende Rechtsauffassung aus den Entscheidungen des BGH v. 10.11.2009 (VI ZR 217/08, Vorlagebeschluss zum EuGH) und v. 02.03.2010 (VI ZR 23/09, New York Times-Urteil)  ab - mit m.E. interessanter, allerdings bei aktueller Gesetzeslage wohl von den Obergerichten eher nicht mitgetragener Manier.

Immerhin gibt es zum fliegenden Gerichtsstand im Zusammenhang mit vermeintlichen Rechtsverletzungen durch Internet-Veröffentlichungen bereits vergleichbare Vorstöße anderer Gerichte wie z.B.


Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil v. 17.02.2000 – Az.: 2 U 139/99
LG Krefeld, Urteil v. 14.09.2007 – Az.: 1 S 32/07
AG Frankfurt a.M., Urteil v. 13.02.2009 – Az.: 32 C 2323/08
AG Frankfurt a.M., Beschluss v. 21.08.2009 – Az.: 31 C 1141/09-16
OLG München, Urteil v. 08.10.2009 – Az.: 29 U 2636/09.

Für die gegenteilige herrschende Meinung in der Rechtsprechung sei exemplarisch verwiesen auf

LG Frankfurt a.M., Urteil v. 05.11.2009 – Az.: 2/3 S 7/09
OLG Rostock, Beschluss v. 20.07.2009 – Az.: 2 W 41/09,

die eine eher weite Anwendbarkeit des § 32 ZPO auch  insbesondere im urheberrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Kontext befürworten.

Die immerhin zunehmend kritischen Bewertungen einer “beliebigen” Gerichtswahl der professionellen “Rechteverwerter” gehen wohl auch einher mit der immer offensichtlicher in Erscheinung tretenden, kritikwürdigen Massen-Handhabung des “Geschäftsmodells Abmahnung”. Insofern können derartige vereinzelte Rechtsprechungs-Tendenzen grundsätzlich begrüßt werden, ohne dass man derzeit diese Einzel-Entscheidungen allerdings zu sehr überbewerten darf: Gefragt ist in diesem Zusammenhang eher und vornehmlich der Gesetzgeber.

Mittwoch, 17. November 2010

Berechtigte Zweifel an Filesharing-Abmahnungen. Hashwert als fehlerhafte Ermittlungs- und Beweisgrundlage.

Eine Entscheidung des OLG München vom 27.09.2010, Az. 11 W 1894/10, spricht in justizbehördlich bisher kaum dokumentierter Klarheit begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit von Rückschlüssen aus generierten Hashwerten im Zusammenhang mit Filesharing-, bzw. P2P-Ermittlungen aus. Das OLG korrigiert dabei einen noch anderslautenden Beschluss des Landgerichts München I vom 13.07.2010, Az. 7 O 972/10, und gibt den Empfängern von Filesharing-Abmahnungen weitere Abwehr-Argumente.

Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München führt u.a. aus:

…Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus dem Vorliegen abweichender Hashwerte nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass die Verletzungshandlungen von mehreren unterschiedlichen Personen begangen worden sind. Wie die Antragstellerin nämlich unter Bezugnahme auf die Ausführungen der mit der Feststellung der Rechtsverletzungen beauftragten Firma zutreffend dargestellt hat, können Hashwerte auch bei einem mehrfachen Download durch ein und dieselbe Person, wie er gerade bei den Nutzern von Tauschbörsen nicht selten vorkommt, unterschiedlich sein."

Weiter heißt es in dem aktuellen OLG-Beschluss:

"Wie die dem Senat derzeit vorliegenden 13 Beschwerdeverfahren anschaulich gezeigt haben, ist die Feststellung der Anzahl der unterschiedlichen Hashwerte in der Praxis sehr aufwändig und mit einer hohen Fehlerquote behaftet. So musste das Landgericht in vier Fällen auf die Erinnerungen der Antragsteller hin die Zahl der maßgeblichen Hahswerte teilweise erheblich korrigieren."

Die in vielen Filesharing-Abmahnungen zur Schau gestellte vermeintliche Verlässlichkeit der für die Auskunftsansprüche nach § 101 Abs. 9 UrhG sowie für etwaige anschließende Eil- oder Klageverfahren von den Rechteverwertern angewendeten Ermittlungs-Methoden und vorgelegten Ermittlungs-Dokumentationen ist folglich keineswegs gesichert.

Dies passt zu den bereits seit längerer Zeit in relevanten Foren geäußerten Hinweisen zu Manipulationsmöglichkeiten bei der Generierung von Hashwerten.

Montag, 15. November 2010

Kunstfreiheit siegt über Urheberrecht. Mit Grundrechten gegen Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Nachdem eine verfassungsrechtliche Güter- und Interessenabwägung über die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts hinaus von den Gerichten in der Vergangenheit strikt abgelehnt wurde (vgl. Grass-Briefe-Urteil des Kammergerichts v. 27.11.2007, Az. 5 U 63/07 und Gies-Adler-Entscheidung des BGH v. 20.03.2003, Az. I ZR 117/00), scheint sich das Blatt nun vielleicht doch zu wenden. Und zwar zugunsten einer sensibleren Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte insbesondere aus Art. 5 GG im Verhältnis zur verbreiteten Abmahnungs- und Verwertungs-Mentalität.

Der 6. Senat des OLG Brandenburg hat mit Urteil vom 09.11.2010, Az. 6 U 14/10 der Kunstfreiheit eines Autors (Buchtitel: "Blühende Landschaften") im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Presse während der Wende-Zeit den Vorzug gegeben vor der urheberrechtlich geschützten Position des Zeitungsverlages an den streitgegenständlichen Zeitungsartikeln und Lichtbildern. Die literarische Collage und Montage und die damit geschaffenen Anschauungsobjekte genießen nach Einschätzung der brandenburgischen Richter gesteigerte verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit, um die politische und soziale Atmosphäre im Rahmen der dargestellten Ereignisse erfahrbar machen zu können. Insofern sah sich das OLG zur "kunstspezifischen Auslegung" des Urheberrechts veranlasst. Die künstlerische Freiheit dürfe in einem derartigen Fall auch nicht durch das etwaige Erfordernis einer Einwilligungseinholung eingeschränkt werden.

Den Entscheidungsgründen darf mit Spannung entgegengesehen werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Dienstag, 2. November 2010

Mehr Manpower für Filesharing-Abmahnungen: Das immer größere Back-Office der Abmahn-Kanzleien

Mit der personellen Aufrüstung einer vielbeschäftigten Abmahn-Kanzlei aus München und dem Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" als "Konjunkturmotor" befassen sich die aktuellen Blog-Beiträge der Kollegen Rechtsanwälte Thomas Stadler ("Internet-Law") und Alexander Schultz ("PaLAWa").

Die aufschlussreich analysierte personelle Aufstockung wirft u.a. auch die Frage auf, ob die  anwaltliche "WoMan-Power" primär für weitere außergerichtliche (Filesharing-)Abmahnungen und deren außergerichtliche "Nachbereitung" oder für die immer wieder angekündigte bzw. angedrohte gerichtliche Verfolgung der (vermeintlichen) urheberrechtlichen Ansprüche eingesetzt wird. Die tatsächlichen Abläufe dokumentieren eher, dass das Back-Office in München die zweiten und dritten außerprozessualen Nachbearbeitungs-Wellen betreuen ... zum größten Teil mit zwar kontinuierlich gepflegten, aber in der Masse einheitlichen, formularmäßigen Textbausteinen. Die Zahl der tatsächlich durchgeführten Klageverfahren hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Insbesondere auf dem Streit-Feld etwaiger Schadensersatz- und/oder Kostenerstattungsansprüche gibt es eben für  beide  Seiten nicht unerhebliche prozessuale Risiken. Wenn sich diese zu Lasten der Abmahnungsbranche öfter als von dort gewünscht realisieren, gefährdet dies naturgemäß das gesammte Geschäftsmodell der Abmahner. Selbst die erste höchstrichterliche Befassung mit dem spezifischen Thema "Filesharing-Abmahnung" und "WLAN-Störerhaftung" (BGH-Urteil vom 12.05.2010) brachte für beide Seiten schließlich Brot und Steine. Das Geld liegt beim Thema Abmahnung eben eher auf der Straße als im Gerichtssaal, in dem auch nicht in gleicher Weise die psychologischen Tricks entfaltet werden können, wie dies im Rahmen der - personell verstärkten - außergerichtlichen Abmahnungs-Maschinerie geschieht.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Das Drama "Filesharing-Abmahnungen". Es gibt ein Leben nach der Abmahnung.


Bei allem Verständnis für im Einzelfall ihre zu respektierenden Rechte wahrnehmenden Urheber und Rechteinhaber: Wenn das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" per Anwaltspost zuschlägt, sind viele Internetnutzer über alle Maßen geschockt, entsetzt und teilweise auch verzweifelt:

So sitzt die Mutter von drei jugendlichen Söhnen wie ein Häufchen Elend mir gegenüber und weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. Da braucht es zunächst mal ein paar beruhigende Worte und einige auch für den technischen und medialen Laien verständliche Erläuterungen, was ihr persönlich überhaupt vorgeworfen wird und wie P2P-Syteme grundsätzlich funktionieren.

Damit kennt sich der ebenfalls mit einem Abmahnungsschreiben geschockte Student zwar recht gut aus. Er sieht aber ungeachtet dessen seine Zukunft, insbesondere seine berufliche Karriere, schon in den düstersten Farben, zumal er die von ihm angstrebte Anstellung im öffentlichen Dienst nun für ernstlich gefährdet erachtet.

Und der gegen Abend im Büro erscheinende Facharbeiter, der von seiner gerade überstandenen Scheidung und seinen Kreditraten erzählt und der die ersten drei anwaltlichen Aufforderungen zur Zahlung von "entgegenkommenden" Vergleichsbeträgen und zur Abgabe unterschiedlich formulierter strafbewehrter Unterlassungserklärungen aus Angst vor Schlimmerem befolgt hatte, der weiß kurz nach seinem Feierabend an unserem runden Tisch nicht, wie er weitere Schadensersatz- und Kostenerstattungsbeträge noch aufbringen soll.

Einige der Vorgenannten (Einzelheiten wurden aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht selbstverständlich beliebig kombiniert) haben von dem aktuellen WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 gehört, ohne wirklich etwas damit anfangen zu können. Andere haben aus dem Fernsehen oder im Rahmen eigener Internet-Recherchen unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Informationen und Empfehlungen erhalten. Allen gemeinsam ist, dass sie gerade ein "Drama" aus Erschrecken, Überforderung, Verärgerung und vermeintlicher Ausweglosigkeit erleben.

Das Drama entwickelt zunächst ein sich als unauflöslich darstellendes Eigenleben, zumal wenn man die mit Fachterminologie, Paragraphen und Urteils-Zitaten gespickte Abmahnungspost kurz vor oder unmittelbar am Wochenende oder auch nach Urlaubsrückkehr im Briefkasten vorgefunden hat und schnelle Hilfe oft nicht sofort greifbar ist oder relativ kostspielig erscheint. Der Inhalt des Schreibens ist recht umfangreich, teilweise unverständlich und in jedem Fall stressfördernd. Irgendwas scheint dran zu sein, irgendwas kommt einem aber auch komisch vor.


Ist das ein Formular, ein Rundschreiben? Wie kommen die auf mich? Warum bieten die gleich eine massive Herabsetzung des "Preises" an? Stimmt das alles? Was kann danach kommen? Kann man da noch was machen? Das sind nur einige der Fragen, die sich den Internet-Anschlussinhabern aufdrängen.

Was ist mit den behaupteten Schadens-Szenarien? Was ist mit den Ansprüchen auf  Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung?

Wie verhält es sich mit den angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnissen und deren vermeintlichen Konsequenzen auch im Zusammenhang mit dem landgerichtlichen Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG, auf den verwiesen oder der sogar beigefügt wird?

Sind die Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge, die in den Raum gestellt werden, realistisch bzw. seriös?

Wie hoch sind die Prozess-Risiken? Und was bedeutet das Thema Vertragsstrafe für mich?

Soll ich eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und wenn ja, in welcher Form?

Wie soll ich das in der kurzen Frist geregelt kriegen?

Die ständig wachsende Zahl irritierter und verängstigter Abmahnungs-Adressaten gibt berechtigten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und den Geboten von Treu und Glauben zu stellen.


Eins sei allerdings aus Anlass der immer gehäufter und zunehmend dreister auftretenden Abmahnungszunft grundsätzlich gesagt: Es gibt ein Leben nach der Abmahnung. Der auftretende Stress trifft unzählige Leidensgenossinnen und -genossen und hat System - und zwar ein Drama-System, das nicht unfehlbar, nicht untadelig und nicht unschlagbar ist.

Es lassen sich viele Fehler vermeiden und man kann eine Menge richtig machen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" bzw. "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall interessengerechten modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung ist machbar.

Kopf hoch und Bühne frei für das Ende des Dramas.

Samstag, 2. Oktober 2010

Manche mögen's heiß: Mehrfach-Abmahnungen, Hot Spots und Cafés

Aus aktuellem Anlasss der Schließung von zuvor offenem WLAN für die Gäste einer Düsseldorfer Café-Kette hier zunächst nochmals Auszüge meiner bereits vor dem WLAN-Urteil des BGH vom 12. Mai 2010 geäußerten medienrechtlichen Einordnungen zu Risiken und Chancen von Hot Spots (oder Hotspots) im Hinblick auf drohende oder bereits erhaltene urheberrechtliche Abmahnung wegen Filesharing. Das Thema Störerhaftung bleibt weiter spannend ... und offen!

Und so hörte sich das vor  fünf Monaten - m.E. zu Recht - an:
Besonders könnte das Urteil die erwähnten Heißpunkte bzw. Hotspots treffen .. und deren bisherige Nutzer. Da kann es schnell passieren, dass einem das "Halzband"-Urteil (I ZR 114/06) im Hals stecken bleibt; aber wem?


Bei Hotspots erleichtert m. E. wie so oft ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung


Das Telemediengesetz (TMG) regelt die Haftung eines Diensteanbieters im Telekommunikationsrecht. Als Diensteanbieter gilt gemäß § 2 TMG 

jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. 

Zu den Telemedien gehört unzwiefelhaft auch das Internet.
In § 8 Abs. 1 TMG heißt es dann:
 
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
 1.
die Übermittlung nicht veranlasst,
 2.
den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
 3.
die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Ein Hotspot-Betreiber ist grundsätzlich Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes, da er anderen seinen Internetzugang zur Verfügung stellt. Ob er dies gewerblich oder zu privaten Zwecken macht, ist für die Anwendung des TMG an dieser Stelle nicht relevant. Der Diensteanbieter haftet, wenn er anderen seinen Webzugang zur Verfügung stellt, nur dann, wenn er Kenntnis von den über seinen Anschluss begangenen Rechtsverstößen hat und nicht etwa generell und immer.

Nach § 7 Abs. 2 TMG besteht auch keine Pflicht des Hotspot-Betreibers, den Webzugang nach rechwidrigen Benutzungen zu untersuchen bzw. zu kontrollieren oder zu überwachen. Im Gesetz heißt es dazu:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Wenn der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes die gesetzlichen Vorgaben zur Haftungsbeschränkung derjenigen beachtet, die bewusst, gewollt und damit "schuldhaft" (vorsätzlich) Webzugänge für Dritte (seien es z. B. Kunden, Gäste oder Besucher) schaffen, muss er eigentlich im Erst-Recht-Schluss die Begrenzung der Haftung auch für Anschlussinhaber anwenden, die ohne entsprechenden Plan, ohne Vorsatz und unfreiwillig praktisch zum "Diensteanbieter" werden - egal ob von Dritten (ohne vorherige Kenntnis des Anschlussinhabers) Mai-Lieder, Rap-Songs oder Hardcore-Filme öffentlich beim Filesharing zugänglich gemacht wurden.

Die Instanzen-Gerichte und die meisten Anwälte (anders als z. B. die Kollegen Stadler und Euler) haben bisher das TMG praktisch links des Maiwaldes liegen lassen. Wir wollen hoffen, dass der BGH den Baum vor lauter Wald sieht und bei seinen Abwägungen die Wertungen des TMG-Gesetzgebers angemessen berücksichtigt.

Ein unbegrenzter Freibrief wird den Hotspots - und anderen Anschlussinhabern - ohnehin am 12. Mai 2010 nicht geschrieben werden: Nach Kenntnis, für die die Abmahner oder Kläger wohl in den meisten Fällen "sorgen", bleibt für den Hotspot-Betreiber - wie für jeden anderen Anschlussinhaber - "nichts wie vorher"; dann beginnen in jedem Fall Untersuchungs- und Überwachungspflichten. Dies wird nicht selten zur anschließenden Schließung des offenen W-LAN-Hotspots führen. Der (Mai-)Regen scheint mal wieder für alle sicher.

Samstag, 25. September 2010

Was schert mich mein Porno von vorgestern: Bald Rückruf-Aktionen auch von Politikern?

Das Landgericht Berlin hat's verboten: Das ausschnittweise "Zitieren" pornografischer Schnipsel einer mittlerweile "seriösen" und preisgekrönten Schauspielerin im TV durch den Privat-Sender RTL.
Obwohl die Einwilligung zur Veröffentlichung des ursprünglichen Filmmaterials gem. § 22 KunstUrhG ohne Zweifel  bereits vor etlichen Jahren durch die damals "freischaffendere" Künstlerin erteilt worden sein muss, scheint die Berliner Pressekammer für das Recht am eigenen bewegten (Nackt-)Bild eine Art "Rückrufrecht wegen gewandelter Überzeugung" i. S. d. § 42 UrhG einführen zu wollen. Nicht uninteressant und nicht auszudenken, was für Möglichkeiten sich da auftun, mittlerweile unliebsame bewegte Bilder und Originaltöne der vergangenen Jahre ausmerzen und vergessen machen zu können:

Eine Scheibenwaschanlage für das Promi-Schaufenster? Ein Persil-Schein für die politische Kochwäsche früherer öffentlich festgehaltener Fehleinschätzungen? Eine weiße Weste über den in der Vergangenheit vielleicht manchmal zu fett gefressenen High-Society-Bauch?

Ein Ende der ewigen Vorhaltung alter Sünden und kein Ende für Gefälligkeits-Journalismus und Hofberichterstattung?

Das Recht am eigenen Bild und die Respektierung des Persönlichkeitsrechts haben ihre Berechtigung - ebenso wie das Recht zur Einwilligung in die Veröffentlichung eigener Bildnisse und eben auch die (nicht schrankenlose) Freiheit der Berichterstattung, das öffentliche Informationsinteresse und das journalistische Veröffentlichungsinteresse, auch und gerade auch dann, wenn letztere durch frühere Schritte, die zwischenzeitlich selbst als "Fehltritte" bewertet werden, geweckt worden sein sollten.

Also besser einen Nachruf auf den möglichen Rückruf. Oder wollen wir publizistische Waschanlagen, Persilscheine und weiße Westen?

Samstag, 4. September 2010

Die strafbewehrte Unterlassungserklärung nach der Abmahnung - Wichtige Fragen und Details

Wenn vom Rechtsanwalt eine Abmahnung in's Haus flattert - egal ob im Bereich Urheberrecht, Markenrecht, Medienrecht oder Wettbewerbsrecht - stellt sich innerhalb der regelmäßig sehr knapp bemessenen Frist zumeist die Frage, ob die angeforderte strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung mit dem vorformulierten Inhalt , in modifizierter Form oder überhaupt nicht abgegeben werden soll.

Wer dabei auf die "gut gemeinten" Ratschläge aus dem Abmahnungsschreiben hört, ist zumeist genau so "verraten und verkauft", wie derjenige, der pauschale Formulierungs-Tipps genereller Art aus dem Netz ohne Abstimmung mit dem konkret betroffenen Sachverhalt und seinen ureigensten Bedürfnissen, Wünschen und Interessen unüberlegt übernimmt.

Es sind im Einzelfall vielmehr zumindest die folgenden Überlegungen anzustellen:
  1. Gibt es erkennbare Prozessrisiken für den Fall, das von der Abgabe einer Unterlasungserklärung abgesehen wird?
  2. Ist die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bereits verantwortbar oder empfehlen sich vorher noch vorsorgliche Veranlassungen und Absicherungen?
  3. Ist ausreichend gewährleistet, dass die grundsätzlich 30 Jahre geltende verbindliche Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auch über diese Dauer einhaltbar ist? 
  4. Besteht hierbei evtl. auch das Risiko einer früher oder später möglichen Haftung für Dritte?
  5. In welcher Form soll die Erklärung abgegeben werden?
  6. Empfiehlt sich der Ausschluss von weitergehenden ausdrücklichen oder schlüssigen Anerkenntnissen z. B. hinsichtlich Schadensersatz oder Kostenerstattung?
  7. Ist die Erklärung dennoch nach den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung mit ausreichender Ernsthaftigkeit und Rechtsverbindlichkeit formuliert?
  8. Wie sieht es mit einem enthaltenen Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs aus?
  9. Erweckt die Abfassung der Erklärung den Eindruck, auch für unverschuldete Verstöße zu haften?
  10. Welches Verbot oder welche Verbote sind im konkreten Fall relevant?
  11. Ist im konkreten Fall und vor dem Hintergrund der Verhältnisse und Erwartungen des oder der Abgemahnten eher eine möglichst eng am vorgeworfenen Verstoßsachverhalt orientierte oder eher eine weite Fassung des Verbotes zu empfehlen?
  12. Zu wessen Gunsten sollte die strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgesprochen werden?
  13. Soll eine konkret bezifferte Vertragsstrafe eingesetzt werden, wenn ja, in welcher konkreten Höhe?
  14. Oder sollte stattdessen lieber auf den sogenannten neuen Hamburger Brauch zurückgegriffen werden und die Höhe der Vertragsstrafe nicht fixiert, sondern in das gerichtlich (nicht nur landgerichtlich!) überprüfbare Ermessen des Unterlassungsgläubigers gestellt werden?
  15. Kann dennoch eine Obergrenze festgelegt werden und wenn ja, welche?
  16. Kann bzw. soll die Erklärung befristet und/oder bedingt abgegeben werden; welche etwaigen auflösenden Bedingungen empfehlen sich?
  17. Ist es sinnvoll, über vorsorgliche weitere Unterlassungserklärungen gegenüber Dritten nachzudenken?
  18. Welche weiteren Veranlassungen und Absicherungen sind nach der Erklärungsabgabe in's Auge zu fassen oder vorzunehmen?
  19. Sind weitere Personen zu informieren und zu instruieren?
  20. Sollten der schriftlichen strafbewehrten Unterlassungserklärung sinnvolle und hilfreiche weitere Erläuterungen und Argumente beigefügt werden?

Die Menge der relevanten Gesichtspunkte und Fragestellungen darf keinesfalls den Psycho-Stress erhöhen, den eine Abmahnung erzeugen kann; eine ruhige und besonnene Befassung mit den Details wird m. E. allerdings dabei helfen, klarer zu sehen und strukturierter und zielführender das Gesetz des Handelns nicht der Abmahnungs-Branche zu überlassen, sondern selbst zur Abwehr unangemessener Abmahnungen in die Hand zu nehmen.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Perlentaucher aus gutem Grund: Wichtiger als die BGH-Entscheidung - Zukunfts-Musik im Urheberrecht, Markenrecht und Medienrecht?

Die heutige Verhandlung im Streit zwischen "FAZ", "SZ" und "Perlentaucher" machte deutlich, dass der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit seinem Vorsitzenden Joachim Bornkamm sich die Entscheidung im Streit um Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht nicht leicht machen wird: Der Vorsitzende bezeichnete den Prozess-Ausgang selbst als "durchaus offen", sprach allerdings gleichzeitig von einem gewissen "Unbehagen", darüber, das mit im Internet veröffentlichten Zusammenfassungen von in Zeitungen abgedruckten Buch-Rezensionen Einkünfte erzielt werden.

Während die Rechtsanwältin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Süddeutschen Zeitung" dem Online-Magazin vorwarf, es würde aus den Buch-Kritiken "gerade besonders farbige, einprägsame und phantasievolle Formulierungen eins zu eins" übernehmen und sich gleichzeitig eine wettbewerbswidrige "Rufausbeutung" erlauben, stellte die Prozessvertretung der Beklagten darauf ab, dass in den streitgegenständlichen "Notizen", den Online-Abstracts,  in eigenschöpferischer Leistung und in eigenen Worten der Kerngehalt der Rezensionen herausgearbeitet würde - und zwar in "freier Benutzung" der Feuilleton-Artikel, aber ohne deren urheberrechtswidrige Bearbeitung.

Bei dem für den 30.09.2010 angekündigten Urteil des BGH wird es m. E. weniger auf den Entscheidungs-Tenor als vielmehr auf die genauen Entscheidungsgründe ankommen, die für die im Prozessstoff enthaltenen mehrfachen Fragen ggf. zukunftsweisende Weichenstellungen enthalten können.

Bleibt zu hoffen, das die höchstrichterliche Begründung gute und differenzierte Gründe mit praktikablen und interessengerechten Tendenzen enthält - ohne Verkennung schöpferischer Wertschaffung wie auch berechtigter Bedürfnisse einer transparenten und von Offenheit, Austausch und Befruchtung geprägten Medien-Welt mit ihren ständig wachsenden und vielfältiger werdenden Möglichkeiten und Chancen.

Konkretere Kritik-Vorgriffe verbieten sich mir vor Lektüre der ausstehenden Entscheidung(sgründe).

Dienstag, 6. Juli 2010

Erneuter Satz-Gewinn im Marken-Tennis für Barbara Becker und ihre Namensmarke

Ein Sieg gegen die oft zu pauschale und zu übereilte Annahme markenrechtlicher Verwechslungsgefahr:

Barbara Becker, die Ex-Gattin der Tennislegende Boris Becker, meldete 2002 die Namensmarke "Barbara Becker" u.a. für Elektronik-Produkte als Gemeinschaftsmarke an. Hiergegen legte die Fa. Harman Becker International Industries Inc., Inhaberin der Marke "BECKER" und Produzentin u. a. von Navigationsgeräten und Autoradios, zunächst erfolgreich Widerspruch ein. Die Beschwerdekammer des HABM gab demgegenüber Barbara Becker Recht und verneinte eine Verwechslungsgefahr.

Die 4. Kammer des EuGH hat mit Urteil vom 24.06.2010 ( Az. C-51/09 P)  nun ein prozessual im Dezember 2008 von der Fa. Harman Becker errungenes entgegengesetztes Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Az. T-212/07) wiederum aufgehoben und die Sache an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

Ein Hin und Her wie beim richtig großen Tennis.

Das höchstrichterliche Urteil bedeutet noch nicht zwingend das letzte Wort, macht aber auch für die nun wieder am Ball befindliche erste gerichtliche Instanz zum Thema "Verwechslungsgefahr" verbindlich deutlich,

  • dass es keine grundsätzliche Monopolisierung von Nachnamen im Markenrecht gibt,

  • dass der Zusatz eines Vornamens geeignet sein kann, eine Verwechslungsgefahr auszuschließen,

  • dass bei der Prüfung einer etwaigen Verwechslungsgefahr alle relevanten Umstände des Einzelfalls jeweils umfassend zu berücksichtigen sind und nicht nur auf Einzelaspekte abgestellt werden darf,

  • dass maßgeblich auf den Gesammteindruck des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist,

  • dass auch die Häufigkeit eines Nachnamens von Relevanz sein kann

  • und dass auch die Bekanntheit eines Namens Einfluss auf die Wahrnehmung der entsprechenden Marke und auf deren Kennzeichnungskraft haben kann.

Weitere Gesichtspunkte - wie z. B. Branchen-Usancen oder das in manchen Fällen berechtigte und auch verfassungsrechtlich nicht völlig ungeschützte Bedürfnis mehrerer Namensträger, den eigenen Familiennamen zumindest als Bestandteil einer eigenen Wortmarke zu benutzen - sind bei der anwaltlichen Befassung mit vergleichbaren Marken-Fällen zusätzlich zu beachten und könnten hinzugefügt werden. In jedem Fall deutet nach dieser Entscheidung vieles darauf hin, dass Barbara Becker und ihr Rechtsanwalt nach dem zweiten und vierten Satz nun auch den fünften Satz - zu recht - gewinnen.