Sonntag, 10. Oktober 2010

Das Drama "Filesharing-Abmahnungen". Es gibt ein Leben nach der Abmahnung.


Bei allem Verständnis für im Einzelfall ihre zu respektierenden Rechte wahrnehmenden Urheber und Rechteinhaber: Wenn das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" per Anwaltspost zuschlägt, sind viele Internetnutzer über alle Maßen geschockt, entsetzt und teilweise auch verzweifelt:

So sitzt die Mutter von drei jugendlichen Söhnen wie ein Häufchen Elend mir gegenüber und weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. Da braucht es zunächst mal ein paar beruhigende Worte und einige auch für den technischen und medialen Laien verständliche Erläuterungen, was ihr persönlich überhaupt vorgeworfen wird und wie P2P-Syteme grundsätzlich funktionieren.

Damit kennt sich der ebenfalls mit einem Abmahnungsschreiben geschockte Student zwar recht gut aus. Er sieht aber ungeachtet dessen seine Zukunft, insbesondere seine berufliche Karriere, schon in den düstersten Farben, zumal er die von ihm angstrebte Anstellung im öffentlichen Dienst nun für ernstlich gefährdet erachtet.

Und der gegen Abend im Büro erscheinende Facharbeiter, der von seiner gerade überstandenen Scheidung und seinen Kreditraten erzählt und der die ersten drei anwaltlichen Aufforderungen zur Zahlung von "entgegenkommenden" Vergleichsbeträgen und zur Abgabe unterschiedlich formulierter strafbewehrter Unterlassungserklärungen aus Angst vor Schlimmerem befolgt hatte, der weiß kurz nach seinem Feierabend an unserem runden Tisch nicht, wie er weitere Schadensersatz- und Kostenerstattungsbeträge noch aufbringen soll.

Einige der Vorgenannten (Einzelheiten wurden aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht selbstverständlich beliebig kombiniert) haben von dem aktuellen WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 gehört, ohne wirklich etwas damit anfangen zu können. Andere haben aus dem Fernsehen oder im Rahmen eigener Internet-Recherchen unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Informationen und Empfehlungen erhalten. Allen gemeinsam ist, dass sie gerade ein "Drama" aus Erschrecken, Überforderung, Verärgerung und vermeintlicher Ausweglosigkeit erleben.

Das Drama entwickelt zunächst ein sich als unauflöslich darstellendes Eigenleben, zumal wenn man die mit Fachterminologie, Paragraphen und Urteils-Zitaten gespickte Abmahnungspost kurz vor oder unmittelbar am Wochenende oder auch nach Urlaubsrückkehr im Briefkasten vorgefunden hat und schnelle Hilfe oft nicht sofort greifbar ist oder relativ kostspielig erscheint. Der Inhalt des Schreibens ist recht umfangreich, teilweise unverständlich und in jedem Fall stressfördernd. Irgendwas scheint dran zu sein, irgendwas kommt einem aber auch komisch vor.


Ist das ein Formular, ein Rundschreiben? Wie kommen die auf mich? Warum bieten die gleich eine massive Herabsetzung des "Preises" an? Stimmt das alles? Was kann danach kommen? Kann man da noch was machen? Das sind nur einige der Fragen, die sich den Internet-Anschlussinhabern aufdrängen.

Was ist mit den behaupteten Schadens-Szenarien? Was ist mit den Ansprüchen auf  Unterlassung, Auskunft, Löschung, Vernichtung, Aufwendungsersatz und Kostenerstattung?

Wie verhält es sich mit den angeblich festgestellten und dokumentierten Recherche-Ergebnissen und deren vermeintlichen Konsequenzen auch im Zusammenhang mit dem landgerichtlichen Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG, auf den verwiesen oder der sogar beigefügt wird?

Sind die Streitwerte und Kostenerstattungsbeträge, die in den Raum gestellt werden, realistisch bzw. seriös?

Wie hoch sind die Prozess-Risiken? Und was bedeutet das Thema Vertragsstrafe für mich?

Soll ich eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben und wenn ja, in welcher Form?

Wie soll ich das in der kurzen Frist geregelt kriegen?

Die ständig wachsende Zahl irritierter und verängstigter Abmahnungs-Adressaten gibt berechtigten Anlass, im Zusammenhang mit etlichen Filesharing-Abmahnungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und den Geboten von Treu und Glauben zu stellen.


Eins sei allerdings aus Anlass der immer gehäufter und zunehmend dreister auftretenden Abmahnungszunft grundsätzlich gesagt: Es gibt ein Leben nach der Abmahnung. Der auftretende Stress trifft unzählige Leidensgenossinnen und -genossen und hat System - und zwar ein Drama-System, das nicht unfehlbar, nicht untadelig und nicht unschlagbar ist.

Es lassen sich viele Fehler vermeiden und man kann eine Menge richtig machen.

Ein besonnener und sachgerechter Umgang mit der Abmahnung und dem Thema "Filesharing", "Tauschbörse" bzw. "P2P" sowie die Einholung kompetenter Hilfe zur Abwehr der Abmahnung und zur etwaigen Abgabe einer im konkreten Fall interessengerechten modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung ist machbar.

Kopf hoch und Bühne frei für das Ende des Dramas.

Samstag, 2. Oktober 2010

Manche mögen's heiß: Mehrfach-Abmahnungen, Hot Spots und Cafés

Aus aktuellem Anlasss der Schließung von zuvor offenem WLAN für die Gäste einer Düsseldorfer Café-Kette hier zunächst nochmals Auszüge meiner bereits vor dem WLAN-Urteil des BGH vom 12. Mai 2010 geäußerten medienrechtlichen Einordnungen zu Risiken und Chancen von Hot Spots (oder Hotspots) im Hinblick auf drohende oder bereits erhaltene urheberrechtliche Abmahnung wegen Filesharing. Das Thema Störerhaftung bleibt weiter spannend ... und offen!

Und so hörte sich das vor  fünf Monaten - m.E. zu Recht - an:
Besonders könnte das Urteil die erwähnten Heißpunkte bzw. Hotspots treffen .. und deren bisherige Nutzer. Da kann es schnell passieren, dass einem das "Halzband"-Urteil (I ZR 114/06) im Hals stecken bleibt; aber wem?


Bei Hotspots erleichtert m. E. wie so oft ein Blick in das Gesetz die Rechtsfindung


Das Telemediengesetz (TMG) regelt die Haftung eines Diensteanbieters im Telekommunikationsrecht. Als Diensteanbieter gilt gemäß § 2 TMG 

jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. 

Zu den Telemedien gehört unzwiefelhaft auch das Internet.
In § 8 Abs. 1 TMG heißt es dann:
 
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich, sofern sie
 1.
die Übermittlung nicht veranlasst,
 2.
den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
 3.
die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Ein Hotspot-Betreiber ist grundsätzlich Diensteanbieter i. S. d. Telemediengesetzes, da er anderen seinen Internetzugang zur Verfügung stellt. Ob er dies gewerblich oder zu privaten Zwecken macht, ist für die Anwendung des TMG an dieser Stelle nicht relevant. Der Diensteanbieter haftet, wenn er anderen seinen Webzugang zur Verfügung stellt, nur dann, wenn er Kenntnis von den über seinen Anschluss begangenen Rechtsverstößen hat und nicht etwa generell und immer.

Nach § 7 Abs. 2 TMG besteht auch keine Pflicht des Hotspot-Betreibers, den Webzugang nach rechwidrigen Benutzungen zu untersuchen bzw. zu kontrollieren oder zu überwachen. Im Gesetz heißt es dazu:

Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 sind nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.

Wenn der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes die gesetzlichen Vorgaben zur Haftungsbeschränkung derjenigen beachtet, die bewusst, gewollt und damit "schuldhaft" (vorsätzlich) Webzugänge für Dritte (seien es z. B. Kunden, Gäste oder Besucher) schaffen, muss er eigentlich im Erst-Recht-Schluss die Begrenzung der Haftung auch für Anschlussinhaber anwenden, die ohne entsprechenden Plan, ohne Vorsatz und unfreiwillig praktisch zum "Diensteanbieter" werden - egal ob von Dritten (ohne vorherige Kenntnis des Anschlussinhabers) Mai-Lieder, Rap-Songs oder Hardcore-Filme öffentlich beim Filesharing zugänglich gemacht wurden.

Die Instanzen-Gerichte und die meisten Anwälte (anders als z. B. die Kollegen Stadler und Euler) haben bisher das TMG praktisch links des Maiwaldes liegen lassen. Wir wollen hoffen, dass der BGH den Baum vor lauter Wald sieht und bei seinen Abwägungen die Wertungen des TMG-Gesetzgebers angemessen berücksichtigt.

Ein unbegrenzter Freibrief wird den Hotspots - und anderen Anschlussinhabern - ohnehin am 12. Mai 2010 nicht geschrieben werden: Nach Kenntnis, für die die Abmahner oder Kläger wohl in den meisten Fällen "sorgen", bleibt für den Hotspot-Betreiber - wie für jeden anderen Anschlussinhaber - "nichts wie vorher"; dann beginnen in jedem Fall Untersuchungs- und Überwachungspflichten. Dies wird nicht selten zur anschließenden Schließung des offenen W-LAN-Hotspots führen. Der (Mai-)Regen scheint mal wieder für alle sicher.

Samstag, 25. September 2010

Was schert mich mein Porno von vorgestern: Bald Rückruf-Aktionen auch von Politikern?

Das Landgericht Berlin hat's verboten: Das ausschnittweise "Zitieren" pornografischer Schnipsel einer mittlerweile "seriösen" und preisgekrönten Schauspielerin im TV durch den Privat-Sender RTL.
Obwohl die Einwilligung zur Veröffentlichung des ursprünglichen Filmmaterials gem. § 22 KunstUrhG ohne Zweifel  bereits vor etlichen Jahren durch die damals "freischaffendere" Künstlerin erteilt worden sein muss, scheint die Berliner Pressekammer für das Recht am eigenen bewegten (Nackt-)Bild eine Art "Rückrufrecht wegen gewandelter Überzeugung" i. S. d. § 42 UrhG einführen zu wollen. Nicht uninteressant und nicht auszudenken, was für Möglichkeiten sich da auftun, mittlerweile unliebsame bewegte Bilder und Originaltöne der vergangenen Jahre ausmerzen und vergessen machen zu können:

Eine Scheibenwaschanlage für das Promi-Schaufenster? Ein Persil-Schein für die politische Kochwäsche früherer öffentlich festgehaltener Fehleinschätzungen? Eine weiße Weste über den in der Vergangenheit vielleicht manchmal zu fett gefressenen High-Society-Bauch?

Ein Ende der ewigen Vorhaltung alter Sünden und kein Ende für Gefälligkeits-Journalismus und Hofberichterstattung?

Das Recht am eigenen Bild und die Respektierung des Persönlichkeitsrechts haben ihre Berechtigung - ebenso wie das Recht zur Einwilligung in die Veröffentlichung eigener Bildnisse und eben auch die (nicht schrankenlose) Freiheit der Berichterstattung, das öffentliche Informationsinteresse und das journalistische Veröffentlichungsinteresse, auch und gerade auch dann, wenn letztere durch frühere Schritte, die zwischenzeitlich selbst als "Fehltritte" bewertet werden, geweckt worden sein sollten.

Also besser einen Nachruf auf den möglichen Rückruf. Oder wollen wir publizistische Waschanlagen, Persilscheine und weiße Westen?

Samstag, 4. September 2010

Die strafbewehrte Unterlassungserklärung nach der Abmahnung - Wichtige Fragen und Details

Wenn vom Rechtsanwalt eine Abmahnung in's Haus flattert - egal ob im Bereich Urheberrecht, Markenrecht, Medienrecht oder Wettbewerbsrecht - stellt sich innerhalb der regelmäßig sehr knapp bemessenen Frist zumeist die Frage, ob die angeforderte strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung mit dem vorformulierten Inhalt , in modifizierter Form oder überhaupt nicht abgegeben werden soll.

Wer dabei auf die "gut gemeinten" Ratschläge aus dem Abmahnungsschreiben hört, ist zumeist genau so "verraten und verkauft", wie derjenige, der pauschale Formulierungs-Tipps genereller Art aus dem Netz ohne Abstimmung mit dem konkret betroffenen Sachverhalt und seinen ureigensten Bedürfnissen, Wünschen und Interessen unüberlegt übernimmt.

Es sind im Einzelfall vielmehr zumindest die folgenden Überlegungen anzustellen:
  1. Gibt es erkennbare Prozessrisiken für den Fall, das von der Abgabe einer Unterlasungserklärung abgesehen wird?
  2. Ist die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bereits verantwortbar oder empfehlen sich vorher noch vorsorgliche Veranlassungen und Absicherungen?
  3. Ist ausreichend gewährleistet, dass die grundsätzlich 30 Jahre geltende verbindliche Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auch über diese Dauer einhaltbar ist? 
  4. Besteht hierbei evtl. auch das Risiko einer früher oder später möglichen Haftung für Dritte?
  5. In welcher Form soll die Erklärung abgegeben werden?
  6. Empfiehlt sich der Ausschluss von weitergehenden ausdrücklichen oder schlüssigen Anerkenntnissen z. B. hinsichtlich Schadensersatz oder Kostenerstattung?
  7. Ist die Erklärung dennoch nach den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung mit ausreichender Ernsthaftigkeit und Rechtsverbindlichkeit formuliert?
  8. Wie sieht es mit einem enthaltenen Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs aus?
  9. Erweckt die Abfassung der Erklärung den Eindruck, auch für unverschuldete Verstöße zu haften?
  10. Welches Verbot oder welche Verbote sind im konkreten Fall relevant?
  11. Ist im konkreten Fall und vor dem Hintergrund der Verhältnisse und Erwartungen des oder der Abgemahnten eher eine möglichst eng am vorgeworfenen Verstoßsachverhalt orientierte oder eher eine weite Fassung des Verbotes zu empfehlen?
  12. Zu wessen Gunsten sollte die strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgesprochen werden?
  13. Soll eine konkret bezifferte Vertragsstrafe eingesetzt werden, wenn ja, in welcher konkreten Höhe?
  14. Oder sollte stattdessen lieber auf den sogenannten neuen Hamburger Brauch zurückgegriffen werden und die Höhe der Vertragsstrafe nicht fixiert, sondern in das gerichtlich (nicht nur landgerichtlich!) überprüfbare Ermessen des Unterlassungsgläubigers gestellt werden?
  15. Kann dennoch eine Obergrenze festgelegt werden und wenn ja, welche?
  16. Kann bzw. soll die Erklärung befristet und/oder bedingt abgegeben werden; welche etwaigen auflösenden Bedingungen empfehlen sich?
  17. Ist es sinnvoll, über vorsorgliche weitere Unterlassungserklärungen gegenüber Dritten nachzudenken?
  18. Welche weiteren Veranlassungen und Absicherungen sind nach der Erklärungsabgabe in's Auge zu fassen oder vorzunehmen?
  19. Sind weitere Personen zu informieren und zu instruieren?
  20. Sollten der schriftlichen strafbewehrten Unterlassungserklärung sinnvolle und hilfreiche weitere Erläuterungen und Argumente beigefügt werden?

Die Menge der relevanten Gesichtspunkte und Fragestellungen darf keinesfalls den Psycho-Stress erhöhen, den eine Abmahnung erzeugen kann; eine ruhige und besonnene Befassung mit den Details wird m. E. allerdings dabei helfen, klarer zu sehen und strukturierter und zielführender das Gesetz des Handelns nicht der Abmahnungs-Branche zu überlassen, sondern selbst zur Abwehr unangemessener Abmahnungen in die Hand zu nehmen.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Perlentaucher aus gutem Grund: Wichtiger als die BGH-Entscheidung - Zukunfts-Musik im Urheberrecht, Markenrecht und Medienrecht?

Die heutige Verhandlung im Streit zwischen "FAZ", "SZ" und "Perlentaucher" machte deutlich, dass der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes mit seinem Vorsitzenden Joachim Bornkamm sich die Entscheidung im Streit um Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht nicht leicht machen wird: Der Vorsitzende bezeichnete den Prozess-Ausgang selbst als "durchaus offen", sprach allerdings gleichzeitig von einem gewissen "Unbehagen", darüber, das mit im Internet veröffentlichten Zusammenfassungen von in Zeitungen abgedruckten Buch-Rezensionen Einkünfte erzielt werden.

Während die Rechtsanwältin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Süddeutschen Zeitung" dem Online-Magazin vorwarf, es würde aus den Buch-Kritiken "gerade besonders farbige, einprägsame und phantasievolle Formulierungen eins zu eins" übernehmen und sich gleichzeitig eine wettbewerbswidrige "Rufausbeutung" erlauben, stellte die Prozessvertretung der Beklagten darauf ab, dass in den streitgegenständlichen "Notizen", den Online-Abstracts,  in eigenschöpferischer Leistung und in eigenen Worten der Kerngehalt der Rezensionen herausgearbeitet würde - und zwar in "freier Benutzung" der Feuilleton-Artikel, aber ohne deren urheberrechtswidrige Bearbeitung.

Bei dem für den 30.09.2010 angekündigten Urteil des BGH wird es m. E. weniger auf den Entscheidungs-Tenor als vielmehr auf die genauen Entscheidungsgründe ankommen, die für die im Prozessstoff enthaltenen mehrfachen Fragen ggf. zukunftsweisende Weichenstellungen enthalten können.

Bleibt zu hoffen, das die höchstrichterliche Begründung gute und differenzierte Gründe mit praktikablen und interessengerechten Tendenzen enthält - ohne Verkennung schöpferischer Wertschaffung wie auch berechtigter Bedürfnisse einer transparenten und von Offenheit, Austausch und Befruchtung geprägten Medien-Welt mit ihren ständig wachsenden und vielfältiger werdenden Möglichkeiten und Chancen.

Konkretere Kritik-Vorgriffe verbieten sich mir vor Lektüre der ausstehenden Entscheidung(sgründe).

Dienstag, 6. Juli 2010

Erneuter Satz-Gewinn im Marken-Tennis für Barbara Becker und ihre Namensmarke

Ein Sieg gegen die oft zu pauschale und zu übereilte Annahme markenrechtlicher Verwechslungsgefahr:

Barbara Becker, die Ex-Gattin der Tennislegende Boris Becker, meldete 2002 die Namensmarke "Barbara Becker" u.a. für Elektronik-Produkte als Gemeinschaftsmarke an. Hiergegen legte die Fa. Harman Becker International Industries Inc., Inhaberin der Marke "BECKER" und Produzentin u. a. von Navigationsgeräten und Autoradios, zunächst erfolgreich Widerspruch ein. Die Beschwerdekammer des HABM gab demgegenüber Barbara Becker Recht und verneinte eine Verwechslungsgefahr.

Die 4. Kammer des EuGH hat mit Urteil vom 24.06.2010 ( Az. C-51/09 P)  nun ein prozessual im Dezember 2008 von der Fa. Harman Becker errungenes entgegengesetztes Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Az. T-212/07) wiederum aufgehoben und die Sache an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

Ein Hin und Her wie beim richtig großen Tennis.

Das höchstrichterliche Urteil bedeutet noch nicht zwingend das letzte Wort, macht aber auch für die nun wieder am Ball befindliche erste gerichtliche Instanz zum Thema "Verwechslungsgefahr" verbindlich deutlich,

  • dass es keine grundsätzliche Monopolisierung von Nachnamen im Markenrecht gibt,

  • dass der Zusatz eines Vornamens geeignet sein kann, eine Verwechslungsgefahr auszuschließen,

  • dass bei der Prüfung einer etwaigen Verwechslungsgefahr alle relevanten Umstände des Einzelfalls jeweils umfassend zu berücksichtigen sind und nicht nur auf Einzelaspekte abgestellt werden darf,

  • dass maßgeblich auf den Gesammteindruck des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist,

  • dass auch die Häufigkeit eines Nachnamens von Relevanz sein kann

  • und dass auch die Bekanntheit eines Namens Einfluss auf die Wahrnehmung der entsprechenden Marke und auf deren Kennzeichnungskraft haben kann.

Weitere Gesichtspunkte - wie z. B. Branchen-Usancen oder das in manchen Fällen berechtigte und auch verfassungsrechtlich nicht völlig ungeschützte Bedürfnis mehrerer Namensträger, den eigenen Familiennamen zumindest als Bestandteil einer eigenen Wortmarke zu benutzen - sind bei der anwaltlichen Befassung mit vergleichbaren Marken-Fällen zusätzlich zu beachten und könnten hinzugefügt werden. In jedem Fall deutet nach dieser Entscheidung vieles darauf hin, dass Barbara Becker und ihr Rechtsanwalt nach dem zweiten und vierten Satz nun auch den fünften Satz - zu recht - gewinnen.

Montag, 5. Juli 2010

Das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" und unlogische Boom-Geschäfte mit der Lizenzanalogie

Das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" generiert auch unprominenten Urhebern bzw. Rechteinhabern und ihren Rechtsanwälten "Erlöse", von denen manche bei bloßer Verfolgung ihrer eigentlichen Kern-Geschäfte nur träumen konnten. Hilfe scheint hier das schutzrechtliche Schadensersatz-Modell der Lizenzanalogie zu bieten. Doch wird das den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen wirklich gerecht?

Nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie ist - soweit überhaupt ein Schadensersatz begründendes Verschulden vorliegt - jeweils zu ermitteln, was vernünftige Vertragspartner bei Abschluss eines marktfähigen und verkehrsüblichen Lizenzvertrages als Vergütung für die Benutzungs- bzw. Verwertungshandlung des Verletzers vereinbart hätten, wobei es auf den objektiven Wert der angemaßten Benutzungsberechtigung ankommt.

Dazu stellen sich m. E. im Zusammenhang mit Musik- oder Film-Tauschbörsen u. a. die folgenden Fragen:

- Welcher vernünftige Markt-Teilnehmer würde für die Möglichkeit, eine bestimmte Audio- oder Video-Datei in ein P2P-System zum kostenlosen Tausch einzustellen, fühlbare Lizenz-Beträge zahlen?

- Wäre eine Vergütungspflicht im Rahmen von kostenlosen Tauschbörsen nicht bereits systemwidrig?

- Wären insoweit kostenpflichtige Lizenzierungen überhaupt marktfähig und verkehrsüblich?

- Würden bei Zulassung einer fingierten kostenpflichtigen Lizenzierung dann nicht zumindest die fingierten "Kunden" des Abgemahnten als (nachträglich) legitimiert im Rahmen ihrer Tauschbörsen-Teilnahme anzusehen und zu behandeln sein?

- Wie werden die Abmahner dann daran gehindert, unzählige im Rahmen massenhafter Abmahnungen und Lizenzzahlungen vergütete Tauschvorgänge mehrfach und gehäuft zum Anlass zahlreicher weiterer Abmahnungen zu nehmen?

- Führt diese Praxis nicht zu unabsehbarer virtueller Potenzierung von "analogen" Lizenz-Einnahmen der Abmahnungs-Industrie, ohne dass dem realistische reale Vergütungsszenarien oder -Modelle zur Seite stehen?

- Und wird damit nicht erst durch das Geschäftsmodell der "Filesharing-Abmahnungen" eine Vergütungs- bzw. Lizenzierungsbasis kreiert, die eigentlich nicht existiert?

- Eröffnen sich hier nicht zusätzliche berechtigte Argumente zur Abwehr von Abmahnungen wegen Filesharing?

Den Aufregungen und Antworten sehe ich mit Interesse entgegen.

Fortsetzung folgt.

Samstag, 5. Juni 2010

Abmahnung an die politische "Klasse" - Gauck für das Volk - Ein etwas anderes Plädoyer



Die Bundeskanzlerin nimmt faktisch für sich das Urheberrecht für das Amt bzw. die Person des Bundespräsidenten und seiner oder ihrer Auswahl in Anspruch. Dabei beruht die daraus abgeleitete Werkschöpfung auf machtpolitischem Kalkül statt auf wegweisender Kreativität. Hierfür verdient Frau Merkel und die derzeitige politische "Klasse" eine Abmahnung.

Und zwar eine Abmahnung aus dem Volk, ohne damit einer voreiligen und nicht immer weitsichtigen Forderung nach der direkten, basisdemokratischen Wahl des Bundespräsidenten das Wort reden zu wollen.

Die Wahlfrauen und Wahlmänner der Bundesversammlung sollten allerdings am 30.06.2010 - und schon früher - sich die folgenden, teilweise vielleicht provokanten - Argumente dahingehend vor Augen führen, was Gauck für das Volk bedeutet, wobei die Reihenfolge keine Rangfolge sein soll:

 1. Joachim Gauck ist kein Jurist, sondern Theologe. Was soll das denn, werden viele fragen: Juristen - wie Wulff (und wie im Übrigen auch der Verfasser einer ist) -  w i  s s e n  doch, während Theologen nur glauben. Was Juristen alles wissen und vor allen Dingen oft nicht wissen, führt die politische Klasse der aktuell das politische Agieren auf den höchsten Ebenen bestimmenden Juristen uns täglich vor. Juristen glauben zu wissen, der Theologe Gauck weiß, was er glauben kann und - noch wichtiger - was nicht. Die Hinterfragung vermeintlicher Wahrheiten prägt nicht unwesentlich sein Leben; und gleichzeitig der engagierte Kampf um die Wahrheit, auch wenn sie unbequem ist.

 2. Wo wir beim Thema Glauben sind: Joachim Gauck ist kein Katholik. Ja und? Müssen wir das Amt nach Proporz-Gesichtspunkten (Merkel ist evangelisch) besetzen? Wäre auch das nicht bloß Kalkül? Und was ist mit den Geschehnissen und Umgehensweisen, die die katholische Kirche in der jüngeren Vergangenheit - zu Recht - belastet haben? Diese Dinge belasten zweifelsohne nicht den niedersächsischen Ministerpräsidenten, zwingen uns allerdings auch nicht zu dem vorerwähnten Proporz-Deal.

 3. Mehr "junge Leute" (Christian Wulff ist - wie ich - 50) in höchste Staatsämter? Generationswechsel? Steht Wulff wirklich dafür? Wofür steht er eigentlich? Gauck steht jedenfalls für ein langes, zugegebener Maßen längeres Leben (70 Jahre), voller leidvoller, mutiger und zäher Geschichte, Erfahrung und Handlung. Wir werden in den kommenden Jahren zunehmender lernen müssen, neben der berechtigten Förderung und Forderung der "Jugend" ohne falschen Jugendwahn nicht nur die Last, sondern mehr noch das Potenzial und die Ressourcen erfahrener "Alter" oder "Älterer" einzubeziehen und zu nutzen; keineswegs kritiklos und rückwärtsgewandt, jedoch lernfähig und lernwillig, offen und zugewandt sowie gerne manchmal auch begeistert.

 4. Wulff ist ein Vollblut-Politiker, einverstanden. Aber reicht das? Brauchen wir an dieser Stelle genau das und den? Hieß es in einer der entscheidenden politischen Zeiten für unser Land, im Herbst 1989, "Wir sind die Politiker" oder hieß es "Wir sind das Volk"? Nun wird das Volk nicht Bundespräsident werden können. Das Volk hat aber berechtigter Weise auch kein Verständnis mehr für und keine Lust mehr auf  glattkalkulierte und durchtaktierte Gremien-Politik auf einem Weg der geringsten Widerstände. Gauck steht für das Gegenteil. Das Volk will das Gegenteil. Gauck steht für politische Unabhängigkeit mit dem Blick über den politischen Tellerrand - bei gleichzeitig ausgeprägten politischen Überzeugungen und vorzuweisenden Taten.

 5. Und Gauck steht für politischen Eigensinn im besten Sinne des Wortes und mit geschliffenem Akzent bei der geistreichen und anstoßenden - nicht anstößigen - Wahl seiner Worte. Ein Mann - und wenn schon - mit Ecken und Kanten, nicht weichgespült, aber ohne falsche Verbitterung, nicht Darling, aber sich einmischender Demokrat, durch und durch Demokrat mit Rückgrat sowie Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft.

 6. Sein Drang zur und sein ständiges Ringen um und für die Freiheit sowie für das Begreifen der Freiheit als unverzichtbare menschliche und menschenwürdige Lebensgrundlage sind Vorbild für unsere Demokratie und unser Land.

 7. Gauck ist kein Mann der Karriere, kein Laufbahn-Läufer, sondern ein Mann mit steinigem Weg, ein mutiger Kämpfer sowie ein eigensinniger und verantwortungsvoller Aufklärer für das Volk - und für die Politik.

Freitag, 4. Juni 2010

OLG Hamm zum Streit um Pressefoto von Kindern bei politischer Protest-Demo im Karneval

Wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder unter den Bedingungen eines öffentlichen Auftretens vor Zuschauern bewusst in der dann abgelichteten Situation der Öffentlichkeit präsentieren, scheidet aus mehreren presserechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen ein Veröffentlichungs-Verbot hinsichtlich anlassbezogen gefertigter und veröffentlichter Fotos der Kinder aus, auch wenn die Fotos nur einen ein oder zwei Kinder abbildenden repräsentativen Ausschnitt zeigen. Das OLG Hamm hat mit Beschlüssen vom 31.05.2010 ( I-3 W 26/10 und I-3 W 27/10) im einstweiligen Verfügungsverfahren zwei vorausgegangene Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld bestätigt. 

Mit in diesem Blog bereits bekanntgegebenen und kommentierten Beschlüssen vom 16.04.2010 hatte das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung von sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützte sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang hatte ich bereits ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hingewiesen; diese Entscheidung ging in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte die Zivilkammer - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Dies hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun ohne Einschränkungen bestätigt. In den Beschwerde-Beschlüssen heißt es u. a.:

Der Senat teilt insoweit angesichts der konkreten Umstände, unter denen das streitgegenständliche Foto (anlassbezogen) gefertigt und unter denen es von der Beklagten (anlassbezogen) veröffentlicht wurde, die Erwägungen des Landgerichts, dass es vorliegend vor allem deshalb an einem Schutzbedürfnis der (so) abgebildeten Kinder fehlt, weil sie von ihren Eltern in der abgelichteten Situation "bewusst der Öffentlichkeit zugewendet" wurden und den "Bedingungen eines (derartigen) öffentlichen Auftretens vor Zuschauern ausgeliefert" wurden (vgl. dazu: BGH, GRUR 2010, 173 - juris-Rdnr. 10). Zudem wurden die Kinder hier weder durch die abgelichtete öffentliche Situation noch durch das textliche Umfeld der in Rede stehenden Aufnahme verfälschend oder herabsetzend dargestellt noch sie selbst als heranreifende Persönlichkeiten in irgendeiner Weise kritisiert.

Kritik war textlich vielmehr an dem Verhalten der in der oben beschriebenen Weise provokant agierenden Eltern geübt worden, was diese zum Anlass genommen hatten, zunächst per Abmahnung und sodann bei Gericht ein Veröffentlichungs-Verbot gegen den Zeitungsverlag anzustreben. Dieser Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit zu beschneiden, scheiterte nun zu Recht auch vor dem OLG Hamm.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Rügen und "Abmahnungen" an den BGH: WLAN-Urteil zu Filesharing und Störerhaftung in der Kritik

Das WLAN-Urteil des I. Zivilsenats des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) ist geeignet, als auf Dauer zur sachverhaltlich sachgerechten und urheber- sowie medienrechtlich gerechten Klärung des Geschäftsmodells "Filesharing-Abmahnung" nicht sehr geeignet zu erscheinen.

Hierzu die m. E. wesentlichen Aspekte, wobei Urteils-Zitate kursiv gefasst sind:

1. Überbewertungen an der einen oder anderen Stelle des Urteils verbieten sich bereits deshalb, weil der BGH z. T. nicht vollständig aufgeklärte und nicht vollständig von den Prozess-Parteien dargelegte, geltend gemachte und ausargumentierte Sachverhaltsfragmente seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte bzw. zugrunde gelegt hat. Dies betrifft insbesondere auch technische Abläufe und Details.

2. Die Bewertung des BGH zu "tatsächlichen Vermutungen" über eine vermeintlich grundsätzliche Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers für eine öffentliche Zugänglichmachung (über eine bestimmte, ihm vermeintlich zuordbare dynamische IP-Adresse) entbehrt einer näheren, nachvollziehbaren Begründung.

3. Die aus den nicht näher dargelegten "Vermutungen" pauschal und ebenfalls ohne nähere Begründung geschlossenen Bewertungen des BGH zur  sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers lassen ebenfalls substanzielle Ableitungen vermissen.

4. Der BGH verneint mit nachvollziehbarer Argumentation eine täterschaftliche oder teilnehmermäßige Haftung und damit auch eine Schadensersatzpflicht des Anschlussinhabers mangels Erfüllung der "Merkmale eines der haftungsbezogenen Verletzungstatbestände des Urheberrecht".

Den Fall einer "Haftung für die Verletzung einer Verkehrspflicht" verneint der BGH selbst bei nicht ausreichend gesichertem privaten WLAN-Netzwerk ausdrücklich. Er grenzt den Fall privater Internet-Nutzung ab von dem demgegenüber bei der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht vom gleichen Senat als Begründung herangezogenen Fall eigener geschäftlicher Interessen beispielsweise einer Handelsplattform.

Auch eine entsprechende Anwendbarkeit der sog. "Halzband"-Entscheidung lehnt der BGH entgegen anderslautender Instanzen-Rechtsprechung zu Recht ab.

Gleichzeitig meint der BGH aber, der Anschlussinhaber habe "adäquat kausal" und "willentlich" ... "zur Verletzung des geschützten Rechts beigetragen". Insbesondere der Aspekt der vermeintlichen "Willentlichkeit" des Anschlussinhabers entbehrt dabei einer ausreichend  konkreten und vertieften Darlegung.

5. Die vom BGH angenommene Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten begründet der BGH schlicht und pauschal - ohne jedes Eingehen auf spezifische Fallkonstellationen - mit der These, das "es regelmäßig im wohlverstandenen eigenen Interesse des Anschlussinhabers liegt, seine Daten vor unberechtigtem Eingriff von außen zu schützen". Dabei verkennt der Senat, dass inhaltlich und technisch die möglichen Sicherungsmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen durch insbesondere von außen eingreifende Dritte und die möglichen Sicherungsmaßnahmen zugunsten der eigenen persönlichen Daten keineswegs identisch sein müssen. Persönliche Daten können selbstverständlich in unterschiedlichster anderer Weise aus dem WLAN-Netz herausgehalten werden; die vom BGH angedeuteten Verschlüsselungen des Routers sind dafür keineswegs zwingend.

6. Soweit der BGH im privaten Bereich die zum Kaufzeitpunkt (was ist beim Kauf gebrauchter Router?) "marktüblichen Sicherungen" verlangt, wobei diese "ihrem Zweck entsprechend wirksam einzusetzen sind", will er ohne durchgreifende Begründung andererseits die "werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen" nicht als ausreichend ansehen (im vorliegenden Fall ein Passwort aus 16 Ziffern). Diese hätten bereits 2006 nicht "zum Mindeststandard privater Computernutzung" gehört, vielmehr stattdessen ein "Schutz von Computern ... durch individuelle Passwörter". Die wirkliche (fehlende) Qualität derartiger, tatsächlich regelmäßig verwendeter individueller Passwörter (da werden eine Menge Namen geliebter Personen und Tiere auftauchen) wird dabei ersichtlich verkannt, wobei der BGH wohl auch Router und Computer verwechselt oder gleichsetzt. Ferner disqualifiziert das Gericht zu Unrecht die immerhin vom Hersteller seinerzeit wohl kaum unprofessioneller als vom laienhaften Kunden vorgegebene Verschlüsselungssystematik und verkennt damit korrespondierende vermeintlich unterschiedliche oder gleichartige technische Möglichkeiten, die Passwörter jeweils zu überwinden.

7. Will der BGH den privaten Internet-Nutzer, auf dessen Seite nach den Feststellungen des Senats kein "Geschäftsmodell" besteht, "das durch die Auferlegung präventiver Prüfungspflichten gefährdet wäre", deshalb von den Privilegien des TMG ausnehmen? Ist es akzeptabel, auf diese Weise das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" demgegenüber weniger zu "gefährden" ?

8. Warum setzt der BGH sich zwar kurz mit § 10 TMG, nicht aber mit den viel näher liegenden Privilegierungen des § 8 TMG auseinander?

9. Warum nutzt der I. Zivilsenat nicht die vielleicht doch bestandene und gebotene Möglichkeit, die Anforderungen an die zur vermeintlichen IP-Adressen- und sonstigen Recherche und Dokumentierung erforderlichen substantiierten Darlegungen zu thematisieren?

10. Hat der BGH sich wirklich in angemessener und ausreichend tiefgründiger Weise mit dem Thema Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit auseinandergesetzt?

Mein vorläufiges Resümee, das sich an meine früheren Einschätzungen zum BGH-WLAN-Urteil anschließt:

Das reicht so nicht für eine wesentliche und nachhaltige Klärung.

Kein absehbares Ende der Debatte und des Ringens um
erfolgreiche Abmahnungsabwehr.