Dienstag, 31. Mai 2011

OLG Köln sanktioniert einschüchternde Filesharing-Abmahnung mit negativer Kostenfolge für Abmahner

Kein Anlass zur gerichtlichen Inanspruchnahme trotz vorausgegangener Abmahnung

Mit Beschluss vom 20.05.2011 - 6 W 30/11 - hat der 6. Zivilsenat des Kölner Oberlandesgerichts einem Tonträgerhersteller nach Beschwerdeeinlegung seitens der Kollegen Richter und Süme die Kosten eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nach vorausgegangener, unbeantwortet gebliebener Abmahnung auferlegt - wobei die Kollegin Neubauer insoweit zu Recht vor übereilten Fehlschlüssen warnt.

Vorausgegangen war eine nicht unübliche, recht rigide anwaltliche Filesharing-Abmahnung unter Beifügung einer sogenannten "weiten" strafbewehrten Unterlassungserklärung, die sämtliche geschützten Werke des abmahnenden Tonträgerherstellers umfassen sollte - und nicht nur das im vorliegenden Fall konkret betroffene Hörbuch. Der Abmahnungsadressat wurde vor möglichen rechtlichen und kostenmäßigen Nachteilen bei etwaigen Veränderungen oder Einschränkungen des Erklärungsentwurfs gewarnt. Der Abgemahnte gab daraufhin zunächst keinerlei Erklärung ab.

Kurz darauf erwirkte der Audio-Produzent eine auf das konkrete Hörbuch beschränkte einstweilige Verfügung sowie einen darauf fußenden Kostenfestsetzungsbeschluss gegen den angeblichen Filesharer. Im anschließenden Widerspruchsverfahren erklärten beide Parteien das Verfahren hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs für erledigt und stritten über die Verfahrenskosten.

Durch das Landgericht Köln wurden die Kosten des Verfahrens zunächst dem Abgemahnten auferlegt. Diese Kostenentscheidung hob das Oberlandesgericht nach Beschwerde nun auf:

  • Die Abmahnung solle dem Schuldner einen Weg weisen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen.

  • Besondere Anforderungen werden dabei an einen gewerblich tätigen und rechtlich beratenen Gläubiger gestellt, der eine nicht geschäftlich tätige Privatperson bzw. einen Verbraucher abmahnt.

  • Der Abmahner dürfe dem Abmahnungsempfänger keine "Hinweise" erteilen, die diesen von einer Anerkennung der geltend gemachten Ansprüche abhalten können (gemeint sind hier die Warnungen vor der Abgabe einer modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung).

  • Andernfalls könne aus einer nach der Abmahnung unterbliebenen Reaktion des Abgemahnten objektiv nicht auf die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung geschlossen werden.

Der OLG-Senat erwähnt in dem Zusammenhang auch den "früher kaum vorstellbaren Umfang", in dem in den letzten Jahren "Privatpersonen wegen Urheberrechtsverletzungen in Anspruch genommen werden". Im Rahmen der Kosten-Vorschrift des § 93 ZPO sei das Verhalten einer geschäftlich unerfahrenen und rechtlich nicht beratenen Person anders auszulegen ... als die Reaktion einer Person, die gewerblich tätig ist".

Es ist eine m. E. zu begrüßende Tendenz in der Rechtsprechung erkennbar dahingehend, den Besonderheiten des Geschäftsmodells besonders einschüchternder "Filesharing-Abmahnungen" und der diesbezüglichen Schutzbedürftigkeit insbesondere rechtlicher Laien zunehmend gerechter zu werden.

Samstag, 28. Mai 2011

Urteil der Pressekammer: Landgericht Hamburg will Unterlassung - Kein STERN für BUNTE Recherche

Wie unterschiedlich doch die Betrachtungen und Gewichtungen zur gestrigen Entscheidung der hanseatischen Ersten Instanz (der 24. Zivilkammer) sein können: Dies zeigen die aktuellen Berichterstattungen bzw. Kommentierungen durch Journalisten und Medien-Anwälte (wobei der Kollege Rechtsanwalt Prof. Schweizer als Prozessvertreter auf Kläger-Seite (Burda-Verlag) naturgemäß parteiisch sein darf und muss und für Montagnachmittag eine Veröffentlichung des Urteils angekündigt hat).

Den Hintergrund des Streits bildet ein Artikel des STERN, in dem im Frühjahr 2010 darüber berichtet wurde, dass die BUNTE  - mit Hilfe der Bild-Agentur CMK - bekannte Politiker und ihr Privatleben ausspioniert. Der SPD-Politiker Franz Müntefering hatte bereits im letzten Jahr unter Berufung auf unzumutbare Spitzelmethoden Beschwerde beim Deutschen Presserat eingelegt, der das Verfahren allerdings mangels ausreichender Beweise einstellte.

Die BUNTE widersprach auch vor dem Landgericht Hamburg den Vorwürfen: Bilder von Politikern würden zwar in Auftrag gegeben, von angeblich unlauteren Recherchemethoden habe man allerdings nichts gewusst.

Die Hamburger Richter haben nun erstinstanzlich dem STERN seine kritische Berichterstattung über die Spitzelaffäre verboten - maßgeblich wohl deshalb, weil ohne Nachweis der Eindruck erweckt worden sei, die Redaktion der BUNTE habe von den Spitzel-Methoden gewusst. 

Rechtsanwalt Kompa bewertet das Unterlassungs-Urteil und das Verfahren gegen Gruner + Jahr unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Pressefreiheit offensichtlich eher als bedauerlich und "seltsam".

Distanziert und kritisch betrachtet die FAZ die streitgegenständlichen Recherche-Methoden der vom Burda-Verlag eingesetzten Bild-Agentur CMK. Die BUNTE hat vor Gericht bestritten, von den unlauteren Spitzel-Ausspähungen gewusst zu haben. Gegenteiliges konnte vor der Pressekammer - so die Richter - nicht nachgewiesen werden.

Die Süddeutsche Zeitung setzt sich mit den Gefahren des Boulevard-Journalismus für die Privatsphäre bzw. Intimsphäre prominenter Politiker auseinander (im konkreten Fall ging es - wie erwähnt - unter Anderem um SPD-Urgestein Franz Müntefering) und betont, dass auch nach Einschätzung des Deutschen Presserats "Redaktionen, die Dritte mit Recherche-Aufgaben beauftragen, dabei grundsätzlich die Verantwortung für die Einhaltung des Pressekodex übernehmen".

Andres Lehmann, Chefredakteur des Hamburger Online-Magazins quaeng, scheint sich - wenn nicht "diebisch", dann doch mehr oder weniger (un)heimlich - über den eher papiernen Presse-Rechts-Streit zu amüsieren und überlässt dem Leser die Medien-Wahl.

Und ich werde eine vertieftere Bewertung des Streitstoffes erst dann vornehmen, wenn das vollständige Urteil der unter dem Vorsitz von Herrn Buske entscheidenden Pressekammer veröffentlicht ist.

Ich befürchte allerdings, dass die Entscheidung meinem Verständnis von Pressefreiheit nicht gerecht wird.

Sonntag, 17. April 2011

Die Angst vor'm "TOOOR!"-Schrei: Markenrecht, Monopole, T-Shirts und Abmahnungen

Mit aktuellem Beschluss in der Beschwerdesache 29 W (pat) 85/07 hat das Bundespatentgericht die Eintragung der Wortmarke "TOOOR!" für die Waren

“Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen, Sportbekleidung, insbesondere T-Shirts, Sweatshirts, Baseballkappen, Fußballtrikots, Fußballhosen, Fußballschuhe, Schienbeinschoner, Trainingsanzüge” 

zugelassen. 


Zuvor hatte der BGH die Sache an das Bundespatentgericht zurückverwiesen, weil die vormals vom Bundespatentgericht getroffenen Feststellungen zur Frage vermeintlich fehlender Unterscheidungskraft nicht ausreichten. 

Bei aller Sympathie für einen großzügigeren Umgang mit den im Markenrecht manchmal zu destruktiv gebrauchten Prüfungsmerkmalen der Unterscheidungskraft und des Freihaltebedürfnisses

Ich sehe in Fällen dieser Art das Risiko neuer Wellen von Abmahnungen, in denen z. B. auf T-Shirts abgedruckte Sprüche (oder Tor-, Toor- oder Tooor-Schreie) zum Anlass genommen werden, strafbewehrte Unterlassungserklärungen und die Erstattung von Anwaltskosten zu beanspruchen. Diese Gefahr entsteht nicht selten, wenn gebräuchliche Aussprüche als Marke monopolisiert werden

(man denke etwa an die "Uschi", auf die sich nichts reimt,  des Mario Barth - hierzu vgl. die kritischen Anmerkungen des Kollegen Stadler)

und dann trefflich darüber gestritten werden kann, ob die Abmahnungs-Adressaten den Begriff, Spruch oder Slogan markenmäßig und damit rechtlich angreifbar verwendet haben oder nicht. Viele werden dann einen diesbezüglichen Rechtsstreit und die damit verbunden (Prozess-)Kosten scheuen und stattdessen klein beigeben, wenn sie T-Shirts mit entsprechendem Aufdruck erworben und/oder angeboten bzw. vertrieben haben. 

Gerecht werden kann man derartigen Fällen m. E. nur, soweit eine großzügige Bewertung der Unterscheidungskraft von "Spruch"-Marken korrespondiert mit der Bereitschaft der Gerichte, die Anforderungen an eine wirklich markenmäßige Benutzung eines Spruches sehr kritisch zu prüfen (vgl. zu ähnlicher Thematik das "CCCP"-Urteil des I. Zivilsenats des BGH vom 14.01.2010 - I ZR 82/08 sowie das entsprechende "DDR"-Urteil des BGH gleichen Datums - I ZR 92/08). 

In der "CCCP"-Entscheidung stellt der BGH zur T-Shirt-Abbildung von Zeichen oder Begriffen, die gerade in anderen Zusammenhängen und nicht als Produktkennzeichen bekannt sind, klar:

"Der durchschnittlich informierte situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher hat danach bei der Wiedergabe auf der Vorderseite von Bekleidungsstücken keine Veranlassung, der Bezeichnung statt dieser ihm bekannten Bedeutung nunmehr auch einen Herkunftshinweis zu entnehmen. Aber selbst diejenigen Teile des angesprochenen Publikums, die die Bedeutung der Buchstabenfolge "CCCP" nicht kennen, haben keine Veranlassung, in der angegriffenen Bezeichnung in Kombination mit dem Hammer-und-Sichel-Symbol mehr als ein dekoratives Element zu sehen."

Es kommt folglich wesentlich darauf an, ob das Zeichen oder der Spruch oder Ausspruch erkennbar lediglich dekorative, schmückende Bedeutung hat, oder ob der für Marken typische Zweck, die Herkunft eines Produktes zu dokumentieren, eine Rolle spielt. Dabei kann es auch auf die typische oder untypische Platzierung und Anbringung des Zeichens bzw. des Spruches auf, an oder in der Kleidung ankommen - will man markenrechtliche Abmahnungen vermeiden.

Also Vorsicht und Nachsicht beim Tor-Schrei - wenn Kleider Sprüche machen.

Samstag, 16. April 2011

"Filesharing"-Sperren und-Filter verfassungswidrig: EuGH-Generalanwalt erteilt "Abmahnung" an Verwertungsgesellschaft und Gericht

Der EuGH-Generalanwalt M. Pedro Cruz Villalón hat in seinem Schlussantrag in einem Rechtsstreit (Az. C-70/10) zwischen der belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM und dem Internet-Provider Scarlet Extended zu den EU-rechtlichen Voraussetzungen von Filter- und Sperrsystemen gegen Filesharing Stellung bezogen:
 

Der mit einem Filter- und Sperrsystem einhergehende Eingriff in Art. 7 (Kommunikationsfreiheit), Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 11 (Informationsfreiheit) der EU-Grundrechte-Charta ist nur auf der Grundlage eines zugänglichen, klaren und vorhersehbaren Gesetzes rechtlich zulässig. Die belgische Regelung erfüllt diese Kriterien nicht, sondern ist "ungewöhnlich, neu und unerwartet".


In Belgien kann bisher schon per bloßer gerichtlicher Verbotsverfügung ein umfassendes Filter- und Sperrsystem zu Lasten einer unbestimmten Vielzahl natürlicher und juristischer Personen angeordnet werden. Betroffen sind dabei ebenso Nutzer anderer Internet-Provider, soweit diese sich mit den Kunden des jeweils betroffenen Providers austauschen. Damit müssten nicht nur Daten gesperrt bzw. gefiltert werden, die von belgischen Nutzern eingestellt werden, sondern auch die Daten ausländischer User. 


Es gibt zudem nach Auffassung des Generalanwalts am EuGH kein System von Internetfiltern und -sperren, das konkret ausnahmslos spezifisch unzulässige Inhalte erfasst. Das wäre aber Voraussetzung, um im Einklang mit Art. 11 EU-Grundrechtecharta (Informationsfreiheit) zu stehen. In dem Zusammenhang wird ferner gerügt, dass die Zwangsmaßnahmen allgemein und präventiv angewandt werden - ohne konkrete vorherige Feststellung einer tatsächlichen Verletzung oder der Gefahr einer unmittelbaren Verletzung von Urheberrechten. 

Der Generalanwalt sieht auch Einschränkungen des Rechts auf Beachtung des Kommunikationsgeheimnisses sowie - mangels hinreichender Möglichkeiten der rechtlichen Anfechtung durch Betroffene - Verletzungen der Rechtsstaats-Garantie

Es wird davon ausgegangen, dass der Europäische Gerichtshof , der an den Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts nicht gebunden ist, diesem - wie in der Mehrzahl der Fälle - folgt. Vorausgegangen war ein Vorabentscheidungsersuchen des nationalen Berufungsgerichts in Brüssel. 

Die Augen sind nun auf den belgischen Gesetzgeber gerichtet und darauf, inwieweit dieser sachgerecht, angemessen und verhältnismäßig den schutzwürdigen Belangen aller Beteiligter gerecht wird.

Mittwoch, 30. März 2011

Kein Durchmarsch für Filesharing-Abmahnung - Verdacht und Vermutung bedeuten noch keine Verurteilung

Der 6. Zivilsenat des OLG Köln hat am 24.03.2011 (Az. 6 W 42/11) einer Internetanschluss-Inhaberin nach Erhalt einer Filesharing-Abmahnung im Zusammenhang mit der Abwehr von Unterlassungsansprüchen sowie von Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüchen Prozesskostenhilfe bewilligt. Damit korrigierte das Oberlandesgericht eine gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Köln vom 21.01.2011 (Az. 28 O 482/10).

Die Klägerin behauptet die Verletzung von Verwertungsrechten an einem Computerspiel und beruft sich auf vermeintliche Ergebnisse eines Antipiracy-Unternehmens, das zum fraglichen Zeitpunkt eine entsprechende Tauschbörsen-Teilnahme über eine dynamische IP-Adresse festgestellt haben will. Im Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG wurde vom zuständigen Internet-Serviceprovider die Beklagte als angeblich zuzuordnende Internet-Anschlussinhaberin benannt.

Die Beklagte bestreitet die Filesharing-Teilnahme, nennt ihren zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann als faktischen zweiten Nutzer des Internetanschlusses und bestreitet die korrekte Ermittlung bzw. Zuordnung der IP-Adresse mit Nichtwissen.

Das OLG differenziert - anders als die Klägerin und Rechteverwerterin - bereits im Zusammenhang mit der Beurteilung des Unterlassungsantrags strikt zwischen Täterhaftung und Störerhaftung und bewertet den Unterlassungsantrag mangels hinreichender Bestimmtheit als unzulässig. Dies ist materiellrechtlich und prozessual konsequent und folgerichtig.

Eine Täterschaft der Beklagten ist nach Einschätzung der Berufungsrichter nicht bewiesen. Eine etwaige Vermutung zulasten der Anschlussinhaberin sei entkräftet, soweit diese auf ihren Ehemann als weiteren Nutzer des Internetanschlusses verweist. Damit gibt es nämlich "die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung, auf die die Vermutung gegründet ist, abweichenden Geschehensablaufs".

Soweit eine ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adresse mit Nichtwissen (gem. § 138 Abs. 4 ZPO) bestritten wird, sei auch dies zulässig und beachtlich. Zu einer sicheren entgegenstehenden Beweisprognose sah sich der Senat nicht in der Lage - auch nicht unter Berücksichtigung des in Abmahnungen häufig überbetonten Anordnungsverfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG bzw. der dortigen Ergebnisse. Das OLG verkennt in dem Zusammenhang nicht, dass am Eilverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der oder die Abgemahnte grundsätzlich ohnehin nicht beteiligt wird.

Daneben stellt das Berufungsgericht auch etwaige Aufklärungs-, Belehrungs- und Kontrollpflichten unter faktisch den Internetanschluss im gemeinsamen Haushalt gemeinsam nutzenden Ehepartnern ernsthaft und mit überzeugender Begründung (auch unter Hinweis auf § 1357 BGB) in Frage.

Und schließlich thematisiert das Oberlandesgericht Köln die etwaige Anwendbarkeit der 100 Euro-Kappungsgrenze des § 97a Abs. 2 UrhG auch für Computerspiele.

Mit dieser Entscheidung wird der ausufernden Argumentations-Prosa vieler Filesharing-Abmahnungen - mit ihren Verweisen auf (technische) Verdachtsmomente, tatsächliche Vermutungen, gerichtliche Beschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG, angebliche Verbote einfachen Bestreitens oder gar des Bestreitens mit Nichtwissen, mit dramatisierenden Hinweisen auf sekundäre Darlegungs- und Beweislasten und mit oft unzureichenden Differenzierungen zwischen Täterhaftung und Störerhaftung - ein relativierender und differenzierender Spiegel vorgehalten und eine sachgerechte Begrenzung unzulässiger Verallgemeinerungen und Verdächtigungen entgegengesetzt. Empfänger von entsprechenden Abmahnungen dürfen wieder vertrauensvoller auf eine nicht zu voreilig und nicht zu summarisch vorgehende Rechtsprechung hoffen, die neben den berechtigten Belangen vieler Urheber und Rechteverwerter auch die Schutzwürdigkeit oft unbedarfter und überforderter Anschlussinhaber (und Inhaberinnen) angemessen berücksichtigt.

Ein Lichtblick - auch nach der für Rechteinhaber und Abmahnungsadressaten z.T. unbefriedigenden und kritikwürdigen Entscheidung des BGH ("Sommer unseres Lebens") vom 12.05.2010.

Freitag, 25. Februar 2011

Fehler bei IP-Adressen-Ermittlung - OLG Köln gibt Adressaten einer Filesharing-Abmahnung Recht

Erfolgreich war eine vom Kollegen Mathias Straub eingelegte Beschwerde gegen einen Auskunftsbeschluss des Landgerichts Köln vom 16.06.2010 (203 O 203/10): Die Richter des 6. Zivilsenates des OLG Köln (Beschluss vom 10.02.2011, 6 W 5/11) hatten große Zweifel an den angeblichen Ermittlungsergebnissen des von den Abmahnern eingeschalteten Antipiracy-Unternehmens und sahen den Empfänger der Filesharing-Abmahnung durch den Beschluss nach § 101 Abs. 9 UrhG in seinen Rechten verletzt. Die Abmahnung wurde zurückgenommen.

Das Oberlandesgericht stellte in dem nun ruchbar gewordenen Fall fest, dass die dem Abmahnungsempfänger zugeordnete dynamische IP-Adresse in der der Antragsschrift beigefügten Anlage gleich dreimal mit unterschiedlichen Zeitstempeln auftauchte, die mehr als 24 Stunden auseinanderlagen. Daneben gab es auch andere Mehrfach-Nennungen jeweils identischer IP-Adressen.

Der abmahnende Erotik-Film-Produzent GMV berief sich auf  eine vermeintlich relevante Umstellung auf den sogenannten Dual-Stack-Betrieb (Parallelbetrieb vom herkömmlichen IPv4 und dem neuen IPv6) bzw. diesbezüglich angeblich bereits stattfindende Testläufe, was das OLG Köln ebenso wenig überzeugte wie nicht ausreichend subbstantiierte Eidesstattliche Versicherungen und lediglich mit empirischen Untersuchungen ausgestattete Sachverständigen-Gutachten.

Die auch von den Kollegen Rechtsanwalt Dosch und Rechtsanwalt Stadler kommentierte Entscheidung belegt ein weiteres Mal, dass die Massen-Ermittlungen der Log-Firmen nicht in jedem Fall dazu führen dürfen, die in Filesharing-Abmahnungen unter Hinweis auf die Störerhaftung so lautstark propagierte "sekundäre" Darlegungslast und Beweislast des abgemahnten Internet-Anschlussinhabers zu überfrachten bzw. zu früh einsetzen zu lassen: Wie soll der Inhaber eines häuslichen Internetanschlusses - zumal ohne Einschaltung und Bezahlung von fremdem Know-how - den immer häufiger auftauchenden technischen Nebelkerzen der Abmahnungs-Industrie begegnen, wenn von den eigentlich primär darlegungs- und beweispflichtigen Abmahnern keine im Einzelfall nachvollziehbaren konkreten Funktionsnachweise erbracht werden? Der teilweise auch richterliche Glaube an pauschale Ergebnislisten mit unsubstantiierten technischen Bewertungen dürfte langsam ins Wanken geraten.

Samstag, 19. Februar 2011

Die Kündigung der Kunst: Kunstfreiheit in der Lebenswirklichkeit eines Roman-Autors

 Über die fristlose Kündigung eines 50-jährigen kaufmännischen Angestellten und Schriftstellers, der in seinem Roman die "Hölle" des Büro-Alltags auf's Korn genommen hatte, entschied nach Mittelung der "Neue Westfälische" am 18.02.2011 erstinstanzlich die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Herford. Dem Export-Sachbearbeiter eines westfälischen Küchen-Produzenten wurde vorgeworfen, in einigen Passagen seines Werkes würden Mitarbeiter identifizierbar diffamiert und beleidigt; es ginge teilweise auch unter die Gürtellinie.

Das Gericht stellte fest, dass seitens der Belegschaft bisher keine rechtlichen Schritte gegen das umstrittene Buch eingeleitet worden sind. Im Übrigen sei das Buch "so weit von der Wirklichkeit entfernt", dass eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten "nicht ernsthaft" geltend gemacht werden könne. Der Kammervorsitzende verwies auf die sogenannte "Esra"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.06.2007 (Az. 1 BvR 1783/05).

Darin hatte der Erste Senat grundlegende Maßstäbe der Drittwirkung von Grundrechten festgelegt - insbesondere im Spannungsfeld von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten - und zwar mit den Leitsätzen:

Freitag, 11. Februar 2011

"Tatort" Urheberrecht: Der Vorfall mit dem Vorspann. Schmückendes Beiwerk ohne Ansprüche für "kleine" Urheber.


Der „Tatort“-Vorspann, der sich vielen Fernsehzuschauern seit 40 Jahren eingeprägt hat und das Markenzeichen der Krimi-Serie geworden ist, wird vom 29. Zivilsenat des OLG München (Urteil vom 10.02.2011, Az.: 29 U 2749/10) als bloßes unwesentliches Beiwerk zum "Tatort" bewertet, nicht aber als eigenständiges Werk mit daraus gegebenenfalls ableitbaren Nachvergütungs-Ansprüchen der klagenden Grafikerin.
 
In dem Berufungsverfahren ging es bei einem von der Klägerin angegebenen Streitwert in Höhe von 150.000 Euro um urheberrechtliche Unterlassungs-, Nachvergütungs- und Auskunftsansprüche sowie Ansprüche auf Urheberbenennung.

Die 76-jährige Klägerin ist Grafikerin, Buch-Illustratorin, Autorin und Trickfilmerin. Sie hatte im Wege einer Stufenklage den Bayerischen Rundfunk und den Westdeutschen Rundfunk verklagt und begehrte, die Benennung einer anderen Person als Urheber zu unterlassen sowie im Serien-Vorspann selbst als Urheberin des Vorspanns benannt zu werden. Ferner beantragte sie eine Nachvergütung für die Nutzung des Vorspanns.

Die Klägerin behauptete und belegte, die Alleinurheberin des sogenannten Story-Boards sowie eine Miturheberin der Verfilmung des Vorspanns zu sein. Zwischen der an die Klägerin in den 60er Jahren ausbezahlten Vergütung von lediglich 2.500 DM (!) und den  über einen Zeitraum von 40 Jahren entstandenen exorbitanten Nutzungs-Vorteilen der Beklagten bestehe ein auffälliges und grobes Missverhältnis, das durch weitere Zahlungen auszugleichen sei.


Mit Urteil vom 24.03.2010 hatte die erste Instanz (Landgericht München) das Benennungsrecht und den Auskunftsanspruch (als Vorbereitung etwaiger Zahlungsansprüche) zugunsten der Klägerin bejaht. Das Oberlandesgericht sah das anders und hat den Beklagten lediglich verboten, die Behauptung aufzustellen und/oder aufstellen zu lassen, dass der „Tatort“-Vorspann von einem namentlich benannten Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks/Fernsehens kreiert worden sei. 

Letzteres begründete das OLG immerhin mit der Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts der Klägerin, da es nicht den Tatsachen entspräche, dass die von den Beklagten benannte Person die alleinige Inhaberschaft an dem „Tatort“-Vorspann habe. 

Einen Anspruch der Grafikerin auf Nachvergütung verneinte der Zivilsenat. 

Gesetzlich ist der urheberrechtliche Nachvergütungs-Anspruch in § 32 a UrhG als sogenannter Fairness-Ausgleich geregelt:

§ 32a
Weitere Beteiligung des Urhebers
(1) Hat der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werkes steht, so ist der andere auf Verlangen des Urhebers verpflichtet, in eine Änderung des Vertrages einzuwilligen, durch die dem Urheber eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung gewährt wird. Ob die Vertragspartner die Höhe der erzielten Erträge oder Vorteile vorhergesehen haben oder hätten vorhersehen können, ist unerheblich.
(2) Hat der andere das Nutzungsrecht übertragen oder weitere Nutzungsrechte eingeräumt und ergibt sich das auffällige Missverhältnis aus den Erträgnissen oder Vorteilen eines Dritten, so haftet dieser dem Urheber unmittelbar nach Maßgabe des Absatzes 1 unter Berücksichtigung der vertraglichen Beziehungen in der Lizenzkette. Die Haftung des anderen entfällt.
(3) Auf die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 kann im Voraus nicht verzichtet werden. Die Anwartschaft hierauf unterliegt nicht der Zwangsvollstreckung; eine Verfügung über die Anwartschaft ist unwirksam. Der Urheber kann aber unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht für jedermann einräumen.
(4) Der Urheber hat keinen Anspruch nach Absatz 1, soweit die Vergütung nach einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36) oder tarifvertraglich bestimmt worden ist und ausdrücklich eine weitere angemessene Beteiligung für den Fall des Absatzes 1 vorsieht.


Früher waren vergleichbare Regelungen im sogenannten „Bestseller-Paragraphen“ des § 36 UrhG a.F. enthalten. 

Die oben zitierten gesetzlichen Voraussetzungen für etwaige Nachvergütungs-Ansprüche sind beim "Tatort"-Vorspann nach Auffassung des OLG München nicht erfüllt, wobei die Berufungsrichter ein auffälliges Missverhältniss zwischen der Nutzung des Werks und der dem Urheber hierfür entrichteten Gegenleistung ausdrücklich nicht ausreichen lassen für eine Nachvergütungspflicht des Werknutzers. Vielmehr stehe die Anwendung des „Fairness-Paragraphen“ unter dem Vorbehalt, dass der Beitrag des eine Nachvergütung beanspruchenden Urhebers für das Gesamtwerk nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist.

Der „Tatort“-Vorspann habe innerhalb des Gesamtwerks der „Tatort“-Krimis lediglich eine "kennzeichnende Funktion" und weise das Fernseh-Publikum "in markanter Weise" auf die nachfolgende Sendung hin. Dass der „Tatort“-Vorspann über einen hohen Bekanntheitsgrad verfüge, sei in erster Linie auf die regelmäßige Ausstrahlung des unverändert gebliebenen Vorspanns über einen Zeitraum von 40 Jahren zurückzuführen. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige aber nicht die Annahme, dass es sich bei diesem Vorspann um einen "wesentlichen Beitrag zum Gesamtwerk", nämlich dem nachfolgenden Kriminalfilm, handele. Die häufige Nutzung des „Tatort“-Vorspanns sei in erster Linie auf die "hohe Akzeptanz" zurückzuführen, die die dem Vorspann nachfolgenden Filme der Krimiserie „Tatort“ beim Publikum fänden. Es könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Fernsehzuschauer sich den „Tatort“ nicht wegen des Vorspanns ansähen. Der Vorspann beschränke sich auf eine "Hinweisfunktion" und nähme keinen weiteren Einfluss auf den jeweils nachfolgenden Film. Der Vorspann sei also lediglich als ein "untergeordneter Beitrag zum Gesamtwerk" anzusehen, was keinen Fairness-Ausgleich verlangen würde. Warum der Zivilsenat überhaupt auf die dem Vorspann jeweils folgenden unterschiedlichen Kriminalfilme (oder die gesamte Krimi-Reihe) als maßgebliches "Werk" abstellt, kann der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts nicht entnommen werden.

Eine Benennungspflicht 

§ 13
Anerkennung der Urheberschaft
Der Urheber hat das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist.
  
hinsichtlich der klagenden Grafikerin seitens der Beklagten lehnte das OLG ebenfalls ab - und zwar nicht wegen eines vermeintlichen Verzichts der Klägerin, sondern wegen einer vom Berufungsgericht angenommenen entgegenstehenden Branchenübung. Danach sei es allgemein üblich, lediglich die am Entstehen des Filmwerks maßgeblich Beteiligten im Vor- bzw. Abspann namentlich aufzuführen, und zwar wegen der begrenzten Möglichkeiten, im Rahmen eines Vor- oder Abspanns die vielen Mitwirkenden zu benennen, und unter Berücksichtigung der Interessen der am Filmvorhaben Beteiligten sowie der Zuschauer.

Im Übrigen hätten die Beteiligten nach den Umständen des vorliegenden Falles auch nicht mehr damit rechnen müssen, dass die Klägerin - entgegen der von ihr jahrzehntelang unbeanstandeten Praxis der Beklagten - nun plötzlich ihren Benennungsanspruch als Urheberin geltend mache.

Obwohl die Revision nicht zugelassen wurde, ist m. E. eine nachfolgende Befassung des Bundesgerichtshofes mit dieser Entscheidung nicht ausgeschlossen. 
Materiellrechtlich gibt es in jedem Fall Diskussionsbedarf, der wohl auch nach dem noch austehenden Vorliegen der vollständigen schriftlichen Entscheidungsgründe andauern wird:

  • Wieso wird der vom jeweils nachfolgenden einzelnen Kriminalfilm deutlich abgrenzbare Vorspann, der sich selbst nach Darstellung der ARD - auf ihrer eigenen Internetseite - "in das Gedächtnis von Generationen eingeschrieben und nicht unwesentlich dazu beigetragen (hat), dass der Tatort zu einer wiedererkennbaren Marke geworden ist", nicht als eigenständiges Werk bewertet, um daran dann das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eines etwaigen Fairness-Ausgleichs "fair" zu prüfen?
  • Wieso wird die sich von vergleichbaren Werken deutlich abhebende Prägnanz, die Wirkung und Wirkungsdauer, die Nutzung bzw. Ausbeutung sowie die (erlangte) enorme Identifikations- und Kennzeichnungskraft des streitgegenständlichen Vorspanns nicht berücksichtigt und warum wird durch die Betrachtung als bloßes Beiwerk jede inhaltliche Abwägung - unter Prüfung eines etwaig auffälligen Missverhältnisses zwischen der ursprünglichen Gegenleistung und den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung - ausgeschlossen?
  • Falls nun juristisch eingewendet wird, dass es bei urheberrechtlichen Beurteilungen manchmal weniger auf qualitative Betrachtungen ankommt, muss die Nachfrage gestattet sein, warum dann das Berufungsgericht das klagegegenständliche Werk praktisch als bloßes Beiwerk abqualifiziert, um darauf nach dem Inhalt der richterlichen Pressemitteilung dann seine Hauptargumentation zu stützen. 
  • Wo hört die Möglichkeit zur Abqualifizierung eines vermeintlich "untergeordneten Beitrags" auf? Beim Vorwort? Bei der Vorgruppe? Beim Vorgarten? Beim Vorbild? Beim Vorbeten? Bei welchem Vorgang, welcher Vorführung, welchem Vorfall und - mit zweifellos zu bösartiger Betrachtung - bei welchem Vorsatz?
  • Ist es angemessen, in einem derartig besonders gelagerten Fall einer Urheberin das gesetzliche Benennungsrecht mit dem Argument durchaus nicht lückenloser Branchenüblichkeit abzusprechen?
  • Kann es sein, dass das Urheberrecht leider häufig doch vornehmlich als "Leistungs"-Schutzrecht groß aufgestellter Rechteverwerter wirkt und wahrgenommen werden muss und weniger als Schutzrecht für die "kleinen" und eher "handwerklichen" Urheberinnen und Urheber?
Den vollständigen Entscheidungsgründen sehe ich mit Interesse entgegen, konnte es allerdings mal wieder nicht lassen, vorher eine tendenzielle Meinung zu äußern. Sorry.


Sonntag, 30. Januar 2011

Filesharing-Abmahnungen: Quantitäts-Rausch vor Qualitäts-Anspruch? Prozesse ohne wirklich seriöse Prüfung?

Wenn am Fließband teure anwaltliche Abmahnungen wegen vermeintlicher Tauschbörsen-Teilnahme und gerichtliche Auskunftsbeschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG auf den Weg zu den geschockten Inhabern von Internet-Anschlüssen gebracht werden, scheint mitunter Schlamperei im Spiel zu sein.

Gleich vorweg: Wo massenhaft Urheberrechte massiv verletzt werden, darf - und muss - auch erforderlichenfalls massenhaft abgemant werden.

Die "Initiative Abmahnwahn-Dreipage" hat allerdings beispielsweise Fälle aus Regensburg und Hamburg veröffentlicht, die erneut ernsthafte Zweifel nicht nur an "Ermittlungsergebnissen" von Anti-Piracy-Unternehmen begründen, sondern auch an den richterlichen Plausibilitäts-Kontrollen im Rahmen der mittlerweile massenhaft durchgeführten Auskunftsverfahren. In diesen gerichtlichen Eil-Verfahren werden die Internet-Service-Provider dazu veranlasst, zu den mit teilweise fragwürdigen Zeitstempeln versehenen dynamischen IP-Adressen die persönlichen Daten der angeblich maßgeblichen Anschlussinhaber an die tatsächlichen oder vermeintlichen Rechteinhaber und Abmahner herauszugeben.

Es ist nun schon mehrfach aufgedeckt worden: Teilweise enthalten die in den P2P-Netzwerken ermittelten Dateien die behaupteten Inhalte überhaupt nicht, obwohl der dokumentierte Dateiname eigentlich darauf hinzuweisen scheint und sogar mit dem generierten Hashwert korrespondiert.

Bei genauerer Überprüfung müssen sich die Abmahner - und gfls. auch die den Auskunftsbeschluss erlassende Urheberrechtskammer des Landgerichts - dann Irrtümer und unangebrachte Schnellschüsse vorwerfen lassen. Soweit falsche eidesstattliche Versicherungen durch Mitarbeiter der Log-Firmen vorliegen, stehen sogar strafrechtlich relevante Sachverhalte im Raum.

Dennoch wird in Unmengen von Abmahnungsschreiben weiterhin das hohe Lied von der absoluten Fehlerfreiheit und der hundertprozentigen Verstoß-Gewissheit gesungen und - was fast noch schlimmer ist - es werden angeblich genaueste inhaltliche Sicht- oder Hör-Prüfungen behauptet und gerichtlich beschworen.

Hashwerte waren im Übrigen schon häufiger Anlass auch für kritische gerichtliche Würdigungen.

Gerät die Abmahnungsindustrie immer mehr in Hektik und in eine Art Verfolgungs-Rausch? Leidet zunehmend die Qualität und Seriösität beim "Geschäftsmodells Filesharing-Abmahnung"? Die oben angesprochenen Vorkommnisse, die ständig wachsende Zahl von Filesharing-Abmahnungen in den vergangenen Jahren, der zunehmende Ausbau der anwaltlichen Infrastruktur der Abmahn-Kanzleien und die immer dramatischer werdende Verbreitung von Psycho-Stress zu Lasten von immer mehr Internetnutzern sprechen eine deutliche Sprache.

Samstag, 22. Januar 2011

Domain-Pfändung: Vollstreckungsschutz bei geschäftlicher Internet-Domain

Auch ein Beitrag zur Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit im Blog

Die Pfändung der Internet-Domain nerdcore.de durch Euroweb dürfte einige Domain-Inhaber in Angst und Schrecken versetzt haben. Eine etwas beruhigendere Nachricht für alle Onlineshop-Betreiber und andere Domain-Inhaber, die vielleicht eine Abmahnung erhalten haben oder sonstigen Forderungen ausgesetzt sind und eine geschäftlich und nicht nur privat genutzte Website betreiben:
Wenn eine Internet-Domain als Arbeitsmittel in Betracht kommt und von ihrem Inhaber zur Ausübung seines Berufes benötigt wird, kann sich der Domain-Inhaber gfls. auf Vollstreckungsschutz berufen.
Einer Pfändung  sind nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nämlich nicht unterworfen
die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände - bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen.

Dem Schuldner sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht Gegenstände entzogen werden, die er zur Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit und zur Sicherung seines Lebensunterhaltes braucht. Die betroffenen Gegenstände müssen dabei nach Auffasung des Bundesgerichtshofes - Beschluss vom 28.01.2010, Az. VII ZB 16/09 - nicht unbedingt unentbehrlich sein, der BGH neigt insoweit zu einer eher weiten Auslegung der gesetzlichen Schutzvorschrift.

Da die Domain kein Gegenstand im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist, findet diese gesetzliche Vorschrift allerdings keine direkte, aber - so auch das Landgericht Mönchengladbach mit Beschluss vom 22.09.2004, Az. 5 T 445/04 - eine entsprechende (analoge) Anwendung. Dies hat beispielsweise auch das Landgericht Essen in seiner Entscheidung vom 22.09.1999, Az. 11 T 370/99, nicht ausgeschlossen.


Die gesetzliche Schuldnerschutz-Regelung findet analoge Anwendung für die Betreiber eines Onlineshops, aber auch für andere Gewerbetreibende oder Freiberufler, die im Internet ihre Waren oder Dienstleistungen vorstellen, bewerben und anbieten: Bauunternehmer, Ärzte, Unternehmensberater, Webdesigner, Handwerker, Architekten oder auch Rechtsanwälte und Steuerberater.

Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Pfändung einer Domain vgl. den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 05.07.2005, Az. VII ZB 5/0.
 
Der wilden Jagd auf Internet-Domains durch Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger dürften allerdings insofern doch oft engere Grenzen gesetzt sein.

Interessant scheint mir in dem Zusammenhang auch der Gesichtspunkt, dass im Rahmen des gesetzlichen Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO bei betroffenen Bloggern auch die Grundrechte der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit nach Art.5 Grundgesetz stärker in eine Zulässigkeits- und Schutz-Abwägung einzubeziehen sind. Dass die Grundrechte und die Grundentscheidungen des Grundgesetzes im Rahmen der Zwangsvollstreckung und bei Fragen des Vollstreckungsschutzes insbesondere auch vom Vollstreckungsgericht zu beachten sind, hat das Bundesverfassungsgericht z. B.in seiner Entscheidung vom 16.8.20011, Az. 1 BvR 1002/01, deutlich gemacht. Auch der nicht primär geschäftlich bzw. beruflich agierende Blogger oder die insoweit aktive Bloggerin muss folglich nicht schutzlos sein. In der medialen Außendarstellung dürften die Grenzen zwischen privater und beruflicher Meinungs- und Informationsbildung ohnehin schwer zu ziehen sein.