Freitag, 16. Oktober 2015

BGH-Abmahnung an das OLG Hamburg: Der Rap zum Urheberrecht

BGH-Urteil: Da ist Musik drin.
Mit nachlesbarem Urteil des BGH vom 16. April 2015 (Az.I ZR 225/12) hat der Erste Zivilsenat aus Karlsruhe dem OLG-Senat in Hamburg zur Musik von Bushido den urheberrechtlichen und verfahrensrechtlichen Marsch geblasen.

Die Kläger sind Mitglieder einer französischen Band. Sie behaupten, Bushido habe bei 13 von ihm veröffentlichten Musiktiteln Musik-Sequenzen von je etwa zehn Sekunden verwendet, die aus den Originalaufnahmen der Band gesampelt worden seien. Diese Musikteile habe Bushido jeweils als sich ständig wiederholende Tonschleifen, sogenannte Loops, zusammengesetzt, mit einem Schlagzeug-Beat verbunden und darüber seinen Rap gelegt.  
Einer der Kläger beruft sich auf sein Urheberrecht als Komponist. Die anderen Kläger berufen sich auf vermeintliche urheberrechtliche Ansprüche als Texter, obwohl der beklagte Rapper deren Texte nicht übernommen hat. Die Kläger verlangen nach vorausgegangener Abmahnung mit der Klage Unterlassung, Erstattung von Abmahnkosten und Zahlung einer Entschädigung für einen erlittenen immateriellen Schaden sowie ferner, dass der Beklagte einer Auskunftserteilung der GEMA gegenüber den Klägern über die sämtlichen Auswertungen und gegenüber dem Beklagten abzurechnenden Erlöse zustimmt. Die Kläger streben außerdem an, dass der Beklagte im Hinblick auf 12 der beanstandeten Musikstücke gegenüber der GEMA die Zustimmung zu seiner Streichung als Komponist sowie zur Eintragung des Klägers zu 1 als Komponist erteilt.

Der Rapper hat gegen das der Klage überwiegend stattgebende OLG-Urteil Revision zum BGH eingelegt.   
Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die klagenden Textdichter keine Urheberrechte hinsichtlich der Musik-Sequenzen geltend machen können, sie nicht als Miturheber der Musikstücke anzusehen sind. Deren sogenannte Aktivlegitimation wird also verneint. Die Annahme einer Miturheberschaft setzt nämlich voraus, dass mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen haben, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, was aber bei einerseits Text und andererseits Musik nicht der Fall ist. Liedtexte sind Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, musikalische Kompositionen sind demgegenüber Werke der Musik gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG. Diese beiden Werkarten sind selbstverständlich gesondert verwertbar und ein urheberrechtlicher Schutz hinsichtlich einer Verbindung von zwei unterschiedlichen Werkarten gewährt das Gesetz nicht.
Der BGH-Senat hat dann geprüft, ob eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung oder lediglich eine freie Benutzung fremder Werke vorliegt. Dabei ist zu untersuchen, ob und ggf. welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werkes ausmachen. Danach sind die streitgegenständlichen Gestaltungen zu vergleichen dahingehend, ob und ggf. in welchem Umfang in der gerügten Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind. Dabei kommt es auf den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gestaltungen an. Stimmt der Gesamteindruck überein, liegt eine Vervielfältigung des früheren Werkes vor. Dennoch kann das gerügte Werk derart wesentliche Veränderungen aufweisen, dass es nicht als reine Kopie zu bewerten ist. Es kann sich dann entweder als unzulässige Bearbeitung oder andere Umgestaltung gemäß § 23 UrhG darstellen oder als zulässige freie Benutzung des Ausgangswerkes gemäß § 24 UrhG. Die schöpferische Eigentümlichkeit liegt bei Musikwerken in ihrer individuellen ästhetischen Ausdruckskraft, woran urheberrechtlich auch nicht zu übertriebene Anforderungen gestellt werden dürfen. Es wird auch die sogenannte  kleine Münze geschützt, also auch recht einfache Kompositionsleistungen mit verhältnismäßig geringem Eigentümlichkeitsgrad.
Auf den künstlerischen Wert kommt es also nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an. Eine schutzfähige Leistung kann sich aus der Melodie, dem Einsatz von Rhythmik, Tempo, Harmonik und Arrangement, aber auch Instrumentierung und Orchestrierung ableiten lassen. Keinen Urheberrechtsschutz genießen allerdings rein handwerkliche Leistungen „unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen“.
Zum sogenannten „musikalischen Allgemeingut“ gehörende Tonfolgen einfachster Art oder bekannte rhythmische Strukturen sind nicht urheberrechtsfähig. Eine gewisse Gestaltungshöhe ist eben auch bei Musikwerken unverzichtbar. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung „der mit musikalischen Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise“.
Der BGH vermisst beim Urteil des Hanseatischen OLG dazu nachvollziehbare Darlegungen des Gesamteindrucks der sich im Streitfall gegenüberstehenden Musik-Sequenzen. 
Die Rügen des BGH gegenüber dem Hamburger Berufungsgericht lauten unter Anderem:
„Soweit im Berufungsurteil auf einen ‚Gesamteindruck‘ Bezug genommen wird und sich das Berufungsgericht insoweit auf das den wechselseitig eingereichten Parteigutachten zu entnehmende Notenbild sowie auf den durch wiederholtes Anhören der entsprechenden Passagen gewonnenen Höreindruck gestützt hat, hat es zwar die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung benannt, nicht aber den daraus gewonnenen Gesamteindruck selbst nachvollziehbar beschrieben.“ 
und

„Die Beurteilung des Berufungsgerichts lässt nicht erkennen, warum der kompositorische Einsatz sphärischer Klänge mit Blick auf die vom Kläger verfolgte musikalische Stilrichtung des ‚Gothic‘ nicht als musikalisches Allgemeingut anzusehen ist, sondern über ein rein handwerks- oder routinemäßig anzusehendes Klangspektrum hinausgeht und deshalb eine individuelle Leistung ist.“
und

„Soweit das Berufungsgericht die von ihm durch Anhören der vom Kläger zur Akte gereichten Tonträger ermittelten Instrumente nur benennt (‚Streichinstrumente und Keyboard‘), ohne diese Instrumentierung konkret von einer rein handwerks- oder routinemäßigen Leistung abzugrenzen, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an der Darlegung einer individuellen kompositorischen Schöpfung. Soweit das Berufungsgericht von einer ‚besonderen Art der Instrumentierung‘ oder deren ‚Eigentümlichkeit‘ ausgeht, hat es nicht nachvollziehbar dargelegt, worin die Besonderheit und Eigentümlichkeit bestehen soll. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Einsatz einer ‚Röhrenglocke (tatsächlich wohl Keyboard)‘, die an den Klang von Kirchenglocken erinnere, sei eine Besonderheit, ist ohne Feststellungen zur für die im Streitfall maßgebliche Musikrichtung des ‚Gothic‘ gewöhnlich gewählten Instrumentierung nicht nachvollziehbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht an anderer Stelle festgestellt hat, dass die Musikrichtung des ‚Gothic‘ sich durch eine getragene Musik und einen mit Metaphern geschmückten Inhalt der Texte über Abschied und Tod auszeichnet. In diesem Kontext erscheint die Annahme nicht fernliegend, dass der Einsatz von Kirchenglocken zum musikalischen Allgemeingut zählt.“
und

„Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen weder erkennen, wodurch sich der Rhythmus der jeweiligen Passagen in Bezug auf Takt, Tempo, Betonung und Phrasierung auszeichnet, noch welchen Einfluss der gewählte Rhythmus in der Zusammenschau mit anderen Gestaltungsmitteln auf die ästhetische Gesamtwirkung der Passage hat.
Auch die vom Berufungsgericht teilweise zusätzlich zur Instrumentierung und Rhythmisierung herangezogenen Kriterien begründen nicht hinreichend nachvollziehbar eine hinreichende Schöpfungshöhe der als übernommen gerügten Musiksequenzen. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkte der ‚Einprägsamkeit‘ und des ‚Wiedererkennungseffekts‘ sind für die Begründung einer eigenschöpferischen kompositorischen Leistung nicht geeignet.“
und

„Die Revision hat ferner zutreffend einen Verfahrensfehler darin gesehen, dass das Berufungsgericht die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der streitbefangenen Passagen der vom Kläger komponierten Musiktitel aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat.

… Hat das Berufungsgericht das Verständnis des Verkehrs ohne Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe beurteilt, obwohl es selbst nicht hinreichend sachkundig ist, oder hat es eine mögliche, aber keineswegs selbstverständliche eigene Sachkunde nicht dargelegt, handelt es sich um einen Verfahrensfehler nach § 286 ZPO, der im Revisionsverfahren uneingeschränkt gerügt werden kann (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 254 - Marktführerschaft, mwN). Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler vor.“
und
„Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, seine Mitglieder verfügten über eigene Sachkunde, die zum Teil aus eigener musikalischer Praxis erwachsen sei, hat es weder Art noch Umfang dieser Praxis und der sich daraus ergebenden Kenntnisse mitgeteilt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob damit allein praktische Fertigkeiten gemeint sind oder die für die Beurteilung der Schutzfähigkeit von Musikwerken notwendigen theoretischen Kenntnisse der Lehren der Harmonik, Rhythmik und Melodik sowie das notwendige spezielle Wissen über die Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln in der maßgeblichen Musikrichtung. Auch der Hinweis auf die langjährige Beschäftigung mit Musik im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen als Mitglieder eines auf Urheberrecht spezialisierten Senats lässt nicht hinreichend konkret erkennen, ob der Inhalt und Umfang der Sachkunde des Berufungsgerichts den im Streitfall maßgeblichen Anforderungen genügen.“
Der BGH wendet sich gegen die Auffassung des OLG, die Übernahme der Musiksequenzen stelle eine unzulässige urheberrechtsverletzende Bearbeitung, weil sich der Beklagte nicht auf eine zulässige freie Benutzung im Sinne von § 24 UrhG berufen könne. Der BGH vermisst in dem Zusammenhang eine sachgerechte Analyse nach objektiven Merkmalen seitens das Hanseatische Oberlandesgericht.
Dazu heißt es dann im BGH-Urteil:
„Den Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es urheberrechtsverletzende Benutzungshandlungen angenommen hat, fehlt damit eine tragfähige Grundlage.“
Der dritte Leitsatz der Bundesrichter lautet schließlich:

„Für die Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit eines Musikstücks und die insoweit maßgebliche Abgrenzung von nicht dem Urheberrechtsschutz zugänglichem rein handwerklichem Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und Melodik beruhen oder die sonst zum musikalischen Allgemeingut gehören, reicht das bloße Anhören eines Tonträgers durch die Tatrichter grundsätzlich nicht aus; es wird vielmehr im Regelfall die Hilfe eines Sachverständigen unerlässlich sein.“ 
Da werden dem Hanseatischen Berufungsurteil musikalisch aber im rhythmisch heftigen Takt die urheberrechtlichen Leviten gelesen; dass hört sich schon fast wie eine gerappte Abmahnung aus Karlsruhe an.  

Dienstag, 29. September 2015

Verblüffendes Filesharing-Urteil entlarvt Abmahnungen und Schadensfantasie

Es gibt noch Richter und Richterinnen, die rechnen können.
Der von mir geschätzte Kollege Jens Ferner postet in einem lesenswerten Beitrag heute zu einem brillanten urheberrechtlichen Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015 (Az. 8 C 1023/15). Die Akribie, mit der das Gericht sich in urheberrechtliche, technische und mathematische Details und Abläufe von Online-Tauschbörsen hineingefuchst hat, ist bewundernswert und in der bisherigen deutschen Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen einmalig.

Das Gericht bricht medien-technisch und rechnerisch die von der Abmahnungsindustrie propagierten Schadensszenarien auf realistische und marktrelevante Größen herunter und schmilzt damit korrespondierend gleichzeitig die überhöhten Gegenstandswerte ein. Diese Entscheidung ist allen Betroffenen und insoweit Interessierten dringend ans Herz zu legen.
Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich übrigens gleichzeitig auch kritisch ("technisch nicht haltbar") mit einer der drei bisher unveröffentlichten Entscheidungen des BGH vom 11.06.2015 (Az. I ZR 7/14) auseinander, in der der BGH recht unkritisch Kölner Schadensbezifferungen bzw. -Schätzungen i. H. v. 200,00 € übernommen und akzeptiert hat.
Noch mehr als das Ergebnis ("2,04 €") bringen die vom Gericht fundiert aufgezeigten (Auf-)Lösungswege eine realistische Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und überhöhte Geld-Forderungen weiter.
Am Ende des Urteils heißt es zu Recht:
„Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.“
Lesen!

Freitag, 18. September 2015

Markenrecht in Gummi und Goldfolie: Freiheit für die Goldbären

Darf 'ne Gummi-Marke per  ein Schoko-Design verbieten?
Am 23.09.2015 wird der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes sein Urteil über den schokoladigen „Goldbären“ fällen (Az. I ZR 105/15). Abmahnerin und Klägerin ist die Fruchtgummi-Produzentin Haribo, die u.a. die sogenannten “Gummibärchen“ in goldfarbenen Verpackungen unter der Bezeichnung “GOLDBÄREN“ vermarktet. Haribo ist Inhaberin der Wortmarken “GOLDBÄREN“, “Goldbär“, und “Gold-Teddy“ sowie der Farbmarke “Gold“. Beklagte ist die Firma Lindt, die den sogenannten „Lindt Teddy“ vertreibt, eine in Goldfolie eingewickelte Schokoladenfigur in der Form eines Bären.

Die Richter des LG Köln hatten mit Urteil vom 18.12.2012(Az. 33 O 803/11) noch den Gummibärchen aus Bonn Recht gegeben: Die bärige und goldfolierte Schokolade beeinträchtigte in unlauterer Weise die Unterscheidungskraft der bekannten Marke “GOLDBÄREN“.
Der Berufungssenat des OLG Köln hatte dann stattdessen am11.04.2014 (Az. 6 U 230/12) die Klage gegen den Schweizer Schokoladen-Bären abgewiesen:  Allein Farbe und Form des goldigen Lindt-Schokobären riefen beim Verbraucher keine „ungezwungene gedankliche Verknüpfung“ zu der bekannten Marke “GOLDBÄREN“ hervor. Zudem stelle die Bezeichnung “GOLDBÄR“ für die Verbraucher auch keine naheliegende Bezeichnung für den Schokobären dar. Das Publikum werde durch die auf der Umverpackung verwendeten Wortbestandteile “Lindt“ bzw. “Lindt-Teddy“ – auch vor dem Hintergrund der Produktnähe zum sogenannten “Goldhasen“ - vielmehr gerade auf das beklagte Unternehmen „Lindt“ hingewiesen und nicht auf die Gummibärchen von Haribo, die auch keine ausreichende Ähnlichkeit mit den Schokobären aufwiesen; insofern scheide auch eine Verwechslungsgefahr aus.
Die Firma Haribo meint immer noch, die Gestaltung des “Lindt Teddys“ stelle die dreidimensionale bildliche Darstellung der berühmten, bei 95 Prozent der Verbraucher bekannten Wortmarke “GOLDBÄR“ dar und verletzte bereits deshalb ihre Markenrechte, aber auch wettbewerbsrechtliche Nachahmungsverbote hinsichtlich ihrer “Goldbärenfigur“ sowie der “Goldbärenproduktform“. Die Gummibärchen verlangen mit ihrer Revision insofern von dem Schokoladenhersteller weiterhin Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz und die Vernichtung der putzigen Schokobären.
Die Schokoladenfabrikanten aus der Schweiz wehren sich mit der Argumentation, die Schoko-Figur des „Teddy“ stelle lediglich eine Fortentwicklung ihrer seit längerer Zeit entwickelten Produktlinie dar, zu der z. B. auch der “Lindt Goldhase“ gehöre. Außerdem sei die Teddybärenfigur eine im Süßwarenbereich öfter verwendete Form.
Der Vorsitzende des Karlsruher BGH-Senats fand in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2015 zwar beide Naschbären „süß“, ließ aber Bedenken erkennen, ob Haribo tatsächlich im Süßwaren-Regal für sich alle möglichen goldenen Bären monopolisieren darf.
Das wäre auch aus meiner Sicht einerseits schade und andererseits weder durch das Markenrecht, noch durch das Wettbewerbsrecht zu rechtfertigen. Deshalb: Freiheit für die goldigen Schokoladen-Bärchen. Die Goldfolie will ja niemand essen.

Update: Der BGH hat am 23.09.2015 die von mir prognostizierte und favorisierte Entscheidung gegen eine Monopolisierung des "Goldbären" per Marke getroffen und hierzu diese Pressemitteilung herausgegeben. Gut so.

 

Montag, 7. September 2015

Geniales Filesharing-Urteil zu Datenmüll und Datenschutz, Beweislast und Beweisverwertungsverbot

 
 
Der Kollege Loebisch lobt in seinem heutigen, sehr lesenswerten Posting zu Recht die technisch versierten und datenschutzrechtlich sattelfesten Richterinnen und Richter der 6. Zivilkammer des LG Frankenthal, „für die technische und datenschutzrechtliche Erwägungen keine unnötige Verkomplizierung sind, dem Beschleunigungsgrundsatz des Zivilprozessrechts zuwiderlaufend, sondern Basis jeder Rechtsprechung mit Online-Bezug“.
Und in jeder Hinsicht zustimmen kann ich dem versierten Kollegen auch darin:
„Zu lange profitierte die Abmahnindustrie nicht zuletzt von einem technischen Wissensgefälle zwischen ihr und den Gerichten. Mit Erwägungen aus dem Datenschutzrecht lässt sich manche vorschnelle und all zu routiniert herausgejagte Filesharing-Abmahnung zu Fall bringen.“ So ist es.
Und so sieht das lobenswerte Urteil - zumindest in "Dateifragmenten" - aus:
Das Filesharing-Urteil des LG Frankenthal/Pfalz vom 11. August 2015 (Az. 6 O 55/15) befasst sich instruktiv mit einem Beweisverwertungsverbot bei Reseller-Verträgen und mit der Beweislastverteilung bei recherchierten Dateifragmenten – mit sehr kenntnisreichen und konsequenten Erwägungen und daraus abgeleiteter Klageabweisung.
1. Wenn der abgemahnte Internetanschlussinhaber einen Internet-Vertrag mit einem Reseller - wie z. B. 1&1 – abgeschlossen hat, macht der Abmahner seinen Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG aber demgegenüber nur gegen den Netzbetreiber (z. B. die Deutsche Telekom) geltend, dann gilt hinsichtlich der ermittelten Auskunftsdaten ein Beweisverwertungsverbot:
„Soweit Netzbetreiber und Endkundenanbieter nicht identisch sind …, ist am Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der allein als Vertragspartner des Anschlussinhabers in Erscheinung tretende Accessprovider (‚Reseller‘) zu beteiligen; ohne ein solches Verfahren erlangte Daten unterliegen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer in einem späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber regelmäßig einem Beweisverwertungsverbot (…). Im Übrigen entscheidet bei Auseinanderfallen des Sitzes von Netzbetreiber und Endkundenanbieter in verschiedene Gerichtsbezirke … aufgrund der in § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nur so der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.“
Das Landgericht sieht das Grundrecht des abgemahnten und verklagten Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG berührt.
2. Zur Darlegungslast des Abmahners und Klägers hinsichtlich der Frage, ob über den fraglichen Internetanschluss tatsächlich eine vollständige und lauffähige Werk-Version zum Download angeboten wurde oder ob es sich lediglich um eine unvollständige Datei und damit etwaigen „Datenmüll“ handelte, führt die 6. Zivilkammer des Pfälzer Landgerichts aus:
„Da das Urheberrecht den Urheber vor der unberechtigten Nutzung seines Werkes schützt (§ 11 UrhG), hat der Anspruchsteller in sog. „Filesharing“-Fällen grundsätzlich substantiiert darzulegen, dass über den Anschluss des in Anspruch Genommenen tatsächlich eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk beinhaltende Datei zum Download bereitgestellt worden ist. Eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei ist im Hinblick auf die darin enthaltenen Daten nämlich regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar, weshalb das Zurverfügungstellen einer derartigen Teildatei keine – auch nur teilweise – Nutzung des geschützten Werkes darstellt; es handelt sich in diesem Fall demnach nicht um isoliert nutz- oder wahrnehmbare Werkteile, sondern lediglich um sog. „Datenmüll“ (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 30.09.2014 – 6 O 518/13 (…). Dies unterscheidet „Filesharing“-Fälle wie den vorliegenden grundlegend u.a. von Fällen, in denen kleine oder auch nur kleinste Teile eines Werkes durch einen Dritten unberechtigter Weise genutzt werden (…).“
3. Zur Beweislastverteilung, wenn es sich lediglich um Dateifragmente handelt, heißt es in dem aktuellen Urteil:
„Kann dagegen nicht nachgewiesen werden, dass die beklagte Partei eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk (oder Teile davon) enthaltende Datei zum Herunterladen zur Verfügung gestellt hat oder war dies unstreitig nicht der Fall, hat der Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die vom in Anspruch Genommenen konkret zum Download bereit gestellten Dateifragmente tatsächlich zumindest auch Werkfragmente enthalten, die sich mit Hilfe gängiger oder zumindest allgemein zugänglicher Hard- und Software wiedergeben bzw. in sonstiger Weise sinnvoll im Sinne des § 11 UrhG nutzen lassen und damit mehr darstellen als bloßen „Datenmüll“. Erst wenn dieser Beweis erfolgreich geführt werden kann, wäre im Hinblick auf die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche weiter zu prüfen, in welchem konkreten Umfang Werkfragmente genutzt worden sind.“

Diese Urteil sollte wirklich weit davon entfernt sein, als "Datenmüll" abgelegt zu werden, findet sich hier doch mal ein geniales Beispiel dafür, das technischer Sachverstand, datenschutzrechtliche Sensibilität und urheberrechtliches Know-how sich nicht ausschließen müssen - auch nicht an deutschen Gerichten.  

Freitag, 28. August 2015

BGH-Filesharing-Verfahren zu Vermutung und Zumutung


Karlsruhe liefert bald mehr Klarheit für Adressaten urheberrechtlicher Abmahnung

Endlich:
 
Der BGH wird sich absehbar näher befassen mit der die Internetanschlussinhaber belastenden sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ bei Filesharing-Abmahnungen bzw. -Klagen. Dabei wird es auch darum gehen, welche Anforderungen bzw. „Zumutungen“ wirklich an die Internetanschlussinhaber gerichtet werden dürfen, um sich erfolgreich gegen Filesharing-Vorwürfe wehren zu können - insbesondere bei familiären Internetanschlüssen. Wie weit gehen die in der Familie zumutbaren Nachforschungspflichten?
 
Anlass der zu erwartenden Klärungen sind die eine Filesharing-Klage der von den Rechtsanwälten Waldorf Frommer vertretenen Constantin Film Verleih GmbH zu Recht abweisenden Urteile des AG Braunschweig vom 27.08.2014 (Az. 117 C 1049/14) sowie des LG Braunschweig vom 01.07.2015(Az. 9 S 433/14).
Die dortige Berufungskammer (9. Zivilkammer) erkannte die grundsätzliche Bedeutung der aktuellen Streitfragen. Im die Revision zum Bundesgerichtshof zulassenden Urteil heißt es u.a.:
„Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache sowohl grundsätzliche Bedeutung hat als auch dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur BGH NJW 2003, 2319). Dies ist hier der Fall. Bei nahezu allen für Urheberrecht zuständigen deutschen Gerichten sind vergleichbare Verfahren wegen der Erstattung von Abmahnkosten wegen behaupteter Urheberrechtsverletzungen durch das sogenannte „Filesharing“ anhängig, bei denen es jeweils erheblich auf die Fragen ankommt, (i) wie eine etwaige tatsächliche Vermutung „erschüttert“ werden kann bzw. unter welchen Voraussetzungen eine solche nicht eingreift (durch Beweis anderer Anschlussmitbenutzer durch den Beklagten / durch bloßes Behaupten von Anschlussmitbenutzern / durch substantiierte Darlegung anderer Mitbenutzer), und (ii) wie weit die sekundäre Darlegungslast der Beklagten und die in diesem Rahmen bestehende Nachforschungsplicht reicht. Da hierzu auch nach Veröffentlichung der Bearshare-Entscheidung des Bundesgerichtshofs von den Instanzgerichten verschiedene Auffassungen vertreten werden (siehe oben), ist die Zulassung der Revision auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.“
Das Revisionsverfahren vor dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe ist dort zum Az. I ZR 154/15 anhängig.
Das Verfahren wird voraussichtlich nicht alle derzeit zu Filesharing-Abmahnungen noch rechtlich umstrittenen Gesichtspunkte klären, kann aber für große Teile der Abmahnungsprosa ein zumutbares Ende erreichen.
 

Dienstag, 25. August 2015

Filesharing-Urteil des LG München I: Verwunderungen aus dem Rahmen des (Un)Zumutbaren

Urheberrecht: In München wundern sich Gerichte - und Internetanschlussinhaber
Das kann nicht wahr (und nicht rechtens) sein: Das Landgericht München I zeigt sich verwundert über den detaillierten Sachvortrag eines Internetanschlussinhabers fast fünf Jahre nach einer Filesharing-Abmahnung, verlangt aber gleichzeitig einen noch viel detaillierten Verteidigungsvortrag.

Fragwürdige schriftliche Niederlegung hat diese prekäre Widersprüchlichkeit gefunden im Urteil der 21.Zivilkammer des Landgerichts München I vom 08.07.2015 (Az. 21 S 19026/14).

Darin werden vorausgegangene BGH-Entscheidungen zwar korrekt zitiert; die daraus von den Münchner Richtern abgeleiteten Argumentationsstränge verlieren allerdings erkennbar den Faden nach Karlsruhe.

In den Entscheidungsgründen aus Bayern heißt es u. a. zu Recht:

„Nicht verhehlen kann die Kammer ihre Verwunderung darüber, dass der Beklagte – gleichsam aus dem Nichts – nach knapp fünf Jahren detailliert rekonstruieren kann, wann er welche Maßnahmen im Nachgang zur Abmahnung vom xxxxxxxxxx  vorgenommen hat.“

Dennoch meint das Berufungsgericht, dass „der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht“ genügt.

Ein Schelm, wer da nicht den in den landgerichtlichen Entscheidungsgründen selbst zitierten, von der einschlägigen BGH-Rechtsprechung aufgestellten „Rahmen des Zumutbaren“ für gesprengt erachtet.

Das Landgericht München I erwartete insbesondere noch detailliertere Angaben des Beklagten „zu seinen einzelnen Nachforschungen“ innerhalb der Familie, dazu, „welche konkreten Maßnahmen er unternommen hat, um relevante Informationen zu erhalten“, sowie alle möglichen Details zu Fragen der Auffindung, der Speicherung, der Entnahme und/oder der Inhalte eines etwaigen Routerprotokolls.

Wenn man dieses Urteil liest, wird man das Gefühl nicht los, dass versucht wird, die Anforderungen an die sekundären Darlegungen zur Nutzung des familiären Internetanschlusses und die Anforderungen an etwaige Nachforschungen (zumal innerhalb des eigenen Haus­halts bzw. innerhalb der eigenen Familie) in gleicher Weise zu überspannen, wie die frühere und zwischenzeitlich vom BGH und vom Bundesverfas­sungs­gericht korrigierte Kölner Rechtsprechung dies hinsichtlich ihrer übertriebenen (und mittlerweile überholten) Anforderungen zur Familien-Überwachung und -Belehrung getan hat.

Mit derart ausufernden und praktisch nie erfüllbaren richterlichen Ansprüchen an interfamiliäre Ermittlungen, technischen Sachverstand und archivarisches Erinnerungsvermögen der Internetanschlussinhaber wird die aktuelle "Münchner Linie" allerdings m. E. in Karlsruhe ebenso wenig durchkommen wie die früheren Überforderungstendenzen des LG und des OLG Köln.

Entgegenstehende realistischere und auch urheberrechtlich und verfassungsrechtlich angemessenere Entscheidungen beispielsweise aus Bielefeld müssen demgegenüber nicht verwundern; sie zeigen vielmehr den richtigen Weg auf - im Rahmen des Zumutbaren.


Donnerstag, 20. August 2015

AG Bielefeld stoppt Filesharing-Abmahnung

... Mit 12 Argumenten auf einen Schlag

++++ Verliebt. Verlobt. Verklagt. Und nicht verurteilt. ++++

Filesharing-Klagen kommen beim Amtgericht Bielefeld kaum durch.

Auch ohne Trauschein muss man nach urheberrechtlichen Tauschbörsen-Abmahnungen keine Ermittlungen gegen den Partner oder die Partnerin aufnehmen. Und die Frage nach ausreichender Belehrung der den häuslichen Internetanschluss nutzenden minderjährigen Kinder stellt sich prozessual gar nicht, wenn es weitere potentielle Nutzer des Internetanschlusses gibt.

Dies und 10 weitere Gesichtspunkte hat das Bielefelder Amtsgericht nun in einem besonders klar, plausibel und umfassend begründeten Urteil vom 08.07.2015 (Az. 42 C 708/14) gebündelt. 

Mit dem für unsere Mandantin errungenem Urteil hat das Gericht zahlreichen angeblichen Argumenten aus derzeit wieder grassierenden Filesharing-Abmahnungen einen Riegel vorgeschoben. 
 
Das überzeugend begründete und nachvollziehbar strukturierte Urteil lässt sich auch nicht von dem gegenwärtigen unangebrachten Hype um die vier Wochen vor Urteilsverkündung verhandelten und entschiedenen drei BGH-Verfahren (noch nicht veröffentlichte Urteile des BGH vom 11.06.2015 zu den Az. I ZR 7/14, I ZR 19/14 und I ZR 75/14) in die Irre leiten. In der gegenwärtigen Abmahnungspraxis werden die absehbaren Entscheidungsfindungen der Karlsruher Richter in den vorerwähnten drei BGH-Verfahren nämlich zumeist fehlinterpretiert bzw. überinterpretiert.

Im Einklang mit derzeit seriös ableitbarer BGH-Rechtsprechung bleibt vor dem Hintergrund der einleuchtenden Urteilsfindung des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.07.2015 insbesondere Folgendes festzuhalten:
 
1.    „Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten.“

2.    „Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder … bewusst anderen Personen zur Benutzung überlassen wurde.“

3.    „Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.“

4.    „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, auch andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“

5.    Nur in „diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (BGH NJW 2014, 2360 „Bearshare“).“

6.    „Hinsichtlich einer etwaigen Aufsichtspflichtsverletzung kann eine Kausalität zum etwaigen Schaden nicht bejaht werden, wenn nicht feststeht, dass die Person, über die Aufsicht zu führen ist, eine Verletzungshandlung überhaupt begangen hat.“

7.    Der Beklagtenseite ist es „nicht zumutbar, den Täter im von Art. 6 GG geschützten Bereich zu ermitteln.“

8.    „Die Intention, den Familienfrieden zu wahren und niemanden zu verpflichten, den Partner auszuforschen und ihn einer illegalen Handlung zu überführen, muss auch für Verlobte gelten. Diese Intention ergibt sich auch aus § 383 Abs. 1 NR 1 ZPO, welcher auch dem Verlobten ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.“

9.    „Der BGH hat zwar entschieden, dass der Inhaber eines ungesicherten WLAN Anschlusses als Störer auf Unterlassung haftet, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen, um urheberrechtlich geschützte Musiktitel in Internet-Tauschbörsen einzustellen (BGH NJW 2010, 2061 „Sommer unseres Lebens“). Diese Entscheidung ist aber nicht auf die … Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Familienangehörigen zur Verfügung stellt (BGH NJW 2014, 2360; ebenso LG Bielefeld Beschluss vom 22. Juli 2014, 21 S 76/14).“

10.  „Die dreijährige Verjährungsfrist gilt auch für den Schadensersatzanspruch.“

11.  Ein Mahnbescheid, der verjährungshemmende Wirkung haben soll, muss den geltend gemachten Anspruch, und soweit es um mehrere Ansprüche geht, jeden einzelnen Anspruch ausreichend genau und individualisiert bezeichnen. Eine Bezugnahme auf ein vorausgegangenes Abmahnungsschreiben setzt eine sich entsprechende, nachvollziehbare einzelne und individualisierte Bezifferung der konkreten Forderungsbeträge verbunden mit dem vermeintlichen Anspruchsgrund voraus. Eine Individualisierung der Ansprüche erst in der Anspruchsbegründung bzw. der Klagebegründung nach bereits eingetretener Verjährung lässt die Verjährung nicht entfallen.“

12.  Auch ein auf die Erstattung außergerichtlicher anwaltlicher Abmahnungskosten gerichteter Anspruch verjährt in der dreijährigen Regelverjährungsfrist des § 195 BGB.

 

Sonntag, 16. August 2015

BGH-Verhandlung zu Apple-Patent: Wisch und weg


Apple kämpft vor BGH um Wischen mit Grafik
Mit Update vom 
25. August 2015

Am 25.08.2015 verhandelt der BGH (Az. X ZR 110/13) über patentrechtliche Fragen zur Touchscreen-Entsperrung. Es geht um eine Patent-Nichtigkeitsklage der Fa. Motorola Mobility Germany GmbH, verbliebene Klägerin neben der im Berufungsverfahren die Klage zurückziehenden Fa. Samsung Electronics GmbH. Vorausgegangen ist - nach vor etlichen Jahren erteilten patentrechtlichen Abmahnungen - das Urteil des Bundespatentgerichts vom 04.04.2013, das zum Az. 2 Ni 59/11 (EP) das Patent der beklagten Fa. Apple Inc. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt hat.

Wischen mit Hilfestellung

Es geht um das am 30.11.2006 angemeldete und am 10.03.2010 erteilte europäische Patent 1 964 022. Dieses betrifft „eine Maßnahme zum Entsperren einer tragbaren elektronischen Vorrichtung mit berührungsempfindlicher Anzeigevorrichtung (Touchscreen), bspw. ein Mobiltelefon“.
Die Patentschrift geht selbst zunächst davon aus, das es vorbekannt und insofern nichts Neues ist, Touchscreens gegen unabsichtliche Funktionsauslösung durch zufälligen Berührungskontakt zeitweise zu sperren, auch soweit das Entsperren des Touchscreen u.a. durch Berührung bestimmter Bildschirmfelder in einer vorgegebenen Reihenfolge geschieht. Das Patent geht darauf fußend allerdings gleichzeitig von einem Bedürfnis aus, das Entsperren benutzerfreundlicher zu gestalten und dem User dabei ein „sensorisches Feedback“ zu geben. Dazu schlägt Apple im Rahmen des Patents im Wesentlichen vor, das Entsperren des Touchscreen so auszugestalten, dass der Nutzer zum Entsperren auf dem Touchscreen eine bestimmte Geste, die sogenannte „Wischbewegung“, ausführen muss, wobei zur Vereinfachung auf dem Touchscreen eine „grafische Hilfestellung“ gegeben wird.

Null und nichtig und nicht neu

Das Bundespatentgericht hält das Apple-Patent für nicht patentfähig  i. S. d. Art. 52 Abs. 1 EPÜ und hat seine Entscheidung der fehlenden Patentfähigkeit u.a. damit begründet, dass der Gegenstand des Patents in der erteilten und in der von Apple mit 14 Hilfsanträgen verteidigten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe gem. Art. 56 Satz 1 EPÜ. Die „Patent“-Merkmale, die über den nächstkommenden Stand der Technik hinausgingen, seien bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht zu berücksichtigen, weil sie kein technisches Problem lösten. Es würde stattdessen bloß durch grafische Maßnahmen die Bedienung für den Benutzer vereinfacht.
Die Fa. Motorola Mobility Germany GmbH bekräftigt die Nichtigkeitsentscheidung des BPatG. Die „Lehre“ des Apple-Patents gehöre bereits längere Zeit zum Stand der Technik und sei selbst bei Berücksichtigung der vom Bundespatentgericht außer Acht gelassenen Merkmale nicht neu i. S. d. Art. 54 Abs. 1 EPÜ, beruhe zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gem. Art. 56 Satz 1 EPÜ.

Abmahnungen, Klagen und kein Ende

Das ist wieder mal ein nicht ganz untypischer Streit großer Tech-Konzerne, die kein Battlefield auslassen, um auf dem umkämpften Markt der mobilen Equipments um jeden Millimeter zu ringen und sich wechselseitig das Leben mit und das Vermarkten der Hardware schwer zu machen, durch den Versuch möglichst weitgehender Monopolisierungen von Know-how und Ideen, durch unterschiedlichste Abmahnungen und zahlreiche - teilweise auch "erfinderische" - Klagen und Widerklagen. Mal schauen, wem der BGH diesmal einen wischt.


Update vom 25. August 2015:
Apple hat verloren. Mit Urteil vom heutigen Nachmittag hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes seine Entscheidung zum Az. X ZR 110/13 getroffen: Das Europäische Patent 1 964 022 mit dem Titel "Unlocking a device by performing gestures on an unlocked image" ist im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nichtig. Die Klage der Motorola Mobility Germany GmbH  hat auch in Karlsruhe Erfolg.

Streitentscheidend war nach dem Verlauf der heutigen Verhandlung u. a. die Klärung der Frage, ob Gegenstand des erteilten Patents lediglich eine Software-Programmierung ist oder ob es sich um eine erfinderische technische Lösung handelt. 

Der BGH führt in seiner Pressemitteilung aus: 

"Das Streitpatent beruht ... nicht auf erfinderischer Tätigkeit."

Wisch und weg.

 

Samstag, 25. Juli 2015

BGH-Verhandlung mit GEMA und Telekom über Überwachung und Netzsperren

 
Da ist Musik drin: Der BGH verhandelt mit GEMA und Telekom zur Störerhaftung

Der 1. Zivilsenat des BGH wird am 30. Juli 2015 im Verfahren I ZR 3/14 mit der klagenden GEMA und der beklagten Deutschen Telekom darüber verhandeln, ob und ggf. in welcher Weise ein Internet-Access-Provider als Störer für Urheberrechtsverletzungen seiner Kunden haftet und durch welche Überwachungsmaßnahmen, Netzsperren oder Netzfilter Telekom & Co. das evtl. zu unterbinden haben.

Die GEMA will Überwachung, Netzsperren oder Filter:

Überprüft wird dabei das vorausgegangene Urteil des OLG Hamburg vom 21. November 2013, Az. 5 U 68/10. Die GEMA wollte und will der Telekom gerichtlich untersagen lassen, über von der Telekom bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitgegenständlichen Musikwerken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen. Das Hamburger Berufungsgericht hatte – wie auch das Landgericht Hamburg (Urteil vom 12. März 2010, Az. 308 O 640/08) – die Klage abgewiesen und die Verhältnismäßigkeit von Überwachung, Netzsperren oder Filter verneint.
Die GEMA rügt weiterhin eine angebliche Verletzung von ihr wahrgenommener Urheberrechte, da sie auch Inhaberin des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Musikwerke sei.
Über die Webseite „3dl.am“, eine werbefinanzierte Linksammlung, konnte nach Darstellung der GEMA auf z. B. bei den Sharehostern "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladene, urheberrechtlich geschützte Musikwerke zugegriffen werden, und zwar über auf entsprechende Datensammlungen hinführende Hyperlinks und URLs. Die GEMA ist der Auffassung, die Deutsche Telekom habe als Störerin einzustehen für das Bereithalten der einen Download durch beliebige Nutzer ermöglichenden Links und URLs auf der Webseite "3dl.am". Es sei ihr als Access-Providerin durchaus möglich und auch zumutbar, derartige Rechtsverletzungen zu verhindern.
Das OLG Hamburg sah dies anders:
Schließlich betrieben  Access Provider ein von der Rechtsordnung ohne Einschränkung gebilligtes Geschäftsmodell. Ihre Dienstleistung sei inhaltlich neutral und sozial erwünscht.
Zwar leiste ein Access Provider durch die Zugangsvermittlung einen adäquat-kausalen Beitrag zu den behaupteten Urheberrechtsverletzungen durch entsprechende Inhalte auf den Webseiten. Bei der Beurteilung von möglicherweise zu verlangenden Prüfungs- und Überwachungspflichten seien allerdings die Wertungen der in §§ 8-10 TMG enthaltenen Haftungsprivilegien zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung zu Prüfungs- und Überwachungspflichten für Host Provider fände auf Access Provider keine Anwendung. Insbesondere könnten z. B. URL-Sperren durch Zwangs-Proxys, DNS-Sperren, IP-Sperren und Filter von Access Providern ohne gesetzliche Grundlage nicht verlangt werden. Das gelte unabhängig davon, ob diese wirksam oder ineffektiv sind.
Derartige Maßnahmen können nach zutreffender Einschätzung des Hanseatischen OLG in unverhältnismäßiger Weise die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG, die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verletzen. Durch die Einrichtung einer Filterung des Datenverkehrs würde zudem nicht hinnehmbar der Kernbereich der durch Art. 10 Abs. 1 GG und §§ 88 ff. TKG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation (Fernmeldegeheimnis) verletzt, auch soweit rein automatisierte Vorgänge stattfinden.
Die medienrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bewertungen der Vorinstanzen überzeugen. Ich prognostiziere eine erneute prozessuale Niederlage der GEMA.

Sonntag, 19. Juli 2015

Bundesverfassungsgericht stoppt privates Hausverbot für Flashmob-Demo


Eigentum mit Schranken: BVerfG stärkt Kommunikationsfreiheit - Foto: Labeth
Das Bundesverfassungsgericht hat am 18.07.2015 eine Einstweilige Anordnung erlassen (Az. 1 BvQ 25/15) zur Durchführung einer Flashmob-Versammlung. Das Hausverbot für ein am Ende einer Fußgängerzone gelegenes Privatgrundstück wurde aufgehoben. 
Der Veranstalter beabsichtigt, am 20.07.2015 von 18:15 Uhr bis 18:30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung durchzuführen, und zwar auf dem im Eigentum einer GmbH & Co. KG stehenden „Nibelungenplatz“ in Passau.
Mit der geplanten Versammlung unter dem Motto „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“ will der Veranstalter auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten, zentral gelegenen Platz gegen die zunehmende Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten demonstrieren. Auf das Kommando „Für die Freiheit - trinkt AUS!“ sollen die Demonstranten jeweils eine Dose Bier öffnen und diese dann so schnell wie möglich auf Ex leeren. Danach plant der Veranstalter eine kurze Ansprache mit anschließender Diskussion.
Mit seinem Antrag, ein von der GmbH & Co. KG ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben, war der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht und dem Landgericht noch gescheitert. Diese zivilgerichtlichen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gestern im Wesentlichen aufgehoben.
Es gibt bisher keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung der Karlsruher Richterinnen und Richter zur Versammlungsfreiheit auf öffentlich zugänglich gemachten Privatgrundstücken. Im Eilverfahren zeigt das Bundesverfassungsgericht nun die grundsätzliche Geltung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auch dort auf, wo durch einen Privateigentümer "bereits ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet worden ist“.

In der Pressemitteilung aus Karlsruhe heißt es dazu:
"Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.
Als private Grundstückseigentümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien rechtliche Wirkungen; die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Je nach Fallgestaltung kann dies einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226).“
Weiter heißt es zu dem von der Eigentümerin  ausgesprochenen und von den Zivilgerichten bestätigten Hausverbot:
„Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Versammlungsort kommt angesichts des Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll stationär abgehalten werden. Versammlungsrechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen.“ 
Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte geht an Privateigentümern nicht vorbei. Eigentum verpflichtet in einer demokratischen Gesellschaft eben auch zu Verantwortung und Augenmaß bei der privaten Ermöglichung öffentlicher Kommunikation und Demonstration.