Sonntag, 16. August 2015

BGH-Verhandlung zu Apple-Patent: Wisch und weg


Apple kämpft vor BGH um Wischen mit Grafik
Mit Update vom 
25. August 2015

Am 25.08.2015 verhandelt der BGH (Az. X ZR 110/13) über patentrechtliche Fragen zur Touchscreen-Entsperrung. Es geht um eine Patent-Nichtigkeitsklage der Fa. Motorola Mobility Germany GmbH, verbliebene Klägerin neben der im Berufungsverfahren die Klage zurückziehenden Fa. Samsung Electronics GmbH. Vorausgegangen ist - nach vor etlichen Jahren erteilten patentrechtlichen Abmahnungen - das Urteil des Bundespatentgerichts vom 04.04.2013, das zum Az. 2 Ni 59/11 (EP) das Patent der beklagten Fa. Apple Inc. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt hat.

Wischen mit Hilfestellung

Es geht um das am 30.11.2006 angemeldete und am 10.03.2010 erteilte europäische Patent 1 964 022. Dieses betrifft „eine Maßnahme zum Entsperren einer tragbaren elektronischen Vorrichtung mit berührungsempfindlicher Anzeigevorrichtung (Touchscreen), bspw. ein Mobiltelefon“.
Die Patentschrift geht selbst zunächst davon aus, das es vorbekannt und insofern nichts Neues ist, Touchscreens gegen unabsichtliche Funktionsauslösung durch zufälligen Berührungskontakt zeitweise zu sperren, auch soweit das Entsperren des Touchscreen u.a. durch Berührung bestimmter Bildschirmfelder in einer vorgegebenen Reihenfolge geschieht. Das Patent geht darauf fußend allerdings gleichzeitig von einem Bedürfnis aus, das Entsperren benutzerfreundlicher zu gestalten und dem User dabei ein „sensorisches Feedback“ zu geben. Dazu schlägt Apple im Rahmen des Patents im Wesentlichen vor, das Entsperren des Touchscreen so auszugestalten, dass der Nutzer zum Entsperren auf dem Touchscreen eine bestimmte Geste, die sogenannte „Wischbewegung“, ausführen muss, wobei zur Vereinfachung auf dem Touchscreen eine „grafische Hilfestellung“ gegeben wird.

Null und nichtig und nicht neu

Das Bundespatentgericht hält das Apple-Patent für nicht patentfähig  i. S. d. Art. 52 Abs. 1 EPÜ und hat seine Entscheidung der fehlenden Patentfähigkeit u.a. damit begründet, dass der Gegenstand des Patents in der erteilten und in der von Apple mit 14 Hilfsanträgen verteidigten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe gem. Art. 56 Satz 1 EPÜ. Die „Patent“-Merkmale, die über den nächstkommenden Stand der Technik hinausgingen, seien bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht zu berücksichtigen, weil sie kein technisches Problem lösten. Es würde stattdessen bloß durch grafische Maßnahmen die Bedienung für den Benutzer vereinfacht.
Die Fa. Motorola Mobility Germany GmbH bekräftigt die Nichtigkeitsentscheidung des BPatG. Die „Lehre“ des Apple-Patents gehöre bereits längere Zeit zum Stand der Technik und sei selbst bei Berücksichtigung der vom Bundespatentgericht außer Acht gelassenen Merkmale nicht neu i. S. d. Art. 54 Abs. 1 EPÜ, beruhe zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gem. Art. 56 Satz 1 EPÜ.

Abmahnungen, Klagen und kein Ende

Das ist wieder mal ein nicht ganz untypischer Streit großer Tech-Konzerne, die kein Battlefield auslassen, um auf dem umkämpften Markt der mobilen Equipments um jeden Millimeter zu ringen und sich wechselseitig das Leben mit und das Vermarkten der Hardware schwer zu machen, durch den Versuch möglichst weitgehender Monopolisierungen von Know-how und Ideen, durch unterschiedlichste Abmahnungen und zahlreiche - teilweise auch "erfinderische" - Klagen und Widerklagen. Mal schauen, wem der BGH diesmal einen wischt.


Update vom 25. August 2015:
Apple hat verloren. Mit Urteil vom heutigen Nachmittag hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes seine Entscheidung zum Az. X ZR 110/13 getroffen: Das Europäische Patent 1 964 022 mit dem Titel "Unlocking a device by performing gestures on an unlocked image" ist im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nichtig. Die Klage der Motorola Mobility Germany GmbH  hat auch in Karlsruhe Erfolg.

Streitentscheidend war nach dem Verlauf der heutigen Verhandlung u. a. die Klärung der Frage, ob Gegenstand des erteilten Patents lediglich eine Software-Programmierung ist oder ob es sich um eine erfinderische technische Lösung handelt. 

Der BGH führt in seiner Pressemitteilung aus: 

"Das Streitpatent beruht ... nicht auf erfinderischer Tätigkeit."

Wisch und weg.

 

Samstag, 25. Juli 2015

BGH-Verhandlung mit GEMA und Telekom über Überwachung und Netzsperren

 
Da ist Musik drin: Der BGH verhandelt mit GEMA und Telekom zur Störerhaftung

Der 1. Zivilsenat des BGH wird am 30. Juli 2015 im Verfahren I ZR 3/14 mit der klagenden GEMA und der beklagten Deutschen Telekom darüber verhandeln, ob und ggf. in welcher Weise ein Internet-Access-Provider als Störer für Urheberrechtsverletzungen seiner Kunden haftet und durch welche Überwachungsmaßnahmen, Netzsperren oder Netzfilter Telekom & Co. das evtl. zu unterbinden haben.

Die GEMA will Überwachung, Netzsperren oder Filter:

Überprüft wird dabei das vorausgegangene Urteil des OLG Hamburg vom 21. November 2013, Az. 5 U 68/10. Die GEMA wollte und will der Telekom gerichtlich untersagen lassen, über von der Telekom bereitgestellte Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitgegenständlichen Musikwerken über die Webseite "3dl.am" zu ermöglichen. Das Hamburger Berufungsgericht hatte – wie auch das Landgericht Hamburg (Urteil vom 12. März 2010, Az. 308 O 640/08) – die Klage abgewiesen und die Verhältnismäßigkeit von Überwachung, Netzsperren oder Filter verneint.
Die GEMA rügt weiterhin eine angebliche Verletzung von ihr wahrgenommener Urheberrechte, da sie auch Inhaberin des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Musikwerke sei.
Über die Webseite „3dl.am“, eine werbefinanzierte Linksammlung, konnte nach Darstellung der GEMA auf z. B. bei den Sharehostern "RapidShare", "Netload" oder "Uploaded" widerrechtlich hochgeladene, urheberrechtlich geschützte Musikwerke zugegriffen werden, und zwar über auf entsprechende Datensammlungen hinführende Hyperlinks und URLs. Die GEMA ist der Auffassung, die Deutsche Telekom habe als Störerin einzustehen für das Bereithalten der einen Download durch beliebige Nutzer ermöglichenden Links und URLs auf der Webseite "3dl.am". Es sei ihr als Access-Providerin durchaus möglich und auch zumutbar, derartige Rechtsverletzungen zu verhindern.
Das OLG Hamburg sah dies anders:
Schließlich betrieben  Access Provider ein von der Rechtsordnung ohne Einschränkung gebilligtes Geschäftsmodell. Ihre Dienstleistung sei inhaltlich neutral und sozial erwünscht.
Zwar leiste ein Access Provider durch die Zugangsvermittlung einen adäquat-kausalen Beitrag zu den behaupteten Urheberrechtsverletzungen durch entsprechende Inhalte auf den Webseiten. Bei der Beurteilung von möglicherweise zu verlangenden Prüfungs- und Überwachungspflichten seien allerdings die Wertungen der in §§ 8-10 TMG enthaltenen Haftungsprivilegien zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung zu Prüfungs- und Überwachungspflichten für Host Provider fände auf Access Provider keine Anwendung. Insbesondere könnten z. B. URL-Sperren durch Zwangs-Proxys, DNS-Sperren, IP-Sperren und Filter von Access Providern ohne gesetzliche Grundlage nicht verlangt werden. Das gelte unabhängig davon, ob diese wirksam oder ineffektiv sind.
Derartige Maßnahmen können nach zutreffender Einschätzung des Hanseatischen OLG in unverhältnismäßiger Weise die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG, die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verletzen. Durch die Einrichtung einer Filterung des Datenverkehrs würde zudem nicht hinnehmbar der Kernbereich der durch Art. 10 Abs. 1 GG und §§ 88 ff. TKG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation (Fernmeldegeheimnis) verletzt, auch soweit rein automatisierte Vorgänge stattfinden.
Die medienrechtlichen und verfassungsrechtlichen Bewertungen der Vorinstanzen überzeugen. Ich prognostiziere eine erneute prozessuale Niederlage der GEMA.

Sonntag, 19. Juli 2015

Bundesverfassungsgericht stoppt privates Hausverbot für Flashmob-Demo


Eigentum mit Schranken: BVerfG stärkt Kommunikationsfreiheit - Foto: Labeth
Das Bundesverfassungsgericht hat am 18.07.2015 eine Einstweilige Anordnung erlassen (Az. 1 BvQ 25/15) zur Durchführung einer Flashmob-Versammlung. Das Hausverbot für ein am Ende einer Fußgängerzone gelegenes Privatgrundstück wurde aufgehoben. 
Der Veranstalter beabsichtigt, am 20.07.2015 von 18:15 Uhr bis 18:30 Uhr eine stationäre öffentliche Versammlung durchzuführen, und zwar auf dem im Eigentum einer GmbH & Co. KG stehenden „Nibelungenplatz“ in Passau.
Mit der geplanten Versammlung unter dem Motto „Bierdosen-Flashmob für die Freiheit“ will der Veranstalter auf dem für den Publikumsverkehr geöffneten, zentral gelegenen Platz gegen die zunehmende Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten demonstrieren. Auf das Kommando „Für die Freiheit - trinkt AUS!“ sollen die Demonstranten jeweils eine Dose Bier öffnen und diese dann so schnell wie möglich auf Ex leeren. Danach plant der Veranstalter eine kurze Ansprache mit anschließender Diskussion.
Mit seinem Antrag, ein von der GmbH & Co. KG ausgesprochenes Hausverbot für die Dauer der Versammlung aufzuheben, war der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht und dem Landgericht noch gescheitert. Diese zivilgerichtlichen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht gestern im Wesentlichen aufgehoben.
Es gibt bisher keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung der Karlsruher Richterinnen und Richter zur Versammlungsfreiheit auf öffentlich zugänglich gemachten Privatgrundstücken. Im Eilverfahren zeigt das Bundesverfassungsgericht nun die grundsätzliche Geltung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit auch dort auf, wo durch einen Privateigentümer "bereits ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet worden ist“.

In der Pressemitteilung aus Karlsruhe heißt es dazu:
"Der beabsichtigte Ort der Versammlung steht zwar im Eigentum einer Privaten, ist zugleich aber für den Publikumsverkehr offen und schafft nach den Feststellungen des Landgerichts einen Raum des Flanierens, des Verweilens und der Begegnung, der dem Leitbild des öffentlichen Forums entspricht.
Als private Grundstückseigentümerin ist die GmbH & Co. KG nicht wie die staatliche Gewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden. Dennoch entfalten die Grundrechte als objektive Prinzipien rechtliche Wirkungen; die Versammlungsfreiheit ist im Wege der mittelbaren Drittwirkung nach Maßgabe einer Abwägung zu beachten. Je nach Fallgestaltung kann dies einer Grundrechtsbindung des Staates nahe oder auch gleich kommen. Für den Schutz der Kommunikation kommt das insbesondere dann in Betracht, wenn private Unternehmen die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren (vgl. BVerfGE 128, 226).“
Weiter heißt es zu dem von der Eigentümerin  ausgesprochenen und von den Zivilgerichten bestätigten Hausverbot:
„Vorliegend träfe das aus dem Hausverbot folgende faktische Verbot einer Durchführung der Versammlung den Antragsteller schwer. Dem vom Beschwerdeführer ausgewählten Versammlungsort kommt angesichts des Themas der Versammlung - die zunehmende Beschränkung von Freiheitsrechten und die Privatisierung der inneren Sicherheit - eine besondere Bedeutung zu. Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von Eigentumsrechten der Grundstückseigentümerin nicht zu erkennen. Die Versammlung ist auf einen Zeitraum von etwa 15 Minuten beschränkt und soll stationär abgehalten werden. Versammlungsrechtliche Bedenken gegen die Veranstaltung vermochte die Versammlungsbehörde nicht zu erkennen.“ 
Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte geht an Privateigentümern nicht vorbei. Eigentum verpflichtet in einer demokratischen Gesellschaft eben auch zu Verantwortung und Augenmaß bei der privaten Ermöglichung öffentlicher Kommunikation und Demonstration.

Samstag, 4. Juli 2015

Abmahnung an Schäuble & Co.: Die Wahrheit über diesen Euro, die Spar-Diktate und die langjährigen Profiteure

Warum "Strenge" als Euro-Rezept unfair und unrealistisch ist

 
Letztes Update: 05. Juli 2015
Nein, ich kann mir nicht helfen: Noch vor wenigen Tagen dachte ich, wer auf die griechischen und europäischen Zukunftsfragen und den drohenden #Grexit mit europäischen Sünden aus der Vergangenheit daherkommt, sollte das Lamentieren sein lassen und stattdessen lieber konkrete Lösungswege für die Gegenwart aufzeigen.

Diese meine Meinung war falsch.

Die Mehrheit der Akteure in Europa - aus Politik, Wirtschaft (einschließlich Banken) und Medien - hat nämlich die folgenden fünf Wahrheiten aus der Vergangenheit geschickt verdrängt bzw. uns vorenthalten. Diese erschreckenden Wahrheiten dürfen von uns beim weiteren Umgang mit Europa und Griechenland aber nicht ignoriert werden:
1.      Die einzige erfolgreiche Sparpolitik erfolgte nach der Wiedervereinigung zur Jahrtausendwende, als das damals kriselnde Deutschland mit niedrigen Löhnen durch Exporte in das sonst boomende und hochlohnig agierende Europa sich sanieren konnte. Dies geschah nicht zuletzt in der Weise, dass die deutschen Banken verdienten, und zwar an Krediten in die südeuropäischen Länder, von wo aus mit den Finanzmitteln dann die Exporte deutscher Niedrig-Lohn-Unternehmen bezahlt wurden. Diese Exporte beschädigten und zerstörten nicht zuletzt gleichzeitig die Produktion in den südeuropäischen Ländern. 

2.      Mit Einführung der Währungsunion und des Euro 2002 galten plötzlich alle Staatsanleihen aufgrund ihrer Absicherung durch die europäische Zentralbank als absolut sicher. Das ermöglichte den Banken ein totsicheres Geschäft: Sie liehen sich Unmengen Geld zu niedrigen Zinsen und kauften sich davon grenzenlos Staatsanleihen - so viel nur ging. Die Differenz ergab bemerkenswerte hohe Banken-Gewinne ... bis zu den drohenden Staatspleiten, vor denen die Banken nun besonders zittern.   

3.      Als 2008 in den USA die Immobilienblase platzte, wurden nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch von den westeuropäischen Staaten riesige Geldmengen zur Bankenrettung und für Investitionsprogramme eingesetzt, was zur recht schnellen Erholung der Wirtschaft bereits in 2009 führte. 2010 rissen die führenden Kräfte und Köpfe in Europa das Steuer dann plötzlich herum und entschieden bzw. diktierten dann einen rigiden Sparkurs in der Haushalts-, Sozial- und Lohnpolitik der Euro-Länder. Schließlich konnte man sich mit Disziplin und Härte auch auf die vereinbarten Regeln und strengen (Defizit-)Vorgaben der Währungsunion berufen - besonders leicht als bereits zuvor saniertes Deutschland. Und die EZB kauft den deutschen und französischen Banken noch hilfsweise und netterweise die griechischen Staatsanleihen ab. Das auch durch Leistungsbilanzdefizite geschwächte Griechenland ist und bleibt der Dumme.   

4.      Die einzelnen Staaten hatten und haben gleichzeitig aber keinerlei eigene effektive Mittel zur eigenen wirtschaftspolitischen Steuerung:  
  • Das strenge Spar-Diktat verhinderte und verhindert die noch 2008 und 2009 so wirkungsvoll gewesene weitere Ankurbelung der jeweiligen eigenen Wirtschaft.
  • Eine Abwertung der eigenen Währung war und ist den Euro-Staaten ebenfalls nicht möglich.
  • Und eine eigene Zinspolitik der Euro-Staaten scheidet ebenfalls aus.
  • Damit gibt es praktisch keine nationale wirksame Wirtschaftspolitik … und trotz Euro gibt es bekanntlich ja auch keine und schon gar keine demokratisch legitimierte (EU-Parlament?!) europäische Wirtschaftspolitik.
  • Die europäische Wirtschaftspolitik besteht de facto nur in einer Maxime: die strenge Sparpolitik, die sogenannte „Austerität“  (lateinisch "austeritas" bedeutet deutsch "Strenge" und "Herbheit")  – herzlichen Glückwunsch Europa zur "harten" Währung. 
5.      Aber in Irland, Portugal und Spanien hat der „disziplinierte“ Sparkurs doch schon geholfen? Wenn wir gestiegene Massenarbeitslosigkeit, gestiegene Schulden und gestiegene Sozialausgaben bei gesunkenen Steuereinnahmen und gesunkenen Perspektiven für breite Bevölkerungsschichten - ob jung oder alt - als gelungene Hilfe und vorbildliche Disziplin bewerten wollen … und wenn wir den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch in Griechenland gerade auch in den letzten Wochen betrachten … ich weiß ja nicht …  

Ich glaube, man hat uns nicht alles erzählt und es wird Zeit für eine Abmahnung an diesen Euro und die derzeitigen Europäischen Entscheider. Mehr faire Wahrhaftigkeit und weniger unrealistische Strenge und Härte.

Samstag, 13. Juni 2015

Huren-Humor statt Marken-Zensur: Die Wanderhure im Markenrecht

 EU-Behörde punktet mit Witz: Der Mörder ist nicht immer der Gärtner
  • Ist "Die Wanderhure" als Marke zu vulgär?
  • Hatte das Mittelalter "Dienstleistungserbringerinnen"?
  • Darf Konstanz fantasieren?
  • Und muss Reinhard Mey auf den Scheiterhaufen?
Eine freche und erfrischende, weise und humorvolle Entscheidung zur Wortmarke
„DIE WANDERHURE“
hat zugunsten eines Verlages aus München und des Autoren-Ehepaares aus dem oberbayerischen Poing die 4. Beschwerdekammer beim HARMONISIERUNGSAMT FÜR DEN BINNENMARKT (MARKEN, MUSTER UND MODELLE) am 28.05.2015 (Az. R 2889/2014-4) getroffen. Die vorausgegangen behördliche Ablehnung der Markeneintragung wurde aufgehoben und sodann heißt es im Entscheidungstenor tatsächlich: 
 
„Die Gemeinschaftsmarkenanmeldung wird zum Weiterwandern zugelassen.“
Dieser kesse Spruch betrifft die Gemeinschaftsmarkenanmeldung Nr. 1 291 7621. 

Zu vulgär?

Die vorher agierende Prüferin hatte die Eintragung der Wortmarke noch verweigert, weil der Begriff „HURE“ als Synonym für Prostituierte ein vulgärer und unanständiger Ausdruck und ein anstößiges Schimpfwort sei, das eben Anstoß errege und gegen die guten Sitten verstoße. 

Hatte das Mittelalter Dienstleistungserbringerinnen?


Die HABM-Juristen ordneten die Markenbezeichnung demgegenüber mit entspannter Analyse und historischem Durchblick in den zeitlichen Kontext des gleichnamigen Romans ein. In dem schriftstellerischen Werk ginge es immerhin „um eine eher jüngere Person weiblichen Geschlechts, die im 15. Jahrhundert ihre Dienstleistungen auf der Wanderschaft erbringt und schließlich diese auf dem vom Kaiser einberufenen Konzil zu Konstanz besorgt, wobei das relevante Publikum (nicht der vorliegenden Markenanmeldung, sondern der betr. mittelalterlichen Dienstleistungsempfänger) aus Klerikern besteht. Der Leser des Romans wird mit der These konfrontiert, dass die wandernden Damen besagter Art seinerzeit einen eigenen Berufsstand oder genauer eine spezialisierte Gruppe von Dienstleistungserbringerinnen waren.“

Darf Konstanz fantasieren?

Auch die Stadt Konstanz habe ersichtlich kein Problem damit, hochoffiziell sogar spezielle Wanderungen „auf den Spuren des Anmeldezeichens“ anzubieten. Schließlich existiere im aktuellen Sprachgebrauch der Begriff einer „Wanderdienstleistungserbringerin“ ja auch nicht. Die angemeldete Wortmarke nehme „auf die versunkene Welt des Mittelalters Bezug, über die wir so wenig wissen, dass man über sie umso besser fantasieren kann.“

Muss Reinhard Mey auf den Scheiterhaufen?

"Großes Kino" ist m.E. dann das weitere juristische Plädoyer gegen den vorinstanzlichen Zensur- und Verbots-Eifer sowie gegen medien- und kultur-schädlichen Prüderie-Aktionismus:
„Die angefochtene Entscheidung vermischt die Erwähnung eines Phänomens mit dem Phänomen selbst. Sie eignet sich hervorragend zum Verbot von Krimis mit dem Wort „Mord“ im Titel, denn bekanntlich sind Morde gemäß § 211 des deutschen Strafgesetzbuchs ein Verbrechen, und es gibt nichts sittenwidrigeres als solche zu begehen, und sie eignet sich hervorragend, den Liedermacher Reinhard Mey dem Scheiterhaufen zu überantworten, weil mit dem Lied „Der Mörder war immer der Gärtner“ letztgenannter Berufsstand sittenwidrig verunglimpft worden sei. Kurz: Die angefochtene Entscheidung versäumt die Unterscheidung von Fact und Fiction.“
Es geht der Beschwerdekammer dabei ausdrücklich „um die Wertordnung des europäischen Rechts als einer Rechtsordnung, die die Grund- und Menschenrechte schützt, nicht um ein Sprachgesetzbuch zur Unterdrückung von Schimpfwörtern.“

Schließlich enden die HABM-Entscheidungsgründe mit einer launigen Freigabe:

„Die Wanderdame darf also weiterwandern, und ihre Wanderwege können mit „wissenschaftlichen und Vermessungs-Instrumenten“ kartographiert, in „Loseblattsammlungen“ regelmäßig aktualisiert, mit „OCR-Zeichenerkennung“ aufbereitet, in „Chat-Rooms“ breitgetreten und zur „sportlichen Aktivität“ erklärt werden, wobei die Kammer selbstverständlich davon ausgeht, dass mit den beanspruchten „Erziehungs“-Dienstleistungen solche der gemeinnützigen Sozialarbeit gemeint sind und nicht solche der Erziehung zur Prostitution.“
Es gibt doch noch Juristen mit frecher Lebensnähe und -freude sowie gelebter Kultur- und Freiheitsliebe.

Die Gemeinschaftsmarke wurde übrigens für die folgenden Waren und Dienstleistungen angemeldet:
Klasse 9 – Wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, fotographische, Film-, optische, Wäge-, Mess-, Signal-, Kontroll-, Rettungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente; Apparate und Instrumente zum Leiten, Schalten, Umwandeln, Speichern, Regeln und Kontrollieren von Elektrizität; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten; CDs, DVDs und andere digitale Aufzeichnungsträger; bespielte Bild- und Tonträger; Datenträger aller Art mit und ohne Daten; herunterladbare Ton- und Bilddateien; Audio-Bücher; Pod-Casts; Datenverarbeitungsgeräte, Computer und Computersoftware; elektronische Publikationen (herunterladbar).
Klasse 16 – Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien (soweit in Klasse 16 enthalten), nämlich Anzeigekarten [Papeteriewaren], Aufkleber, Stickers [Papeteriewaren], Etiketten aus Papier, Anhänger, Aufbewahrungsbehälter, Schachteln, Behälter, Plakate, Poster, Ausstellungstransparente, Werbeschilder, Verpackungsmaterial; Druckereierzeugnisse, insbesondere gedruckte Veröffentlichungen, Bücher, Broschüren, Handbücher, Loseblattbinder, Zeitungen, Informationsblätter, Magazine und Zeitschriften sowie Seiten aus dem Internet in gedruckter Form; Fotografien; Stifte (Schreibwaren); Blöcke [Papier- und Schreibwaren].
Klasse 35 – Verkauf von Büchern; Sammeln, Zusammenstellen, Aktualisieren und Pflegen von Daten, Informationen und Publikationen in Datenbanken, insbesondere von E-Books, E-Zeitungen, E-Zeitschriften, E-Magazinen und anderen Ton-, Video-, Bild- und Textdateien; Werbung; Verbreitung von Werbeanzeigen für Dritte, insbesondere in Druckerzeugnissen, im Internet und über mobile Telekommunikationsgeräte; Vermietung von Werbeflächen; Vermietung von Werbezeit in Kommunikationsmedien, auch in digitalen Netzen; Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für Dritte, auch in digitalen Netzen; Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen, insbesondere E-Commercedienstleistungen im Bereich gedruckter und elektronischer Verlagserzeugnisse; Digitalisierung von Dokumenten, Textvorlagen und Belegen mittels optischer Zeichenerkennung (OCR) für Dritte (Büroarbeiten).
Klasse 38 – Telekommunikation; Bereitstellung von Plattformen oder Portalen im Internet; Bereitstellung des Zugriffs auf Informationen und Computerprogramme in Datennetzen wie dem Internet, einschließlich Eingabe-, Such- und Navigationsfunktionen; Bereitstellung des Zugriffs auf Datenbanken mit elektronischen Publikationen und Verlagserzeugnissen in Datennetzen wie dem Internet, einschließlich Eingabe-, Such- und Navigationsfunktionen; elektronische Nachrichten-, Bild- und Textübermittlung, insbesondere Übermittlung von elektronischen Verlagserzeugnissen wie E-Books, E-Magazines und E-Zeitungen; Dienste von Presseagenturen; Bereitstellung von Chat-Lines, Chat-Rooms und Foren im Internet oder anderen Datennetzen.
Klasse 41 – Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; kulturelle und sportliche Aktivitäten; Publikation von Druckereierzeugnissen (auch in elektronischer Form), ausgenommen für Werbezwecke; Dienstleistungen eines Verlages, ausgenommen Druckarbeiten.

Donnerstag, 11. Juni 2015

Neue BGH-Filesharing-Urteile überraschen - Dennoch keine Familien-Panik bei Abmahnung

Da ist Musik drin...BGH zum Filesharing
Heute hat der BGH über drei Filesharing-Klagen verhandelt. Die in den drei Verfahren soeben ergangenen Entscheidungen dürften für viel Streit und Diskussionsstoff sorgen. Die Abwehr übermotivierter Filesharing-Abmahnungen und -Klagen wird nicht einfacher. 

Klägerinnen sind in allen drei Revisonsverfahren die vier führenden deutschen "Tonträgerherstellerinnen" Warner, Sony, Universal und EMI. Diese berufen sich jeweils auf angeblich ordnungsgemäße Recherchen eines Crawling-Unternehmens, wonach im Jahre 2007 über eine IP-Adresse jeweils mehrere hundert bzw. mehrere tausend Musiktitel zum Herunterladen innerhalb eines P2P-Systems verfügbar gemacht worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mithilfe des Internetserviceproviders die jeweiligen Beklagten als vermeintliche Inhaber des der IP-Adresse zugewiesenen Internetanschlusses.
Die Musikverlage verlangen von den Beklagten urheberrechtlichen Schadensersatz in Höhe von mehreren tausend Euro sowie Ersatz von anwaltlichen Abmahnkosten in ähnlicher Größenordnung.
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1. Im BGH-Verfahren I ZR 75/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlungen des Recherche-Unternehmens und die zeitgleiche Zuweisung der dynamischen IP-Adresse bestritten - ebenso wie die angeblichen Uploads durch ihn, seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen oder durch Dritte. Er sowie seine Ehefrau und seine beiden Söhnen hätten sich zur angeblichen Tatzeit im Urlaub auf Mallorca befunden und vor dem Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden, wobei allerdings nicht auszuschließen sei, dass einer der Familienangehörigen vor Abreise heimlich die Anlage wieder angestellt hat.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 24.10.2012 (Az. 28 O 391/11) die Klage abgewiesen. 
Das OLG Köln hat den Beklagten mit Urteil vom 14.03.2014 (Az. 6 U 210/12) nach Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des Crawling-Unternehmens sowie der Familienangehörigen antragsgemäß verurteilt. Der OLG-Senat hat es als erwiesen angesehen, dass die Musikdateien von dem Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten worden sind. Der Beklagte habe als Anschlussinhaber für die Urheberrechtsverletzungen einzustehen, weil nach seinem eigenen Vortrag ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme. Das Bestreiten seiner Verantwortlichkeit stelle sich "als denklogisch fernliegend und daher prozessual nicht erheblich dar."
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2. Im BGH-Verfahren I ZR 7/14 wurde der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16jährigen Sohn und ihrer 14jährigen Tochter genutzt. Gegenüber der Polizei hatte die Tochter zugegeben, "die Musikdateien heruntergeladen zu haben". Auf die anwaltliche Abmahnung reagierte die Mutter mit der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Die Beklagte wendet sich zivilgerichtlichen Klageverfahren gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter. Zudem trägt sie vor, ihre Tochter über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Musiktauschbörsen belehrt zu haben.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 02.05.2013 (Az. 14 O 277/12) nach der Zeugenvernehmung der Tochter der Klage überwiegend stattgegeben. 
Das OLG Köln hat diese Entscheidung mit Berufungsurteil vom 06.12.2013 (Az. 6 U 96/13) im Wesentlichen bestätigt.. Das OLG hält die Täterschaft der Tochter für erwiesen und wirft der Mutter die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vor.
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3. Im BGH-Verfahren I ZR 19/14 liegt der Fall so, dass der Internetserviceprovider als angeblichen Inhaber der IP-Adresse eine Person angegeben hatte, die in einem Buchstaben von dem Familiennamen des Beklagten abwich und ansonsten mit seinem Vor- und Nachnamen und seiner Anschrift übereinstimmte.
Nach anwaltlicher Filesharing-Abmahnung gab der Beklagte, ein selbständiger IT-Berater, ohne Rechtsanerkenntnis eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und wies gleichzeitig die geltend gemachten Zahlungsansprüche zurück. Er bestreitet die Richtigkeit der Recherchen des Crawling-Unternehmens und die per Excel-Tabelle übermittelten Angaben des Internetserviceproviders sowie seine und die Täterschaft eines in gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen. Der im Arbeitszimmer des Beklagten installierte PC war zur fraglichen Zeit unstreitig eingeschaltet und mit dem Internet verbunden. Die beim Beklagten angestellte und den Computer insoweit ebenfalls beruflich nutzende Ehefrau verfügte nicht über ausreichende Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen. Dem damals im Haushalt des Beklagten lebenden, seinerzeit 17 Jahre alten Sohn war das Rechner-Passwort unbekannt.

Das LG Köln hat mit Urteil vom 31.10.2012 (Az. 28 O 306/11) der Klage stattgegeben. 
Zweitinstanzlich wurde auch dieses Urteil im Wesentlichen bestätigt. Die entsprechende Entscheidung des OLG Köln (Az. 6 U 205/12) datiert vom 20.12.2013. Der Berufungssenat des OLG hielt es aufgrund der in beiden Tatsachen-Instanzen durchgeführten Beweisaufnahmen für nachgewiesen, dass die Musikdateien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sind. Der Beklagte sei hinsichtlich der Urheberrechtsverletzungen als Täter anzusehen.

Das Ergebnis:
Der BGH hat für viele überraschend alle drei Revisionen der Beklagten zurückgewiesen.

So gehen nach der soeben veröffentlichten Pressemitteilung des BGH die Richter des 1. Zivilsenats davon aus, dass die Eintragung der Klägerinnen in die Phononet-Datenbank ein erhebliches Indiz für die klägerische Rechteinhaberschaft darstellt. Es seien auch keine Anhaltspunkte zur Entkräftung dieser Indizwirkung vorgetragen worden.
Die theoretische Möglichkeit, dass bei Ermittlungen von proMedia oder des Internetserviceproviders Fehler vorkommen können, spräche nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle -  wie im dritten oben angesprochenen Verfahren (I ZR 19/14) - reiche insoweit nicht aus. 
In dem Rechtsstreit I ZR 75/14, dem ersten der drei oben erläuterten Verfahren,  sei das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien im Urlaub auf Mallorca gewesen und hätten vor Urlaubsantritt insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der BGH bejaht sogar eine täterschaftliche Haftung des Beklagten. Dieser habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Somit greife die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses ein.
In dem zweiten oben erwähnten Verfahren mit dem Aktenzeichen I ZR 7/14 habe das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen hat. Das OLG habe sich rechtsfehlerfrei auf das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter und dessen zeugenschaftliche Bestätigung vor dem Landgericht gestützt. Die Beklagte hafte für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:
"Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 24 - Morpheus). Das Berufungsgericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem "ordentlichen Verhalten" aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus."
Schließlich bestätigt der BGH bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie einen Betrag in Höhe von 200 Euro pro Musiktitel sowie ferner den ausgeurteilten Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten auf der Basis des RVG.

Die genauen Entscheidungsgründe bleiben zunächst abzuwarten. In jedem Fall wurde diese BGH-Entscheidung so von vielen - auch von mir - nicht erwartet. Andererseits wird das Urteil des 1. Zivilsenats auch kein Grund zur Panik sein, gelten die höchstrichterlichen Grundsätze zur Beweislast der Abmahner und zur lediglich sekundären Darlegungslast der Abgemahnten doch auch weiterhin.

Festzuhalten bleibt schon jetzt:
  • Kinder sorgfältig und nachweisbar über die Rechtswidrigkeit illegalen Filesharings belehren.
  • Kinder oder andere Familienangehörige nach einer Abmahnung nicht ohne weiteres belasten.
  • Etwaige Verstöße von Familienangehörigen nicht voreilig als alternatives "Tatgeschehen" ausschließen.
  • Nicht allein oder primär auf etwaige technische Zweifel und diesbezügliche Argumentationen setzen, da Gerichte sich damit nur selten vertiefter auseinanderzusetzen bereit sind.
  • Nicht allein oder primär auf Diskussionen über Schadenshöhen und Kosten-Reduzierungen setzen.

Welche sachverhaltlichen Nuancen bei den oben dargestellten drei Revisionsfällen jeweils die entscheidende Rolle spielten, wird sorgfältiger Analyse bedürfen.


Freitag, 8. Mai 2015

OLG Köln begrenzt Abmahnungsrecht bei Film-Filesharing-Abmahnungen


Kein roter Teppich für Film-Filesharing-Abmahnung vor dem OLG Köln
Das Oberlandesgericht Köln hat einer abmahnenden Filmproduktionsgesellschaft die Grenzen ambitionierter Filesharing-Abmahnungen aufgezeigt, wenn ein Filmproduzent an einem Film Dritten ein ausschließliches Nutzungsrecht einräumt. Dann kann der Filmproduzent nämlich in seiner Möglichkeit, Internetanschlussinhaber wegen vermeintlicher illegaler Filesharing-Verstöße abzumahnen, mangels eigenen Urheberrechts und bei fehlendem materiellen Interesse beschränkt oder sogar gehindert sein. 
Nach einem zur Vorbereitung von Filesharing-Abmahnungen stattfindenden Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren zur Ermittlung von Internetanschlussinhabern, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte dynamische IP-Adressen zugewiesen gewesen sein sollen, hat das OLG Köln mit Beschluss vom 17.04.2015 (Az. 6 W 14/15) dem Abmahnungsadressaten Recht gegeben. Auf seine Beschwerde hin wurde festgestellt, dass der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 204 O 24/14 – vom 11. 2. 2014 den Abmahnungsempfänger in seinen Rechten verletzt hat, soweit darin dem Internetserviceprovider gestattet worden ist, der abmahnenden, in Kanada ansässigen Filmproduktionsgesellschaft unter Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift desjenigen Inhabers eines Internetanschlusses zu erteilen, dem am 09. 02. 2014 um 10:12:30 Uhr (CET) die IP-Adresse 217.xxx.xxx.xx zugewiesen war. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden der abmahnenden Filmproduzentin auferlegt.
Das Oberlandesgericht hat eine ausreichende Aktivlegitimation der vermeintlichen Rechteinhaberin und damit im Ergebnis auch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche der Abmahnerin verneint.
Der OLG-Senat führt dazu aus:
„Das der dinglichen Rechtsposition des ausschließlich Nutzungsberechtigten zugeordnete Verbietungsrecht gemäß § 97 Abs. 1 UrhG wird grundsätzlich durch den Inhalt der eingeräumten Nutzungsart (§ 31 Abs. 1 UrhG) bestimmt (Senat, GRUR 2000, 414, 416 – „GRUR/GRUR Int“) und findet seine Grenze regelmäßig in der jeweils eingeräumten Nutzungsart und den hierzu getroffenen vertraglichen Vereinbarungen (BGH, GRUR 1992, 310, 311 – Taschenbuch-Lizenz; Senat, ZUM-RD 2014, 162 = juris Tz. 5; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, vor § 28 Rn. 82; Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Auflage 2008, § 97 Rn. 133). Das Verbietungsrecht kann zwar über das Benutzungsrecht hinausgehen, wenn dies erforderlich erscheint, um die Nutzungsbefugnis zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch wirksam zu schützen (BGH, NJW 1953, 1258, 1259 – Lied der Wildbahn; BGHZ 141, 267 = GRUR 1999, 984, 985 – Laras Tochter; Wild in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, § 97 Rn. 50).
Ein Verbietungsrecht besteht jedoch nicht mehr, wenn der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts seine Rechte an Dritte übertragen hat. Mit der Übertragung des ausschließlichen Nutzungsrechts erlischt die Aktivlegitimation des bisherigen Inhabers und die Aktivlegitimation des neuen Inhabers wird begründet (Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 97 Rn. 19). Der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts bleibt ferner auch nach der Einräumung eines solchen Nutzungsrechts weiterer Stufe klageberechtigt, wenn er an den Verkaufserlösen des Unterlizenznehmers beteiligt ist. Der Feststellung, dass seine Lizenzeinnahmen durch die Verletzungshandlung tatsächlich beeinträchtigt sind, bedarf es dazu nicht (BGHZ 141, 267 = GRUR 1999, 984, 985 – Laras Tochter; GRUR 2010, 920 Tz. 16 – Klingeltöne für Mobiltelefone II).“ 
Die Filmproduzentin aus Vancouver wollte sich zum Nachweis ihrer angeblichen Rechteinhaberschaft auf einen Eintrag im US Copyright Register sowie eine eidesstattliche Erklärung ihres CEO E. W. berufen, nach der sie für Produktion und Finanzierung des Filmes verantwortlich gewesen ist. Sie bestritt allerdings nicht, dass sie Nutzungsrechte zur Verwertung des Films an Dritte vergeben hat, zumal sie selbst ein sogenanntes „Sales Agency Agreement“ vorlegte. Der Abgemahnte Inhaber des Internetanschlusses konnte außerdem Ausdrucke aus dem Internet vorweisen, nach denen die Rechte für Deutschland zumindest teilweise bei einer „J. GmbH“ liegen.
Die Filmproduktionsgesellschaft meinte, ihre Aktivlegitimation sei unabhängig von der Frage, ob sie an den Erlösen der Filmverwertung partizipiere und Ihre Berechtigung folge aus ihrem Urheberpersönlichkeitsrecht.
Demgegenüber differenziert das OLG Köln zu Recht zwischen Urheberrecht, Urheberpersönlichkeitsrecht, Leistungsschutzrecht und Nutzungsrecht sowie ideellen Interessen und materiellen Verwertungsinteressen, prüft juristisch penibel und stellt klar:
„Zutreffend ist, dass dem Urheber selber trotz der Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte ein eigenes negatives Verwertungsrecht, mithin ein selbständige Verbotsrecht gegenüber rechtswidrigen Verwertungshandlungen Dritter zustehen kann (OLG München, GRUR 2005, 1038, 1039 – Hundertwasserhaus II; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl. 2008, § 97 Rn. 128; Wild, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl. 2010, § 97 Rn. 48). Die Beteiligte zu 1) übersieht jedoch, dass sie nach dem infolge des Schutzlandprinzips hier anwendbaren deutschen Recht nicht Urheberin des Films ist. Zutreffend ist, dass nach dem Recht der USA dem Filmhersteller ein originäres Urheberrecht zukommen kann. Ob dies auch nach dem kanadischen Recht der Fall ist – die Beteiligte zu 1) hat ihren Sitz in Kanada –, kann offen bleiben. Selbst wenn US-Recht anwendbar sein sollte oder das kanadische Recht ein entsprechendes Rechtsinstitut vorsehen sollte, so würde dies nicht dazu führen, dass die Beteiligte zu 1) nach deutschem Recht als Urheberin anzusehen wäre, da ein originäres Urheberrecht des Filmherstellers mit dem Schöpferprinzip des § 7 UrhG nicht vereinbar ist. Ein nach US-Recht bestehendes originäres Urheberrecht ist daher in ein von den einzelnen Filmurhebern eingeräumtes ausschließliches und unbeschränktes Verwertungsrecht umzudeuten (vgl. Senat, Beschluss vom 11. 11. 2010 – 6 W 182/10; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, vor §§ 88 ff. Rn. 25). An einem eigenen Urheberrecht der Beteiligten zu 1) fehlt es daher.
Urheberpersönlichkeitsrechte können daher nur den an der Herstellung des Films beteiligten Schöpfern zukommen, nicht jedoch der Beteiligten zu 1). Ideelle Interessen der Beteiligten zu 1), die über diejenigen der Filmurheber hinausgehen würden, sind nicht erkennbar. Auf ein – zumindest im Recht der USA unbekanntes – Leistungsschutzrecht des Filmherstellers beruft sie sich nicht. Sie kann daher für den Fall, dass sie Dritten ausschließliche Nutzungsrechte übertragen hat, nach den oben dargelegten Grundsätzen nur dann selber gegen Rechtsverletzungen vorgehen, wenn sie ein eigenes materielles Interesse an der Rechtsverfolgung hat. Ein solches hat sie jedoch nicht dargelegt. Soweit sie gegenüber dem Landgericht darauf verwiesen hat, das „Sales Agency Agreement“ sehe ihre Beteiligung an den Lizenzeinnahmen vor, hatte sie zuvor im gleichen Schriftsatz (vom 26. 9. 2014) ausgeführt, nach diesem Vertrag sei eine Auswertung in Deutschland nicht vorgesehen. Ihm kann daher für die – maßgebliche – Nutzungsrechtslage in Deutschland nichts entnommen werden.“ 
Es ist folglich bei der Abwehr von Filesharing-Abmahnungen – neben zahlreichen weiteren Gesichtspunkten – auch verstärkt zu prüfen, ob dem jeweils abmahnenden Unternehmen die behaupteten Rechte überhaupt in urheberrechtlich relevanter Weise (weiter) zustehen.
  

Sonntag, 19. April 2015

Filesharing-Klagen auch bei Single-Haushalten in Beweis-Not


 
Neues Urteil des AG Bielefeld zu untauglichen Auskünften und Zeugen

Über die zunehmende Beweis-Not der Abmahn-Lobby und wachsende Abwehr-Chancen auch für Single-Haushalte hat der Kollege Gerth gepostet. Mit Urteil des AG Bielefeld vom 24.03.2015 (Az. 42 C 458/15) ging die Filesharing-Klage leer aus, weil der von der Rechteinhaberin benannte Zeuge, der Geschäftsführer und Entwickler der Ermittlungsfirma, nichts Genaues nicht wusste und IP-Adressen Auskunft-Ausdrucke der Internet Service Provider nicht wirklich einen ausreichenden Beweiswert haben.
In dem Urteil heißt es u.a.:
„Zum einen hat die Klägerin die Richtigkeit der Ermittlung der betreffenden IP-Adresse nicht bewiesen. Der hierzu vernommene Zeuge Perino hat bekundet, dass im vorliegenden Fall nicht er, sondern einer seiner Mitarbeiter die Ermittlung im Zusammenspiel mit der Ermittlungssoftware durchgeführt hat und hierbei insbesondere das Originalwerk mit dem in einer Referenzdatei enthaltenen Film eigenständig verglichen habe bzw. darüber hinaus auch den Hashwertvergleich durchgeführt habe. …
… Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Zeuge nur die allgemeine Vorgehensweise bei den Ermittlungen sowie den Inhalt eines firmen internen Protokolls darlegen konnte, darüber hinaus aber nicht aus eigener Anschauung bestätigen konnte, dass im vorliegenden Fall die konkrete Referenzdatei tatsächlich den streitgegenständlichen Film enthalten hat bzw. die Hashwerte übereingestimmt haben, kann das Gericht nicht mit der notwendigen Gewissheit davon ausgehen, dass die Rechtsverletzung tatsächlich unter Nutzung eines Anschlusses mit der IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX erfolgt ist.
Zur Überzeugung des Gerichts steht des Weiteren nicht fest, dass die IP-Adresse XX.XXX.XXX.XX zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss Beklagten zugewiesen war. Insofern wurde klägerseits als Beweis nur der Ausdruck einer in Form einer Datei übermittelten Auskunft des zuständigen Internet Service Providers vorgelegt, welche den klägerischen Vortrag stützt. Allein aufgrund dieser Auskunft ist der Beweis der Richtigkeit dieser Zuordnung aber noch nicht erbracht, da im Zivilprozessrecht der allgemeine Grundsatz gilt, dass eine in irgendeiner Weise festgehaltene nichtöffentliche Gedankenerklärung nicht ihre eigene inhaltliche Richtigkeit beweist. ...
Da … das Gericht auch nicht ernsthaft ausschließen kann, dass der Internetservice Provider infolge eines technisch oder menschlich bedingten Fehlers bei der Erfassung und/oder Archivierung der Verbindungsdaten bzw. aufgrund eines Versehens eines Mitarbeiters bei der Auskunftserteilung eine inhaltlich unrichtige Auskunft erteilt hat, kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass die fragliche IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Anschluss der Beklagten zugewiesen war.“

Die Luft wird zunehmend dünner für kecke und generalverdächtigende Filesharing-Abmahnungen gegenüber zahlreichen Internetanschlussinhabern, auch wenn diese den Anschluss als Single alleine nutzen. Das Urheberrecht bleibt also auch in diesen Fällen wohl doch kein Geschäftsmodell für das quasi automatisierte Einsammeln pauschaler Abmahn-Gelder.
 

Donnerstag, 16. April 2015

BGH-Urteil: Urheberrecht verbietet keine Buch-Digitalisierung für öffentliche Leseplätze in Unis und Bibliotheken

In einem Streit über die Zulässigkeit elektronischer Leseplätze in Bibliotheken hat der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH heute mit Urteil vom 16.04.2015 (Az. I ZR 69/11 „Elektronische Leseplätze II“) die Klage eines Verlages gegen die Technische Universität Darmstadt abgewiesen. Es ging um die Frage, ob für elektronische Leseplätze in Bibliotheken Bücher auch ohne Einwilligung des Verlages digitalisiert und sodann den Nutzern zugänglich gemacht werden dürfen - auch zum Ausdruck und zur Speicherung per USB-Stick seitens der Bibliotheksnutzer.
 

Öffentliche elektronische Leseplätze

Die TU Darmstadt stellt in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek mehrere elektronische Leseplätze zur Verfügung. Dort können Bibliotheksbesucherinnen und -besucher bestimmte Werke aus dem Bestand der Universität nach von der Uni vorgenommener Digitalisierung durchsuchen, lesen, ausdrucken und auch per USB-Stick speichern - so u.a. das im klagenden Verlag herausgegebene und von der beklagten TU digitalisierte Lehrbuch mit dem Titel "Einführung in die neuere Geschichte". 

Lizenz-Angebot des Verlages abgelehnt

Die Klägerin hatte vor Abmahnung und Klage der Universität angeboten, im Verlag erscheinende Lehrbücher als E-Book-Version zu kaufen und in der Bibliothek zu nutzen. Darauf ließ sich die Uni-Bibliothek aber nicht ein.
Ist – wie der Verlag meint – die Digitalisierung der Bücher und deren Bereitstellung an den Uni-Leseplätzen nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt, wonach veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich gemacht werden dürfen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen?  

Das Landgericht Frankfurt a.M. meinte Jein

Es hat zwar mit Urteil vom 16.03.2011 (Az. 2/06 O 378/10) den Unterlassungsantrag abgewiesen, soweit der TU verboten werden sollte, Bücher des Verlages zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen Uni-Bibliothek zu benutzen, wenn der Verlag ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet. Das Landgericht hat der beklagten TU allerdings verboten, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern des Verlages an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern.  

Sprungrevision und EuGH-Vorlage

So landete die Sache nach zugelassener Sprungrevision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wo beide Seiten weiterstritten.
Der BGH setzte (Beschluss vom 20.09.2012) das Verfahren aus und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung einige Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor. Die Regelung des § 52b UrhG setzt nämlich Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und muss deshalb „richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Hierüber hat der EuGH mit Urteil vom 11.09.2014 (Az. C-117/13) zugunsten der Bibliotheken entschieden.  

Der BGH erlaubt Digitalisierung, elektronische Leseplätze und USB-Sticks

Das Verlagsangebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages hindert auch nach Auffassung der BGH-Richter die Hochschule urheberrechtlich nicht daran, im Verlag herausgegebene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen; die Bibliothek durfte die Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung des Verlages auf die geschehene Art und Weise nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Verwendung entgegenstehen, sind nach der BGH-Entscheidung „allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.“
Die Technische Universität war und  ist nach dem BGH-Urteil auch analog § 52a Abs. 3 UrhG berechtigt, die Bücher zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist für eine Zugänglichachung der Bücher an elektronischen Leseplätzen.
Der Bundesgerichtshof führt dazu in seiner heutigen Presseerklärung aus:
„§ 52b UrhG sieht zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch ist in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigungen erlaubt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Die Beklagte hat das Urheberrecht an dem Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten war es nach § 52b UrhG erlaubt, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG ist im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte haftet auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon kann auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken kann in vielen Fällen als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.“ (Markierung durch den Blogger)

Gut so. 

Update vom 25.09.2015:

Mittlerweile liegt das Urteil hier im Volltext vor.