Freitag, 18. April 2014

Aus: Filesharing-Vermutung vermutlich immer öfter zum Scheitern verurteilt


Einem pauschalen Filesharing-Verdacht gegen Internetanschlussinhaber bei Familien- oder WG-Anschluss hat auch das Amtsgericht Hannover eine klare Absage erteilt. Mit ganz aktuellem Urteil vom 02.04.2014 (Az. 539 C 827/14) wurde nach Abmahnung und Mahnverfahren nun auch eine urheberrechtliche Klage der Savoy Film GmbH wegen angeblichem Filmwerk-Upload abgewiesen.

Das Gericht verlangte von der beklagten Ehefrau und Mutter keine detaillierteren Angaben oder Mutmaßungen und schon gar keine Prüf-, Kontroll- oder Recherche-Pflichten hinsichtlich Ehepartner und Kindern.

Nach der lebensnahen und praxisnahen Bewertung der Richterin
"wird es regelmäßig genügen, wenn Hausgenossen des Anschlussinhabers, wie z.B. sein Ehegatte, selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können",
um sich als Inhaber eines Internetanschlusses gegen eine (in derartigen Fällen m. E. ohnehin fragwürdige) tatsächliche Täter-Vermutung erfolgreich zu verteidigen.

Damit setzt sich die erfreuliche Rechtsprechungstendenz fort, die u.a. auch das von mir kommentierte Urteil des AG Bielefeld vom 06.03.2014 (Az. 42 C 368/13), sehr unmissverständlich aufgezeigt hat.

Das Amtsgericht Hannover hatte sich übrigens bereits in einem früheren Urteil aus dem vergangenen Jahr (Az. 539 C 11215/12) dem ausufernden Generalverdacht gegen die Inhaber von Internetanschlüssen und übertriebenen Exkulpierungsanforderungen entgegengestellt.

Die im aktuellen Fall (aus dem Jahre 2009 mit Abmahnung aus 2010 und Vollstreckungsbescheid des AG Euskirchen aus 2013) von den Rechtsanwälten Schulenberg & Schenk aus Hamburg vertretene Klägerin kann noch Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil beim Landgericht Hannover einlegen. Es spricht aus meiner Sicht immer mehr für die begründete Vermutung, dass die oft haltlose "tatsächliche Vermutung" gegen den Inhaber eines von mehreren Personen genutzten häuslichen bzw. familiären Internetanschlusses vermutlich bald bei vielen Filesharing-Abmahnungen und -Klagen vor dem Aus steht.

Mittwoch, 2. April 2014

Neues Filesharing-Urteil zu lebensfremdem Verdacht und ausreichender Verteidigung

Wirklich erhellende und brillante sowie lebensnahe Bewertungungen und Einordnungen zum Filesharing-Verdacht bei familiär genutztem häuslichen Internetanschluss kann man im aktuellen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13, lesen.

Zu Recht stellt das Gericht die tatsächliche Vermutung einer Täterschaft des beklagten Internetanschlussinhabers bei familiär genutztem Internetanschluss in Frage. Der Richter übt einleuchtende Kritik an der fehlenden Berücksichtigung gesellschaftlicher Realitäten und darauf fußender sachgerechter Lebenserfahrung. Übersteigerte, fälschlicherweise eine Gefährdungshaftung für Internetanschlüsse kreierende Anforderungen an die sogenannte sekundäre Darlegungslast des Abgemahnten werden angemessen korrigiert.

In den Entscheidungsgründen des Amtsgerichts heißt es dazu (Fettdruck durch den Blogger):

"Eine tatsächliche Vermutung besagt lediglich, dass auch Tatsachen, für die der sog. Beweis des ersten Anscheins spricht, d. h. auf deren Vorliegen aus unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen sind, vorliegen. Gleichwohl ist von der Klägerin die entsprechende Tatsachenbehauptung, auf deren Vorliegen aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung zu schließen ist, vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens) soll eine tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (BGH NJW 2010, 2061). Die Annahme einer derartigen tatsächlichen Vermutung begegnet in Haushalten, in denen mehrere Personen selbständig und unabhängig Zugang zum Internet haben, bereits grundsätzlichen Bedenken. Die Aufstellung einer tatsächlichen Vermutung setzt voraus, dass es einen empirisch gesicherten Erfahrungssatz aufgrund allgemeiner Lebensumstände dahingehend gibt, dass ein Anschlussinhaber seinen Internetzugang in erster Linie nutzt und über Art und Weise der Nutzung bestimmt und diese mit Tatherrschaft bewusst kontrolliert. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Die alltägliche Erfahrung in einer Gesellschaft, in der das Internet einen immer größeren Anteil einnimmt und nicht mehr wegzudenken ist, belegt vielmehr das Gegenteil. Wenn sich der Internetanschluss in einem Mehrpersonenhaushalt befindet, entspricht es vielmehr üblicher Lebenserfahrung, dass jeder Mitbewohner das Internet selbständig nutzen darf, ohne dass der Anschlussinhaber Art und Umfang der Nutzung bewusst kontrolliert (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Der Anschlussinhaber genügt daher in diesen Fällen seiner sekundären Darlegungslast, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass eine Hausgenossen selbständig auf den Internetanschluss zugreifen können, weil sich daraus bereits die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als die seiner Alleintäterschaft ergibt (OLG Hamm, Beschluss v. 27.10.2011, I - 22 W 82/11; OLG Hamm, Beschluss v. 04.11.2013, I – 22 W 60/13; OLG Köln NJW-RR 2012, 1327; AG Hamburg, Urteil v. 30.10.2013, 31 C 20/13; AG München, Urteil v. 31.10.2013, 155 C 9298/13). Weitergehende Angaben werden in einem Mehrpersonenhaushalt vom Anschlussinhaber nicht im Rahmen der sekundären Darlegungslast verlangt werden können, da der Anschlussinhaber ohnehin nur zu Tatsachen vortragen kann, die er üblicherweise kraft Sachnähe vortragen kann. Eigene Ermittlungen dahingehend, wer möglicherweise als Täter des behaupteten Urheberrechtsverstoßes in Betracht kommt, hat der Anschlussinhaber aber nicht durchzuführen. Auch eine Überwachung der Familie bei der Internetnutzung kann vom Anschlussinhaber nicht verlangt werden, da dies mit dem grundrechtlichen Schutz der Familie nach Artikel 6 Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Bei einem 1-Personenhaushalt hingegen wird man regelmäßig detailliertere Erläuterungen erwarten können. Insoweit reicht es nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf (Urteil v. 21.03.2012, 12 O 579/10) unter Berücksichtigung der dem Beklagten obliegenden prozessualen Wahrheitspflicht aus, dass der Anschlussinhaber vorträgt, weder die streitgegenständliche Datei noch eine entsprechende Filesharingsoftware befinde sich auf seinem Rechner, da für diesen Fall eine täterschaftliche Handlung bei Wahrunterstellung ausgeschlossen ist. Sowohl bei Mehrpersonen- als auch bei einem 1-Personenhaushalt ist mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers keine Beweislastumkehr verbunden. Die sekundäre Darlegungslast umfasst nicht die Pflicht des Behauptenden, diesen Sachverhalt ggfs. auch zu beweisen. Ein der sekundären Darlegungslast genügender Vortrag hat vielmehr zur Folge, dass der grundsätzlich Beweisbelastete seine Behauptungen beweisen muss. Hierin ist keine unzumutbare Belastung des Anspruchstellers zu sehen. Es gehört vielmehr zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Zivilprozesses, dass der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenen Voraussetzungen trägt. Abweichungen sind nur im Einzelfall veranlasst und dürfen nicht dazu führen, dass der Beklagte sich regelmäßig zu entlasten hat (AG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2013, 57 C 3144/13). Eine anderslautende Rechtsprechung führt quasi zu einer Gefährdungshaftung, indem dem Anschlussinhaber eine den Grundlagen des Zivilprozesses widersprechende praktisch nicht erfüllbare sekundäre Darlegungslast auferlegt wird. Darüber hinaus gibt es in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens Sachverhaltskonstellationen, in denen der Anspruchsteller sicher weiß, dass sich der Anspruch gegen eine von mehreren Personen richtet, der Anspruchinhaber aber nicht nachweisen kann, gegen welche konkrete Person der Anspruch zu richten ist. Auch in diesen Fällen wird im Ergebnis eine erfolgversprechende Durchsetzung des Anspruches nicht möglich sein."
(Urteil Amtsgericht Bielefeld vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13)
Die berechtigte Verteidigung gegen Filesharing-Abmahnungen und -Klagen sowie gegen übermotivierten Verdacht erfährt damit realistischere Erfolgsaussichten auf der Basis lebensnaher Beurteilung.


Dienstag, 18. März 2014

Neues Filesharing-Urteil des OLG Köln vom 14.03.2013 (Az. 6 U 109/13)


Verdacht durch Vertrauen - Abmahnung an den Familien-Zusammenhalt

 
Ende Oktober 2013 hatte ich noch optimistische Erwartungen geweckt, dass das bereits mehrfach in Sachen „Tauschbörsen-Abmahnungen“ vom BGH korrigierte OLG Köln die Darlegungs- und Beweis-Pflichten und -Lasten zukünftig angemessener und fairer anwenden wird, als dies mehrfach in der Vergangenheit geschehen ist.
Da habe ich mich geirrt. Das OLG Köln hat mit seiner jüngsten Entscheidung vom 14.03.2014 für eine bemerkenswerte - und kritikwürdige - Überraschung gesorgt. 

Die Fallkonstellation

Der häusliche Internetanschluss wurde vom beklagten Anschlussinhaber, dessen Ehefrau sowie den damals 17 und 19 Jahre alten Söhnen eigenverantwortlich mit jeweils einem ausschließlich selbst genutzten, passwortgeschützten Rechner genutzt. Die vier Rechner befanden sich zur Zeit der angeblichen Filesharing-Vorgänge, an einem Sonntag-Vormittag, im Standby-Betrieb. Alle vier Familienmitglieder waren zu Hause und hatten jeweils die Möglichkeit, auf den Internetanschluss zuzugreifen.
Sämtliche Familienangehörigen haben dem Beklagten gegenüber - und auch im Rahmen der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme - die Teilnahme an Filesharing-Vorgängen bestritten. Der Beklagte vertraute dem, konnte andererseits allerdings auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass eines oder mehrere seiner Familienmitglieder doch die streitgegenständlichen klägerischen Musikdateien per Filesharing zum Online-Download angeboten haben.
 

Verurteilung wegen familiären Vertrauens

Aufgrund einiger Unsicherheiten in den Aussagen der Söhne des Beklagten hält es nach den Entscheidungsgründen denn auch der Senat
„für möglich, dass die Söhne des Beklagten in Bezug auf die Internetnutzung der Familienmitglieder teilweise unvollständige und verfälschte Angaben gemacht haben“
und  
"dass zur fraglichen Zeit wenigstens einer der im Haushalt des Beklagten vorhandenen, im Betrieb befindlichen und mit dem Internet verbundenen Rechner für eine ... Teilnahme an illegalen Internettauschbörsen genutzt wurde."
Das beschreibt eigentlich die Möglichkeit alternativer Geschehensabläufe. Dennoch kommt das OLG Köln zur Verurteilung des Beklagten. Aus dem
„Eindruck eines engen Zusammenhalts und Vertrauensverhältnisses innerhalb der Familie“
will das Berufungsgericht nämlich darauf schließen,
„dass der Beklagte von den am 15.06.2008 über seinen Internetanschluss vorgenommenen Rechtsverletzungen zumindest wusste und er den von ihm als rechtsverletzend erkannten Handlungsverlauf trotz Abwendungsmöglichkeit nicht verhindert, sondern billigend in Kauf genommen hat, so dass er für die Rechtsverletzungen wenigstens als Mittäter oder Gehilfe durch Unterlassen mitverantwortlich ist.“ 
Familiäres Vertrauen als Verdachts- und Verurteilungsgrundlage?
 
Das hat der BGH mit seinen aktuellen Entscheidungen zur Geltung des Vertrauensgrundsatzes in der Familie wohl kaum gemeint. Das OLG hat die Revision - entgegen in der mündlichen Verhandlung geäußerter Andeutungen - nicht zugelassen. Das erinnert an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2012 (Az. 1 BvR 2365/11), mit dem ein Urteil des 6. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Köln vom 22.07.2011 (Az. 6 U 208/10) nach Verfassungsbeschwerde aufgehoben wurde und der schließlich doch noch zur Korrektur jener OLG-Entscheidung durch den BGH führte. 

 

Dienstag, 18. Februar 2014

Hochspannung beim BGH wegen Überspannung im Netz

Strom-Haftung für Netzbetreiber

Mit Update vom 25.02.2014 

Am Dienstag, den 25.02.2014, verhandelt der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Az. VI ZR 144/13) über Überspannung im Stromnetz und dadurch verursachte Schäden an diversen Geräten im Haushalt des elektrisierten Hauseigentümers.
Der klagende Stromkunde hat seinen Anwalt eingeschaltet und nimmt die Beklagte, die Betreiberin des örtlichen Stromnetzes, wegen der beschädigten Elektrogeräte auf Schadensersatz in Anspruch.
Das Haus des Klägers ist an das Niederspannungsnetz der Beklagten angeschlossen. Im Mai 2009 gab es eine Störung der Stromversorgung im Bereich des Klägers und der umliegenden Nachbarschaft. Erst trat ein Stromausfall und danach eine Überspannung im häuslichen Netz des Klägers auf, wodurch mehrere seiner Elektrogeräte schwer beschädigt wurden.
Das Amtsgericht Wuppertal (Az. 39 C 291/10) wies die eingeleitete Schadenersatzklage mit Urteil vom 21.02.2012 in vollem Umfang ab, was beim Beklagten einen Strom der Entrüstung auslöste.

Wechselstrom per Berufung

Demgegenüber hat das Landgericht Wuppertal (Az. 16 S 15/12) mit erhellendem Berufungsurteil vom 05.03.2013 den Argumentationsstrom gewechselt und der Klage überwiegend grünes Licht gegeben. Zwar fehle es an einem Verschulden der überspannten Netzbetreiberin, so dass deren verschuldensabhängige deliktische oder vertragliche Haftung ausgeschaltet sei. Es sei aber eine elektrische verschuldensunabhängige Haftung nach § 1 Abs. 1 des Produkthaftungsgesetzes zu beleuchten und im Ergebnis zu bejahen. Im vorliegenden Fall sei das „Produkt“ Elektrizität fehlerhaft gewesen. Die beklagte Netzbetreiberin sei auch als „Herstellerin“ des Produkts anzusehen und deshalb mit aller Stromstärke zu verurteilen.

Stromleitung nach Karlsruhe

Das war ein Stromschlag für die Netzbetreiberin. Das Landgericht hat allerdings die Revision zugelassen, mit der die Beklagte nun den Stromkreis wieder schließen und die erstinstanzlich erwirkte Klageabweisung wiederbeleben will. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einer etwaigen Haftung der Netzbetreiberin als „Strom-Herstellerin“ nach dem Produkthaftungsgesetz wird mit Hochspannung entgegengefiebert. Die Leitungen nach Karlsruhe stehen unter Strom.

Update vom 25.02.2014: Netzbetreiber befürchten Klage-Welle  

Das mit Spannung erwartete Urteil des BGH wurde am Schluss der heutigen Verhandlung verkündet. Danach gilt gemäß aktueller Pressemitteilung aus Karlsruhe:
Die Netzbetreiberin "haftet aufgrund der verschuldensunabhängigen (Gefährdungs-) Haftung nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Gemäß § 2 ProdHaftG ist neben beweglichen Sachen auch Elektrizität ein Produkt im Sinne dieses Gesetzes. Die Elektrizität wies aufgrund der Überspannung einen Fehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG auf, der die Schäden an den Elektrogeräten und der Heizung, also an üblichen Verbrauchsgeräten des Klägers, verursacht hat. Mit solchen übermäßigen Spannungsschwankungen muss der Abnehmer nicht rechnen. Die beklagte Netzbetreiberin ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG auch als Herstellerin des fehlerhaften Produkts Elektrizität anzusehen. Dies ergibt sich daraus, dass sie Transformationen auf eine andere Spannungsebene, nämlich die sogenannte Niederspannung für die Netzanschlüsse von Letztverbrauchern, vornimmt. In diesem Fall wird die Eigenschaft des Produkts Elektrizität durch den Betreiber des Stromnetzes in entscheidender Weise verändert, weil es nur nach der Transformation für den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten nutzbar ist. Ein Fehler des Produkts lag auch zu dem Zeitpunkt vor, als es in den Verkehr gebracht wurde (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG), weil ein Inverkehrbringen des Produkts Elektrizität erst mit der Lieferung des Netzbetreibers über den Netzanschluss an den Anschlussnutzer erfolgt." (Fettdruck durch den Blogger)
Die erfolgreich verklagten Stadtwerke Wuppertal rechnen nun mit einer Welle von Schadensersatzklagen für alle Netzbetreiber. Also weiterhin Hochspannung im Netz.


 

Sonntag, 9. Februar 2014

Abmahnung und Klage: Zeugnistag mit Kinder-Daten vor dem BGH

Am 03.04.2014 gibt es Zeugnisse beim Ersten Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 96/13) und evtl.

„2 € für jede Eins“:

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen schickte einem Elektronik-Fachmarkt eine Abmahnung. Der Elektronikmarkt hatte in einer Zeitungsanzeige mit einer Werbeaktion geworben, bei der Schüler eine Kaufpreisermäßigung von 2 € für jede Eins auf dem Zeugnis erhielten. Laut der Anzeige sollte dafür das Originalzeugnis vorgelegt werden. Was nicht in der Annonce stand: Für den Erhalt der Ermäßigung verlangte der kreative Fachmarkt zusätzlich, das vorgelegte Zeugnis kopieren und diese Kopie bei sich behalten zu dürfen – auch eine phantasievolle Art, an interessante persönliche Daten jugendlicher Kunden heranzukommen.

Die Klage ist auf Unterlassung der angegriffenen Werbung und auf Erstattung der Abmahnkosten gerichtet.
Die Verbraucherschützer halten die Anzeige vor allem deshalb für unlauter, da die Werbeannonce die angesprochenen minderjährigen Schüler in unzulässiger Weise zum Kauf auffordere und deren geschäftliche Unerfahrenheit ausnutze.
Hilfsweise stützt der Verband die Klage darauf, dass die Werbung zudem deshalb unlauter sei, weil die Beklagte darin verschweige, dass sie das Zeugnis kopiert und speichert.
Das Landgericht Passau (Urteil vom 26.07.2012, Az. 3 O 843/11) hatte den Elektronik-Fachmarkt gemäß dem Hilfsantrag verurteilt.
Die Berufung des Elektronikmarktes vor dem OLG München (Urteil vom 06.12.2012, Az. 6 U 3496/12) hatte lediglich hinsichtlich der Abmahnkosten Erfolg. Nach Ansicht des OLG enthält die Werbung zwar eine an Kinder gerichtete Aufforderung zum Kauf. Sie verstoße aber nicht gegen die Verbotsnorm der Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, weil sich der allgemeine Kaufappell nicht auf eine konkrete Ware, auf bestimmte Produkte beziehe, sondern auf das gesamte Warensortiment der Beklagten. Die Werbung übe auch keinen unangemessenen unsachlichen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Verbraucher aus und nutze auch nicht deren geschäftliche Unerfahrenheit aus.
Die Unlauterkeit der Anzeige folge aber aus § 4 Nr. 4 UWG, da in der Werbung keine ausreichenden Angaben über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Preisermäßigung enthalten seien. Hieran fehle es, weil die Beklagte nicht angegeben habe, dass sie von dem vorzulegenden Zeugnis Kopien für ihre Unterlagen fertige.
Das OLG München hat die Revision zugelassen. Die Verbraucherschützer streben die Verurteilung des Elektronik-Fachmarktes entsprechend der Abmahnung und des Hauptantrages an.
Mal schauen, ob der BGH der Reklame zum Zeugnistag eine „Eins“ gibt oder ob diese unmittelbar an Minderjährige gerichtete Kauf-Einladung sowie die sich daran anschließende Daten-Sammlung in der mündlichen Verhandlung am 03. April 2014 als unlauterer „April-Scherz“ eine höchstrichterliche Abmahnung erhält.
 
 

Freitag, 3. Januar 2014

Odyssee einer Filesharing-Abmahnung: Störerhaftung vor dem BGH

Mit Update vom 08. Januar 2014

In Sachen "Filesharing-Abmahnungen" und "Störerhaftung" wird es am Mittwoch, den 08.01.2014, spannend vor dem Ersten Zivilsenat des BGH in Karlsruhe: Termin zur mündlichen Verhandlung im BearShare-Fall (Az. I ZR 169/12).
 
Nach einer wahren Instanzen-Odyssee vom gerichtlichen Mahnverfahren vor dem Amtsgericht Hamburg zum erstinstanzlichen Klageverfahren vor dem Landgericht Köln (Urteil vom 24.11.2010, Az. 28 O 202/10) über das Berufungsverfahren vor dem Kölner OLG (Urteil vom 22.07.2011, Az. 6 U 208/10) bis zur Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 21.03.2012, Az. 1 BvR 2365/11) sowie zurück zum wiederholten Verfahren vor dem Berufungsgericht (OLG-Urteil vom 17.08.2012, Az. wiederum 6 U 208/10) und schließlich zum - nach diesmaliger Zulassung der Revision - Bundesgerichtshof (Az. I ZR 169/12) in Karlsruhe.
 
Klage erhoben hatten die vier führenden deutschen Tonträgerhersteller, anwaltlich rasch vertreten durch eine führende Hamburger Abmahnkanzlei. Beklagter ist sinniger Weise ein auf Onlinerecherchen und Internetpiraterie spezialisierter Kriminalbeamter als Inhaber eines familiären Internetanschlusses, der auch von seiner Ehefrau und dessen damals 20-jährigem Sohn genutzt wird.
 
Mit anwaltlicher Filesharing-Abmahnung vom 30.01.2007 warfen die vier Musiklabels dem Beklagten vor, über seinen häuslichen Internetanschluss seien im Juni 2006 über 3.700 Musikaufnahmen, in einer Online-Tauschbörse zum Download angeboten bzw. verfügbar gemacht worden, obwohl allein die Klägerinnen an dem Musikmaterial die ausschließlichen Nutzungsrechte hätten. Der Beklagte gab ohne Rechtsanerkenntnis, aber mit rechtlicher Verbindlichkeit, eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, lehnte allerdings eine Begleichung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche und der Abmahnkosten ab.

Auf Antrag der Klägerinnen vom 30.12.2009 hat das Amtsgericht Hamburg gegen den Beklagten am 05.01.2010 wegen „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall gem. Rechtsanwaltshonorar – 06-32862 KS vom 12.06.06 bis 30.01.07“ einen Mahnbescheid über 5.925,60 Euro (nebst Zinsen) erlassen, der dem Beklagten am 12.01.2010 zugestellt worden war. Nach Widerspruchseinlegung durch den Beklagten hatten die Klägerinnen in ihrer Anspruchsbegründung vom 31.03.2010 zunächst, gestützt auf 200 im Einzelnen benannte und jeweils einer der Klägerinnen zugeordnete Musiktitel, Schadensersatz i. H. v. 2.471,00 Euro sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.454,60 Euro verlangt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Köln haben sie die Klage dann auf den Ausgleich der anwaltlichen Abmahnkosten beschränkt. Diese sind ihnen mit Urteil des Landgerichts vom 24.11.2010 über 3.454,60 Euro zugesprochen worden.
 
Der streitbare Polizist, fühlt sich für die vermeintlichen Rechtsverletzungen nicht verantwortlich. Sein volljähriger Stiefsohn habe die Musikdateien über den Internetanschluss öffentlich zugänglich gemacht. Der Stiefsohn hatte bei der polizeilichen Vernehmung zugegeben, dass er mit einem Filesharing-Programm ("BearShare") Musik auf seinen Computer heruntergeladen hat.
  
Das OLG Köln verurteilte den Beklagten nach seiner Berufung dennoch - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dazu, an die Klägerinnen (nach entsprechender Streitwert-Reduzierung) zu gleichen Teilen 2.841 Euro zu zahlen und ließ gegen das Berufungsurteil keine Revision zu. Auch die Anhörungsrüge des Beklagten, mit der er seinen Antrag auf Zulassung der Revision wiederholte, fand vor dem Oberlandesgericht keine "Gnade".
 
Der Beklagte legte deshalb Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, das daraufhin das Berufungsurteil aufhob und die Sache an das OLG Köln zurückverwies wegen Verletzung des grundgesetzlich geschützten Rechtes des Beklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Nichtzulassung der Revision sei von den Kölner Berufungsrichtern nicht nachvollziehbar - nämlich gar nicht - begründet worden, obwohl die Zulassung der Revision eigentlich offensichtlich nahegelegen hätte.
 
Das Oberlandesgericht hat daraufhin den beklagten Polizeibeamten erneut zur Zahlung von 2.841 Euro verurteilt. Der Beklagte sei für die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen verantwortlich. Er habe dadurch, dass er seinem volljährigen Stiefsohn den Internetanschluss zur Verfügung gestellt habe, die Gefahr geschaffen, dass dieser illegales Filesharing betreibe. Deshalb sei es ihm zumutbar gewesen, seinen Stiefsohn auch ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihm die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu verbieten. Die Volljährigkeit seines Stiefsohnes ändere daran nichts. Der Beklagte habe seine Stiefsohn pflichtwidrig nicht - jedenfalls nicht hinreichend - belehrt.
 
Das OLG Köln hat dann diesmal die Revision zugelassen, sodass nach vom Beklagten eingelegter Revision nun der in Filesharing-Streitsachen bereits mehrfach befasste Erste Zivilsenat des BGH "dran ist".

Zu klären ist insbesondere die Frage, wie weit die Haftung eines Internetanschlussinhabers bei familiärem Internetanschluss geht, ob und inwieweit etwaige anlasslose Belehrungs-, Aufklärungs-, Instruktions- und/oder Untersagungspflichten gegenüber volljährigen Familienangehörigen bestehen.

Das OLG hatte die lebensalltägliche Situation, dass "der Beklagte seinen Internetanschluss seinem zwanzigjährigen Stiefsohn zur ungestörten Nutzung auf einem in dessen Zimmer stehenden Computer zur Verfügung gestellt hat (Fettdruck durch den Autor)", zum Anlass genommen, wegen unzureichender Instruktion des Zwanzigjährigen eine Störerhaftung des Familien(Stief)vaters für Filesharing-Aktivitäten des "ungestörten" Familienmitgliedes zu bejahen. Das schreit m. E. nach der Korrektur vielleicht "gestörter" Wahrnehmung oder Bewertung familiärer Lebensrealitäten.
 

Update vom 08. Januar 2014:

Heute hat der Bundesgerichtshof die erhoffte und erwartete Korrektur vorgenommen und lt. Pressemitteilung des Ersten Zivilsenates  "entschieden, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für das Verhalten eines volljährigen Familienangehörigen nicht haftet, wenn er keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass dieser den Internetanschluss für illegales Filesharing missbraucht."
 
Der BGH hat das Berufungsurteil des OLG Köln aufgehoben und die Filesharing-Klage insgesamt abgewiesen. Bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige sei zu berücksichtigen, dass die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Es bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen. Deshalb und wegen der Eigenverantwortung von Volljährigen dürfe der Anschlussinhaber einem volljährigen Familienangehörigen seinen Internetanschluss überlassen, ohne das insoweit Belehrungspflichten oder gar Überwachungspflichten bestehen. Erst wenn der Anschlussinhaber - z. B. aufgrund einer Abmahnung - konkreten Anlass für die Befürchtung hat, dass der volljährige Familienangehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht, hat er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da derartige Anhaltspunkte hier nicht vorlagen, verneinten die Karlsruher Richter eine Störerhaftung.
 
Also gab es auch keine Unterlassungsansprüche und damit auch keine Ansprüche auf Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten.  Sobald das vollständige Urteil mit schriftlichen Entscheidungsgründen vorliegt, werden weitere Bewertungen über die Konsequenzen für zukünftige bzw. noch nicht rechtskräftig gerichtlich behandelte Filesharing-Abmahnungen erfolgen können. In jedem Fall hat diese höchstrichterliche Entscheidung die Position des Geschäftsmodells "Filesharing-Abmahnung" erheblich geschwächt und die Verteidigungsmöglichkeiten gegen unberechtigte Abmahnungen entscheidend verbessert.
 
 
 

Samstag, 28. Dezember 2013

Pressefreiheit und Steuergeheimnis

Verwaltungsgericht bestätigt Informationsanspruch
der Presse gegen das Finanzministerium
Düsseldorf/Bielefeld.  Die Redaktion und der Verlag der regionalen Tageszeitung Neue Westfälische konnten erfolgreich den Informationsanspruch der Presse gegen das Finanzministerium in Düsseldorf durchsetzen. Das Verwaltungsgericht stellte klar, dass Presseauskünfte über regionale Selbstanzeigen-Statistiken weder das Steuergeheimnis verletzen, noch schwebende Ermittlungsverfahren beeinträchtigen. Die Presse- und Informationsfreiheit hat insoweit Vorrang.
Ein Redakteur des Bielefelder Zeitungsverlages recherchiert bereits seit längerer Zeit zum Thema "Steuerhinterziehung" und "Selbstanzeigen" und bat in dem Zusammenhang den nordrhein-westfälischen Finanzminister um Auskunft über Zahlen und die monatliche Entwicklung der in den vergangenen Jahren mit Bezug zur Schweiz erstatteten Selbstanzeigen in Ostwestfalen-Lippe. 

Ministerielle Absage wegen „Steuergeheimnis“
Das Finanzministerium lehnte gegenüber dem Journalisten die erbetenen Auskünfte ab. Die Verhältnisse in den einzelnen Regionen seien sehr unterschiedlich, ein Vergleich sei nicht sachgerecht. Es bestehe ein Auskunftsverweigerungsrecht, da die begehrten Auskünfte die sachgemäße Durchführung schwebender Verfahren vereiteln, erschweren, verzögern oder gefährden könnten. Außerdem wollte man keine Presseauskünfte erteilten, da das Steuergeheimnis dem entgegenstehe. 

Klageverfahren gegen das Land NRW
Der Zeitungsverlag und sein  Redakteur gaben sich mit dieser ministeriellen Absage nicht zufrieden und erhoben eine auf die entsprechende Auskunftserteilung gerichtete Klage gegen das Land NRW.
In der mündlichen Verhandlung vor der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf am 13.12.2013 machte der Präsident des Verwaltungsgerichts, Dr. Heusch, deutlich, dass der besondere grundrechtliche Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit auch den presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasst. Deshalb müssten eine etwaige Auskunftsverweigerung rechtfertigende gesetzliche Ausschlusstatbestände stets restriktiv ausgelegt werden. Entgegen der Argumentation des beklagten Landes seien durch die journalistisch begehrten Auskünfte Rückschlüsse auf einzelne Verfahren oder auf die Identität von Selbstanzeigenerstattern nicht möglich. Auch das Steuergeheimnis  werde nicht tangiert.  

Ostwestfalen ist kein Swinger-Club
Dies gelte auch unter Berücksichtigung eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 27.06.2012 (Az. 5 B 1463/11), auf den sich das Ministerium berufen hatte. In jenem Verfahren ging es um journalistische Fragen zu einem behördlichen Einsatz der Polizei und der Steuerfahndung in einem Swinger-Club, um Einzelheiten zu einer Razzia im Rocker-Milieu.
Nach zweistündiger Verhandlung und dem unmissverständlichen richterlichen Hinweis sowie nach mehrfachen Verhandlungsunterbrechungen und etlichen Telefonaten zwischen dem Finanzministerium und seinem Prozessbevollmächtigten erklärte sich das beklagte Land schließlich bereit, den eingeklagten presserechtlichen Auskunftsanspruch zu erfüllen. Das Verfahren konnte auf Kosten des Landes eingestellt werden.  

Der Fall Hoeneß aus Bayern sorgt für Selbstanzeigen-Boom in Ostwestfalen-Lippe
Die vom Finanzminister gegenüber dem klagenden Journalisten offengelegten Zahlen belegen, dass Veröffentlichungen über den Kauf einer Steuer-CD, über das Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz oder auch über den Fall Hoeneß zu einem jeweils nachfolgenden massiven Anstieg der Selbstanzeigen auch in Ostwestfalen-Lippe geführt hat. Über die Ergebnisse ihrer Recherchen berichtet die Neue Westfälsche in ihrer heutigen Ausgabe.
Nicht selten neigen Behörden bzw. Ministerien dazu, den berechtigten Informationsanspruch der Öffentlichkeit mit im Einzelfall nicht gerechtfertigten Scheinargumenten (wie etwa „Steuergeheimnis“ oder z. B. auch „Urheberrecht“) zu boykottieren. Das Klageverfahren in Düsseldorf bestätigt, dass behördlicher Informationsverweigerung bei journalistischen Recherchen  engagiert und - vor dem Hintergrund von Presse- und Informationsfreiheit - auch hartnäckig zu begegnen ist.
Die rechtlichen Interessen der Kläger vertrat Rechtsanwalt Dr. Ralf Petring, Bielefeld  - www.wendundpartner.de -
 
 

Dienstag, 24. Dezember 2013

Weltrekord zu Weihnachten

Die härtesten Clementinen der Welt

Das sah ja erst nach einer rekordverdächtigen Veranstaltung aus, mit massenhaften postalischen Erotik-„Sendungen“ aus dem trickreichen urheberrechtlichen „Archive“. Und wer hat’s erfunden? Die Schweizer, die Regensburger und die Berliner. Und was  war‘s? Nackte und verdrehte „Tatsachen“ waren’s. Adressiert nach der illegalen Lesung unzähliger IP-Adressen an unzählige (vermeintliche) Zuschauerinnen und Zuschauer - und vermeintliche Speicherinnen und Speicher - von natürlichen und unnatürlichen Leibesübungen. Stress hoch drei für zahlreiche in Adventsstimmung befindliche Familien.
Aber zum Weihnachtsfest wird alles gut.
Es war fünf vor zwölf Uhr, Mann, da haben sich die Hardcore-Anwälte aus Regensburg und Berlin doch noch verwunschzettelt.  Erzengel Sebastian & Co. haben mit Zitronen - äh … mit "Cementinen" - gehandelt und sich die Zähne daran ausgebissen.
Die Abmahn-Branche erntet die härtesten Clementinen der Welt

Das waren drei harte Nüsse - äh … drei harte "Cementinen" - für die Abmahnbrödel:
  • Erst Storno mit Porno(-Abmahnungen) beim zunächst eher närrischen und dann doch recht colonialen Landgericht Köln.
  • Dann zog zweitens Rudolph Redtube Rentier mit seinem Schlitten vor dem hanseatischen Landgericht Hamburg gegen die Strömung der Streaming-Abmahnungen und erwirkte eine einstweihnachtliche Verfügung.
  • Und zum Dritten singen auch die Staatsanwälte nicht das tiefe U + das hohe C der Regensburger Porno-Spatzen, sondern prüfen die Ton-Leiter der Weihnachtspost-Aktion auf Herz und Viren.
Jetzt kommen die Abmahnungen für die Abmahner. Die Abwatsch-Branche hat in vielen Häusern adventlichen Stress gesäht und wird nun dafür selbst eine Menge richtig harter Früchte unter dem Weihnachtsbaum ernten. Der "Cementinen"-Händler unseres Vertrauens hat noch ‘ne Menge davon auf Lager - mit rekordverdächtiger Härte und Entschiedenheit.
"Draußen vom Anwalt komm ich her. Ich kann Euch sagen, es weihnachtet sehr."

Freitag, 20. Dezember 2013

Streaming-Abmahnung als Weihnachtsmärchen

Mit Update vom 21.12.2013

Das Landgericht Köln beschert dem Geschäftsmodell "Porno-Abmahnungen" eine verspätete Absage und den Abmahnern wenig weihnachtliche Post

Doch nicht nur eine Einbahnstraße: Die Kammern beim Landgericht Köln
Immerhin. Respekt. Das Landgericht Köln hat am 20.12.2013 seine wohl zuvor zu wenig „durchdachten“ Einschätzungen zu den Redtube-Streaming-Abmahnungen und den Auskunfts- bzw. Gestattungsanträgen der „The Archive AG“ korrigiert bzw. entsprechende Korrekturen angekündigt.
    
++++Update vom 21.12.2013++++
Einstweilige Verfügung des LG Hamburg
Nach einer aktuellen Pressemitteilung von Redtube hat sich inzwischen auch das Landgericht Hamburg mit den zweifelhaften Abmahnungen befasst und per einstweiliger Verfügung dem schweizer Unternehmen The Archive AG ab sofort untersagt, Abmahnschreiben an Nutzer der Internetplattform Redtube zu versenden, in denen behauptet wird, dass Nutzer das Urheberrecht von The Archive AG verletzt haben. Dies soll für alle Videos gelten, an denen die Firma The Archive AG Urheberrechte geltend macht, ist aber auch für (potentielle) andere "Trittbrettfahrer" aus der Abmahnbranche sicher keine "schöne Bescherung". 

Alex Taylor, der Vizepräsident von Redtube, ist demgegenüber schon mal in vorweihnachtlicher Feier-Laune: „Diese Entscheidung ist nicht nur ein Sieg für die Nutzer von RedTube, sondern für jede Person, die Streaming-Webseiten besucht. Es ist eine klare Botschaft, dass die Ausnutzung von persönlichen Informationen und die Verletzung der Privatsphäre aus rein finanziellen Interessen nicht toleriert wird", wird er in der Frankfurter Rundschau zitiert.

                                              
Die Pressestelle des Landgerichts Köln tritt die Flucht nach vorn an und will zwei Entscheidungen (Az. 228 O 173/13 und Az. 214 O 190/13), in denen die nach § 101 Abs. 9 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gestellten Anträge der „The Archive AG“ von den Kammern zurückgewiesen worden waren, „in den nächsten Tagen“ auf www.nrwe.de online stellen. 
Bisher sind bereits über 50 Beschwerden gegen die anderslautenden Beschlüsse eingegangen, mit denen den Providern die Auskunftserteilung gestattet worden ist.
Das Landgericht, zumindest einige Kammern des Gerichts, halten die in den letzten Tagen öffentlich diskutierten Bedenken z. B. hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Ermittlung der IP-Adressen nun für durchaus beachtlich. Diese Kammern tendieren wohl dazu, an ihrer ursprünglichen Einschätzung nicht länger festzuhalten und die Beschlüsse wegen der durch sie stattfindenden Rechtsverletzungen der Anschlussinhaber aufzuheben. Die Frage der urheberrechtlichen Einordnung des „Streaming“ sei zumindest juristisch umstritten und daher liege möglicherweise keine offensichtliche Rechtsverletzung i. S. d. § 101 Abs. 9 UrhG vor.
Im Januar sind endgültige Entscheidungen über die Beschwerden zu erwarten.
Zu den aktuellen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorlage falscher eidesstattlicher Versicherungen möchte das Landgericht nichts Näheres sagen.
In dem von einigen Kammern an die Antragstellerin der Verfahren bzw. deren Rechtsanwalt gerichteten Scheiben heißt es u.a.: 
„Ausweislich des in Bezug genommenen Gutachtens der […] vom 22. März 2013 dürfte das Programm „GLADII 1.1.3“ dabei nur den Vorgang des sogenannten „Streamings“, also des Abspielens einer Video-Datei im Webbrowser des Nutzers, dokumentieren. Die Kammer neigt insoweit der Auffassung zu, dass ein bloßes „Streaming“ einer Video- Datei grundsätzlich noch keinen relevanten rechtswidrigen Verstoß im Sinne des Urheberrechts, insbesondere keine unerlaubte Vervielfältigung i.S.d. § 16 UrhG darstellt, wobei diese Frage bislang noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist. Eine solche Handlung dürfte vielmehr bei nur vorübergehender Speicherung aufgrund einer nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellten bzw. öffentlich zugänglich gemachten Vorlage regelmäßig durch die Vorschrift des § 44a Nr. 2 UrhG gedeckt sein […]. 
[…] Insoweit begründen sowohl die unklare Tatsachenlage als auch die ungeklärte Rechtsfrage bereits Zweifel an der erforderlichen „Offensichtlichkeit“ der Rechtsverletzung.
Weiterhin ist auch die ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adressen weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht. Das Gutachten der […] vom 22. März 2013 befasst sich mit der Erfassung des von dem Gutachter selbst initiierten Download(?)vorgangs. Dass auch Downloads von anderen Rechnern zuverlässig erfasst würden, ergibt sich hieraus letztlich nicht. Insoweit ist der Kammer derzeit auch nicht erkennbar, wie das eingesetzte Ermittlungsprogramm in der Lage sein soll, die IP-Adresse des Downloaders zu erfassen, der lediglich mit dem Server kommuniziert, auf dem das Werk hinterlegt ist. Es bleibt mithin die Frage unbeantwortet, wie das Programm in diese zweiseitige Verbindung eindringen kann. 
Aufgrund dessen neigt die Kammer im Hinblick auf die bereits erfolgte Auskunftserteilung dazu, Beschwerden gegen den Gestattungsbeschluss grundsätzlich abzuhelfen und gem. § 62 Abs. 1 FamFG auszusprechen, dass der angegriffene Beschluss weitere beteiligte Anschlussinhaber in ihren Rechten verletzt hat.“
Das von Regensburger und Berliner Rechtsanwälten inszenierte, vermeintliche neue Geschäftsmodell mit Porno-Streaming-Abmahnungen scheint also auf dem richtigen Weg zu sein, nämlich auf dem besten Weg, zum Weihnachtsmärchen des Jahres zu werden.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Wenn Filesharing-Klagen unseriös auf entfernte Gerichte fliegen

 – schnell noch kurz vor dem in Kraft getretenen Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken 

Mit Update vom 04.12.2013


Aktuell erhalten etliche Internetanschlussinhaber, die in den vergangenen drei bis vier Jahren eine Filesharing-Abmahnung erhalten haben, Gerichtspost mit einer Klage, die noch schnell kurz vor offiziellem Inkrafttreten einer zugunsten der Verbraucher bzw. der privaten Internetnutzer neu festgelegten Gerichtsstandsregelung erhoben wurde. 

Für Klagen wegen illegalen Uploads in Online-Tauschbörsen ist nach dem seit dem 09.10.2013 geltenden § 104a UrhG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die abgemahnte Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz hat – und nicht mehr das nach dem Grundsatz des fliegenden Gerichtsstandes vom Abmahner nach seinem Belieben ausgewählte Wunschgericht. Bei der Bestimmung des Wohnsitzgerichts sind selbstverständlich landesrechtliche Sonderzuweisungen zur Konzentration von Streitigkeiten im Urheberrecht zu beachten. 

Was ist denn nun eigentlich mit den von vielen Filesharing-Abmahnern gerade noch kurz vor förmlicher Geltung der Wohnsitz-Regel, also kurz vor dem 09.10.2013 erhobenen Klagen? Darf oder muss darüber das vom (vermeintlichen) Rechteinhaber ausgesuchte „Lieblingsgericht“ entscheiden? Oder ist der fliegende Gerichtsstand auch dann angreifbar?

Der Angriff - also die Rüge fehlender örtlicher Zuständigkeit - kann sich lohnen, da der anschließende Rechtsstreit außerhalb des gegnerischen Wunschgerichts doch regelmäßig zumindest „ergebnisoffener“ geführt werden kann. Die Rüge sollte selbstverständlich auch dann erhoben werden, wenn – was in der jüngsten Zeit ebenfalls erstaunlich oft passiert – die Filesharing-Klage sogar noch nach dem 08.10.2013 nicht vor dem Wohnsitzgericht erhoben wird. Entsprechendes gilt, wenn nach längerem gerichtlichen Mahnverfahren die gerichtliche Abgabenachricht nicht an das Wohnsitzgericht erfolgt. 

Häufig hat keine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zuständigkeitsbereich des vom Rechteinhaber angerufenen (Lieblings-)Gerichts. Es fehlt nicht selten ein die örtliche Zuständigkeit rechtfertigender Bezug zum Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts. Vor diesem Hintergrund haben schon vor der Verkündung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (mit der gesetzlichen Bestimmung zum Wohnsitz-Gerichtsstand gem. § 104a UrhG) insbesondere auch in der jüngeren Vergangenheit immer mehr deutsche Gerichte die unbeschränkte Geltung eines "fliegenden Gerichtsstandes" für sog. "Filesharing"-Klagen gem. § 32 ZPO verneint. 

So etwa die beiden Entscheidungen des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13.02.2012 (Az. 31 C 2528/11) und vom 13.06.2013 (Az. 30 C 906/13), darüber hinaus die Entscheidungen des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13), des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 26.08.2013 (Az. 6 C 65/13), des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.08.2013 (Az. 42 C 160/13) und des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (Az. 2 AR 28/13).

Die Klägerseite behauptet oft nicht einmal selbst, dass der oder die Beklagte bei der unterstellten Filesharing-Handlung das Ziel verfolgt habe, dass das streitgegenständliche Audio- oder Filmwerk etwa auch im Bezirk des angerufenen Gerichts heruntergeladen wird oder heruntergeladen werden kann. Aus dem Klagevortrag ist ein derartiges zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten bzw. eine diesbezügliche Behauptung der Klägerseite häufig nicht zu entnehmen. Den klägerischen Behauptungen bzw. Vermutungen kann zumeist allenfalls entnommen werden, dass die Klägerseite wohl von einer etwaigen Billigung der beklagten Partei hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit der entsprechenden Audio- oder Filmdatei - und damit eventuell auch von der etwaigen Billigung einer Zugänglichkeit im Gerichtsbezirk - ausgehen möchte. Derartige Andeutungen oder Rückschlüsse ersetzen aber keinen brauchbaren Tatsachenvortrag für ein etwa diesbezügliches zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten. 

Im oben erwähnten Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13) heißt es zu dem entsprechenden Gesichtspunkt: 

"Ein solcher bedingter Vorsatz reicht aber nicht aus für die Annahme, dass die hiesige Herunterlademöglichkeit seiner Bestimmung entsprach. Erforderlich dafür ist vielmehr Absicht im engeren Sinne, d. h. es hätte ihm darauf ankommen müssen, dass hier heruntergeladen werden kann. 

Ein anderes Verständnis von dem, was bestimmungsgemäß ist, führt zu beziehungsarmen Gerichtsständen, die zu vermeiden sind, weil sie Sinn und Zweck von § 32 ZPO nicht gerecht werden (vgl. BGH MDR 2011/812; MDR 2010, 744). Dieser geht dahin, dass das Gericht eine gewisse Sachnähe haben soll, etwa weil typischer Weise im gleichen Großraum Zeugen ansässig sind oder eine Ortsbesichtigung stattzufinden hat. Reicht es für die Bestimmungsgemäßheit dagegen aus, dass die Herunterlademöglichkeit lediglich billigend in Kauf genommen wird, besteht ein ubiquitärer Gerichtsstand, d. h. es können Gerichte angerufen werden, die keinerlei näheren Sachbezug haben als andere. Dieser ist abzulehnen (vgl. Zöller-Vollkommer, 29. Auflage, § 32 Rn. 17, Stichwort "Internetdelikte" mwN)." 

Ähnlich argumentiert auch das Amtsgericht Berlin-Mitte (unter gleichzeitigem Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, veröffentlicht in MMR 2011, 594). 

Das Amtsgericht Berlin-Mitte weist gleichzeitig auf die gesetzgeberische Begründung zu dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken hin. 

Die Anrufung bzw. Auswahl des jeweiligen Gerichts seitens der Klagepartei – häufig in München, Köln, Hamburg oder aktuell verstärkt in Leipzig - ist oft nicht nur unsachgerecht und willkürlich, der (vermeintliche) Rechteinhaber übt seine Wahl nicht selten auch erkennbar entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben aus. Es fehlt dann nicht nur an auf den Gerichtsbezirk bezogenen bestimmungsgemäßen und zielgerichteten Handlungen des oder der Beklagten und diesbezüglichen substantiierten Darlegungen der Klagepartei und es fehlt nicht nur an jeglichem Bezug beider Parteien zum gewählten Gerichtsbezirk und manchmal sogar jeglichem Bezug der Prozessbevollmächtigten beider Parteien zum ausgewählten Gerichtsbezirk. Die Anrufung des ausgewählten Gerichts erfolgt häufig offensichtlich auch unter bewusster Missachtung des am 27.06.2013 vom Gesetzgeber beschlossenen und am 01.10.2013 vom Bundespräsidenten ausgefertigten Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken bzw. des darin zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens. In der Begründung zur Einführung des § 104a UrhG (Bundestagsdrucksache 17/13429) hat der Gesetzgeber u. a. ausgeführt:

"Der fliegende Gerichtsstand erlaubt sogenanntes Forum-Shopping, wobei der Kläger das zuständige Gericht je nach günstiger Rechtsprechung und möglichst weiter Entfernung vom Wohnsitz des Beklagten auswählen kann. Dies führt dann zu einer Erhöhung des Aufwandes und der Kosten für die Verbraucher, wenn diese nicht an ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden. Es besteht die Gefahr, dass Verbraucher deswegen eher auf außergerichtliche Vergleichsangebote eingehen und vor einer Überprüfung durch die Gerichte zurückscheuen". 

Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten des Abmahners als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein, erst recht wenn wenige Tage vor Verkündung des die vorerwähnte gesetzgeberische Intention betreffenden Gesetzes noch schnell in der inkriminierten Art "Forum-Shopping" zu Lasten des oder der Abgemahnten betrieben wird.

Eine entsprechende Bewertung ist auch der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (AZ. 2 AR 28/13) zu entnehmen - und zwar selbst ohne den hinzukommenden äußerst engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des § 104a UrhG. Im dortigen Verfahren ging es um eine Filesharing-Klage nach Mahnbescheidsantrag vom 26.03.2013 und Anspruchsbegründung vom 06.06.2013. Das OLG führt in der Entscheidung vom 13.09.2013 u. a. aus: 

"Die durch die Regelung des fliegenden Gerichtsstandes ermöglichte deutschlandweite Gerichtswahl schließt die Annahme einer im Einzelfall rechtsmissbräuchlich getroffenen Wahl nicht aus (OLGR Rostock 2009, S. 663 ff.; KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.; Musilak-Heinrich, ZPO, 10. Auflage, 535 Rn. 4; Zöller, Vollkommer, a. a. O., § 35 Rn. 4). ....

Die Ausnutzung eines formal gegebenen (fliegenden) Gerichtsstandes ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie aus sachfremden Gründen erfolgt, insbesondere in der Absicht, den Gegner zu schädigen (KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.). ... 

Diese Annahme liegt nahe, wenn im fliegenden Gerichtsstand ausgerechnet ein besonders entlegenes Gericht gewählt wird in der Hoffnung, der Gegner werde sich im gerichtlichen Verfahren nicht zur Wehr setzen, weil er die Kosten und den erheblichen persönlichen Aufwand einer Reise scheut. Diese Gefahr kann bei Internetdelikten sogar noch verstärkt bestehen, wenn die in Anspruch genommene Person ein in geschäftlichen Dingen unerfahrener Verbraucher ist, was in Fällen der Urheberrechtsverletzungen durch Nutzung von Tauschbörsen häufig der Fall ist."

Andere, weniger sachfremde, weniger willkürliche und weniger rechtsmissbräuchliche Intentionen der Klagepartei sind in vielen Fällen nicht wirklich ersichtlich, zumal bei „weit fliegender“ Gerichtswahl zeitgleich mit der Verabschiedung oder der Ausfertigung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken oder sogar nur wenige Tage vor, manchmal sogar genau am Tag dessen förmlicher Verkündung im Bundesgesetzblatt (08.10.2013). 

Eine örtliche Zuständigkeit des gewählten Gerichts kann und muss deshalb auch gerade in derartigen Fällen aus guten Gründen bezweifelt werden.
 
 

Update vom 04.12.2013:

 
Eine zwischenzeitlich veröffentlichte weitere Entscheidung des Amtsgerichts Köln vom 18.11.2013 (Az. 137 C 262/13) bestätigt die von mir vertretene Ansicht, dass die vom Gesetzgeber im Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken geregelte Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts und die darin zum Ausdruck gekommene Bewertung und Intention auch schon in Altfällen - bei Klageerhebung vor der formalen Gesetzesgeltung - von den Gerichten zu berücksichtigen sind.
 
Das Amtsgericht Köln hat in der jüngsten Entscheidung u.a. ausgeführt: 
"Durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1.10.2013 hat er ins Urheberrechtsgesetz § 104 a eingeführt. Das erlaubt den Rückschluss, dass er bei mittels Internet begangenen Urheberrechtsverstößen die bloße Berufung auf die Aufrufbarkeit überall oder auch die bestimmungsgemäße Aufrufbarkeit grundsätzlich überall zur Stützung eines Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO gegenüber natürlichen Personen als unseriös betrachtet, die nicht gewerblich oder selbstständig beruflich handeln."
Das sind deutliche Worte zur mangelnden Seriosität willkürlicher und im Ergebnis oft schikanöser Gerichtswahl zahlreicher Filesharing-Abmahner. Das Amtsgericht hat - sogar trotz Säumnis des Beklagten - die beim fliegenden Gerichtsstand erhobene Klage eines Software- bzw. Spiele-Labels wegen örtlicher Unzuständigkeit abgewiesen.

Bei der Verurteilung der unseriösen klägerischen Gerichtswahl betonte das Gericht zu recht auch den verfassungsrechtlichen Fairness-Grundsatz:
"Das ist auch gem. Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dieser fordert ein faires Verfahren, auch für den Beklagten des Zivilprozesses."
Dem ist nichts hinzufügen.