Sonntag, 11. August 2013

Wie Filesharing-Abmahnungen zu leicht Vertragsstrafen "ermöglichen"

Mit Update des Erklärungsentwurfes vom 03. Oktober 2013


Die Abfassung einer verantwortbaren modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung stellt gewachsene Herausforderungen an Laien und Juristen, wenn unnötige Schadensrisiken, teure Prozesse und unangemessene Vertragsstrafen möglichst vermieden werden sollen.


Immer häufiger werden in Filesharing-Abmahnungen unter Hinweis auf die sogenannte Störerhaftung viel zu weitgehende Anerkenntnisse und Unterlassungserklärungen verlangt:

So soll der Abgemahnte dem Abmahner die Zahlung hoher Vertragsstrafen zusagen für die Fälle, dass der Internetanschlussinhaber es zukünftig "ermöglicht", urheberrechtlich geschützte Dateien zum Abruf durch andere Filesharing-Teilnehmer "bereitzustellen".

Dabei beziehen sich viele Abmahnungen auf die m. E. recht fragwürdige Tenorierung im kritikwürdigen Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11.01.2013
 
Hintergrund sind die unterschiedlichen sachverhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen einerseits der Täterhaftung (einschließlich Teilnehmer-Haftung) und andererseits der sogenannten Störerhaftung, die ihrerseits etliche unterschiedliche und höchst umstrittene Ausprägungen hat. Dem werden offene und vieldeutige Begriffe wie das "Ermöglichen" und das "Bereitstellen" allerdings kaum gerecht, zumindest nicht ohne geeignete Konkretisierungen und Einschränkungen. Wo fängt das "Ermöglichen" von illegalem Filesharing durch den Internetanschlussinhaber an, wo hört es auf?
 
Soweit sich im Einzelfall überhaupt vorsorglich eine die Störerhaftung ausdrücklich erfassende Unterlassungserklärung empfiehlt, ist dabei aus meiner Sicht neben vielen weiteren erforderlichen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit modifizierten Unterlassungserklärungen an folgende eingrenzende Formulierungsvariante zu denken (zur Ergänzung der modifiziert zugesagten Unterlassungsverpflichtung):
 

"... Die eingegangene Unterlassungsverpflichtung ist so zu verstehen ist, dass sie auch eine sogenannte "Störerhaftung" umfasst im Sinne eines kausalen und schuldhaften zukünftigen Verhaltens, das ein entsprechendes vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen vorhersehbar und vermeidbar außenstehenden, unbefugten Dritten ermöglicht, indem der Zugang zum privaten WLAN-Anschluss des/der Erklärenden nicht pflichtgemäß durch zum Zeitpunkt der Router-Installation und für die vorhandene technische Ausstattung technisch anerkannte, übliche und sinnvolle, dem/der Erklärenden mögliche und zumutbare Maßnahmen gesichert wird, und/oder das ein entsprechendes vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen vorhersehbar und vermeidbar minderjährigen befugten, aber nicht einsichtsfähigen Nutzern des privaten Internetanschlusses ermöglicht oder minderjährigen befugten und einsichtsfähigen Nutzern des privaten Internetanschlusses ermöglicht, wenn letztere nicht pflichtgemäß über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt sind. ..."

Hiermit wird sowohl eine zukünftige (und für die Vergangenheit übrigens keineswegs eingeräumte) Störerhaftung wegen unzureichender realistischer Sicherung des häuslichen WLAN-Netzwerkes als auch der Zugang nicht einsichtsfähiger Kinder oder eine unzureichende Belehrung minderjähriger Kinder erfasst, ohne die Störerhaftung etwa z.B. auf übertriebene Kontroll- und Überwachungspflichten oder vermeintliche Belehrungspflichten gegenüber erwachsenen Kindern oder Ehepartnern auszuweiten.

Auch ein derartiges Erklärungsfragment sollte selbstverständlich grundsätzlich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage sowie für weitergehende Ansprüche und insbesondere auch unter Protest gegen irgendeine Kostentragungspflicht, dennoch allerdings mit rechtlicher Verbindlichkeit abgegeben werden. Darüber hinaus sind - wie immer - auch die spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sorgfältig zu klären und zu berücksichtigen, bevor voreilig Erklärungstexte aus der Abmahnung, aus diversen Internetangeboten oder aus diesem Blog ungeprüft übernommen werden. Das Thema "Unterlassungserklärung" bleibt in jedem Fall spannend und vielschichtig und kann weiteren Streit und weitere Anregungen "ermöglichen".
 
 

Samstag, 22. Juni 2013

Filesharing-Abmahnung beim Pornofilm: Mehr Argumente zur Verteidigung

Hardcore-Abmahner sehen oft recht alt aus


Mit einem aktuellen Beschluss des LG München vom 29.05.2013 (7 O 22293/12) - errungen von den Kollegen SKW Schwarz - zeigt sich, dass bei Filesharing-Abmahnungen wegen "erotischer" Filme zusätzliche, bei der Rechtsverteidigung oft übersehene Gegenargumente existieren, die hier kurz zusammengefasst werden sollen:
  • Die Aktivlegitimation des in der anwaltlichen Abmahnung genannten angeblichen Rechteinhabers ist häufig mehr als zweifelhaft. Die abmahnende Unternehmung ist oft gar nicht der Produzent oder ein Online-Anbieter der erotisch bewegten Bilder. Ableitende Rechteketten werden nicht nachvollziehbar dargelegt.
  • Ein Schutz als Filmwerk nach § 94 UrhG scheitert, wenn an einer persönlichen geistigen Schöpfung i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG fehlt. Dies kann bei bewegten Bildern der Fall sein, die lediglich sexuelle Vorgänge in primitiver Weise zeigen und reine Pornografie darstellen.
  • Selbst ein lediglich subsidiärer und in der Abmahnung regelmäßig gar nicht geltend gemachter Schutz als Laufbilder gem. §§ 94, 95, 128 Abs. 2, 126 Abs. 2 UrhG scheidet aus, wenn ein Ersterscheinen der leibestüchtigen Laufbilder in Deutschland bzw. ein Ersterscheinen im Ausland und ein Nacherscheinen in Deutschland nicht ordnungsgemäß dargelegt werden können – etwa eine Kino-Vorführung, ein Online-Angebot von Video-on-Demand oder der Vertrieb von DVDs.
Auf zusätzliche Gesichtspunkte nicht vorliegender Täterhaftung bzw. nicht erfüllter Störerhaftung oder überhöhter Schadens- und Kosten-Bezifferung kommt es dann nicht einmal mehr streitentscheidend an. Bei Abmahnung wegen angeblicher Tauschbörsen-Teilnahme mit Hardcore-Filmen sieht der oder die abgemahnte Internet-Anschlussinhaber(in) also häufig gar nicht so alt aus wie manche Darsteller.

Samstag, 15. Juni 2013

Kunst-Verbot wegen "Porno"-Falten an der "Seemanns Braut"


 
Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes beschädigte und entfernte in der Ausstellung einer Herforder Atelier-Gemeinschaft ein provokantes Kunstwerk der Künstlerin Alexandra Sonntag aus Bielefeld. Wie die Neue Westfälische in ihrer Wochenend-Ausgabe berichtet, handelt es sich um eine Installation von mehreren Papierschiffchen, die die studierte Künstlerin aus Sex-Heftchen hergestellt hatte. Die Rauminstallation mit dem Titel „Seemanns Braut“ zielte als künstlerischer und kritischer Kommentar auf die Seefahrer-Romantik und die Zurschaustellung weiblicher Sexualität.
Nach einigen Beschwerden von Passanten, die wohl kein (Kunst-)Verständnis beim Blick in das Schaufenster des ostwestfälischen Kunst-Quartiers aufbringen wollten, marschierte ohne Vorankündigung eine Behörden-Vertreterin in die Galerie und entfernte die Installation. Nach Angaben der Atelier-Gemeinschaft wurden dabei einige Schiffchen sogar zertreten.

Vor dem Ausstellungslokal trafen Beamtin und Künstlerin – wie die NW berichtet – dann doch noch zusammen. Das Ordnungsamt rechtfertigt den Eingriff in die Kunstfreiheit mit dem Vorwurf der „Verbreitung pornografischer Schriften“.  Man verständigte sich. Alexandra Sonntag griff zum schwarzen Filzstift und übermalte auf den Faltungen der Schiffchen teilweise erkennbare Geschlechtsteile und baute die Installation wieder auf.
Zwei Kripo-Beamte der Hansestadt Herford nahmen nach der Zensur die „Seemanns Braut“ nochmals in Augenschein, ohne die Ausstellung weiter zu verbieten.

Einerseits hat nun eine ostwestfälische Behörde an der (veränderten) Schaffung eines neuen, das eigene, m. E. verfassungswidrige Verhalten dokumentierenden Kunstwerkes mitgewirkt. Andererseits hat hier behördliche Gewalt einen sehr bedenklichen unverhältnismäßigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Kunstfreiheit und einen provinziellen Eklat produziert, der in seiner Dimension über eine Provinz hinausreicht.

Freitag, 7. Juni 2013

Neues Filesharing-Urteil des LG Köln verlangt mehr Familien-Misstrauen bei Abmahnung und Klage


Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 05.06.2013 (Az. 28 O 346/12) erneut im Zusammenhang mit Filesharing-Vorwürfen einen Familienvater und Inhaber eines häuslichen Internetanschlusses zur Zahlung von Schadensersatz und zur Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten verurteilt zugunsten von vier großen deutschen Musikverlagen. 

Die klagenden Musiklabel behaupten, der beklagte Ehemann und Vater von zwei Kindern habe Nutzungs- und Verwertungsrechten an 15 Musikwerken verletzt – und zwar durch angeblich über den häuslichen Internetanschluss an einem Sonntagvormittag im Juni 2008 vorgenommene illegale Filesharing-Teilnahme.

Der Beklagte hat im Verfahren vorgetragen und durch Zeugen sowie durch sachverständige Analyse der noch vorhandenen Router- und Rechner-Hardware unter Beweis gestellt, dass er zu keinem Zeitpunkt jemals Filesharing betrieben hat - auch nicht an dem in der urheberrechtlichen Klage behaupteten Vormittag. Das Landgericht Köln ist den Beweisantritten allerdings nicht nachgekommen

Auf die anwaltliche Abmahnung hin hatte der Anschlussinhaber eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ohne weitergehende Rechtsanerkenntnisse abgegeben.

Nachdem seine Ehefrau und sowohl der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige, als auch der zum damaligen Zeitpunkt bereits erwachsene Sohn dem Beklagten versichert hatten, ebenfalls kein illegales Filesharing betrieben zu haben, sah dieser keinen Anlass, seine Familienangehörigen gegenüber den Musikverlagen, den abmahnenden Rechtsanwälten oder dem Gericht dennoch vermeintlicher illegaler Filesharing-Teilnahme zu bezichtigen. Der beklagte Familienvater wies allerdings gleichzeitig darauf hin, dass er - ungeachtet seines grundsätzlichen Vertrauens in die Angaben seiner Ehefrau und seiner beiden Söhne - andererseits selbstverständlich naturgemäß etwaige ihm entgangene oder verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen oder von Freunden oder Gästen seiner Familienangehörigen nicht völlig ausschließen kann und dass jede andere Bewertung vermessen wäre. 

Der Beklagte hatte bereits im Jahre 2007 und insbesondere auch in der ersten Hälfte des Jahres 2008 seine Familienmitglieder eingehend auf das Verbot einer öffentlichen Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Musik- oder Filmdateien im Rahmen von sog. Filesharing-Börsen hingewiesen und generell die Teilnahme an Online-Tauschbörsen über seinen häuslichen Internetanschluss untersagt. Diesbezüglich benannte der Beklagte ebenfalls mehrere Zeugen.

Die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat den Beklagten dennoch als angeblichen "Täter" zu Schadensersatz und Kostenerstattung verurteilt.  

Der Beklagte habe eine gegen ihn gerichtete "tatsächliche Vermutung ... nicht erschüttern können, da er keine konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalts dargelegt" habe. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Angaben seiner Familienangehörigen dahingehend, dass auch diese kein Filesharing betrieben haben, grundsätzlich vertraut, und dass der Beklagte auf der anderen Seite gleichzeitig klarstellt, dass er naturgemäß etwaige ihm entgangene oder ihm verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen (oder auch von Gästen seiner Familienangehörigen) nicht völlig ausschließen kann, leitet das Gericht "widersprüchlichen Vortrag" ab, aufgrund dessen der Beklagte "seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen" sei.

Dies wird der Lebenssituation im Zusammenhang mit familiären Internetanschlüssen, den zwangsläufig insoweit oft eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Anschlussinhabers und realistischen Anforderungen an die sekundäre Darlegungspflicht eines familiären Internetanschlussinhabers sowie insbesondere den in dem Zusammenhang zu berücksichtigenden Zumutbarkeitsgrenzen nicht gerecht.

Zumindest hätte das Gericht den Beweisantritten des Beklagten, der schließlich sogar überpflichtmäßig zum Gegenbeweis bereit war, nachkommen müssen. Oder? Ist letzteres wirklich richtig? Nein! Das Gericht hätte nicht den Beweisantritten des Beklagten nachgehen müssen, es hätte allenfalls entsprechenden Beweisantritten der klagenden Musikverlage nachgehen müssen. Die klagenden Musikverlage haben aber von ihrem Recht, derartige, vom Beklagten überpflichtmäßig angebotene Beweismittel auch ihrerseits aufzugreifen, nicht Gebrauch gemacht. Das kann nicht dem nur sekundär Darlegungspflichtigen angelastet werden. Und dies werden die klagenden Musiklabel zivilprozessual auch zweitinstanzlich nicht mehr nachholen können.

Hier das nicht rechtskräftige Urteil im Original-Text:
 










 


























Wie man demgegenüber fair und sachgerecht mit vergleichbaren Fällen familiärer Filesharing-Vorwürfe und diesbezüglichem Sachvortrag des Internetanschlussinhabers bzw. der Internetanschlussinhaberin umgeht, zeigt - neben Entscheidungen auch des OLG Köln - sehr anschaulich u.a. das Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 O 353/11).

Freitag, 24. Mai 2013

Gestörte Störerhaftung und BGH-Thesen im Urteil zu Google-„Autocomplete“

    Mit Updates vom

    26.05.2013 und 08.04.2014 und 11.04.2014


  • Haftet Google für Kombinationen mit Suchwortergänzungen? 
  • Welchen Sinngehalt haben die generierten begrifflichen Kombinationen? 
  • Und wie weit geht die Störerhaftung?
1. Nimmt ein Betroffener den Betreiber einer Internet Suchmaschine mit Suchwortergänzungsfunktion auf Unterlassung der Ergänzung persönlichkeitsrechtsverletzender Begriffe bei Eingabe des Namens des Betroffenen in Anspruch, setzt die Haftung des Betreibers die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus.
2. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.
3. Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Auf die Revision der Kläger wurde das Berufungsurteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 10.05.2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

 

Sachverhalt:

Gegen Google machen eine Aktiengesellschaft, die im Internet über ein "Network-Marketing-System" Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika vertreibt, sowie deren Gründer und Vorstandsvorsitzender Unterlassungs- und Geldentschädigungsansprüche und ferner den Ersatz außergerichtlicher Abmahnungskosten geltend wegen als rechtsverletzend gerügter „predictions“ im Rahmen der "Autocomplete"-Funktion.

Die auftauchenden Suchvorschläge werden durch eine von Google entwickelte und eingesetzte Software auf der Basis eines Algorithmus ermittelt, der u.a. die Anzahl der von anderen Nutzern eingegebenen Suchanfragen einbezieht.

Bei Eingabe des klägerischen Namens erschienen im Wege der "Autocomplete"-Funktion per sich öffnendem Fenster als Kombinations-Vorschläge die Worte "Scientology" und "Betrug". Dadurch sehen sich die Kläger in ihrem Persönlichkeitsrecht und in ihrem geschäftlichen Ansehen verletzt, da der Vorstandsvorsitzende weder in irgendeinem Zusammenhang mit Scientology stehe, noch sei ihm ein Betrug vorzuwerfen oder je ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden. Zudem sei in keinem einzigen Suchergebnis eine Verbindung zwischen dem Kläger und "Scientology" bzw. "Betrug" ersichtlich.

Die Kläger haben zunächst im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung vom 12. Mai 2010 erwirkt, durch die Google verboten wurde, nach Eingabe des Namens des Klägers als Suchbegriff im Rahmen der "Autocomplete"-Funktion die ergänzenden Kombinationsbegriffe "Scientology" und "Betrug" vorzuschlagen.

 

Nach Abmahnung und zunächst ergangener einstweiliger Verfügung haben sowohl die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln als auch das OLG Köln die Klage abgewiesen, weil den automatisierten Suchergänzungsvorschlägen in der Suchmaschine kein eigener Aussagegehalt beizumessen sei. Aus Sicht eines durchschnittlichen Nutzers lasse sich der Anzeige der Ergänzungssuchbegriffe lediglich die eigene Aussage der Suchmaschine entnehmen, dass mehrere vorherige Nutzer die gewählten Begriffskombinationen zur Recherche eingegeben hätten oder dass sich die Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhalten jeweils als solche auffinden ließen. Diese Aussage sei wahr und daher von den Klägern hinzunehmen.. Das OLG hat die Revision zugelassen.

 

Zur Urteilsbegründung:

 
Nach Einschätzung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes reichen demgegenüber die bisher in den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen (noch?) nicht aus, die Klage gegen Google abzuweisen.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter beinhalten die dem klägerischen Namen zugewiesenen Suchwortergänzungsvorschläge "Scientology" und "Betrug" doch einen verletzenden Aussagegehalt und damit eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Kläger.

Der mit dem Begriff "Scientology" in Verbindung mit dem Namen einer real existierenden Person zum Ausdruck gebrachte Sinngehalt ließe sich „hinreichend dahin spezifizieren“, dass zwischen dieser Sekte und der namentlich erwähnten Person „eine Verbindung besteht“, die auch geeignet sei, „eine aus sich heraus aussagekräftige Vorstellung hervorzurufen“. Aber welche von etlichen denkbaren "Verbindungen"? Welche konkrete "aussagekräftige" Vorstellung?


Mit der Verwendung des Begriffes „Betrug“ verbinde der Durchschnittsleser „zumindest ein sittlich vorwerfbares Übervorteilen eines anderen“ und verleihe ihm damit „einen hinreichend konkreten Aussagegehalt“.

Der BGH widerspricht der Auffassung der Vorinstanzen, dass man den von der Suchmaschine der Beklagten angezeigten Ergänzungssuchvorschlägen lediglich die Aussage entnehmen könne, dass vorherige Nutzer die gewählten Begriffskombinationen zur Recherche eingegeben haben oder dass sich die Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhalten auffinden lassen. Die mit Google nach Informationen suchenden Internetnutzer erwarteten von den ihnen nach der Eingabe des Suchbegriffs angezeigten ergänzenden Suchvorschlägen eben doch „einen inhaltlichen Bezug zu dem von ihm verwandten Suchbegriff“, würden ihn zumindest für möglich halten. Hierzu heißt es im Urteil:

 
„Aus dem "Ozean von Daten" werden dem suchenden Internetnutzer von der Suchmaschine der Beklagten nicht x-beliebige ergänzende Suchvorschläge präsentiert, die nur zufällig "Treffer" liefern. Die Suchmaschine ist, um für Internetnutzer möglichst attraktiv zu sein - und damit den gewerblichen Kunden der Beklagten ein möglichst großes Publikum zu eröffnen - auf inhaltlich weiterführende ergänzende Suchvorschläge angelegt. Das algorithmusgesteuerte Suchprogramm bezieht die schon gestellten Suchanfragen ein und präsentiert dem Internetnutzer als Ergänzungsvorschläge die Wortkombinationen, die zu dem fraglichen Suchbegriff am häufigsten eingegeben worden waren. Das geschieht in der - in der Praxis oft bestätigten - Erwartung, dass die mit dem Suchbegriff bereits verwandten Wortkombinationen - je häufiger desto eher - dem aktuell suchenden Internetnutzer hilfreich sein können, weil die zum Suchbegriff ergänzend angezeigten Wortkombinationen inhaltliche Bezüge widerspiegeln.“

Die vom BGH gewählte Figur „inhaltlicher Bezüge“ ist abstrakt und substanzlos und eine daran festgemachte vermeintliche Nutzer-Erwartung bereits deshalb m.E. sehr fragwürdig. Umso fragwürdiger aber erscheint mir die These, den streitgegenständlichen Wort-Komplettierungen sei die Aussage zu entnehmen, zwischen dem Kläger und den Begriffen "Scientology" und/oder "Betrug" bestehe ein sachlicher Zusammenhang. Selbst wenn man dem folgen wollte, fragt sich doch, welcher Art diese Verbindung denn sein soll, beispielsweise als Täter oder als Opfer oder etwa nur als Berichterstatter?

Die vom BGH dennoch ohne diesbezügliche Differenzierung und Problematisierung bejahte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger will das Gericht der Betreiberin der Suchmaschine auch unmittelbar zurechnen. Google habe per selbst geschaffenem Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und sodann den Nutzern die entsprechenden Vorschläge unterbreitet. Google und nicht Dritte hätten die Verknüpfungen der Begriffe „hergestellt“ und im Netz zum Abruf bereitgehalten. Sie stammten deshalb unmittelbar von Google. Dieses so schlicht zu behaupten, ersetzt m. E. keine überzeugende Begründung.


Google haftet allerdings auch nach Auffassung des BGH nicht unbedingt für jede Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Suchvorschläge. Zwar sei Google nicht bereits nach
§ 10 TMG von der Verantwortlichkeit für den Inhalt der von ihr betriebenen Website befreit. Google sei Diensteanbieter i. S. v. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG, der eigene Informationen zur Nutzung bereit hält und deshalb auch gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sei. Google würde im vorliegenden Fall nicht wegen der Durchleitung, Zwischenspeicherung oder Speicherung fremder Informationen in Anspruch genommen, sondern wegen „einer eigenen Information“, nämlich „konkret wegen der als Ergebnisse ihres Autocomplete-Hilfsprogramms dem Nutzer ihrer Internet-Suchmaschine angezeigten Suchwortergänzungsvorschläge“. Es ginge insofern um einen von Google angebotenen "eigenen" Inhalt und nicht um das Zugänglichmachen und/oder Präsentieren von Fremdinhalten, für die ein Diensteanbieter gemäß §§ 8 bis 10 TMG nur eingeschränkt verantwortlich ist. Auch an dieser Stelle wird Begründung durch schlichte These ersetzt.

Bei der Abwägung der Interessen der Kläger am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte einerseits und der durch
Art. 2, 5 Abs. 1 und 14 GG geschützten Interessen von Google auf Meinungs- und wirtschaftliche Handlungsfreiheit andererseits berücksichtigt der Bundesgerichtshof, dass Google die Suchmaschinenfunktion zwar in ihrem eigenen geschäftlichen Interesse in der beschriebenen Weise betreibt, um Nutzer wegen der Effektivität der Suche an sich zu binden. Doch würden die Nutzer ihrerseits daraus den Vorteil einer begriffsorientierten Suche nach Daten und Informationen ziehen. Auf Seiten der Kläger sei für die Abwägung entscheidend, dass die verknüpften Begriffe einen unwahren Aussagegehalt hätten, weil der Kläger zu 2 weder in Verbindung mit einem Betrug gebracht werden könne, noch Scientology angehöre oder auch nur nahe stände. Äußerungen von unwahren Tatsachen müssten nicht hingenommen werden. Welche ausreichend substanzreiche Tatsachenbehauptung hier vermeintlich vorliegt, bleibt im Unklaren.

Jedenfalls könne eine Haftung von Google „als Störerin nicht von vornherein verneint werden“.

Eine Täterhaftung prüft der BGH immerhin erst gar nicht.

Selbst bei einer etwaigen Störerhaftung müsse Google allerdings nicht uneingeschränkt und unabhängig von Zumutbarkeitsgesichtspunkten haften, da nach den besonderen Umständen des Streitfalles der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liege. Das Entwickeln und die Verwendung der die Suchvorschläge erarbeitenden Software sei Google doch nicht vorzuwerfen, da es sich hierbei um eine durch
Art. 2, 14 GG geschützte wirtschaftliche Tätigkeit handele. Ein „Fallrückzieher“ der Karlsruher?

Der BGH verkennt nicht, dass das Suchmaschinenangebot zumindest nicht von vornherein auf eine Rechtsverletzung durch eine gegen eine bestimmte Person gerichtete unwahre Tatsachenbehauptung abzielt, da erst durch das Hinzutreten eines bestimmten Nutzerverhaltens „ehrverletzende Begriffsverbindungen entstehen“ können.

Die Tätigkeit von Google sei aber nicht nur rein technischer, automatischer und passiver Art und nicht ausschließlich beschränkt auf die Bereitstellung von Informationen für den Zugriff durch Dritte.

Google verarbeite die Abfragedaten der Nutzer in einem eigenen Programm, das die Begriffsverbindungen dann bilde. Für deren Angebot in Form eigener Suchvorschläge sei Google „grundsätzlich aufgrund der ihr zuzurechnenden Erarbeitung verantwortlich“. Google müsse sich grundsätzlich vorwerfen lassen, „keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen zu haben, um zu verhindern, dass die von der Software generierten Suchvorschläge Rechte Dritter verletzen“. Schon wieder eine argumentative Kehrtwende?
 
Google sei allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, die generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Da dies den Betrieb einer Suchmaschine mit einer der schnellen Recherche der Nutzer dienenden Suchergänzungsfunktion entweder sogar unmöglich machen, zumindest aber unzumutbar erschweren würde. Den Betreiber einer Internet-Suchmaschine treffe deshalb grundsätzlich erst bei Kenntnis von einer Rechtsverletzung – z.B. durch Hinweise des Betroffenen - eine Prüfungspflicht und die Verpflichtung, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Da das Oberlandesgericht Köln keine rechtliche Würdigung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Prüfungspflichten vorgenommen habe und auch einen - nur in engen Grenzen zu gewährenden - Anspruch auf Geldentschädigung sowie einen etwaigen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht geprüft habe, sei dies nun nachzuholen.

Die Argumentationswendungen des BGH erscheinen bemüht und dabei wenig überzeugend und machen die rechtliche Einordnung und Prognose der Rechtsfigur einer „Störerhaftung“ nicht transparenter und nicht einfacher.

Update vom 26.05.2013:

Wenn beim Suchwort "Merkel" Google's Suchmaschine 
den Ergänzungsbegriff "Waffen" vorschlägt,

bei der Suche nach "Guido Westerwelle" dieser mit der BGH-Lesart durch
Autocomplete dann wohl zum "Vater" gemacht wird und

bei der Google-Suche nach Bundespräsident "Joachim Gauck"
die etwa diskreditierende Assoziation "Steckbrief" auftaucht,

wird deutlich, das die höchstrichterlichen Bewertungen über
"Erwartungen", "Zusammenhänge", "Verknüpfungen", "Verbindungen", "Bezüge", "Inhalte", "Informationen", "Aussagegehalt" und "Tatsachen"
im Zusammenhang mit der Autocomplete-Funktion den tatsächlichen technischen und medialen Abläufen und Verständnissen nicht ausreichend differenziert gerecht werden. Die Kombination eines Namens mit einem Wort ist und bleibt so mehrdeutig und damit gleichzeitig so substanzlos unkonkret und nichtssagend-vielsagend, dass ein derartig begründetes Verbot die Informationsfreiheit und Kommunikationsfreiheit in gefährlicher Weise beeinträchtigen würde.
 Da werden voraussichtlich auch das Bundesverfassungsgericht und der EuGH noch "Ergänzungen" zu "komplettieren" haben. 

Update vom 08.04.2014: 

Das OLG Köln hat Google nun mit Urteil vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, teilweise (hinsichtlich der Suchwortergänzung "Scientology") zur Unterlassung verurteilt, weil Google auf die diesbezügliche Löschungsaufforderung nicht reagiert hatte. Geldentschädigungen wurden nicht zugesprochen. Eine nochmalige Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Die Kläger können Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen. Die Entscheidungsgründe des OLG liegen noch nicht vor.

 

Update vom 11.04.2014:

Heute liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe des OLG-Urteils aus Köln vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, vor. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung auf der Basis der oben von mir kommentierten Wertungen des BGH aus dessen Urteil vom 14.05.2013. Da werden Google auf der einen Seite und zahlreiche Anwälte auf der anderen Seite ja noch viel zu tun bekommen im Streit um so manche Suchwortkombination.




Sonntag, 19. Mai 2013

Das P2P-Pfingstwunder oder Der Filesharing-Geist

Eine Glosse über die fromme Sprache und den süßen Wein der Abmahnung


 


Und als der Tag von Pfingsten und Kommunikationsfreiheit erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah schnell ein Browser vom Himmel wie eines gewaltigen Daten-Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie an ihren Rechnern, Laptops, Tabletts und Ultrabooks saßen. Und es erschienen ihnen Zungen und Hashwerte, zerteilt und geteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und sie wurden alle voll des Filesharing-Geistes und fingen an, zu predigen und zu mahnen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab gefährliche Unterlassungserklärungen auszusprechen.

Es waren aber Abgemahnte und als Störer Verschriene in den Netz-Gemeinden, an den IP-Adressen und an den Hot Spots wohnend, die waren gottesfürchtige Frauen und Männer aus allerlei Volk, das unter dem Internet-Himmel ist. Da nun diese vermeintlich jüngstrichterliche Abmahnstimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit ihrer und seiner Sprache über ihren und seinen Internetanschluss, über Lieder und Choräle, Bücher und Spiele, Taufen und Tauschbörsen redeten und über Lizenzanalogien spekulierten.

Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da rasch reden, aus Geldiläa? Oder doch frommer aus Waldorf? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache und seinen Dialekt, darin wir geboren sind? Hamburger und Frankfurter, Münchener und Berliner, und die wir wohnen in Mecklenburg-Vorpommern und in Bavaria, Ludwigshafen und Kaltenkirchen, Colonia und Ostfriesland, Baden-Württemberg, Bielefeld und Norderney, Lipperland, Münsterland und an den Enden von Schleswig-Holstein bei Flensburg und Ausländer von Rom, wie auch Polen und Türken: wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten der Rechteverwerter reden.

Sie entsetzten sich aber alle und drohten, irre zu werden, und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Die andern aber hatten's ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

Prosit und frohe Pfingsten.
(sehr frei nach Lukas)

Samstag, 4. Mai 2013

Blogger-Casting und Medienrecht: Wie man "Wirtschaftsrecht" mit Humor nimmt

Da war ich doch kurz sprachlos, kurz - wie gesagt:

In einer nicht repräsentativen Umfrage im Kartellblog des Kollegen Johannes Zöttl wurde petrings.de unter die vermeintlich zwei besten Blogs zum Thema "Wirtschaftsrecht" gewählt.

Ganz herzlichen Dank. Die Auszeichnung kann ich allerdings - trotz all meiner Unbescheidenheit und bei allem Humor - nicht annehmen. Dazu erscheint mir das von mir bloggend und anwaltlich beackerte Feld des Medienrechts doch als ein zu spezieller Ausschnitt von Wirtschaftsrecht, wie ich es verstehe. Oder sind wir alle ein bisschen "Wirtschaftsrecht"? Zumindest handelt es sich bei dem in meinen Beiträgen so oft und so heftig kritisierten "Geschäftsmodell" der Filesharing-Abmahnung um einen für die Rechte-Industrie lukrativen Wirtschaftszweig. Immerhin.

Weder die Leserinnen und Leser von kartellblog.de, noch die gelegentlichen Besucherinnen und Besucher von petrings.de müssen aber befürchten, dass ich die freundliche Auszeichnung überinterpretiere ... obwohl, gefreut habe ich mich dennoch. Und aus Anlass des überraschenden Blogger-Castings werde ich kurzfristig mal wieder einen Beitrag zum MEDIENRECHT fabrizieren; versprochen.

Donnerstag, 21. März 2013

Woran Filesharing-Abmahnungen immer häufiger kranken: Prüfungsstress, Kontrollwahn und Vermutungsfieber




So langsam wird einem Großteil der von der Rechte-Industrie massenhaft unters Volk gebrachten Filesharing-Abmahnungen zunehmend der schwankende Boden unter den tönernen Füßen weggezogen.

Neuster Mosaikstein auf diesem weggezogenen Boden ist das gestern vom Kollegen Solmecke bekannt gegebene aktuelle Urteil des Landgerichts Köln vom 14.03.2013 (Az. 14 O 320/12). Die 14. Zivilkammer des LG Köln hatte über die etwaige Störerhaftung des Hauptmieters einer Studenten-WG zu entscheiden und in dem Zusammenhang unter anderem ausgeführt:
„Nach Auffassung der Kammer bestehen auch keine anlasslosen Prüfungs- und Belehrungspflichten gegenüber seinen Untermietern, die nicht in seinem Haushalt wohnen. Prüfungs- und Kontrollpflichten vor Ort könnte der Hauptmieter, der die Räumlichkeiten und den Internetanschluss vollständig an die Untermieter überlässt, nicht erfüllen, wollte er nicht die im Rahmen des Mietverhältnisses geschuldete Unverletzlichkeit der Privatsphäre des Mieters verletzen. Auch eine gesonderte Belehrung ist nicht erforderlich, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung bestehen. Denn aus dem Untermietverhältnis folgen Schutz- und Rücksichtnahmepflichten der Untermieter, die auch die ordnungsgemäße und rechtmäßige Nutzung des Internetanschlusses umfassen, die ihnen im Rahmen des Untermietverhältnisses gestattet war.“
Es scheitern zunehmend die Versuche der Abmahnungs-Lobby, die jeweils offiziellen Inhaber oder Inhaberinnen des jeweiligen Internetanschlusses zu Oberlehren und Ober-Kontrollettis gegenüber den übrigen Nutzerinnen und –Nutzern des jeweiligen Internetanschlusses zu generieren. Immer mehr Gerichte erkennen, dass gekünstelte Einweisungs- und Disziplinierungs-Szenarien genauso realitätsfern und im Ergebnis asozial sind wie ein übertriebener, von einem inhumanen Misstrauensdogma gespeister Überwachungs- und Kontrollwahn.

Pauschale Besserwisserei und aufoktroyierter Prüfungsstress gehören nicht in das erwachsene Zusammenleben von Wohngemeinschaften und Lebensgemeinschaften. Dort sollte man sich vielmehr auf Augenhöhe begegnen. Allenfalls dann, wenn der Anschlussinhaber, wie es das Landgericht Köln formuliert hat, in der Nutzergruppe  
„… einen Informationsvorsprung hinsichtlich der Benutzung und der Gefahren des Internets …“
hat, wäre der Anschlussinhaber bzw. die Anschlussinhaberin
„… kraft überlegenen Wissens verpflichtet … , eine Belehrung auszusprechen, wie dies etwa im Verhältnis der sorgepflichtigen Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern der Fall ist.“
Hinsichtlich der genaueren Ausprägung der diesbezüglichen Eltern-Pflichten bleibt den schriftlichen Entscheidungsgründen des jüngsten Filesharing-Urteil des Ersten Zivilsenats des BGH vom 15.11.2012 („Morpheus“ – Az. I ZR 74/12) entgegenzusehen. Der Bundesgerichtshof hat vor vier Monaten auch gegenüber minderjährigen Kindern mit ausreichender Einsichtsfähigkeit eine von Misstrauen geprägte Prüfungs- und Überwachungspflicht jedenfalls eindeutig abgelehnt.

Eines der nächsten Fallstricke für die tönernden Füße so mancher Filesharing-Abmahnung werden weitere gerichtliche Klarstellungen zum tatsächlichen Umfang der häufig überinterpretierten sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ sein, mit der praktisch (oder besser unpraktisch) jedem Anschlussinhaber bzw. jeder Anschlussinhaber ohne weiteres per se illegales Filesharing unterstellt werden soll, obwohl die Internetanschlüsse wohl zumindest nicht weniger häufig von Nicht-Anschlussinhaberinnen oder –inhabern benutzt werden. Was soll dann bei nachweislich mehreren regelmäßigen Anschlussnutzern gerade eine „tatsächliche Vermutung“ zu Lasten der beim Internet-Service-Provider offiziell (und oft zufällig oder beliebig) registrierten Person begründen. Oder gibt es eine gesetzliche Halterhaftung für Internetanschlüsse? Nein, es gibt sie nicht. Aber es gibt noch einiges zu tun bei der Offenlegung der oft mangelhaften Grundlagen unzähliger auf Prüfungsstress, Besserwisserei, Kontrollwahn sowie Vermutungs- und Verdächtigungs-Fieber gestützter Tauschbörsen-Abmahnungen und deren "Heilung".

Montag, 18. Februar 2013

"Rasch" noch 'ne Unterlassungserklärung zur Filesharing-Abmahnung?

 

Wen stört die Störerhaftung?                         In letzter Zeit erhalten immer mehr (Alt-)Empfänger von Filesharing-Abmahnungen neue Anwaltspost - insbesondere aus Hamburg. Darin wird trotz bereits abgegebener Unterlassungserklärung "rasch" die Abgabe weiterer Erklärungen verlangt oder zumindest angeregt - mit der Andeutung ansonsten bestehender zusätzlicher Prozessrisiken. Die vorausgegangene Erklärung decke die Störerhaftung nicht ab.


Die Abfassung einer interessengerechten modifizierten strafbewehrtenUnterlassungserklärung stellt gewachsene Herausforderungen an Laien und Juristen, erst recht, wenn nachträglich vom Abmahner "Nachschlag" verlangt wird. Welche - zusätzliche - Formulierung ist verantwortbar und schadensmindernd und vermeidet unnötige Vertragsstrafen und unnötige Prozessrisiken?

Vormals von der Mehrzahl der Abmahnanwälte akzeptierte Erklärungsinhalte dahingehend, es zukünftig zu unterlassen, das geschützte oder die geschützten Werke des vermeintlichen Rechteinhabers im Internet im Rahmen sogenannter Tauschbörsen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werden immer öfter als unzureichend gerügt, wobei einige Abmahner auch den Zusatz "oder öffentlich zugänglich machen zu lassen" nicht mehr als ausreichend akzeptieren. Häufig wird nun verlangt, verknüpft mit dem jeweiligen Vertragsstrafen-Versprechen zuzusagen, zukünftig jedes "Bereitstellen" (so der m.E. fragwürdig tenorierte, berüchtigte Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11.01.2013) von Werk-Daten zum Abruf durch andere Filesharing-Teilnehmer oder jedes "Ermöglichen" der jeweils in Rede stehenden, angeblichen Rechtsverstöße zu unterlassen.

"Ermöglichen" ist ein sehr weiter, ein zu weiter Begriff.

Hintergrund sind die unterschiedlichen sachverhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen einerseits der Täterhaftung (einschließlich Teilnehmer-Haftung) und andererseits der sogenannten Störerhaftung, die ihrerseits etliche unterschiedliche und höchst umstrittene Ausprägungen hat. Dem wird eine offene und vieldeutige Vokabel wie das "Ermöglichen" nicht gerecht.

Deshalb an dieser Stelle der hoffentlich zu Kritik, Ergänzung, Verbesserung und/oder Verwerfung aufmunternde, auf den ersten Blick vielleicht etwas kryptische Vorschlag, neben selbstverständlich zahlreichen weiteren erforderlichen Überlegungen im Zusammenhang mit einer modifizierten Unterlassungserklärung derzeit (vorbehaltlich ausstehender Erkenntnisse z. B. hinsichtlich der noch nicht veröffentlichten Entscheidungsgründe zum Urteil des BGH vom 15.11.2012) folgendes Formulierungsfragment konkretisierend in die UE aufzunehmen:
"... wobei die Unterlassungsverpflichtung so zu verstehen ist, dass sie auch eine sogenannte "Störerhaftung" umfasst, ein etwaiges schuldhaftes zukünftiges Verhalten, das ein entsprechend vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen außenstehenden, unbefugten Dritten ermöglicht, indem der Zugang zum privaten WLAN-Anschluss des/der Erklärenden pflichtwidrig nicht in zumutbarer und hinreichender Art gesichert wird und/oder indem minderjährige befugte Nutzer des privaten Internetanschlusses nicht pflichtgemäß über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt werden. ..."

Hiermit wird sowohl eine zukünftige (und für die Vergangenheit übrigens keineswegs eingeräumte) Störerhaftung wegen unzureichender Sicherung des häuslichen WLAN-Netzwerkes als auch eine unzureichende Belehrung minderjähriger Kinder erfasst, ohne die Störerhaftung etwa z.B. auf übertriebene Kontroll- und Überwachungspflichten oder vermeintliche Belehrungspflichten gegenüber erwachsenen Kindern oder Ehepartnern auszuweiten.

Auch das vorstehende Erklärungsfragment sollte in der Mehrzahl der Fälle natürlich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage sowie für weitergehende Ansprüche und insbesondere auch unter Protest gegen irgendeine Kostentragungspflicht, dennoch allerdings mit rechtlicher Verbindlichkeit, abgegeben werden. Darüber hinaus sind immer auch die jeweiligen spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sorgfältig zu klären und zu berücksichtigen.

Mit der vorstehenden ergänzenden Erklärung sollte möglichst auch ausdrücklich keine Aufnahme oder Fortsetzung von Verhandlungen über vermeintliche Ansprüche oder über vermeintliche Ansprüche begründende Umstände verbunden werden, außer dies und eine damit ggf. verbundene Hemmung einer noch laufenden Verjährungsfrist sind gewollt.

Der Entwurf ermöglicht vielleicht, die von einigen Gerichten und Anwälten propagierte ausufernde Formulierung der "Ermöglichung" von Urheberrechtsverletzungen in angemessener Weise einzugrenzen und damit auch das Risiko zu weitgehender vertraglicher Bindungen im Rahmen einer vertragsstrafenbewehrten Unterlassungserklärung zu minimieren. Verlangt der Abmahner die Erfassung weitergehender Haftungsszenarien, wird er m.E. entsprechende konkrete Verstoßsachverhalte darlegen und beweisen müssen, was schwierig werden dürfte.

In jedem Fall kann der oben zitierte Entwurfsauszug nur eine vorläufige Handhabung bei Filesharing-Abmahnungen sein, da anstehende höchstrichterliche Entscheidungen noch weitere Klärungen herbeiführen können, die neue Formulierungsanpassungen sinnvoll machen. 

Donnerstag, 24. Januar 2013

"Grundrecht auf Internet" und Nutzungsausfall für eine Lebensgrundlage

Mit Update vom 21. Februar 2013

Das Urteil des BGH vom 24.01.2013 (Az. III ZR 98/12), das dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens grundsätzlich Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses und die damit entgangenen Nutzungsmöglichkeiten zuspricht, kann in seiner Bedeutung weit über finanzielle Regress-Phantasien hinausgehen. Wenn Karlsruhe das Internet als Lebensgrundlage anerkennt, ist es vielleicht kein zu weiter Weg zum "Grundrecht auf Internet":


Der Inhaber eines DSL-Internetanschlusses verlangt mit prozessualem Erfolg Schadensersatz für die wegen einer technisch missglückten Tarifumstellung fortgefallene Möglichkeit, seinen DSL-Anschluss während eines Zeitraums von ca. zwei Monaten für die Festnetztelefonie und den Telefaxverkehr (Voice und Fax over IP, VoIP) sowie insbesondere auch für den Internetverkehr zu nutzen.

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung bleibt Nutzungsausfall für Wirtschaftsgüter grundsätzlich solchen Fällen vorbehalten, "in denen sich die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt". 

Das wird für den Ausfall eines Telefaxes ausdrücklich verneint, da ein Telefax lediglich ermöglicht, "Texte oder Abbildungen bequemer und schneller als auf dem herkömmlichen Postweg zu versenden", ohne dass sich dies im privaten Bereich signifikant auswirkt, zumal das Telefax zunehmend beispielsweise durch E-Mail verdrängt wird. Im Ergebnis hat der BGH auch für den Ausfall des Festnetztelefons einen Anspruch auf Nutzungsausfall verneint, obwohl die Nutzungsmöglichkeit des Telefons ein Wirtschaftsgut darstellt, "dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensgestaltung von zentraler Wichtigkeit ist". Nutzungsausfall für das Festnetztelefon wird aber verneint, weil dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz z. B. per Mobiltelefon zur Verfügung steht und ihm der hierfür anfallende Mehraufwand ersetzt wird. 

Zur Bedeutung der darüber hinausgehenden Nutzungsmöglichkeiten eines Internetanschlusses heißt es in der Pressemitteilung des III. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes:

 Demgegenüber hat der Senat dem Kläger dem Grunde nach Schadensersatz für den Fortfall der Möglichkeit zuerkannt, seinen Internetzugang für weitere Zwecke als für den Telefon- und Telefaxverkehr zu nutzen. Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. Der überwiegende Teil der Einwohner Deutschlands bedient sich täglich des Internets. Damit hat es sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. (Fettdruck durch den Verfasser)
Mit dieser höchstrichterlichen Analyse und Bewertung ist in Karlsruhe das Tor geöffnet worden auch für zeitgerechte und mediengerechte Einordnungen in Richtung einer Art "Grundrecht auf Internet" - vor dem Hintergrund der gerichtlich anerkannten aktuellen Lebens- und Kommunikationswirklichkeit sowie der damit korrespondierenden schutzwürdigen Bedürfnisse und Interessen samt den verfassungsrechtlich normierten Grundrechten der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auch der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) sowie den Rechten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 GG) und den grundgesetzlichen Garantien und Prinzipien zu elterlicher Erziehung und schulischer Bildung (vgl. Art. 6 und 7 GG) und nicht zuletzt dem Sozialstaatsprinzip des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG.

Das heutige BGH-Urteil kann der unumkehrbare Beginn lebensnaher höchstrichterlicher Ankunft in der Wirklichkeit "2.0"  bzw. der Realität von "Social Media" sein. Da öffnen sich weitere Argumentationsfenster gegen Netzsperren und Three- oder Six-Strikes-Modelle.

Update vom 21. Februar 2013 

Zwischenzeitlich liegt das Urteil des BGH vom 24.01.2013 im Volltext vor.
Auch darin finden u.a. "Foren, Blogs und soziale Netzwerke" signifikante und relevante Erwähnung:

Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer, jedenfalls vor dem hier maßgeblichen Jahreswechsel 2008/2009 beginnender Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Das Internet stellt weltweit umfassende Informationen in Form von Text-, Bild-, Video- und Audiodateien zur Verfügung. Dabei werden thematisch nahezu alle Bereiche abgedeckt und verschiedenste qualitative Ansprüche befriedigt. So sind etwa Dateien mit leichter Unterhaltung ebenso abrufbar wie Informationen zu Alltagsfragen bis hin zu hochwissenschaftlichen Themen. Dabei ersetzt das Internet wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien, wie zum Beispiel Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern, etwa über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Zudem wird es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt (von der unübersehbaren Vielfalt z.B. nur: Fernabsatzkäufe, Hotel-, Bahn- und Flugbuchungen, Erteilung von Überweisungsaufträgen, Abgabe von Steuererklärungen, An- und Abmeldung der Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie der Müllabfuhr, Verifikation von Bescheinigungen). Nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag des Klägers bedienen sich nahezu 70 % der Einwohner Deutschlands des Internets, wobei dreiviertel hiervon es sogar täglich nutzen. Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. Die Unterbrechung des Internetzugangs hat typischerweise Auswirkungen, die in ihrer Intensität mit dem Fortfall der Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu nutzen, ohne weiteres vergleichbar sind.