Mit Updates vom
26.05.2013 und 08.04.2014 und 11.04.2014
- Haftet Google für Kombinationen mit Suchwortergänzungen?
- Welchen Sinngehalt haben die generierten begrifflichen Kombinationen?
- Und wie weit geht die Störerhaftung?
1.
Nimmt ein Betroffener den Betreiber einer Internet Suchmaschine mit
Suchwortergänzungsfunktion auf Unterlassung der Ergänzung
persönlichkeitsrechtsverletzender Begriffe bei Eingabe des Namens des
Betroffenen in Anspruch, setzt die Haftung des Betreibers die Verletzung
zumutbarer Prüfpflichten voraus.
2. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von
der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.
3. Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines
Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige
Verletzungen zu verhindern.
Auf die Revision der Kläger wurde das Berufungsurteil des 15. Zivilsenats des OLG
Köln vom 10.05.2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Gegen Google machen eine Aktiengesellschaft, die im Internet über ein
"Network-Marketing-System" Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika
vertreibt, sowie deren Gründer und Vorstandsvorsitzender Unterlassungs- und
Geldentschädigungsansprüche und ferner den Ersatz außergerichtlicher
Abmahnungskosten geltend wegen als rechtsverletzend gerügter „predictions“ im
Rahmen der "Autocomplete"-Funktion.
Die auftauchenden Suchvorschläge werden durch eine von
Google entwickelte und eingesetzte Software auf der Basis eines Algorithmus
ermittelt, der u.a. die Anzahl der von anderen Nutzern eingegebenen
Suchanfragen einbezieht.
Bei Eingabe des klägerischen Namens erschienen im Wege der
"Autocomplete"-Funktion per sich öffnendem Fenster als Kombinations-Vorschläge
die Worte "Scientology" und "Betrug". Dadurch sehen sich
die Kläger in ihrem Persönlichkeitsrecht und in ihrem geschäftlichen Ansehen
verletzt, da der Vorstandsvorsitzende weder in irgendeinem Zusammenhang mit
Scientology stehe, noch sei ihm ein Betrug vorzuwerfen oder je ein
entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden. Zudem sei in
keinem einzigen Suchergebnis eine Verbindung zwischen dem Kläger und
"Scientology" bzw. "Betrug" ersichtlich.
Die Kläger haben zunächst im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung vom 12.
Mai 2010 erwirkt, durch die Google verboten wurde, nach Eingabe des Namens des
Klägers als Suchbegriff im Rahmen der "Autocomplete"-Funktion die
ergänzenden Kombinationsbegriffe "Scientology" und "Betrug"
vorzuschlagen.
Nach Abmahnung und zunächst ergangener einstweiliger Verfügung
haben sowohl die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln als auch das OLG Köln
die Klage abgewiesen, weil
den automatisierten Suchergänzungsvorschlägen in der Suchmaschine kein eigener
Aussagegehalt beizumessen sei. Aus Sicht eines durchschnittlichen Nutzers lasse
sich der Anzeige der Ergänzungssuchbegriffe lediglich die eigene Aussage der
Suchmaschine entnehmen, dass mehrere vorherige Nutzer die gewählten
Begriffskombinationen zur Recherche eingegeben hätten oder dass sich die
Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhalten jeweils als solche auffinden
ließen. Diese Aussage sei wahr und daher von den Klägern hinzunehmen.. Das OLG
hat die Revision zugelassen.
Zur Urteilsbegründung:
Nach Einschätzung des VI. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofes reichen demgegenüber die bisher in den Vorinstanzen getroffenen
Feststellungen (noch?) nicht aus, die Klage gegen Google abzuweisen.
Nach Auffassung der Karlsruher Richter beinhalten die dem klägerischen Namen
zugewiesenen Suchwortergänzungsvorschläge "Scientology" und
"Betrug" doch einen verletzenden Aussagegehalt und damit eine Beeinträchtigung
der Persönlichkeitsrechte der Kläger.
Der mit dem Begriff "Scientology" in Verbindung mit dem Namen einer
real existierenden Person zum Ausdruck gebrachte Sinngehalt ließe sich „hinreichend
dahin spezifizieren“, dass zwischen dieser Sekte und der namentlich erwähnten
Person „eine Verbindung besteht“, die auch geeignet sei, „eine aus sich heraus
aussagekräftige Vorstellung hervorzurufen“. Aber welche von etlichen denkbaren "Verbindungen"? Welche konkrete "aussagekräftige" Vorstellung?
Mit der Verwendung des Begriffes „Betrug“ verbinde der Durchschnittsleser „zumindest
ein sittlich vorwerfbares Übervorteilen eines anderen“ und verleihe ihm damit „einen
hinreichend konkreten Aussagegehalt“.
Der BGH widerspricht der Auffassung der Vorinstanzen, dass man den von der Suchmaschine
der Beklagten angezeigten Ergänzungssuchvorschlägen lediglich die Aussage entnehmen
könne, dass vorherige Nutzer die gewählten Begriffskombinationen zur Recherche
eingegeben haben oder dass sich die Ergänzungssuchbegriffe in verlinkten
Drittinhalten auffinden lassen. Die mit Google nach Informationen suchenden
Internetnutzer erwarteten von den ihnen nach der Eingabe des Suchbegriffs
angezeigten ergänzenden Suchvorschlägen eben doch „einen inhaltlichen Bezug zu
dem von ihm verwandten Suchbegriff“, würden ihn zumindest für möglich halten. Hierzu
heißt es im Urteil:
„Aus dem "Ozean von
Daten" werden dem suchenden Internetnutzer von der Suchmaschine der
Beklagten nicht x-beliebige ergänzende Suchvorschläge präsentiert, die nur
zufällig "Treffer" liefern. Die Suchmaschine ist, um für
Internetnutzer möglichst attraktiv zu sein - und damit den gewerblichen Kunden
der Beklagten ein möglichst großes Publikum zu eröffnen - auf inhaltlich
weiterführende ergänzende Suchvorschläge angelegt. Das algorithmusgesteuerte
Suchprogramm bezieht die schon gestellten Suchanfragen ein und präsentiert dem
Internetnutzer als Ergänzungsvorschläge die Wortkombinationen, die zu dem
fraglichen Suchbegriff am häufigsten eingegeben worden waren. Das geschieht in
der - in der Praxis oft bestätigten - Erwartung, dass die mit dem Suchbegriff
bereits verwandten Wortkombinationen - je häufiger desto eher - dem aktuell
suchenden Internetnutzer hilfreich sein können, weil die zum Suchbegriff
ergänzend angezeigten Wortkombinationen inhaltliche Bezüge widerspiegeln.“
Die vom BGH gewählte Figur „inhaltlicher Bezüge“ ist
abstrakt und substanzlos und eine daran festgemachte vermeintliche Nutzer-Erwartung
bereits deshalb m.E. sehr fragwürdig. Umso fragwürdiger aber erscheint mir die
These, den streitgegenständlichen Wort-Komplettierungen sei die Aussage zu
entnehmen, zwischen dem Kläger und den Begriffen "Scientology"
und/oder "Betrug" bestehe ein sachlicher Zusammenhang. Selbst wenn
man dem folgen wollte, fragt sich doch, welcher Art diese Verbindung denn sein
soll, beispielsweise als Täter oder als Opfer oder etwa nur als
Berichterstatter?
Die vom BGH dennoch ohne diesbezügliche Differenzierung und Problematisierung
bejahte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger will das Gericht
der Betreiberin der Suchmaschine auch unmittelbar zurechnen. Google habe per selbst
geschaffenem Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und sodann den Nutzern
die entsprechenden Vorschläge unterbreitet. Google und nicht Dritte hätten die
Verknüpfungen der Begriffe „hergestellt“ und im Netz zum Abruf bereitgehalten.
Sie stammten deshalb unmittelbar von Google. Dieses so schlicht zu behaupten, ersetzt
m. E. keine überzeugende Begründung.
Google haftet allerdings auch nach Auffassung des BGH nicht unbedingt für jede
Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Suchvorschläge. Zwar sei Google
nicht bereits nach § 10
TMG von der Verantwortlichkeit für den Inhalt der von ihr betriebenen Website
befreit. Google sei Diensteanbieter i. S. v. § 2 Satz 1 Nr. 1 TMG, der
eigene Informationen zur Nutzung bereit hält und deshalb auch gemäß § 7 Abs. 1 TMG nach den allgemeinen
Gesetzen verantwortlich sei. Google würde im vorliegenden Fall nicht wegen der
Durchleitung, Zwischenspeicherung oder Speicherung fremder Informationen in Anspruch
genommen, sondern wegen „einer eigenen Information“, nämlich „konkret wegen der
als Ergebnisse ihres Autocomplete-Hilfsprogramms dem Nutzer ihrer Internet-Suchmaschine
angezeigten Suchwortergänzungsvorschläge“. Es ginge insofern um einen von Google
angebotenen "eigenen" Inhalt und nicht um das Zugänglichmachen
und/oder Präsentieren von Fremdinhalten, für die ein Diensteanbieter gemäß §§ 8 bis 10 TMG nur eingeschränkt
verantwortlich ist. Auch an dieser Stelle wird Begründung durch schlichte These
ersetzt.
Bei der Abwägung der Interessen der Kläger am Schutz ihrer
Persönlichkeitsrechte einerseits und der durch Art. 2, 5 Abs. 1 und 14 GG
geschützten Interessen von Google auf Meinungs- und wirtschaftliche
Handlungsfreiheit andererseits berücksichtigt der Bundesgerichtshof, dass
Google die Suchmaschinenfunktion zwar in ihrem eigenen geschäftlichen Interesse
in der beschriebenen Weise betreibt, um Nutzer wegen der Effektivität der Suche
an sich zu binden. Doch würden die Nutzer ihrerseits daraus den Vorteil einer
begriffsorientierten Suche nach Daten und Informationen ziehen. Auf Seiten der
Kläger sei für die Abwägung entscheidend, dass die verknüpften Begriffe einen
unwahren Aussagegehalt hätten, weil der Kläger zu 2 weder in Verbindung mit einem
Betrug gebracht werden könne, noch Scientology angehöre oder auch nur nahe stände.
Äußerungen von unwahren Tatsachen müssten nicht hingenommen werden. Welche
ausreichend substanzreiche Tatsachenbehauptung hier vermeintlich vorliegt,
bleibt im Unklaren.
Jedenfalls könne eine Haftung von Google „als Störerin nicht
von vornherein verneint werden“.
Eine Täterhaftung prüft der BGH immerhin erst gar nicht.
Selbst bei einer etwaigen Störerhaftung müsse Google allerdings nicht
uneingeschränkt und unabhängig von Zumutbarkeitsgesichtspunkten haften, da nach
den besonderen Umständen des Streitfalles der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in
einem Unterlassen liege. Das Entwickeln und die Verwendung der die
Suchvorschläge erarbeitenden Software sei Google doch nicht vorzuwerfen, da es sich
hierbei um eine durch Art. 2,
14 GG geschützte
wirtschaftliche Tätigkeit handele. Ein „Fallrückzieher“ der Karlsruher?
Der BGH verkennt nicht, dass das Suchmaschinenangebot
zumindest nicht von vornherein auf eine Rechtsverletzung durch eine gegen eine
bestimmte Person gerichtete unwahre Tatsachenbehauptung abzielt, da erst durch
das Hinzutreten eines bestimmten Nutzerverhaltens „ehrverletzende
Begriffsverbindungen entstehen“ können.
Die Tätigkeit von Google sei aber nicht nur rein
technischer, automatischer und passiver Art und nicht ausschließlich beschränkt
auf die Bereitstellung von Informationen für den Zugriff durch Dritte.
Google verarbeite die Abfragedaten der Nutzer in einem
eigenen Programm, das die Begriffsverbindungen dann bilde. Für deren Angebot in
Form eigener Suchvorschläge sei Google „grundsätzlich aufgrund der ihr
zuzurechnenden Erarbeitung verantwortlich“. Google müsse sich grundsätzlich vorwerfen
lassen, „keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen zu haben, um zu verhindern,
dass die von der Software generierten Suchvorschläge Rechte Dritter verletzen“.
Schon wieder eine argumentative Kehrtwende?
Google sei allerdings grundsätzlich nicht verpflichtet, die generierten
Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu
überprüfen. Da dies den Betrieb einer Suchmaschine mit einer der schnellen
Recherche der Nutzer dienenden Suchergänzungsfunktion entweder sogar unmöglich
machen, zumindest aber unzumutbar erschweren würde. Den Betreiber einer
Internet-Suchmaschine treffe deshalb grundsätzlich erst bei Kenntnis von einer
Rechtsverletzung – z.B. durch Hinweise des Betroffenen - eine Prüfungspflicht und
die Verpflichtung, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.
Da das Oberlandesgericht Köln keine rechtliche Würdigung unter dem
Gesichtspunkt einer Verletzung von Prüfungspflichten vorgenommen habe und auch einen
- nur in engen Grenzen zu gewährenden - Anspruch auf Geldentschädigung sowie
einen etwaigen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht
geprüft habe, sei dies nun nachzuholen.
Die Argumentationswendungen des BGH erscheinen bemüht und
dabei wenig überzeugend und machen die rechtliche Einordnung und Prognose der
Rechtsfigur einer „Störerhaftung“ nicht transparenter und nicht einfacher.
Update vom 26.05.2013:
Wenn beim Suchwort "Merkel" Google's Suchmaschine
den Ergänzungsbegriff "Waffen" vorschlägt,
bei der Suche nach "Guido Westerwelle" dieser mit der BGH-Lesart durch
Autocomplete dann wohl zum "Vater" gemacht wird und
bei der Google-Suche nach Bundespräsident "Joachim Gauck"
die etwa diskreditierende Assoziation "Steckbrief" auftaucht,
wird deutlich, das die höchstrichterlichen Bewertungen über
"Erwartungen", "Zusammenhänge", "Verknüpfungen", "Verbindungen", "Bezüge", "Inhalte", "Informationen", "Aussagegehalt" und "Tatsachen"
im Zusammenhang mit der Autocomplete-Funktion den tatsächlichen technischen und medialen Abläufen und Verständnissen nicht ausreichend differenziert gerecht werden. Die Kombination eines Namens mit einem Wort ist und bleibt so mehrdeutig und damit gleichzeitig so substanzlos unkonkret und nichtssagend-vielsagend, dass ein derartig begründetes Verbot die Informationsfreiheit und Kommunikationsfreiheit in gefährlicher Weise beeinträchtigen würde.
Da werden voraussichtlich auch das Bundesverfassungsgericht und der EuGH noch "Ergänzungen" zu "komplettieren" haben.
Update vom 08.04.2014:
Das OLG Köln hat Google nun mit Urteil vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, teilweise (hinsichtlich der Suchwortergänzung "Scientology") zur Unterlassung verurteilt, weil Google auf die diesbezügliche Löschungsaufforderung nicht reagiert hatte. Geldentschädigungen wurden nicht zugesprochen. Eine nochmalige Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Die Kläger können Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen. Die Entscheidungsgründe des OLG liegen noch nicht vor.
Update vom 11.04.2014:
Heute liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe des OLG-Urteils aus Köln vom 08.04.2014, Az. 15 U 199/11, vor. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung auf der Basis der oben von mir kommentierten Wertungen des BGH aus dessen Urteil vom 14.05.2013. Da werden Google auf der einen Seite und zahlreiche Anwälte auf der anderen Seite ja noch viel zu tun bekommen im Streit um so manche Suchwortkombination.