Samstag, 28. Dezember 2013

Pressefreiheit und Steuergeheimnis

Verwaltungsgericht bestätigt Informationsanspruch
der Presse gegen das Finanzministerium
Düsseldorf/Bielefeld.  Die Redaktion und der Verlag der regionalen Tageszeitung Neue Westfälische konnten erfolgreich den Informationsanspruch der Presse gegen das Finanzministerium in Düsseldorf durchsetzen. Das Verwaltungsgericht stellte klar, dass Presseauskünfte über regionale Selbstanzeigen-Statistiken weder das Steuergeheimnis verletzen, noch schwebende Ermittlungsverfahren beeinträchtigen. Die Presse- und Informationsfreiheit hat insoweit Vorrang.
Ein Redakteur des Bielefelder Zeitungsverlages recherchiert bereits seit längerer Zeit zum Thema "Steuerhinterziehung" und "Selbstanzeigen" und bat in dem Zusammenhang den nordrhein-westfälischen Finanzminister um Auskunft über Zahlen und die monatliche Entwicklung der in den vergangenen Jahren mit Bezug zur Schweiz erstatteten Selbstanzeigen in Ostwestfalen-Lippe. 

Ministerielle Absage wegen „Steuergeheimnis“
Das Finanzministerium lehnte gegenüber dem Journalisten die erbetenen Auskünfte ab. Die Verhältnisse in den einzelnen Regionen seien sehr unterschiedlich, ein Vergleich sei nicht sachgerecht. Es bestehe ein Auskunftsverweigerungsrecht, da die begehrten Auskünfte die sachgemäße Durchführung schwebender Verfahren vereiteln, erschweren, verzögern oder gefährden könnten. Außerdem wollte man keine Presseauskünfte erteilten, da das Steuergeheimnis dem entgegenstehe. 

Klageverfahren gegen das Land NRW
Der Zeitungsverlag und sein  Redakteur gaben sich mit dieser ministeriellen Absage nicht zufrieden und erhoben eine auf die entsprechende Auskunftserteilung gerichtete Klage gegen das Land NRW.
In der mündlichen Verhandlung vor der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf am 13.12.2013 machte der Präsident des Verwaltungsgerichts, Dr. Heusch, deutlich, dass der besondere grundrechtliche Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit auch den presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasst. Deshalb müssten eine etwaige Auskunftsverweigerung rechtfertigende gesetzliche Ausschlusstatbestände stets restriktiv ausgelegt werden. Entgegen der Argumentation des beklagten Landes seien durch die journalistisch begehrten Auskünfte Rückschlüsse auf einzelne Verfahren oder auf die Identität von Selbstanzeigenerstattern nicht möglich. Auch das Steuergeheimnis  werde nicht tangiert.  

Ostwestfalen ist kein Swinger-Club
Dies gelte auch unter Berücksichtigung eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 27.06.2012 (Az. 5 B 1463/11), auf den sich das Ministerium berufen hatte. In jenem Verfahren ging es um journalistische Fragen zu einem behördlichen Einsatz der Polizei und der Steuerfahndung in einem Swinger-Club, um Einzelheiten zu einer Razzia im Rocker-Milieu.
Nach zweistündiger Verhandlung und dem unmissverständlichen richterlichen Hinweis sowie nach mehrfachen Verhandlungsunterbrechungen und etlichen Telefonaten zwischen dem Finanzministerium und seinem Prozessbevollmächtigten erklärte sich das beklagte Land schließlich bereit, den eingeklagten presserechtlichen Auskunftsanspruch zu erfüllen. Das Verfahren konnte auf Kosten des Landes eingestellt werden.  

Der Fall Hoeneß aus Bayern sorgt für Selbstanzeigen-Boom in Ostwestfalen-Lippe
Die vom Finanzminister gegenüber dem klagenden Journalisten offengelegten Zahlen belegen, dass Veröffentlichungen über den Kauf einer Steuer-CD, über das Scheitern des Steuerabkommens mit der Schweiz oder auch über den Fall Hoeneß zu einem jeweils nachfolgenden massiven Anstieg der Selbstanzeigen auch in Ostwestfalen-Lippe geführt hat. Über die Ergebnisse ihrer Recherchen berichtet die Neue Westfälsche in ihrer heutigen Ausgabe.
Nicht selten neigen Behörden bzw. Ministerien dazu, den berechtigten Informationsanspruch der Öffentlichkeit mit im Einzelfall nicht gerechtfertigten Scheinargumenten (wie etwa „Steuergeheimnis“ oder z. B. auch „Urheberrecht“) zu boykottieren. Das Klageverfahren in Düsseldorf bestätigt, dass behördlicher Informationsverweigerung bei journalistischen Recherchen  engagiert und - vor dem Hintergrund von Presse- und Informationsfreiheit - auch hartnäckig zu begegnen ist.
Die rechtlichen Interessen der Kläger vertrat Rechtsanwalt Dr. Ralf Petring, Bielefeld  - www.wendundpartner.de -
 
 

Dienstag, 24. Dezember 2013

Weltrekord zu Weihnachten

Die härtesten Clementinen der Welt

Das sah ja erst nach einer rekordverdächtigen Veranstaltung aus, mit massenhaften postalischen Erotik-„Sendungen“ aus dem trickreichen urheberrechtlichen „Archive“. Und wer hat’s erfunden? Die Schweizer, die Regensburger und die Berliner. Und was  war‘s? Nackte und verdrehte „Tatsachen“ waren’s. Adressiert nach der illegalen Lesung unzähliger IP-Adressen an unzählige (vermeintliche) Zuschauerinnen und Zuschauer - und vermeintliche Speicherinnen und Speicher - von natürlichen und unnatürlichen Leibesübungen. Stress hoch drei für zahlreiche in Adventsstimmung befindliche Familien.
Aber zum Weihnachtsfest wird alles gut.
Es war fünf vor zwölf Uhr, Mann, da haben sich die Hardcore-Anwälte aus Regensburg und Berlin doch noch verwunschzettelt.  Erzengel Sebastian & Co. haben mit Zitronen - äh … mit "Cementinen" - gehandelt und sich die Zähne daran ausgebissen.
Die Abmahn-Branche erntet die härtesten Clementinen der Welt

Das waren drei harte Nüsse - äh … drei harte "Cementinen" - für die Abmahnbrödel:
  • Erst Storno mit Porno(-Abmahnungen) beim zunächst eher närrischen und dann doch recht colonialen Landgericht Köln.
  • Dann zog zweitens Rudolph Redtube Rentier mit seinem Schlitten vor dem hanseatischen Landgericht Hamburg gegen die Strömung der Streaming-Abmahnungen und erwirkte eine einstweihnachtliche Verfügung.
  • Und zum Dritten singen auch die Staatsanwälte nicht das tiefe U + das hohe C der Regensburger Porno-Spatzen, sondern prüfen die Ton-Leiter der Weihnachtspost-Aktion auf Herz und Viren.
Jetzt kommen die Abmahnungen für die Abmahner. Die Abwatsch-Branche hat in vielen Häusern adventlichen Stress gesäht und wird nun dafür selbst eine Menge richtig harter Früchte unter dem Weihnachtsbaum ernten. Der "Cementinen"-Händler unseres Vertrauens hat noch ‘ne Menge davon auf Lager - mit rekordverdächtiger Härte und Entschiedenheit.
"Draußen vom Anwalt komm ich her. Ich kann Euch sagen, es weihnachtet sehr."

Freitag, 20. Dezember 2013

Streaming-Abmahnung als Weihnachtsmärchen

Mit Update vom 21.12.2013

Das Landgericht Köln beschert dem Geschäftsmodell "Porno-Abmahnungen" eine verspätete Absage und den Abmahnern wenig weihnachtliche Post

Doch nicht nur eine Einbahnstraße: Die Kammern beim Landgericht Köln
Immerhin. Respekt. Das Landgericht Köln hat am 20.12.2013 seine wohl zuvor zu wenig „durchdachten“ Einschätzungen zu den Redtube-Streaming-Abmahnungen und den Auskunfts- bzw. Gestattungsanträgen der „The Archive AG“ korrigiert bzw. entsprechende Korrekturen angekündigt.
    
++++Update vom 21.12.2013++++
Einstweilige Verfügung des LG Hamburg
Nach einer aktuellen Pressemitteilung von Redtube hat sich inzwischen auch das Landgericht Hamburg mit den zweifelhaften Abmahnungen befasst und per einstweiliger Verfügung dem schweizer Unternehmen The Archive AG ab sofort untersagt, Abmahnschreiben an Nutzer der Internetplattform Redtube zu versenden, in denen behauptet wird, dass Nutzer das Urheberrecht von The Archive AG verletzt haben. Dies soll für alle Videos gelten, an denen die Firma The Archive AG Urheberrechte geltend macht, ist aber auch für (potentielle) andere "Trittbrettfahrer" aus der Abmahnbranche sicher keine "schöne Bescherung". 

Alex Taylor, der Vizepräsident von Redtube, ist demgegenüber schon mal in vorweihnachtlicher Feier-Laune: „Diese Entscheidung ist nicht nur ein Sieg für die Nutzer von RedTube, sondern für jede Person, die Streaming-Webseiten besucht. Es ist eine klare Botschaft, dass die Ausnutzung von persönlichen Informationen und die Verletzung der Privatsphäre aus rein finanziellen Interessen nicht toleriert wird", wird er in der Frankfurter Rundschau zitiert.

                                              
Die Pressestelle des Landgerichts Köln tritt die Flucht nach vorn an und will zwei Entscheidungen (Az. 228 O 173/13 und Az. 214 O 190/13), in denen die nach § 101 Abs. 9 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gestellten Anträge der „The Archive AG“ von den Kammern zurückgewiesen worden waren, „in den nächsten Tagen“ auf www.nrwe.de online stellen. 
Bisher sind bereits über 50 Beschwerden gegen die anderslautenden Beschlüsse eingegangen, mit denen den Providern die Auskunftserteilung gestattet worden ist.
Das Landgericht, zumindest einige Kammern des Gerichts, halten die in den letzten Tagen öffentlich diskutierten Bedenken z. B. hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Ermittlung der IP-Adressen nun für durchaus beachtlich. Diese Kammern tendieren wohl dazu, an ihrer ursprünglichen Einschätzung nicht länger festzuhalten und die Beschlüsse wegen der durch sie stattfindenden Rechtsverletzungen der Anschlussinhaber aufzuheben. Die Frage der urheberrechtlichen Einordnung des „Streaming“ sei zumindest juristisch umstritten und daher liege möglicherweise keine offensichtliche Rechtsverletzung i. S. d. § 101 Abs. 9 UrhG vor.
Im Januar sind endgültige Entscheidungen über die Beschwerden zu erwarten.
Zu den aktuellen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorlage falscher eidesstattlicher Versicherungen möchte das Landgericht nichts Näheres sagen.
In dem von einigen Kammern an die Antragstellerin der Verfahren bzw. deren Rechtsanwalt gerichteten Scheiben heißt es u.a.: 
„Ausweislich des in Bezug genommenen Gutachtens der […] vom 22. März 2013 dürfte das Programm „GLADII 1.1.3“ dabei nur den Vorgang des sogenannten „Streamings“, also des Abspielens einer Video-Datei im Webbrowser des Nutzers, dokumentieren. Die Kammer neigt insoweit der Auffassung zu, dass ein bloßes „Streaming“ einer Video- Datei grundsätzlich noch keinen relevanten rechtswidrigen Verstoß im Sinne des Urheberrechts, insbesondere keine unerlaubte Vervielfältigung i.S.d. § 16 UrhG darstellt, wobei diese Frage bislang noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist. Eine solche Handlung dürfte vielmehr bei nur vorübergehender Speicherung aufgrund einer nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellten bzw. öffentlich zugänglich gemachten Vorlage regelmäßig durch die Vorschrift des § 44a Nr. 2 UrhG gedeckt sein […]. 
[…] Insoweit begründen sowohl die unklare Tatsachenlage als auch die ungeklärte Rechtsfrage bereits Zweifel an der erforderlichen „Offensichtlichkeit“ der Rechtsverletzung.
Weiterhin ist auch die ordnungsgemäße Ermittlung der IP-Adressen weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht. Das Gutachten der […] vom 22. März 2013 befasst sich mit der Erfassung des von dem Gutachter selbst initiierten Download(?)vorgangs. Dass auch Downloads von anderen Rechnern zuverlässig erfasst würden, ergibt sich hieraus letztlich nicht. Insoweit ist der Kammer derzeit auch nicht erkennbar, wie das eingesetzte Ermittlungsprogramm in der Lage sein soll, die IP-Adresse des Downloaders zu erfassen, der lediglich mit dem Server kommuniziert, auf dem das Werk hinterlegt ist. Es bleibt mithin die Frage unbeantwortet, wie das Programm in diese zweiseitige Verbindung eindringen kann. 
Aufgrund dessen neigt die Kammer im Hinblick auf die bereits erfolgte Auskunftserteilung dazu, Beschwerden gegen den Gestattungsbeschluss grundsätzlich abzuhelfen und gem. § 62 Abs. 1 FamFG auszusprechen, dass der angegriffene Beschluss weitere beteiligte Anschlussinhaber in ihren Rechten verletzt hat.“
Das von Regensburger und Berliner Rechtsanwälten inszenierte, vermeintliche neue Geschäftsmodell mit Porno-Streaming-Abmahnungen scheint also auf dem richtigen Weg zu sein, nämlich auf dem besten Weg, zum Weihnachtsmärchen des Jahres zu werden.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Wenn Filesharing-Klagen unseriös auf entfernte Gerichte fliegen

 – schnell noch kurz vor dem in Kraft getretenen Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken 

Mit Update vom 04.12.2013


Aktuell erhalten etliche Internetanschlussinhaber, die in den vergangenen drei bis vier Jahren eine Filesharing-Abmahnung erhalten haben, Gerichtspost mit einer Klage, die noch schnell kurz vor offiziellem Inkrafttreten einer zugunsten der Verbraucher bzw. der privaten Internetnutzer neu festgelegten Gerichtsstandsregelung erhoben wurde. 

Für Klagen wegen illegalen Uploads in Online-Tauschbörsen ist nach dem seit dem 09.10.2013 geltenden § 104a UrhG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die abgemahnte Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz hat – und nicht mehr das nach dem Grundsatz des fliegenden Gerichtsstandes vom Abmahner nach seinem Belieben ausgewählte Wunschgericht. Bei der Bestimmung des Wohnsitzgerichts sind selbstverständlich landesrechtliche Sonderzuweisungen zur Konzentration von Streitigkeiten im Urheberrecht zu beachten. 

Was ist denn nun eigentlich mit den von vielen Filesharing-Abmahnern gerade noch kurz vor förmlicher Geltung der Wohnsitz-Regel, also kurz vor dem 09.10.2013 erhobenen Klagen? Darf oder muss darüber das vom (vermeintlichen) Rechteinhaber ausgesuchte „Lieblingsgericht“ entscheiden? Oder ist der fliegende Gerichtsstand auch dann angreifbar?

Der Angriff - also die Rüge fehlender örtlicher Zuständigkeit - kann sich lohnen, da der anschließende Rechtsstreit außerhalb des gegnerischen Wunschgerichts doch regelmäßig zumindest „ergebnisoffener“ geführt werden kann. Die Rüge sollte selbstverständlich auch dann erhoben werden, wenn – was in der jüngsten Zeit ebenfalls erstaunlich oft passiert – die Filesharing-Klage sogar noch nach dem 08.10.2013 nicht vor dem Wohnsitzgericht erhoben wird. Entsprechendes gilt, wenn nach längerem gerichtlichen Mahnverfahren die gerichtliche Abgabenachricht nicht an das Wohnsitzgericht erfolgt. 

Häufig hat keine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zuständigkeitsbereich des vom Rechteinhaber angerufenen (Lieblings-)Gerichts. Es fehlt nicht selten ein die örtliche Zuständigkeit rechtfertigender Bezug zum Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts. Vor diesem Hintergrund haben schon vor der Verkündung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (mit der gesetzlichen Bestimmung zum Wohnsitz-Gerichtsstand gem. § 104a UrhG) insbesondere auch in der jüngeren Vergangenheit immer mehr deutsche Gerichte die unbeschränkte Geltung eines "fliegenden Gerichtsstandes" für sog. "Filesharing"-Klagen gem. § 32 ZPO verneint. 

So etwa die beiden Entscheidungen des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 13.02.2012 (Az. 31 C 2528/11) und vom 13.06.2013 (Az. 30 C 906/13), darüber hinaus die Entscheidungen des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13), des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 26.08.2013 (Az. 6 C 65/13), des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.08.2013 (Az. 42 C 160/13) und des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (Az. 2 AR 28/13).

Die Klägerseite behauptet oft nicht einmal selbst, dass der oder die Beklagte bei der unterstellten Filesharing-Handlung das Ziel verfolgt habe, dass das streitgegenständliche Audio- oder Filmwerk etwa auch im Bezirk des angerufenen Gerichts heruntergeladen wird oder heruntergeladen werden kann. Aus dem Klagevortrag ist ein derartiges zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten bzw. eine diesbezügliche Behauptung der Klägerseite häufig nicht zu entnehmen. Den klägerischen Behauptungen bzw. Vermutungen kann zumeist allenfalls entnommen werden, dass die Klägerseite wohl von einer etwaigen Billigung der beklagten Partei hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit der entsprechenden Audio- oder Filmdatei - und damit eventuell auch von der etwaigen Billigung einer Zugänglichkeit im Gerichtsbezirk - ausgehen möchte. Derartige Andeutungen oder Rückschlüsse ersetzen aber keinen brauchbaren Tatsachenvortrag für ein etwa diesbezügliches zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten. 

Im oben erwähnten Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13) heißt es zu dem entsprechenden Gesichtspunkt: 

"Ein solcher bedingter Vorsatz reicht aber nicht aus für die Annahme, dass die hiesige Herunterlademöglichkeit seiner Bestimmung entsprach. Erforderlich dafür ist vielmehr Absicht im engeren Sinne, d. h. es hätte ihm darauf ankommen müssen, dass hier heruntergeladen werden kann. 

Ein anderes Verständnis von dem, was bestimmungsgemäß ist, führt zu beziehungsarmen Gerichtsständen, die zu vermeiden sind, weil sie Sinn und Zweck von § 32 ZPO nicht gerecht werden (vgl. BGH MDR 2011/812; MDR 2010, 744). Dieser geht dahin, dass das Gericht eine gewisse Sachnähe haben soll, etwa weil typischer Weise im gleichen Großraum Zeugen ansässig sind oder eine Ortsbesichtigung stattzufinden hat. Reicht es für die Bestimmungsgemäßheit dagegen aus, dass die Herunterlademöglichkeit lediglich billigend in Kauf genommen wird, besteht ein ubiquitärer Gerichtsstand, d. h. es können Gerichte angerufen werden, die keinerlei näheren Sachbezug haben als andere. Dieser ist abzulehnen (vgl. Zöller-Vollkommer, 29. Auflage, § 32 Rn. 17, Stichwort "Internetdelikte" mwN)." 

Ähnlich argumentiert auch das Amtsgericht Berlin-Mitte (unter gleichzeitigem Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, veröffentlicht in MMR 2011, 594). 

Das Amtsgericht Berlin-Mitte weist gleichzeitig auf die gesetzgeberische Begründung zu dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken hin. 

Die Anrufung bzw. Auswahl des jeweiligen Gerichts seitens der Klagepartei – häufig in München, Köln, Hamburg oder aktuell verstärkt in Leipzig - ist oft nicht nur unsachgerecht und willkürlich, der (vermeintliche) Rechteinhaber übt seine Wahl nicht selten auch erkennbar entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben aus. Es fehlt dann nicht nur an auf den Gerichtsbezirk bezogenen bestimmungsgemäßen und zielgerichteten Handlungen des oder der Beklagten und diesbezüglichen substantiierten Darlegungen der Klagepartei und es fehlt nicht nur an jeglichem Bezug beider Parteien zum gewählten Gerichtsbezirk und manchmal sogar jeglichem Bezug der Prozessbevollmächtigten beider Parteien zum ausgewählten Gerichtsbezirk. Die Anrufung des ausgewählten Gerichts erfolgt häufig offensichtlich auch unter bewusster Missachtung des am 27.06.2013 vom Gesetzgeber beschlossenen und am 01.10.2013 vom Bundespräsidenten ausgefertigten Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken bzw. des darin zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens. In der Begründung zur Einführung des § 104a UrhG (Bundestagsdrucksache 17/13429) hat der Gesetzgeber u. a. ausgeführt:

"Der fliegende Gerichtsstand erlaubt sogenanntes Forum-Shopping, wobei der Kläger das zuständige Gericht je nach günstiger Rechtsprechung und möglichst weiter Entfernung vom Wohnsitz des Beklagten auswählen kann. Dies führt dann zu einer Erhöhung des Aufwandes und der Kosten für die Verbraucher, wenn diese nicht an ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden. Es besteht die Gefahr, dass Verbraucher deswegen eher auf außergerichtliche Vergleichsangebote eingehen und vor einer Überprüfung durch die Gerichte zurückscheuen". 

Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten des Abmahners als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein, erst recht wenn wenige Tage vor Verkündung des die vorerwähnte gesetzgeberische Intention betreffenden Gesetzes noch schnell in der inkriminierten Art "Forum-Shopping" zu Lasten des oder der Abgemahnten betrieben wird.

Eine entsprechende Bewertung ist auch der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (AZ. 2 AR 28/13) zu entnehmen - und zwar selbst ohne den hinzukommenden äußerst engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des § 104a UrhG. Im dortigen Verfahren ging es um eine Filesharing-Klage nach Mahnbescheidsantrag vom 26.03.2013 und Anspruchsbegründung vom 06.06.2013. Das OLG führt in der Entscheidung vom 13.09.2013 u. a. aus: 

"Die durch die Regelung des fliegenden Gerichtsstandes ermöglichte deutschlandweite Gerichtswahl schließt die Annahme einer im Einzelfall rechtsmissbräuchlich getroffenen Wahl nicht aus (OLGR Rostock 2009, S. 663 ff.; KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.; Musilak-Heinrich, ZPO, 10. Auflage, 535 Rn. 4; Zöller, Vollkommer, a. a. O., § 35 Rn. 4). ....

Die Ausnutzung eines formal gegebenen (fliegenden) Gerichtsstandes ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie aus sachfremden Gründen erfolgt, insbesondere in der Absicht, den Gegner zu schädigen (KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.). ... 

Diese Annahme liegt nahe, wenn im fliegenden Gerichtsstand ausgerechnet ein besonders entlegenes Gericht gewählt wird in der Hoffnung, der Gegner werde sich im gerichtlichen Verfahren nicht zur Wehr setzen, weil er die Kosten und den erheblichen persönlichen Aufwand einer Reise scheut. Diese Gefahr kann bei Internetdelikten sogar noch verstärkt bestehen, wenn die in Anspruch genommene Person ein in geschäftlichen Dingen unerfahrener Verbraucher ist, was in Fällen der Urheberrechtsverletzungen durch Nutzung von Tauschbörsen häufig der Fall ist."

Andere, weniger sachfremde, weniger willkürliche und weniger rechtsmissbräuchliche Intentionen der Klagepartei sind in vielen Fällen nicht wirklich ersichtlich, zumal bei „weit fliegender“ Gerichtswahl zeitgleich mit der Verabschiedung oder der Ausfertigung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken oder sogar nur wenige Tage vor, manchmal sogar genau am Tag dessen förmlicher Verkündung im Bundesgesetzblatt (08.10.2013). 

Eine örtliche Zuständigkeit des gewählten Gerichts kann und muss deshalb auch gerade in derartigen Fällen aus guten Gründen bezweifelt werden.
 
 

Update vom 04.12.2013:

 
Eine zwischenzeitlich veröffentlichte weitere Entscheidung des Amtsgerichts Köln vom 18.11.2013 (Az. 137 C 262/13) bestätigt die von mir vertretene Ansicht, dass die vom Gesetzgeber im Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken geregelte Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts und die darin zum Ausdruck gekommene Bewertung und Intention auch schon in Altfällen - bei Klageerhebung vor der formalen Gesetzesgeltung - von den Gerichten zu berücksichtigen sind.
 
Das Amtsgericht Köln hat in der jüngsten Entscheidung u.a. ausgeführt: 
"Durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1.10.2013 hat er ins Urheberrechtsgesetz § 104 a eingeführt. Das erlaubt den Rückschluss, dass er bei mittels Internet begangenen Urheberrechtsverstößen die bloße Berufung auf die Aufrufbarkeit überall oder auch die bestimmungsgemäße Aufrufbarkeit grundsätzlich überall zur Stützung eines Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO gegenüber natürlichen Personen als unseriös betrachtet, die nicht gewerblich oder selbstständig beruflich handeln."
Das sind deutliche Worte zur mangelnden Seriosität willkürlicher und im Ergebnis oft schikanöser Gerichtswahl zahlreicher Filesharing-Abmahner. Das Amtsgericht hat - sogar trotz Säumnis des Beklagten - die beim fliegenden Gerichtsstand erhobene Klage eines Software- bzw. Spiele-Labels wegen örtlicher Unzuständigkeit abgewiesen.

Bei der Verurteilung der unseriösen klägerischen Gerichtswahl betonte das Gericht zu recht auch den verfassungsrechtlichen Fairness-Grundsatz:
"Das ist auch gem. Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dieser fordert ein faires Verfahren, auch für den Beklagten des Zivilprozesses."
Dem ist nichts hinzufügen.

 
 
 

Montag, 25. November 2013

Betrug per anwaltlicher Filesharing-Abmahnung - Kein Anspruch aus "Vergleich"


Das Amtsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 08.10.2013 (Az. 57 C 6993/13) eine Filesharingklage von vier Tonträgerherstellerinnen wegen arglistiger Täuschung, Betruges und sittenwidriger Schädigung abgewiesen. Das Berufungsverfahren ist derzeit beim Landgericht Düsseldorf (zum Az. 23 S 358/13) anhängig. 
Um was geht es:
Die Klägerinnen, vier Musiklabels, ließen die schwerbehinderte und arbeitslose Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 06.09.2009 abmahnen. Zur Begründung heißt es in der Abmahnung ohne nähere Konkretisierung, vom Internetanschluss der Beklagten seien am 04.08.2008 um 22:46 Uhr 537 Musikdateien zum Herunterladen zur Verfügung gestellt worden. Weiter heißt es dort u.a.:
"Inwieweit Sie die Rechtsverletzungen im selbst begangen haben, wurde bislang zwar nicht abschließend geklärt, als Inhaber des verfahrensgegenständlichen Internetanschlusses sind Sie jedoch jedenfalls zur Erstattung der Rechtsverfolgungskosten verpflichtet. Bereits dieser Kostenerstattungsanspruch führt dabei - angesichts der regelmäßig in Fällen der vorliegenden Art gerichtlich angenommenen Gegenstandswerte von 10.000 Euro pro verfügbar gemachtem Audiotitel - zu erheblichen Ersatzbeträgen. Dies verdeutlicht die beispielhafte Berechnung eines Kostenerstattungsanspruchs bei nur zehn zur Verfügung gestellten Musikdateien der o.g. vier Mandanten, aus der sich eine Kostenerstattungsforderung von 2.998,80 Euro ergibt.
Wir weisen zudem darauf hin, dass es Ihnen als Anschlussinhaber bei Bestreiten der eigenen Tatbegehung im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast obläge, substantiiert zur Aufklärung der Frage beizutragen, wer als Täter die über Ihren Anschluss erfolgten Urheberrechtsverletzungen begangen hat."

Die Abmahnkanzlei unterbreitete dann ein Vergleichsangebot in Höhe von 4.000 Euro, das zusätzlich schmackhaft gemacht werden sollte mit der Darlegung:
"Auch der Auskunftsanspruch sowie die Obliegenheit, über Namen und Anschrift des unmittelbar Verantwortlichen sowie die weitere Verwertung der Tonaufnahmen Auskunft zu erteilen, hätte sich im Falle einer Einigung erledigt.
 
Wie hoffen, die vorliegende Angelegenheit auf dieser Grundlage gütlich beenden zu können, weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass wir nach fruchtlosem Ablauf der genannten Fristen unseren Mandanten empfehlen werden, die geltend gemachten Forderungen gerichtlich durchzusetzen."

Die Beklagte unterschrieb am 19.09.2009  eine dem Abmahnungsschreiben beigefügte, von den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen vorformulierte Vergleichsannahmeerklärung mit der darin enthaltenen Verpflichtung zur Zahlung von 4.000 Euro „zur Abgeltung der am 04.08.2008 um 22:46 Uhr über den Anschluss, der die IP-Adresse xxxxxxxxxxxxxxx zugeordnet war, begangenen Urheberrechtsverletzung“.

Die Klägerinnen verlangen mit der Klage die Zahlung des Vergleichsbetrages. Die Beklagte weist darauf hin, dass ihre Tochter die Urheberrechtsverletzungen begangen habe. Außerdem sei sie ohnehin nicht zur Zahlung in der Lage.

Das Gericht bewertet die Abmahnung als Betrug und die Zahlungsinanspruchnahme als sittenwidrig:

Dem Anspruch der Klägerinnen aus dem außergerichtlichen Vergleich stehe die Einrede der Arglist gemäß §§ 853, 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB entgegen.
Das Amtsgericht bewertet die Abmahnung als eine betrügerische Handlung gemäß § 263 StGB, da die Klägerinnen (bzw. die sie vertretenden Rechtsanwälte) die Beklagte
„gezielt über die Rechtslage hinsichtlich der Haftung des Anschlussinhabers getäuscht haben und ihr dadurch vorgespiegelt haben, sich in einer derart ausweglosen Situation zu befinden, dass die Unterzeichnung des außergerichtlichen Vergleichs über 4.000 Euro für sie die wirtschaftlich günstigste Möglichkeit ist. Auch Rechtsauffassungen stellen Tatsachen gemäß § 263 Abs. 1 StGB, wenn durch ihre Äußerung beim Empfänger der Eindruck erweckt wird, es handele sich hierbei um allgemein anerkannte rechtliche Auffassungen, denen ein Gericht im Falle eines Prozesses folgen wird. Anders als im Zivilprozess, dessen abschließenden Entscheidungen durch einen selbst rechtlich kompetenten Richter ergehen, besteht bei einer außergerichtlichen Darstellung von Rechtsauffassungen gegenüber einem Verbraucher mit dem Ziel, diesen zu einer Zahlungsverpflichtung durch Vergleich zu bewegen, auch im Hinblick auf die Eigenschaft von Rechtsanwälten als Organ der Rechtspflege und dem damit verbundenen besonderen Vertrauen, das Rechtsanwälte auch dann genießen, wenn sie auf Seiten einer Partei tätig sind, die Verpflichtung deutlich zu machen, dass bestimmte vertretene Rechtauffassungen nicht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung stehen. Die Erklärung durch einen Rechtsanwalt, dass der Inhaber eines Internetanschlusses stets zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten für über den Anschluss begangene Urheberrechtsverletzungen verpflichtet ist und diese bereits bei nur 10 zur Verfügung gestellten Titeln im Hinblick auf einen Gegenstandswert von 10.000 Euro pro Titel 2.998,80 Euro betragen, beinhaltet, soweit sich keine einschränkenden Erläuterungen finden, zugleich die Erklärung, dass es sich hierbei nicht nur um die exklusive Meinung der Rechtsanwaltskanzlei der Klägerseite handelt, sondern dass die hier dargestellte Rechtsauffassung in der Rechtsprechung anerkannt ist. Zugleich lässt sich den Ausführungen in dem Abmahnschreiben bei Auslegung am Empfängerhorizont eines nicht rechtlich versierten Verbrauchers entnehmen, dass angesichts der angegebenen zum Herunterladen zur Verfügung gestellten 537 Musikdateien der Anschlussinhaber unabhängig von seiner eigenen Täterschaft mit Rechtsanwaltskosten im mindestens fünfstelligen, wenn nicht gar sechsstelligen Bereich, rechnen muss, wenn bereits bei lediglich 10 Titeln, mithin lediglich 10/537 der von der Klägerinnen angegebenen Anzahl an Titeln, bereits mit 2.998,80 Euro Rechtsanwaltskosten zu rechnen sein soll.“ (Fettdruck durch den Autor)

Weiter heißt es in den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen (Fettdruck durch den Autor):
„Die von den Klägerinnen im Abmahnschreiben vom 09.09.2009 dargestellte Rechtsauffassung, wonach der Anschlussinhaber für die Rechtsanwaltskosten von Abmahnungen wegen über den Anschluss begangener Urheberrechtsverletzungen unabhängig von seiner Täterschaft stets haftet, hatte bereits im Jahr 2009 keine Grundlage in der Rechtsprechung. Dass nämlich die Störerhaftung des Anschlussinhabers nach § 97 Abs. 1 UrhG zur Vermeidung einer ausufernden Haftung durch Dritte die Verletzung von Prüfpflichten voraussetzt, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch bereits vor der im Jahr 2010 ergangenen Entscheidung "Sommer unseres Lebens" des Bundesgerichtshof anerkannt (BGH NJW 1999, 1960). Somit haben die Klägerinnen der Beklagten in ihrem Abmahnschreiben eine unzutreffende der Beklagten ausweglos erscheinende Rechtslage vorgespiegelt. Auch die von den Klägerinnen dargestellte Berechnung des Gegenstandswertes entsprach bereits im Jahr 2009 nicht der obergerichtlichen Rechtsprechung. So erläuterte das OLG Hamburg bereits im Jahr 2006, dass bei der reinen Störerhaftung geringere Streitwerte als bei der täterschaftlichen Haftung anzusetzen sind und nahm bei fünf angebotenen Musiktiteln einen Wert von 10.000 Euro und bei zehn angebotenen Musiktiteln einen Wert von 15.000 Euro an (OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 375). Die von der Klägerin vorgespiegelte lineare Steigerung des Gegenstandswertes gemäß der Formel 10.000 Euro * Anzahl der Titel fand somit ebenfalls bereits im Jahr 2009 keine Grundlage in der Rechtsprechung, sodass auch insoweit der Beklagten eine ihr nachteilige unzutreffende Rechtslage vorgespiegelt worden ist.
In dem Versenden des täuschenden Abmahnschreibens nebst vorformulierter Vergleichserklärungen liegt nämlich zumindest ein versuchter Betrug gemäß §§ 263, 22, 23 StGB, weil nach Vorstellung der Klägerinnen gerade die ausweglose Darstellung der Rechtslage dazu führen soll, dass die abgemahnte Person die Vergleichsannahmeerklärung unterzeichnet.
... 
Die Rechtswidrigkeit des Handelns der Klägerinnen wird ebenfalls durch die Verletzung des Schutzgesetzes indiziert; auch ein Verschulden ist gegeben, denn den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen, die auch mit der Durchführung der vorgerichtlichen Abmahnung beauftragt waren, ist als langjährig erfahrene Urheberrechtskanzlei bekannt gewesen, dass die Ausführungen zur Rechtslage in ihrem Abmahnschreiben nicht der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechen.
...

Darüber hinaus steht der Durchsetzung der Forderung der Klägerinnen § 242 BGB entgegen, weil der Beklagten ein Anspruch gegen die Klägerinnen auf Befreiung von der begründeten Verbindlichkeit aus § 826 BGB zusteht, da im täuschenden Handeln der Klägerinnen zugleich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt.
...
Dabei ist es der Klägerseite unbenommen, einen Vergleichsvertrag vorzuformulieren, der vorrangig die eigenen Interessen berücksichtigt, die Grenze der Angemessenheit ist aber dann überschritten, wenn der vorformulierte Betrag das Prozessrisiko eines Vorgehens im Klageweg schon im Ansatz nicht mehr angemessen berücksichtigt oder das Vergleichsangebot den von der Gegenseite durch seine Annahme üblicherweise verfolgten Zweck, vor weiterer gerichtlicher Inanspruchnahme hinsichtlich derselben Sache ausreichend geschützt zu sein, verfehlt. Unabhängig von der Frage des Prozessrisikos einer Klage auf Erstattung der Abmahnkosten aus § 97 Abs. 1 UrhG der völlig unbestimmt formulierten Abmahnung, die vier große Tonträgerhersteller als Auftraggeber benennt und ohne weitere Konkretisierung auf 537 Musikdateien Bezug nimmt (vgl. hierzu die zu einem späteren Zeitpunkt ergangene einen Anspruch ablehnende Entscheidung OLG Düsseldorf MMR 2012, 253) ist der Betrag von 4.000 Euro schon deshalb absolut unangemessen, weil damit lediglich die zu einem sekundengenauen Zeitpunkt genannte Urheberrechtsverletzung, nämlich am 04.08.2008 um 22:46:00 Uhr, abgegolten wird. Dem Filesharing ist es aber immanent, dass Dateien bzw. Dateibruchteile nicht zu einer bestimmten Sekunde, sondern über einen längeren Zeitraum angeboten werden. Es bleibt daher völlig unklar, ob der Vergleich einer nachfolgenden klageweisen Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches wegen Urheberrechtsverletzung hinsichtlich derselben Musikdateien zu einem nur kurze Zeit früheren oder späteren Zeitpunkt entgegensteht. Selbst einer Klage gestützt auf die Verletzung des Urheberrechts an einem bestimmten Musiktitel zum selben Zeitpunkt steht der Vergleich nicht eindeutig entgegen, weil unklar bleibt, welche 537 Musikdateien vom Vergleich umfasst sind. Es bedarf hier nicht der abschließenden Klärung, ob entsprechende Klagen gestützt auf § 97 Abs. 1 UrhG begründet wären oder nicht; allein dass der sekundengenau formulierte Vergleichstext entsprechenden Klagen nicht eindeutig entgegensteht, somit das Risiko für die Beklagte verbleibt, hinsichtlich derselben Urheberrechtsverletzung zu einem kurze Zeit früheren oder späteren Zeitpunkt erneut verklagt zu werden, genügt, um den Vergleichsbetrag von 4.000 Euro als unangemessen zu qualifizieren.“


Nach diesem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf werden zahlreiche Abmahnungen und zahlreiche voreilig unterzeichnete Vergleichsformulare von zahlreichen Anwälten noch intensiver durchleuchtet werden müssen. Betrug, Arglist und Sittenwidrigkeit sind Kaliber, die mehr als „nur“ unseriöse Geschäftspraktiken darstellen und umso entschiedenerer Abwehr bedürfen.

Sonntag, 27. Oktober 2013

Filesharing Abmahnungen: OLG Köln sucht den BGH und findet Grenzen der „tatsächlichen Vermutung“


Einbahnstraße für Filesharing-Abmahnungen vor dem OLG Köln?
Wie Familien bei Filesharing-Abmahnung nicht in eine Einbahnstraße geraten
 
Berufungsverhandlungen vor dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts am vergangenen Freitag am Reichensperger Platz in Köln: 
 
  • Einbahnstraße für Tauschbörsen-Abmahner bei familiärem Internetanschluss?

  • Eiskalte Haftung für den Anschlussinhaber, nur weil er seine Familienangehörigen, seine Ehefrau oder seine Kinder, nicht verhören, nicht verdächtigen oder nicht denunzieren will?

  • Oder etwa „Sippenhaft“, weil der abgemahnte und verklagte Anschlussinhaber seiner abstreitenden Familie vertraut und glaubt?


Erstaunlich aufgeräumt und offen zeigte sich am 25.10.2013 der Berufungssenat des OLG Köln anlässlich von ihm als rechtsfehlerhaft erkannter landgerichtlicher Verurteilungen zu Schadensersatz und zur Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten:

Das OLG habe etwas längere Zeit gebraucht, um eine klare Linie zur sekundären Darlegungslast bei Filesharing-Abmahnungen zu finden, erläuterte der Vorsitzende. Gleichzeitig bedauerte der Senat, dass der BGH bisher keine Gelegenheit bekommen hat, sich eindeutiger dazu zu äußern, welche Angaben vom abgemahnten Anschlussinhaber verlangt werden können (und müssen). Die Fall-Konstellationen seien durchaus unterschiedlich und man mache sich den schmalen Grat zwischen dem Schutz der Rechteinhaber vor wahrheitswidrigen pauschalen Schutzbehauptungen und der Ablehnung pauschaler falscher Verdächtigung von vielleicht unschuldigen Anschlussinhabern keineswegs leicht. 
Was ist zur Zerstreuung der angeblichen tatsächlichen Vermutung, der Anschlussinhaber selbst habe die streitgegenständlichen Uploads vorgenommen oder zugelassen, darzulegen? Reicht die substantiierte Behauptung, der Anschlussinhaber selbst sei es nicht gewesen, sein Ehepartner oder seine Kinder hätten zur fraglichen Zeit zwar grundsätzlich eine eigene Internetanschluss-Zugriffsmöglichkeit gehabt, ein eigenes Fehlverhalten aber ebenfalls bestritten und dem würde der Anschlussinhaber vertrauen?

Ja!

Nach zwischenzeitlichen Irritationen über tatsächliche oder vermeintliche Rückzieher des 6. Zivilsenats von entsprechenden Bewertungen z. B. im OLG-Beschluss vom 28.05.2013 (Az. 6 W 60/13) durch nachfolgende Berufungsurteile des OLG Köln (z. B. vom 02.08.2013, Az. 6 U 10/13) und über fortgesetzt unangemessene Verurteilungen der 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts kündigt sich nun eine klare, gefestigte und angemessene Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln zur sekundären Darlegungslast an. Die Ausführungen der Berufungsrichter im Verlauf der mündlichen Verhandlungen vom 25. Oktober 2013 geben berechtigten Anlass dazu, weitere Rückzieher des OLG Köln von einer angemessenen familienfreundlichen Rechtsprechung für die Zukunft nahezu auszuschließen.
Festzuhalten bleibt bei sachgerechter Würdigung des aktuellen Verhandlungsverlaufs vor dem OLG-Senat:
  • Im Fall eines über einen bestimmten Internetanschluss verifizierten Filesharing-Verstoßes nimmt auch das OLG Köln an, dass eine tatsächliche Vermutung, ein Anscheinsbeweis, dafür spricht, dass der Verstoß vom Anschlussinhaber selbst zu verantworten ist (als unmittelbarer oder mittelbarer Täter oder als vorsätzlicher Anstifter oder Gehilfe).
  • Diese (m. E. durchaus fragwürdige) Vermutung kann nun zumindest dann nicht aufrechterhalten werden, wenn der/die Abgemahnte darlegt (und im Bestreitensfall beweist), dass zumindest eine andere berechtigte Person im verifizierten Zeitraum grundsätzlich die Möglichkeit hatte, auf den Internetzugang zuzugreifen.
  • Dies gilt auch dann, wenn der/die beklagte Anschlussinhaber/in vorträgt, die Familie habe zwar die Zugriffsmöglichkeit gehabt, eigene Verstöße aber glaubwürdig bestritten. Der Anschlussinhaber darf seiner Familie vertrauen, muss ihr nicht misstrauen – was in (anderem) Zusammenhang mit einer in Abmahnungen gern unterstellten Überwachungspflicht des Anschlussinhabers auch bereits vom BGH mit seiner (Morpheus)-Entscheidung vom 15.11.2012 festgestellt worden ist.
  • Auch wenn die abgemahnte und beklagte Partei den bestreitenden Angaben der zum Verstoßzeitpunkt mit grundsätzlicher Zugriffsmöglichkeit ausgestatteten Familienangehörigen vertraut, kann dennoch eine zur Zerstreuung der tatsächlichen Täterschaftsvermutung geeignete ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs nicht ausgeschlossen werden, was zur erfolgreichen Abmahnungs- und Klageabwehr ausreichen kann.
Der steinige Weg aus der Abmahnungs-Einbahnstraße für zu Unrecht abgemahnte Inhaber eines familiären bzw. häuslichen Internetanschlusses wird also doch weiter geebnet. Voraussetzung sind nicht die Überwachung, Aushorchung, Verdächtigung oder Denunzierung von Familienangehörigen, wohl aber wahrheitsgemäßer und sachgerechter, nicht lediglich pauschaler Sach-und Rechtsvortrag, der aber nicht darauf hinauslaufen muss, Ehefrau oder Kinder ans Messer zu liefern.
Den weiteren Entscheidungen des OLG Köln dürfen viele Familien folglich optimistisch entgegensehen.
Dennoch bleiben weiterhin - auch beim OLG Köln - sachverhaltliche, technische und rechtliche Streitfelder mit nicht unerheblichem Klärungs- und Argumentationsbedarf: So etwa, wenn der Berufungssenat davon ausgeht, bei bloßem LAN-Netzwerk wären mit krimineller Energie ausgestattete Trojaner-Infektionen nicht möglich (unter Verkennung von möglichen E-Mail- und Webseiten-Angriffen sowie der etwaigen Verschleierung z. B. durch Rootkits). Oder wenn Recherche-, Protokollierungs- und Archivierungs-Abläufe von Anti-Piracy-Unternehmen im Streit stehen. Auch die Qualität mancher tatsächlichen Vermutung sowie die konkreten Anforderungen an sekundäre Darlegungs- und Beweis-Pflichten werden für die verschiedensten Fall-Konstellationen noch so manche Einbahnstraße entstehen lassen, die es zu öffnen gilt.

 

Sonntag, 11. August 2013

Wie Filesharing-Abmahnungen zu leicht Vertragsstrafen "ermöglichen"

Mit Update des Erklärungsentwurfes vom 03. Oktober 2013


Die Abfassung einer verantwortbaren modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung stellt gewachsene Herausforderungen an Laien und Juristen, wenn unnötige Schadensrisiken, teure Prozesse und unangemessene Vertragsstrafen möglichst vermieden werden sollen.


Immer häufiger werden in Filesharing-Abmahnungen unter Hinweis auf die sogenannte Störerhaftung viel zu weitgehende Anerkenntnisse und Unterlassungserklärungen verlangt:

So soll der Abgemahnte dem Abmahner die Zahlung hoher Vertragsstrafen zusagen für die Fälle, dass der Internetanschlussinhaber es zukünftig "ermöglicht", urheberrechtlich geschützte Dateien zum Abruf durch andere Filesharing-Teilnehmer "bereitzustellen".

Dabei beziehen sich viele Abmahnungen auf die m. E. recht fragwürdige Tenorierung im kritikwürdigen Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 11.01.2013
 
Hintergrund sind die unterschiedlichen sachverhaltlichen und rechtlichen Voraussetzungen einerseits der Täterhaftung (einschließlich Teilnehmer-Haftung) und andererseits der sogenannten Störerhaftung, die ihrerseits etliche unterschiedliche und höchst umstrittene Ausprägungen hat. Dem werden offene und vieldeutige Begriffe wie das "Ermöglichen" und das "Bereitstellen" allerdings kaum gerecht, zumindest nicht ohne geeignete Konkretisierungen und Einschränkungen. Wo fängt das "Ermöglichen" von illegalem Filesharing durch den Internetanschlussinhaber an, wo hört es auf?
 
Soweit sich im Einzelfall überhaupt vorsorglich eine die Störerhaftung ausdrücklich erfassende Unterlassungserklärung empfiehlt, ist dabei aus meiner Sicht neben vielen weiteren erforderlichen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit modifizierten Unterlassungserklärungen an folgende eingrenzende Formulierungsvariante zu denken (zur Ergänzung der modifiziert zugesagten Unterlassungsverpflichtung):
 

"... Die eingegangene Unterlassungsverpflichtung ist so zu verstehen ist, dass sie auch eine sogenannte "Störerhaftung" umfasst im Sinne eines kausalen und schuldhaften zukünftigen Verhaltens, das ein entsprechendes vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen vorhersehbar und vermeidbar außenstehenden, unbefugten Dritten ermöglicht, indem der Zugang zum privaten WLAN-Anschluss des/der Erklärenden nicht pflichtgemäß durch zum Zeitpunkt der Router-Installation und für die vorhandene technische Ausstattung technisch anerkannte, übliche und sinnvolle, dem/der Erklärenden mögliche und zumutbare Maßnahmen gesichert wird, und/oder das ein entsprechendes vertragsstrafenbewehrtes öffentliches Zugänglichmachen vorhersehbar und vermeidbar minderjährigen befugten, aber nicht einsichtsfähigen Nutzern des privaten Internetanschlusses ermöglicht oder minderjährigen befugten und einsichtsfähigen Nutzern des privaten Internetanschlusses ermöglicht, wenn letztere nicht pflichtgemäß über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt sind. ..."

Hiermit wird sowohl eine zukünftige (und für die Vergangenheit übrigens keineswegs eingeräumte) Störerhaftung wegen unzureichender realistischer Sicherung des häuslichen WLAN-Netzwerkes als auch der Zugang nicht einsichtsfähiger Kinder oder eine unzureichende Belehrung minderjähriger Kinder erfasst, ohne die Störerhaftung etwa z.B. auf übertriebene Kontroll- und Überwachungspflichten oder vermeintliche Belehrungspflichten gegenüber erwachsenen Kindern oder Ehepartnern auszuweiten.

Auch ein derartiges Erklärungsfragment sollte selbstverständlich grundsätzlich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage sowie für weitergehende Ansprüche und insbesondere auch unter Protest gegen irgendeine Kostentragungspflicht, dennoch allerdings mit rechtlicher Verbindlichkeit abgegeben werden. Darüber hinaus sind - wie immer - auch die spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls sorgfältig zu klären und zu berücksichtigen, bevor voreilig Erklärungstexte aus der Abmahnung, aus diversen Internetangeboten oder aus diesem Blog ungeprüft übernommen werden. Das Thema "Unterlassungserklärung" bleibt in jedem Fall spannend und vielschichtig und kann weiteren Streit und weitere Anregungen "ermöglichen".
 
 

Samstag, 22. Juni 2013

Filesharing-Abmahnung beim Pornofilm: Mehr Argumente zur Verteidigung

Hardcore-Abmahner sehen oft recht alt aus


Mit einem aktuellen Beschluss des LG München vom 29.05.2013 (7 O 22293/12) - errungen von den Kollegen SKW Schwarz - zeigt sich, dass bei Filesharing-Abmahnungen wegen "erotischer" Filme zusätzliche, bei der Rechtsverteidigung oft übersehene Gegenargumente existieren, die hier kurz zusammengefasst werden sollen:
  • Die Aktivlegitimation des in der anwaltlichen Abmahnung genannten angeblichen Rechteinhabers ist häufig mehr als zweifelhaft. Die abmahnende Unternehmung ist oft gar nicht der Produzent oder ein Online-Anbieter der erotisch bewegten Bilder. Ableitende Rechteketten werden nicht nachvollziehbar dargelegt.
  • Ein Schutz als Filmwerk nach § 94 UrhG scheitert, wenn an einer persönlichen geistigen Schöpfung i. S. d. § 2 Abs. 2 UrhG fehlt. Dies kann bei bewegten Bildern der Fall sein, die lediglich sexuelle Vorgänge in primitiver Weise zeigen und reine Pornografie darstellen.
  • Selbst ein lediglich subsidiärer und in der Abmahnung regelmäßig gar nicht geltend gemachter Schutz als Laufbilder gem. §§ 94, 95, 128 Abs. 2, 126 Abs. 2 UrhG scheidet aus, wenn ein Ersterscheinen der leibestüchtigen Laufbilder in Deutschland bzw. ein Ersterscheinen im Ausland und ein Nacherscheinen in Deutschland nicht ordnungsgemäß dargelegt werden können – etwa eine Kino-Vorführung, ein Online-Angebot von Video-on-Demand oder der Vertrieb von DVDs.
Auf zusätzliche Gesichtspunkte nicht vorliegender Täterhaftung bzw. nicht erfüllter Störerhaftung oder überhöhter Schadens- und Kosten-Bezifferung kommt es dann nicht einmal mehr streitentscheidend an. Bei Abmahnung wegen angeblicher Tauschbörsen-Teilnahme mit Hardcore-Filmen sieht der oder die abgemahnte Internet-Anschlussinhaber(in) also häufig gar nicht so alt aus wie manche Darsteller.

Samstag, 15. Juni 2013

Kunst-Verbot wegen "Porno"-Falten an der "Seemanns Braut"


 
Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes beschädigte und entfernte in der Ausstellung einer Herforder Atelier-Gemeinschaft ein provokantes Kunstwerk der Künstlerin Alexandra Sonntag aus Bielefeld. Wie die Neue Westfälische in ihrer Wochenend-Ausgabe berichtet, handelt es sich um eine Installation von mehreren Papierschiffchen, die die studierte Künstlerin aus Sex-Heftchen hergestellt hatte. Die Rauminstallation mit dem Titel „Seemanns Braut“ zielte als künstlerischer und kritischer Kommentar auf die Seefahrer-Romantik und die Zurschaustellung weiblicher Sexualität.
Nach einigen Beschwerden von Passanten, die wohl kein (Kunst-)Verständnis beim Blick in das Schaufenster des ostwestfälischen Kunst-Quartiers aufbringen wollten, marschierte ohne Vorankündigung eine Behörden-Vertreterin in die Galerie und entfernte die Installation. Nach Angaben der Atelier-Gemeinschaft wurden dabei einige Schiffchen sogar zertreten.

Vor dem Ausstellungslokal trafen Beamtin und Künstlerin – wie die NW berichtet – dann doch noch zusammen. Das Ordnungsamt rechtfertigt den Eingriff in die Kunstfreiheit mit dem Vorwurf der „Verbreitung pornografischer Schriften“.  Man verständigte sich. Alexandra Sonntag griff zum schwarzen Filzstift und übermalte auf den Faltungen der Schiffchen teilweise erkennbare Geschlechtsteile und baute die Installation wieder auf.
Zwei Kripo-Beamte der Hansestadt Herford nahmen nach der Zensur die „Seemanns Braut“ nochmals in Augenschein, ohne die Ausstellung weiter zu verbieten.

Einerseits hat nun eine ostwestfälische Behörde an der (veränderten) Schaffung eines neuen, das eigene, m. E. verfassungswidrige Verhalten dokumentierenden Kunstwerkes mitgewirkt. Andererseits hat hier behördliche Gewalt einen sehr bedenklichen unverhältnismäßigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Kunstfreiheit und einen provinziellen Eklat produziert, der in seiner Dimension über eine Provinz hinausreicht.

Freitag, 7. Juni 2013

Neues Filesharing-Urteil des LG Köln verlangt mehr Familien-Misstrauen bei Abmahnung und Klage


Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 05.06.2013 (Az. 28 O 346/12) erneut im Zusammenhang mit Filesharing-Vorwürfen einen Familienvater und Inhaber eines häuslichen Internetanschlusses zur Zahlung von Schadensersatz und zur Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten verurteilt zugunsten von vier großen deutschen Musikverlagen. 

Die klagenden Musiklabel behaupten, der beklagte Ehemann und Vater von zwei Kindern habe Nutzungs- und Verwertungsrechten an 15 Musikwerken verletzt – und zwar durch angeblich über den häuslichen Internetanschluss an einem Sonntagvormittag im Juni 2008 vorgenommene illegale Filesharing-Teilnahme.

Der Beklagte hat im Verfahren vorgetragen und durch Zeugen sowie durch sachverständige Analyse der noch vorhandenen Router- und Rechner-Hardware unter Beweis gestellt, dass er zu keinem Zeitpunkt jemals Filesharing betrieben hat - auch nicht an dem in der urheberrechtlichen Klage behaupteten Vormittag. Das Landgericht Köln ist den Beweisantritten allerdings nicht nachgekommen

Auf die anwaltliche Abmahnung hin hatte der Anschlussinhaber eine modifizierte strafbewehrte Unterlassungserklärung ohne weitergehende Rechtsanerkenntnisse abgegeben.

Nachdem seine Ehefrau und sowohl der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige, als auch der zum damaligen Zeitpunkt bereits erwachsene Sohn dem Beklagten versichert hatten, ebenfalls kein illegales Filesharing betrieben zu haben, sah dieser keinen Anlass, seine Familienangehörigen gegenüber den Musikverlagen, den abmahnenden Rechtsanwälten oder dem Gericht dennoch vermeintlicher illegaler Filesharing-Teilnahme zu bezichtigen. Der beklagte Familienvater wies allerdings gleichzeitig darauf hin, dass er - ungeachtet seines grundsätzlichen Vertrauens in die Angaben seiner Ehefrau und seiner beiden Söhne - andererseits selbstverständlich naturgemäß etwaige ihm entgangene oder verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen oder von Freunden oder Gästen seiner Familienangehörigen nicht völlig ausschließen kann und dass jede andere Bewertung vermessen wäre. 

Der Beklagte hatte bereits im Jahre 2007 und insbesondere auch in der ersten Hälfte des Jahres 2008 seine Familienmitglieder eingehend auf das Verbot einer öffentlichen Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Musik- oder Filmdateien im Rahmen von sog. Filesharing-Börsen hingewiesen und generell die Teilnahme an Online-Tauschbörsen über seinen häuslichen Internetanschluss untersagt. Diesbezüglich benannte der Beklagte ebenfalls mehrere Zeugen.

Die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat den Beklagten dennoch als angeblichen "Täter" zu Schadensersatz und Kostenerstattung verurteilt.  

Der Beklagte habe eine gegen ihn gerichtete "tatsächliche Vermutung ... nicht erschüttern können, da er keine konkrete Möglichkeit eines atypischen Lebenssachverhalts dargelegt" habe. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Angaben seiner Familienangehörigen dahingehend, dass auch diese kein Filesharing betrieben haben, grundsätzlich vertraut, und dass der Beklagte auf der anderen Seite gleichzeitig klarstellt, dass er naturgemäß etwaige ihm entgangene oder ihm verheimlichte Rechtsverstöße seiner Familienangehörigen (oder auch von Gästen seiner Familienangehörigen) nicht völlig ausschließen kann, leitet das Gericht "widersprüchlichen Vortrag" ab, aufgrund dessen der Beklagte "seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen" sei.

Dies wird der Lebenssituation im Zusammenhang mit familiären Internetanschlüssen, den zwangsläufig insoweit oft eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Anschlussinhabers und realistischen Anforderungen an die sekundäre Darlegungspflicht eines familiären Internetanschlussinhabers sowie insbesondere den in dem Zusammenhang zu berücksichtigenden Zumutbarkeitsgrenzen nicht gerecht.

Zumindest hätte das Gericht den Beweisantritten des Beklagten, der schließlich sogar überpflichtmäßig zum Gegenbeweis bereit war, nachkommen müssen. Oder? Ist letzteres wirklich richtig? Nein! Das Gericht hätte nicht den Beweisantritten des Beklagten nachgehen müssen, es hätte allenfalls entsprechenden Beweisantritten der klagenden Musikverlage nachgehen müssen. Die klagenden Musikverlage haben aber von ihrem Recht, derartige, vom Beklagten überpflichtmäßig angebotene Beweismittel auch ihrerseits aufzugreifen, nicht Gebrauch gemacht. Das kann nicht dem nur sekundär Darlegungspflichtigen angelastet werden. Und dies werden die klagenden Musiklabel zivilprozessual auch zweitinstanzlich nicht mehr nachholen können.

Hier das nicht rechtskräftige Urteil im Original-Text:
 










 


























Wie man demgegenüber fair und sachgerecht mit vergleichbaren Fällen familiärer Filesharing-Vorwürfe und diesbezüglichem Sachvortrag des Internetanschlussinhabers bzw. der Internetanschlussinhaberin umgeht, zeigt - neben Entscheidungen auch des OLG Köln - sehr anschaulich u.a. das Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 O 353/11).