Samstag, 5. Juni 2010

Abmahnung an die politische "Klasse" - Gauck für das Volk - Ein etwas anderes Plädoyer



Die Bundeskanzlerin nimmt faktisch für sich das Urheberrecht für das Amt bzw. die Person des Bundespräsidenten und seiner oder ihrer Auswahl in Anspruch. Dabei beruht die daraus abgeleitete Werkschöpfung auf machtpolitischem Kalkül statt auf wegweisender Kreativität. Hierfür verdient Frau Merkel und die derzeitige politische "Klasse" eine Abmahnung.

Und zwar eine Abmahnung aus dem Volk, ohne damit einer voreiligen und nicht immer weitsichtigen Forderung nach der direkten, basisdemokratischen Wahl des Bundespräsidenten das Wort reden zu wollen.

Die Wahlfrauen und Wahlmänner der Bundesversammlung sollten allerdings am 30.06.2010 - und schon früher - sich die folgenden, teilweise vielleicht provokanten - Argumente dahingehend vor Augen führen, was Gauck für das Volk bedeutet, wobei die Reihenfolge keine Rangfolge sein soll:

 1. Joachim Gauck ist kein Jurist, sondern Theologe. Was soll das denn, werden viele fragen: Juristen - wie Wulff (und wie im Übrigen auch der Verfasser einer ist) -  w i  s s e n  doch, während Theologen nur glauben. Was Juristen alles wissen und vor allen Dingen oft nicht wissen, führt die politische Klasse der aktuell das politische Agieren auf den höchsten Ebenen bestimmenden Juristen uns täglich vor. Juristen glauben zu wissen, der Theologe Gauck weiß, was er glauben kann und - noch wichtiger - was nicht. Die Hinterfragung vermeintlicher Wahrheiten prägt nicht unwesentlich sein Leben; und gleichzeitig der engagierte Kampf um die Wahrheit, auch wenn sie unbequem ist.

 2. Wo wir beim Thema Glauben sind: Joachim Gauck ist kein Katholik. Ja und? Müssen wir das Amt nach Proporz-Gesichtspunkten (Merkel ist evangelisch) besetzen? Wäre auch das nicht bloß Kalkül? Und was ist mit den Geschehnissen und Umgehensweisen, die die katholische Kirche in der jüngeren Vergangenheit - zu Recht - belastet haben? Diese Dinge belasten zweifelsohne nicht den niedersächsischen Ministerpräsidenten, zwingen uns allerdings auch nicht zu dem vorerwähnten Proporz-Deal.

 3. Mehr "junge Leute" (Christian Wulff ist - wie ich - 50) in höchste Staatsämter? Generationswechsel? Steht Wulff wirklich dafür? Wofür steht er eigentlich? Gauck steht jedenfalls für ein langes, zugegebener Maßen längeres Leben (70 Jahre), voller leidvoller, mutiger und zäher Geschichte, Erfahrung und Handlung. Wir werden in den kommenden Jahren zunehmender lernen müssen, neben der berechtigten Förderung und Forderung der "Jugend" ohne falschen Jugendwahn nicht nur die Last, sondern mehr noch das Potenzial und die Ressourcen erfahrener "Alter" oder "Älterer" einzubeziehen und zu nutzen; keineswegs kritiklos und rückwärtsgewandt, jedoch lernfähig und lernwillig, offen und zugewandt sowie gerne manchmal auch begeistert.

 4. Wulff ist ein Vollblut-Politiker, einverstanden. Aber reicht das? Brauchen wir an dieser Stelle genau das und den? Hieß es in einer der entscheidenden politischen Zeiten für unser Land, im Herbst 1989, "Wir sind die Politiker" oder hieß es "Wir sind das Volk"? Nun wird das Volk nicht Bundespräsident werden können. Das Volk hat aber berechtigter Weise auch kein Verständnis mehr für und keine Lust mehr auf  glattkalkulierte und durchtaktierte Gremien-Politik auf einem Weg der geringsten Widerstände. Gauck steht für das Gegenteil. Das Volk will das Gegenteil. Gauck steht für politische Unabhängigkeit mit dem Blick über den politischen Tellerrand - bei gleichzeitig ausgeprägten politischen Überzeugungen und vorzuweisenden Taten.

 5. Und Gauck steht für politischen Eigensinn im besten Sinne des Wortes und mit geschliffenem Akzent bei der geistreichen und anstoßenden - nicht anstößigen - Wahl seiner Worte. Ein Mann - und wenn schon - mit Ecken und Kanten, nicht weichgespült, aber ohne falsche Verbitterung, nicht Darling, aber sich einmischender Demokrat, durch und durch Demokrat mit Rückgrat sowie Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft.

 6. Sein Drang zur und sein ständiges Ringen um und für die Freiheit sowie für das Begreifen der Freiheit als unverzichtbare menschliche und menschenwürdige Lebensgrundlage sind Vorbild für unsere Demokratie und unser Land.

 7. Gauck ist kein Mann der Karriere, kein Laufbahn-Läufer, sondern ein Mann mit steinigem Weg, ein mutiger Kämpfer sowie ein eigensinniger und verantwortungsvoller Aufklärer für das Volk - und für die Politik.

Freitag, 4. Juni 2010

OLG Hamm zum Streit um Pressefoto von Kindern bei politischer Protest-Demo im Karneval

Wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder unter den Bedingungen eines öffentlichen Auftretens vor Zuschauern bewusst in der dann abgelichteten Situation der Öffentlichkeit präsentieren, scheidet aus mehreren presserechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen ein Veröffentlichungs-Verbot hinsichtlich anlassbezogen gefertigter und veröffentlichter Fotos der Kinder aus, auch wenn die Fotos nur einen ein oder zwei Kinder abbildenden repräsentativen Ausschnitt zeigen. Das OLG Hamm hat mit Beschlüssen vom 31.05.2010 ( I-3 W 26/10 und I-3 W 27/10) im einstweiligen Verfügungsverfahren zwei vorausgegangene Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld bestätigt. 

Mit in diesem Blog bereits bekanntgegebenen und kommentierten Beschlüssen vom 16.04.2010 hatte das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung von sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützte sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang hatte ich bereits ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hingewiesen; diese Entscheidung ging in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte die Zivilkammer - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Dies hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun ohne Einschränkungen bestätigt. In den Beschwerde-Beschlüssen heißt es u. a.:

Der Senat teilt insoweit angesichts der konkreten Umstände, unter denen das streitgegenständliche Foto (anlassbezogen) gefertigt und unter denen es von der Beklagten (anlassbezogen) veröffentlicht wurde, die Erwägungen des Landgerichts, dass es vorliegend vor allem deshalb an einem Schutzbedürfnis der (so) abgebildeten Kinder fehlt, weil sie von ihren Eltern in der abgelichteten Situation "bewusst der Öffentlichkeit zugewendet" wurden und den "Bedingungen eines (derartigen) öffentlichen Auftretens vor Zuschauern ausgeliefert" wurden (vgl. dazu: BGH, GRUR 2010, 173 - juris-Rdnr. 10). Zudem wurden die Kinder hier weder durch die abgelichtete öffentliche Situation noch durch das textliche Umfeld der in Rede stehenden Aufnahme verfälschend oder herabsetzend dargestellt noch sie selbst als heranreifende Persönlichkeiten in irgendeiner Weise kritisiert.

Kritik war textlich vielmehr an dem Verhalten der in der oben beschriebenen Weise provokant agierenden Eltern geübt worden, was diese zum Anlass genommen hatten, zunächst per Abmahnung und sodann bei Gericht ein Veröffentlichungs-Verbot gegen den Zeitungsverlag anzustreben. Dieser Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit zu beschneiden, scheiterte nun zu Recht auch vor dem OLG Hamm.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Rügen und "Abmahnungen" an den BGH: WLAN-Urteil zu Filesharing und Störerhaftung in der Kritik

Das WLAN-Urteil des I. Zivilsenats des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08) ist geeignet, als auf Dauer zur sachverhaltlich sachgerechten und urheber- sowie medienrechtlich gerechten Klärung des Geschäftsmodells "Filesharing-Abmahnung" nicht sehr geeignet zu erscheinen.

Hierzu die m. E. wesentlichen Aspekte, wobei Urteils-Zitate kursiv gefasst sind:

1. Überbewertungen an der einen oder anderen Stelle des Urteils verbieten sich bereits deshalb, weil der BGH z. T. nicht vollständig aufgeklärte und nicht vollständig von den Prozess-Parteien dargelegte, geltend gemachte und ausargumentierte Sachverhaltsfragmente seiner Entscheidung zugrunde zu legen hatte bzw. zugrunde gelegt hat. Dies betrifft insbesondere auch technische Abläufe und Details.

2. Die Bewertung des BGH zu "tatsächlichen Vermutungen" über eine vermeintlich grundsätzliche Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers für eine öffentliche Zugänglichmachung (über eine bestimmte, ihm vermeintlich zuordbare dynamische IP-Adresse) entbehrt einer näheren, nachvollziehbaren Begründung.

3. Die aus den nicht näher dargelegten "Vermutungen" pauschal und ebenfalls ohne nähere Begründung geschlossenen Bewertungen des BGH zur  sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers lassen ebenfalls substanzielle Ableitungen vermissen.

4. Der BGH verneint mit nachvollziehbarer Argumentation eine täterschaftliche oder teilnehmermäßige Haftung und damit auch eine Schadensersatzpflicht des Anschlussinhabers mangels Erfüllung der "Merkmale eines der haftungsbezogenen Verletzungstatbestände des Urheberrecht".

Den Fall einer "Haftung für die Verletzung einer Verkehrspflicht" verneint der BGH selbst bei nicht ausreichend gesichertem privaten WLAN-Netzwerk ausdrücklich. Er grenzt den Fall privater Internet-Nutzung ab von dem demgegenüber bei der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht vom gleichen Senat als Begründung herangezogenen Fall eigener geschäftlicher Interessen beispielsweise einer Handelsplattform.

Auch eine entsprechende Anwendbarkeit der sog. "Halzband"-Entscheidung lehnt der BGH entgegen anderslautender Instanzen-Rechtsprechung zu Recht ab.

Gleichzeitig meint der BGH aber, der Anschlussinhaber habe "adäquat kausal" und "willentlich" ... "zur Verletzung des geschützten Rechts beigetragen". Insbesondere der Aspekt der vermeintlichen "Willentlichkeit" des Anschlussinhabers entbehrt dabei einer ausreichend  konkreten und vertieften Darlegung.

5. Die vom BGH angenommene Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten begründet der BGH schlicht und pauschal - ohne jedes Eingehen auf spezifische Fallkonstellationen - mit der These, das "es regelmäßig im wohlverstandenen eigenen Interesse des Anschlussinhabers liegt, seine Daten vor unberechtigtem Eingriff von außen zu schützen". Dabei verkennt der Senat, dass inhaltlich und technisch die möglichen Sicherungsmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen durch insbesondere von außen eingreifende Dritte und die möglichen Sicherungsmaßnahmen zugunsten der eigenen persönlichen Daten keineswegs identisch sein müssen. Persönliche Daten können selbstverständlich in unterschiedlichster anderer Weise aus dem WLAN-Netz herausgehalten werden; die vom BGH angedeuteten Verschlüsselungen des Routers sind dafür keineswegs zwingend.

6. Soweit der BGH im privaten Bereich die zum Kaufzeitpunkt (was ist beim Kauf gebrauchter Router?) "marktüblichen Sicherungen" verlangt, wobei diese "ihrem Zweck entsprechend wirksam einzusetzen sind", will er ohne durchgreifende Begründung andererseits die "werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen" nicht als ausreichend ansehen (im vorliegenden Fall ein Passwort aus 16 Ziffern). Diese hätten bereits 2006 nicht "zum Mindeststandard privater Computernutzung" gehört, vielmehr stattdessen ein "Schutz von Computern ... durch individuelle Passwörter". Die wirkliche (fehlende) Qualität derartiger, tatsächlich regelmäßig verwendeter individueller Passwörter (da werden eine Menge Namen geliebter Personen und Tiere auftauchen) wird dabei ersichtlich verkannt, wobei der BGH wohl auch Router und Computer verwechselt oder gleichsetzt. Ferner disqualifiziert das Gericht zu Unrecht die immerhin vom Hersteller seinerzeit wohl kaum unprofessioneller als vom laienhaften Kunden vorgegebene Verschlüsselungssystematik und verkennt damit korrespondierende vermeintlich unterschiedliche oder gleichartige technische Möglichkeiten, die Passwörter jeweils zu überwinden.

7. Will der BGH den privaten Internet-Nutzer, auf dessen Seite nach den Feststellungen des Senats kein "Geschäftsmodell" besteht, "das durch die Auferlegung präventiver Prüfungspflichten gefährdet wäre", deshalb von den Privilegien des TMG ausnehmen? Ist es akzeptabel, auf diese Weise das Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" demgegenüber weniger zu "gefährden" ?

8. Warum setzt der BGH sich zwar kurz mit § 10 TMG, nicht aber mit den viel näher liegenden Privilegierungen des § 8 TMG auseinander?

9. Warum nutzt der I. Zivilsenat nicht die vielleicht doch bestandene und gebotene Möglichkeit, die Anforderungen an die zur vermeintlichen IP-Adressen- und sonstigen Recherche und Dokumentierung erforderlichen substantiierten Darlegungen zu thematisieren?

10. Hat der BGH sich wirklich in angemessener und ausreichend tiefgründiger Weise mit dem Thema Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit auseinandergesetzt?

Mein vorläufiges Resümee, das sich an meine früheren Einschätzungen zum BGH-WLAN-Urteil anschließt:

Das reicht so nicht für eine wesentliche und nachhaltige Klärung.

Kein absehbares Ende der Debatte und des Ringens um
erfolgreiche Abmahnungsabwehr.