Donnerstag, 15. November 2012

Filesharing-Abmahnung verliert nach BGH-Urteil an Boden und Grund

Mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. I ZR 74/12 - "Morpheus" ) haben die Musik-Konzerne und die Abmahn-Industrie nicht nur einen Prozess verloren, sondern auch die Grundlage für unzählige Filesharing-Abmahnungen.

Der Pressemitteilung des BGH vom 15.11.2012 sind unter Berücksichtigung des mit der höchstrichterlichen Entscheidung aufgehoben Urteils des OLG Köln vom 23.03.2012 (Az. 6 U 67/11) sowie des erstinstanzlichen Urteils der vielkritisierten 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30.03.2011 (Az. 28 O 716/10) aus meiner Sicht insbesondere die folgenden berechtigten Bewertungen bzw. Erwartungen zu entnehmen:

  1. Es gibt keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer minderjährigen Kinder.
  2. Erst recht gibt es keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare deliktische Schadenshaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer volljährigen Kinder.
  3. Es gibt auch keine grundsätzliche oder grundsätzlich vermutbare Störerhaftung der Eltern für illegale Filesharing-Aktivitäten ihrer Kinder und damit auch keine grundsätzliche Berechtigung zur Abmahnung der Eltern sowie insbesondere keine grundsätzlich daraus etwa ableitbare Verpflichtung der Eltern zur Erstattung anwaltlicher Abmahnungskosten.
  4. Eltern sind bei häuslichem Internetanschluss lediglich verpflichtet, minderjährige Kinder über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen zu belehren. Dies reicht zumindest dann aus, wenn das Kind (im Streitfall 13 Jahre alt) normal entwickelt ist und grundlegende Gebote und Verbote der Eltern regelmäßig befolgt.
  5.  Eine grundsätzliche Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren - z. B. durch Portsperren oder Kindersicherungen, besteht nicht. Eine Verpflichtung der Eltern zu derartigen Maßnahmen besteht allenfalls dann, wenn die Eltern konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.
Das entzieht zu Recht etlichen an die Inhaber familiärer Internetanschlüsse gerichteten Filesharing-Abmahnungen die deliktsrechtliche und urheberrechtliche Grundlage.

  • Update:  "Früher hätten die Eltern dafür auch schon mal Ohrfeigen verteilt." Interessanter Terminsbericht zur Verhandlung vor dem 1. Zivisenat des BGH von Rechtsanwalt Solmecke

Freitag, 2. November 2012

Filesharing-Abmahnung ohne Strom? Urlaub für Täter- und Störerhaftung?

Es wird nicht leichter für Filesharing-Abmahnungen - selbst auf Kölner Terrain: Auf ein neues Urteil der 28. Zivilkammer des Langerichts Köln vom 24.10.2012 ( Az. 28 O 391/11) weisen die Rechtsanwälte Wagner Halbe hin.

Nach der insoweit richtungsweisenden Entscheidung des OLG Köln vom 16.05.2012 (Az. 6 U 239/11) und dem die dortigen Vorgaben aufgreifenden Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 = 353/11) hat nun auch die zuvor recht großzügig mit P2P-Abmahnungen umgehende 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts sich kritischer als sonst mit Filesharing-Vorwürfen von Warner, Universal, EMI und Sony Music auseinandergesetzt. Dennoch gibt das aktuelle Urteil keinen Anlass zu Über-Interpretationen, wenn auch neben den immer klarer gezogenen Grenzen einer Täter- und Störerhaftung zunehmende Zweifel an den Recherche-Methoden auftauchen.

Zum zugrundeliegenden Sachverhalt führt das Landgericht u. a. aus:
...
Die Klägerinnen haben ... die Firma pro Media GmbH mit der Ermittlung solcher Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Diese ermittelte, dass am 19.06.2007 um 15:04:56 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, mittels einer Tauschbörsensoftware insgesamt 2.200 Audiodateien zum Download verfügbar gemacht wurden.
...
Die Klägerinnen stellten daraufhin am 20.06.2007 Strafanzeige. Nach der in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Auskunft der Deutsche Telekom AG als zuständigem Internet-Service-Provider war die vorgenannte IP-Adresse zu dem streitgegenständlichen Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesen. In dem Haushalt des Beklagten lebten seinerzeit dessen Ehefrau sowie dessen zum damaligen Zeitpunkt 16 bzw. 20 Jahre alten Söhne.

Nachdem die Klägerinnen durch Einsichtnahme in die Ermittlungsakten Kenntnis von der Person des Beklagten erhalten hatten, mahnten sie diesen durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2007 ab und forderten ihn auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte der Beklagte nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Klägerinnen nunmehr Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von EUR 200.000,00 sowie Schadensersatz in Form der Lizenzentschädigung, die Sie pro Musiktitel mit EUR 200,00 beziffern.
...
Die Klägerinnen beantragen, den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 2) EUR 800,00, an die Klägerin zu 3) EUR 200,00 und an die Klägerin zu 4) EUR 2.000,00 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;


2. an die Klägerinnen zu 1) bis 4) zu gleichen Teilen EUR 2.380,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.


...
Er sei mit der gesamten Familie vom 18.-25.06.2007 im Urlaub gewesen und vor Urlaubsantritt seien sämtliche technische Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden. Ein Datentausch über seinen Internetanschluss sei daher zum streitgegenständlichen Zeitpunkt unmöglich gewesen. Im Übrigen hält der Beklagte den Lizenzschaden für übersetzt, ebenso die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten: der zu Grunde gelegte Gegenstandswert sei überhöht und es sei von einer pauschalen Entgeltabrede im Verhältnis der Klägerinnen zu ihren Prozessbevollmächtigten auszugeben.
Abmahnkosten könnten aber auch dem Grunde nach nicht verlangt werden: die Abmahnung sei zu weit gefasst und der Unterlassungsanspruch überdies nicht weiterverfolgt worden.


...
 In den Entscheidungsgründen heißt es dazu u. a.:
...
1. Die Klage ist zulässig, ...
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Nach den unstreitigen familiären Umständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte die behauptete Rechtsverletzung weder selbst begegangen, noch an ihr als Teilnehmer beteiligt war; er ist für sie auch nicht als Störer verantwortlich. Gegen ihm bestehen daher weder Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten (§§ 683, 670 BGB) noch auf Schadenersatz (§ 97 UrhG); ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung elterlicher Aufsichtspflichten besteht ebenfalls nicht.
a) Der verfolgte Anspruch auf Schadensersatz besteht gegen den Beklagten weder aus § 97 UrhG noch aus § 832 BGB.


aa) Ein Anspruch aus § 97 UrhG scheidet aus, da der Beklagte nach den gegebenen Umständen nicht selbst Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung ist und an diese auch nicht als Teilnehmer beteiligt war.


Gegen den Beklagten spricht zwar im Ausgangspunkt die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen worden ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens). Die Klägerinnen haben mithilfe der Screenshots (Anlage K1) belegt, dass am 19.06.2007, 15:04:56 Uhr über den Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, die aus der Anlage K1 ersichtlichen Dateien mit den Namen von Musiktiteln öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Die Deutsche Telekom AG hat weiterhin ausweislich Anlage K3 bestätigt, dass die vorgenannte IP-Adresse zum vorgenannten Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesenen war. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Screenshots oder der Beauskunftung durch die Deutsche Telekom AG begründen könnten, sind auf den ersten Blick nicht ersichtlich, so dass in einem ersten Schritt davon auszugehen war, dass die streitgegenständliche Verletzungshandlung vom Internetanschluss des Beklagten aus erfolgte.


Allerdings ist die darauf aufbauende tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Beklagten vorliegend schon durch den tatsächlichen Umstand entkräftet, dass außer diesem auch dessen Frau und Kinderzugriff auf den Internetzugang hatten. Die Vermutung der Täterschaft greift bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht ein. Hinzu kommt, dass die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, dass sich der Beklagte mitsamt seiner Familie zum streitgegenständlichen Zeitpunkt im Urlaub befand und PC und Router vom Stromnetz getrennt waren.


Dafür, dass der Beklagte als Anstifter oder Gehilfe an der Tat eines Dritten beteiligt gewesen sein könnte, und aus diesem Grunde auf Schadensersatz haften würde, ist nichts ersichtlich.
bb) Der Beklagte haftet auch nicht nach § 832 BGB wegen der Verletzung von elterlichen Aufsichtspflichten auf Schadensersatz, da nicht ersichtlich ist, dass die Rechtsverletzung durch einen zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Sohn erfolgte.
b) Die Klägerinnen können von dem Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beanspruchen. Aus Schadensersatzgesichtspunkten besteht ein solcher Anspruch nicht (s.o.). Den Klägerinnen steht darüber hinaus auch kein Anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB ) zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haftet der Beklagte auch nicht als Störer für die behauptete Rechtsverletzung, so dass die Abmahnung unberechtigt erfolgte.


Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Allerdings darf die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben; sie setzt daher die Verletzung von Prüfpflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung nach den Umständen zumutbar ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08).
aa) Eine solche Prüf- und Kontrollpflicht nimmt die Kammer in Bezug auf die Überlassung eines Internetanschlusses an minderjährige Kinder an. Die Überlassung des Internetanschlusses an minderjährige Kinder begründet - nicht zuletzt auch als Ausfluss elterlicher Aufsichtspflicht – die Verpflichtung des überlassenden Anschlussinhabers, das Kind über die Wahrung von Rechten Dritter zu belehren und das Verhalten des Kindes regelmäßig darauf hin zu kontrollieren.


Gleichwohl kann insoweit nicht von einer Störerhaftung des Beklagten ausgegangen werden, da nicht feststeht, dass die Rechtsverletzung gerade durch den minderjährigen Sohn des Beklagten begangen wurde.
bb) Ob auch die Überlassung des Internetanschlusses an erwachsene Haushaltsangehörige oder Dritte entsprechende Prüf- und Kontrollpflichten mit sich bringt, die eine Störerhaftung begründen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Rechtsverletzung nicht durch eine Person begangen worden ist, der der Beklagte den Internetanschluss überlassen hat. Sämtliche Personen, die Zugang zu diesem Internetanschluss hatten, befanden sich danach zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung im Urlaub auf Mallorca. Dies hat die Zeugin X übereinstimmend mit dem vorgelegten Mietvertrag bekundet und die Kammer hat keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden.


Soweit die Klägerinnen in diesem Zusammenhang einwenden, die körperliche Anwesenheit sei für die Teilnahme an Filesharing-Programmen weder Voraussetzung noch auch üblich, stimmt die Kammer dem im Grundsatz zu, hält dies aber bei einer einwöchigen Urlaubsabwesenheit für fernliegend. Hinzu kommt, dass angesichts der Aussagen der Zeugen Y und Z davon auszugehen ist, dass PC und Router vom Stromnetz getrennt waren (s.u.).
cc) Eine Störerhaftung des Beklagten ließe sich danach nur noch damit begründen, dass die Rechtsverletzung durch ein rechtsmissbräuchlichen Zugriff Dritter auf den Internetanschluss des Beklagten erfolgt ist und der Beklagte diesen Zugriff ermöglicht hat, indem er den Internetanschluss nicht ausreichend gegen Zugriffe durch Dritte gesichert hatte. Insoweit hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ (s.o.) erkannt, dass den Betreiber eines W-Lan-Anschlusses eine Prüfpflicht hinsichtlich ausreichender Sicherheitsmaßnahmen treffe. Diese gehe zwar nicht so weit, dass der private W-Lan-Betreiber das Netzwerk stets dem neuesten Stand der Technik anpassen müsse. Die Prüfpflicht beziehe sich aber auf die Einhaltung der im Kaufzeitpunkt des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.

Ob die Sicherung des Routers des Beklagten diesen Anforderungen entsprach, ist zumindest zweifelhaft. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Router vom Stromnetz getrennt war. Sowohl der Zeuge Y als auch der Zeuge Z haben bekundet, dass die Ehefrau des Beklagten vor Urlaubsantritt durch das ausgegangen ist und die elektrischen Geräte vom Stromnetz getrennt hat. Die Zeugen haben insoweit ausgeführt, dass die Mutter dies immer so mache und auch an diesem Tage so gehandelt hatte. Zwar hat keiner der Zeugen direkt gesehen, dass die Mutter auch den im Büro befindlichen Router vom Stromnetz getrennt hat; der Zeuge Z hat jedoch beobachtet, dass seine Mutter im Zusammenhang mit dem Ziehen der Stecker vor Urlaubsantritt auch im Büro in der Ecke tätig gewesen sei, in der sich die Stecker befunden haben. Die Kammer geht auf der Grundlage dieser Aussage davon aus, dass die Mutter regelmäßig die Stecker gezogen hat und dass dies auch an diesem Tag geschehen ist. Auch wenn nicht unmittelbar von den Zeugen bestätigt werden konnte, dass die Mutter auch just den Stecker des Routers entfernt hat, hat die Kammer doch – vor dem Hintergrund der detaillierten Schilderung zum üblichen Verhalten der Mutter – keine Veranlassung anzunehmen, dass dies nicht geschehen sein könnte. Auch hat die Kammer keine objektiven Umstände feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen würden....
Bleibt festzuhalten: Die ganze Familie in Urlaub und Router und Computer vom Stromnetz getrennt. Da bleibt nicht viel mehr als die Abweisung der Klage mangels Täterhaftung und mangels Störerhaftung.

Gleichzeitig fragt man sich bei derartiger Konstellation allerdings rasch: Wie verlässlich oder wie fehlerhaft sind die "Ermittlung" der dynamischen IP-Adresse, deren Zuordnung zum vermeintlichen Anschlussinhaber und die Prüfung der vermeintlich festgestellten Datei-Identität? Sind die Ermittler urlaubsreif?