Es wird nicht leichter für Filesharing-Abmahnungen - selbst auf Kölner Terrain: Auf ein neues Urteil der 28. Zivilkammer des Langerichts Köln vom 24.10.2012 ( Az. 28 O 391/11) weisen die Rechtsanwälte Wagner Halbe hin.
Nach der insoweit richtungsweisenden Entscheidung des
OLG Köln vom 16.05.2012 (Az. 6 U 239/11) und dem die dortigen Vorgaben aufgreifenden Urteil der
33. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11.09.2012 (Az. 33 = 353/11) hat nun auch die zuvor recht großzügig mit P2P-Abmahnungen umgehende 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts sich kritischer als sonst mit Filesharing-Vorwürfen von Warner, Universal, EMI und Sony Music auseinandergesetzt. Dennoch gibt das aktuelle Urteil keinen Anlass zu Über-Interpretationen, wenn auch neben den immer klarer gezogenen Grenzen einer Täter- und Störerhaftung zunehmende Zweifel an den Recherche-Methoden auftauchen.
Zum zugrundeliegenden Sachverhalt führt das Landgericht u. a. aus:
...
Die Klägerinnen haben ... die
Firma pro Media GmbH mit der Ermittlung solcher
Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Diese ermittelte, dass am
19.06.2007 um 15:04:56 Uhr über einen Internetanschluss, dem zu diesem
Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, mittels einer
Tauschbörsensoftware insgesamt 2.200 Audiodateien zum Download verfügbar
gemacht wurden.
...
Die Klägerinnen stellten daraufhin
am 20.06.2007 Strafanzeige. Nach der in dem Ermittlungsverfahren
eingeholten Auskunft der Deutsche Telekom AG als zuständigem
Internet-Service-Provider war die vorgenannte IP-Adresse zu dem
streitgegenständlichen Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten
zugewiesen. In dem Haushalt des Beklagten lebten seinerzeit dessen
Ehefrau sowie dessen zum damaligen Zeitpunkt 16 bzw. 20 Jahre alten
Söhne.
Nachdem die Klägerinnen durch
Einsichtnahme in die Ermittlungsakten Kenntnis von der Person des
Beklagten erhalten hatten, mahnten sie diesen durch Schreiben ihrer
Prozessbevollmächtigten vom 24.09.2007 ab und forderten ihn auf, eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Hierauf reagierte der
Beklagte nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen
die Klägerinnen nunmehr Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von EUR 200.000,00 sowie
Schadensersatz in Form der Lizenzentschädigung, die Sie pro Musiktitel
mit EUR 200,00 beziffern.
...
Die Klägerinnen beantragen, den Beklagten zu verurteilen,
1. an die Klägerin zu 2) EUR 800,00,
an die Klägerin zu 3) EUR 200,00 und an die Klägerin zu 4) EUR 2.000,00
EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. an die Klägerinnen zu 1) bis 4)
zu gleichen Teilen EUR 2.380,80 nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
...
Er sei mit der gesamten Familie vom
18.-25.06.2007 im Urlaub gewesen und vor Urlaubsantritt seien sämtliche
technische Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz
getrennt worden. Ein Datentausch über seinen Internetanschluss sei daher
zum streitgegenständlichen Zeitpunkt unmöglich gewesen. Im Übrigen hält
der Beklagte den Lizenzschaden für übersetzt, ebenso die
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten: der zu Grunde gelegte
Gegenstandswert sei überhöht und es sei von einer pauschalen
Entgeltabrede im Verhältnis der Klägerinnen zu ihren
Prozessbevollmächtigten auszugeben.
Abmahnkosten könnten aber auch dem
Grunde nach nicht verlangt werden: die Abmahnung sei zu weit gefasst und
der Unterlassungsanspruch überdies nicht weiterverfolgt worden.
...
In den Entscheidungsgründen heißt es dazu u. a.:
...
1. Die Klage ist zulässig, ...
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Nach den unstreitigen familiären Umständen und dem Ergebnis der
Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass der Beklagte die
behauptete Rechtsverletzung weder selbst begegangen, noch an ihr als
Teilnehmer beteiligt war; er ist für sie auch nicht als Störer
verantwortlich. Gegen ihm bestehen daher weder Ansprüche auf Erstattung
vorgerichtlicher Abmahnkosten (§§ 683, 670 BGB) noch auf Schadenersatz
(§ 97 UrhG); ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung
elterlicher Aufsichtspflichten besteht ebenfalls nicht.
a) Der verfolgte Anspruch auf Schadensersatz besteht gegen den Beklagten weder aus § 97 UrhG noch aus § 832 BGB.
aa) Ein Anspruch aus § 97 UrhG
scheidet aus, da der Beklagte nach den gegebenen Umständen nicht selbst
Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung ist und an diese auch
nicht als Teilnehmer beteiligt war.
Gegen den Beklagten spricht zwar im
Ausgangspunkt die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers
des Internetanschlusses, über den die Urheberrechtsverletzung begangen
worden ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens). Die
Klägerinnen haben mithilfe der Screenshots (Anlage K1) belegt, dass am
19.06.2007, 15:04:56 Uhr über den Internetanschluss, dem zu diesem
Zeitpunkt die IP-Adresse „XXX.XX.XXX.XX“ zugewiesen war, die aus der
Anlage K1 ersichtlichen Dateien mit den Namen von Musiktiteln öffentlich
zugänglich gemacht worden sind. Die Deutsche Telekom AG hat weiterhin
ausweislich Anlage K3 bestätigt, dass die vorgenannte IP-Adresse zum
vorgenannten Zeitpunkt dem Internetanschluss des Beklagten zugewiesenen
war. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Screenshots oder
der Beauskunftung durch die Deutsche Telekom AG begründen könnten, sind
auf den ersten Blick nicht ersichtlich, so dass in einem ersten Schritt
davon auszugehen war, dass die streitgegenständliche Verletzungshandlung
vom Internetanschluss des Beklagten aus erfolgte.
Allerdings ist die darauf aufbauende
tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Beklagten vorliegend schon
durch den tatsächlichen Umstand entkräftet, dass außer diesem auch
dessen Frau und Kinderzugriff auf den Internetzugang hatten. Die
Vermutung der Täterschaft greift bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht
ein. Hinzu kommt, dass die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
davon ausgeht, dass sich der Beklagte mitsamt seiner Familie zum
streitgegenständlichen Zeitpunkt im Urlaub befand und PC und Router vom
Stromnetz getrennt waren.
Dafür, dass der Beklagte als
Anstifter oder Gehilfe an der Tat eines Dritten beteiligt gewesen sein
könnte, und aus diesem Grunde auf Schadensersatz haften würde, ist
nichts ersichtlich.
bb) Der Beklagte haftet auch nicht
nach § 832 BGB wegen der Verletzung von elterlichen Aufsichtspflichten
auf Schadensersatz, da nicht ersichtlich ist, dass die Rechtsverletzung
durch einen zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Sohn erfolgte.
b) Die Klägerinnen können von dem
Beklagten auch nicht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten
beanspruchen. Aus Schadensersatzgesichtspunkten besteht ein solcher
Anspruch nicht (s.o.). Den Klägerinnen steht darüber hinaus auch kein
Anspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683,
670 BGB ) zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haftet der Beklagte
auch nicht als Störer für die behauptete Rechtsverletzung, so dass die
Abmahnung unberechtigt erfolgte.
Als Störer kann bei der Verletzung
absoluter Rechte in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder
Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal
zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Allerdings darf die
Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die die
rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben; sie setzt
daher die Verletzung von Prüfpflichten voraus, deren Umfang sich danach
bestimmt, inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung
nach den Umständen zumutbar ist (BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08).
aa) Eine solche Prüf- und
Kontrollpflicht nimmt die Kammer in Bezug auf die Überlassung eines
Internetanschlusses an minderjährige Kinder an. Die Überlassung des
Internetanschlusses an minderjährige Kinder begründet - nicht zuletzt
auch als Ausfluss elterlicher Aufsichtspflicht – die Verpflichtung des
überlassenden Anschlussinhabers, das Kind über die Wahrung von Rechten
Dritter zu belehren und das Verhalten des Kindes regelmäßig darauf hin
zu kontrollieren.
Gleichwohl kann insoweit nicht von
einer Störerhaftung des Beklagten ausgegangen werden, da nicht
feststeht, dass die Rechtsverletzung gerade durch den minderjährigen
Sohn des Beklagten begangen wurde.
bb) Ob auch die Überlassung des
Internetanschlusses an erwachsene Haushaltsangehörige oder Dritte
entsprechende Prüf- und Kontrollpflichten mit sich bringt, die eine
Störerhaftung begründen können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der
Kammer fest, dass die Rechtsverletzung nicht durch eine Person begangen
worden ist, der der Beklagte den Internetanschluss überlassen hat.
Sämtliche Personen, die Zugang zu diesem Internetanschluss hatten,
befanden sich danach zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung im Urlaub auf
Mallorca. Dies hat die Zeugin X übereinstimmend mit dem vorgelegten
Mietvertrag bekundet und die Kammer hat keine objektiven Umstände
feststellen können, die durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser
Aussage begründen würden.
Soweit die Klägerinnen in diesem
Zusammenhang einwenden, die körperliche Anwesenheit sei für die
Teilnahme an Filesharing-Programmen weder Voraussetzung noch auch
üblich, stimmt die Kammer dem im Grundsatz zu, hält dies aber bei einer
einwöchigen Urlaubsabwesenheit für fernliegend. Hinzu kommt, dass
angesichts der Aussagen der Zeugen Y und Z davon auszugehen ist, dass PC
und Router vom Stromnetz getrennt waren (s.u.).
cc) Eine Störerhaftung des Beklagten
ließe sich danach nur noch damit begründen, dass die Rechtsverletzung
durch ein rechtsmissbräuchlichen Zugriff Dritter auf den
Internetanschluss des Beklagten erfolgt ist und der Beklagte diesen
Zugriff ermöglicht hat, indem er den Internetanschluss nicht ausreichend
gegen Zugriffe durch Dritte gesichert hatte. Insoweit hat der
Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ (s.o.)
erkannt, dass den Betreiber eines W-Lan-Anschlusses eine Prüfpflicht
hinsichtlich ausreichender Sicherheitsmaßnahmen treffe. Diese gehe zwar
nicht so weit, dass der private W-Lan-Betreiber das Netzwerk stets dem
neuesten Stand der Technik anpassen müsse. Die Prüfpflicht beziehe sich
aber auf die Einhaltung der im Kaufzeitpunkt des Routers für den
privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.
Ob die Sicherung des Routers des
Beklagten diesen Anforderungen entsprach, ist zumindest zweifelhaft.
Letztlich kann dies aber dahinstehen, da nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Router vom Stromnetz
getrennt war. Sowohl der Zeuge Y als auch der Zeuge Z haben bekundet,
dass die Ehefrau des Beklagten vor Urlaubsantritt durch das ausgegangen
ist und die elektrischen Geräte vom Stromnetz getrennt hat. Die Zeugen
haben insoweit ausgeführt, dass die Mutter dies immer so mache und auch
an diesem Tage so gehandelt hatte. Zwar hat keiner der Zeugen direkt
gesehen, dass die Mutter auch den im Büro befindlichen Router vom
Stromnetz getrennt hat; der Zeuge Z hat jedoch beobachtet, dass seine
Mutter im Zusammenhang mit dem Ziehen der Stecker vor Urlaubsantritt
auch im Büro in der Ecke tätig gewesen sei, in der sich die Stecker
befunden haben. Die Kammer geht auf der Grundlage dieser Aussage davon
aus, dass die Mutter regelmäßig die Stecker gezogen hat und dass dies
auch an diesem Tag geschehen ist. Auch wenn nicht unmittelbar von den
Zeugen bestätigt werden konnte, dass die Mutter auch just den Stecker
des Routers entfernt hat, hat die Kammer doch – vor dem Hintergrund der
detaillierten Schilderung zum üblichen Verhalten der Mutter – keine
Veranlassung anzunehmen, dass dies nicht geschehen sein könnte. Auch hat
die Kammer keine objektiven Umstände feststellen können, die
durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage begründen
würden....
Bleibt festzuhalten: Die ganze Familie in Urlaub und Router und Computer vom Stromnetz getrennt. Da bleibt nicht viel mehr als die Abweisung der Klage mangels Täterhaftung und mangels Störerhaftung.
Gleichzeitig fragt man sich bei derartiger Konstellation allerdings rasch: Wie verlässlich oder wie fehlerhaft sind die "Ermittlung" der dynamischen IP-Adresse, deren Zuordnung zum vermeintlichen Anschlussinhaber und die Prüfung der vermeintlich festgestellten Datei-Identität? Sind die Ermittler urlaubsreif?