Mit Update vom 04.12.2013
Aktuell erhalten etliche
Internetanschlussinhaber, die in den vergangenen drei bis vier Jahren eine Filesharing-Abmahnung
erhalten haben, Gerichtspost mit einer Klage, die noch schnell kurz vor
offiziellem Inkrafttreten einer zugunsten der Verbraucher bzw. der privaten
Internetnutzer neu festgelegten Gerichtsstandsregelung erhoben wurde.
Für Klagen
wegen illegalen Uploads in Online-Tauschbörsen ist nach dem seit dem 09.10.2013
geltenden § 104a UrhG das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk die
abgemahnte Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz hat – und nicht mehr das nach dem Grundsatz des fliegenden
Gerichtsstandes vom Abmahner nach seinem Belieben ausgewählte Wunschgericht.
Bei der Bestimmung des Wohnsitzgerichts sind selbstverständlich
landesrechtliche Sonderzuweisungen zur Konzentration von Streitigkeiten im
Urheberrecht zu beachten.
Was ist denn
nun eigentlich mit den von vielen Filesharing-Abmahnern gerade noch kurz vor
förmlicher Geltung der Wohnsitz-Regel, also kurz vor dem 09.10.2013 erhobenen
Klagen? Darf oder muss darüber das vom (vermeintlichen) Rechteinhaber ausgesuchte
„Lieblingsgericht“ entscheiden? Oder ist der fliegende Gerichtsstand auch dann angreifbar?
Der Angriff -
also die Rüge fehlender örtlicher
Zuständigkeit - kann sich lohnen, da der anschließende Rechtsstreit
außerhalb des gegnerischen Wunschgerichts doch regelmäßig zumindest „ergebnisoffener“
geführt werden kann. Die Rüge sollte selbstverständlich auch dann erhoben
werden, wenn – was in der jüngsten Zeit ebenfalls erstaunlich oft passiert –
die Filesharing-Klage sogar noch nach dem 08.10.2013 nicht vor dem Wohnsitzgericht
erhoben wird. Entsprechendes gilt, wenn nach längerem gerichtlichen
Mahnverfahren die gerichtliche Abgabenachricht nicht an das Wohnsitzgericht
erfolgt.
Häufig hat
keine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zuständigkeitsbereich des
vom Rechteinhaber angerufenen (Lieblings-)Gerichts. Es fehlt nicht selten ein die
örtliche Zuständigkeit rechtfertigender Bezug zum Gerichtsbezirk des
angerufenen Gerichts. Vor diesem Hintergrund haben schon vor der Verkündung des Gesetzes gegen unseriöse
Geschäftspraktiken (mit der gesetzlichen Bestimmung zum Wohnsitz-Gerichtsstand
gem. § 104a UrhG) insbesondere auch in der jüngeren Vergangenheit immer mehr
deutsche Gerichte die unbeschränkte Geltung eines "fliegenden
Gerichtsstandes" für sog. "Filesharing"-Klagen gem. § 32 ZPO
verneint.
So etwa die
beiden Entscheidungen des Amtsgerichts
Frankfurt am Main vom 13.02.2012 (Az. 31 C 2528/11) und vom 13.06.2013 (Az.
30 C 906/13), darüber hinaus die Entscheidungen des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13), des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom
26.08.2013 (Az. 6 C 65/13), des Amtsgerichts
Bielefeld vom 27.08.2013 (Az. 42 C 160/13) und des Schleswig-Holsteinischen OLG vom 13.09.2013 (Az. 2 AR 28/13).
Die Klägerseite
behauptet oft nicht einmal selbst, dass der oder die Beklagte bei der unterstellten
Filesharing-Handlung das Ziel verfolgt habe, dass das streitgegenständliche Audio-
oder Filmwerk etwa auch im Bezirk des angerufenen Gerichts heruntergeladen wird
oder heruntergeladen werden kann. Aus dem Klagevortrag ist ein derartiges zielgerichtetes Handeln des oder der
Beklagten bzw. eine diesbezügliche Behauptung der Klägerseite häufig nicht zu
entnehmen. Den klägerischen Behauptungen bzw. Vermutungen kann zumeist allenfalls
entnommen werden, dass die Klägerseite wohl von einer etwaigen Billigung der beklagten
Partei hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit der entsprechenden Audio-
oder Filmdatei - und damit eventuell auch von der etwaigen Billigung einer
Zugänglichkeit im Gerichtsbezirk - ausgehen möchte. Derartige Andeutungen oder
Rückschlüsse ersetzen aber keinen brauchbaren Tatsachenvortrag für ein etwa
diesbezügliches zielgerichtetes Handeln des oder der Beklagten.
Im oben
erwähnten Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 01.08.2013 (Az. 137 C 99/13)
heißt es zu dem entsprechenden Gesichtspunkt:
"Ein solcher
bedingter Vorsatz reicht aber nicht aus für die Annahme, dass die hiesige
Herunterlademöglichkeit seiner Bestimmung entsprach. Erforderlich dafür ist
vielmehr Absicht im engeren Sinne, d. h. es hätte ihm darauf ankommen müssen,
dass hier heruntergeladen werden kann.
Ein anderes Verständnis
von dem, was bestimmungsgemäß ist, führt zu beziehungsarmen Gerichtsständen,
die zu vermeiden sind, weil sie Sinn und Zweck von § 32 ZPO nicht gerecht werden
(vgl. BGH MDR 2011/812; MDR 2010, 744). Dieser geht dahin, dass das Gericht
eine gewisse Sachnähe haben soll, etwa weil typischer Weise im gleichen
Großraum Zeugen ansässig sind oder eine Ortsbesichtigung stattzufinden hat.
Reicht es für die Bestimmungsgemäßheit dagegen aus, dass die
Herunterlademöglichkeit lediglich billigend in Kauf genommen wird, besteht ein
ubiquitärer Gerichtsstand, d. h. es können Gerichte angerufen werden, die
keinerlei näheren Sachbezug haben als andere. Dieser ist abzulehnen (vgl.
Zöller-Vollkommer, 29. Auflage, § 32 Rn. 17, Stichwort
"Internetdelikte" mwN)."
Ähnlich
argumentiert auch das Amtsgericht Berlin-Mitte (unter gleichzeitigem Hinweis
auf die Entscheidung des Landgerichts
Hamburg, veröffentlicht in MMR 2011, 594).
Das Amtsgericht
Berlin-Mitte weist gleichzeitig auf die gesetzgeberische Begründung zu dem
Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken hin.
Die Anrufung
bzw. Auswahl des jeweiligen Gerichts seitens der Klagepartei – häufig in
München, Köln, Hamburg oder aktuell verstärkt in Leipzig - ist oft nicht nur unsachgerecht und willkürlich, der (vermeintliche)
Rechteinhaber übt seine Wahl nicht selten auch erkennbar entgegen den
Grundsätzen von Treu und Glauben aus.
Es fehlt dann nicht nur an auf den Gerichtsbezirk bezogenen bestimmungsgemäßen
und zielgerichteten Handlungen des oder der Beklagten und diesbezüglichen
substantiierten Darlegungen der Klagepartei und es fehlt nicht nur an jeglichem
Bezug beider Parteien zum gewählten Gerichtsbezirk und manchmal sogar jeglichem
Bezug der Prozessbevollmächtigten beider Parteien zum ausgewählten
Gerichtsbezirk. Die Anrufung des ausgewählten Gerichts erfolgt häufig
offensichtlich auch unter bewusster
Missachtung des am 27.06.2013 vom Gesetzgeber beschlossenen und am
01.10.2013 vom Bundespräsidenten ausgefertigten Gesetzes gegen unseriöse
Geschäftspraktiken bzw. des darin zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen
Willens. In der Begründung zur Einführung des § 104a UrhG (Bundestagsdrucksache
17/13429) hat der Gesetzgeber u. a. ausgeführt:
"Der fliegende
Gerichtsstand erlaubt sogenanntes Forum-Shopping, wobei der Kläger das
zuständige Gericht je nach günstiger Rechtsprechung und möglichst weiter
Entfernung vom Wohnsitz des Beklagten auswählen kann. Dies führt dann zu einer
Erhöhung des Aufwandes und der Kosten für die Verbraucher, wenn diese nicht an
ihrem allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden. Es besteht die Gefahr, dass
Verbraucher deswegen eher auf außergerichtliche Vergleichsangebote eingehen und
vor einer Überprüfung durch die Gerichte zurückscheuen".
Vor diesem
Hintergrund kann das Verhalten des Abmahners als rechtsmissbräuchlich zu bewerten sein, erst recht wenn wenige Tage
vor Verkündung des die vorerwähnte gesetzgeberische Intention betreffenden
Gesetzes noch schnell in der inkriminierten Art "Forum-Shopping" zu
Lasten des oder der Abgemahnten betrieben wird.
Eine
entsprechende Bewertung ist auch der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen
OLG vom 13.09.2013 (AZ. 2 AR 28/13) zu entnehmen - und zwar selbst ohne den
hinzukommenden äußerst engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des
§ 104a UrhG. Im dortigen Verfahren ging es um eine Filesharing-Klage nach
Mahnbescheidsantrag vom 26.03.2013 und Anspruchsbegründung vom 06.06.2013. Das
OLG führt in der Entscheidung vom 13.09.2013 u. a. aus:
"Die durch die
Regelung des fliegenden Gerichtsstandes ermöglichte deutschlandweite
Gerichtswahl schließt die Annahme einer im Einzelfall rechtsmissbräuchlich
getroffenen Wahl nicht aus (OLGR Rostock 2009, S. 663 ff.; KGR Berlin 2008, S.
470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249 f.; Musilak-Heinrich, ZPO, 10. Auflage,
535 Rn. 4; Zöller, Vollkommer, a. a. O., § 35 Rn. 4). ....
Die Ausnutzung eines
formal gegebenen (fliegenden) Gerichtsstandes ist dann rechtsmissbräuchlich,
wenn sie aus sachfremden Gründen erfolgt, insbesondere in der Absicht, den
Gegner zu schädigen (KGR Berlin 2008, S. 470 ff.; LG Aurich, MMR 2013, S. 249
f.). ...
Diese Annahme liegt nahe,
wenn im fliegenden Gerichtsstand ausgerechnet ein besonders entlegenes Gericht gewählt
wird in der Hoffnung, der Gegner werde sich im gerichtlichen Verfahren nicht
zur Wehr setzen, weil er die Kosten und den erheblichen persönlichen Aufwand
einer Reise scheut. Diese Gefahr kann bei Internetdelikten sogar noch verstärkt
bestehen, wenn die in Anspruch genommene Person ein in geschäftlichen Dingen
unerfahrener Verbraucher ist, was in Fällen der Urheberrechtsverletzungen durch
Nutzung von Tauschbörsen häufig der Fall ist."
Andere,
weniger sachfremde, weniger willkürliche und weniger rechtsmissbräuchliche
Intentionen der Klagepartei sind in vielen Fällen nicht wirklich ersichtlich,
zumal bei „weit fliegender“ Gerichtswahl zeitgleich mit der Verabschiedung oder
der Ausfertigung des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken oder sogar nur
wenige Tage vor, manchmal sogar genau am Tag dessen förmlicher Verkündung im
Bundesgesetzblatt (08.10.2013).
Eine örtliche
Zuständigkeit des gewählten Gerichts kann und muss deshalb auch gerade in derartigen
Fällen aus guten Gründen bezweifelt werden.
Update vom 04.12.2013:
Eine zwischenzeitlich veröffentlichte weitere Entscheidung des Amtsgerichts Köln vom 18.11.2013 (Az. 137 C 262/13) bestätigt die von mir vertretene Ansicht, dass die vom Gesetzgeber im Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken geregelte Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts und die darin zum Ausdruck gekommene Bewertung und Intention auch schon in Altfällen - bei Klageerhebung vor der formalen Gesetzesgeltung - von den Gerichten zu berücksichtigen sind.
Das Amtsgericht Köln hat in der jüngsten Entscheidung u.a. ausgeführt:
"Durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1.10.2013 hat er ins Urheberrechtsgesetz § 104 a eingeführt. Das erlaubt den Rückschluss, dass er bei mittels Internet begangenen Urheberrechtsverstößen die bloße Berufung auf die Aufrufbarkeit überall oder auch die bestimmungsgemäße Aufrufbarkeit grundsätzlich überall zur Stützung eines Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO gegenüber natürlichen Personen als unseriös betrachtet, die nicht gewerblich oder selbstständig beruflich handeln."Das sind deutliche Worte zur mangelnden Seriosität willkürlicher und im Ergebnis oft schikanöser Gerichtswahl zahlreicher Filesharing-Abmahner. Das Amtsgericht hat - sogar trotz Säumnis des Beklagten - die beim fliegenden Gerichtsstand erhobene Klage eines Software- bzw. Spiele-Labels wegen örtlicher Unzuständigkeit abgewiesen.
Bei der Verurteilung der unseriösen klägerischen Gerichtswahl betonte das Gericht zu recht auch den verfassungsrechtlichen Fairness-Grundsatz:
"Das ist auch gem. Art. 103 Abs. 1 GG geboten. Dieser fordert ein faires Verfahren, auch für den Beklagten des Zivilprozesses."Dem ist nichts hinzufügen.