Ein Mitglied der Piratenpartei aus Bayern kämpft vor dem
Landgericht München I und nun auch vor dem EuGH für Netzneutralität und
Haftungsfreiheit beim Betrieb von ungesichertem offenem W-LAN.
Der Kläger betreibt per offenem WLAN einen Internetzugang
für Geschäftspartner und Besucher. Er betreibt ein Gewerbe, in dessen Rahmen er
Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen aller Art verkauft und vermietet. Das
offene W-LAN dient nach Angaben des Event-Unternehmers auch der Werbung für
seinen Betrieb.
Der engagierte Pirat erhielt eine Filesharing-Abmahnung von der Anwaltskanzlei
Waldorf-Frommer, die für Sony Music Unterlassungs-, Schadensersatz- und
Kostenerstattungsansprüche geltend machte. Der Abmahnungsempfänger erhob eine negative
Feststellungsklage gegen Sony Music und beruft sich darauf, dass er praktisch
Zugangsanbieter und Provider ist und somit nach dem TMG nicht für die über das
W-LAN-Netzwerk von Dritten übermittelten Inhalte verantwortlich ist. Er sei
auch als Zugangsanbieter nicht verpflichtet, irgendwelche Vorkehrungen zu
treffen zur Vorbeugung gegen oder zur Verhinderung von vermeintlichen Rechtsverletzungen
Dritter. Im Gegenteil: Wenn er als Zugangsanbieter derartiges täte, würde er die
Netzneutralität eklatant verletzen und eine Auswahl der Inhalte, die über
seinen Anschluss übermittelt werden, würde ihn als Betreiber erst recht haftbar
für die angebotenen Inhalte machen.
Die beklagte Tonträger-Produzentin hat auf Unterlassung,
Schadensersatz und Erstattung von Abmahnungskosten gerichtete Widerklage gegen
den Kläger erhoben.
Das Landgericht München tendiert zu der Rechtsauffassung, eine Störerhaftung des W-LAN-Betreibers und
damit eine Berechtigung zur Abmahnung sowie eine Verpflichtung zur Unterlassung
zu bejahen, wenn das W-LAN-Netzwerk betrieben wird ohne die technisch möglichen
Sicherungsmaßnahmen.
Die Münchener Richter haben allerdings erkannt, dass diese
Rechtsauffassung mit den Haftungsprivilegierungen der E-Commerce-Richtlinie (insbesondere
Art. 12,14 und 15), in Deutschland gesetzlich
umgesetzt im TMG, unvereinbar sein könnte. Der Kläger hat nämlich für den Fall,
dass das Gericht § 8 TMG nicht anzuwenden beabsichtigt, hilfsweise beantragt,
nach Art. 267 AEUV dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
“Ist die Richtlinie 2000/31/EG oder die Europäische
Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten verbietet,
Anbieter öffentlich oder anonym zugänglicher lnternet-Zugangsdienste unabhängig
von einer gegen sie gerichteten gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung
und unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für eine bestimmte drohende
Rechtsverletzung zu verpflichten. allgemeine und permanente Maßnahmen zur
Vorbeugung oder Verhinderung etwaiger zukünftiger Rechtsverletzungen seitens
Teilnehmer des öffentlichen Internetzugangsdienstes zu treffen.”
1. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung
mit Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in
Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der
Richtlinie 98/48/EG so auszulegen, dass “in
der Regel gegen Entgelt” bedeutet, dass das nationale Gericht feststellen
muss, ob die konkret betroffene Person, die sich auf die
Diensteanbietereigenschaft beruft, diese konkrete Dienstleistung in der Regel
entgeltlich anbietet,
oder
überhaupt Anbieter
auf dem Markt sind, die diese Dienstleistung oder vergleichbare
Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten,
oder
die Mehrheit dieser
oder vergleichbarer Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden?
2. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so
auszulegen, dass “Zugang zu einem
Kommunikationsnetzwerk zu vermitteln” bedeutet, dass es für eine
richtlinienkonforme Vermittlung lediglich
darauf ankommt, dass der Erfolg eintritt, indem der Zugang zu einem
Kommunikationsnetzwerk (z. B. dem Internet) vermittelt wird?
3. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in
Verbindung mit Art 2 Iit b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs,
im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so
auszulegen, dass es für “anbieten”
im Sinne von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr”) ausreicht, wenn der
Dienst der lnformationsgesellschaft rein tatsächlich zur Verfügung gestellt
wird, im konkreten Fall also ein offenes WLAN bereitgestellt wird, oder ist z.
B. darüber hinaus auch ein “Anpreisen” erforderlich?
4. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so
auszulegen, dass mit “nicht für die
übermittelten Informationen verantwortlich” bedeutet, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung,
Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund
einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider
grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte
Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?
5. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 in Verbindung mit Art 12 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte
rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des
elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den
elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass die Mitgliedstaaten dem nationalen Richter nicht erlauben dürfen, in einem
Hauptsacheverfahren gegen den Zugangs-Provider eine Anordnung zu erlassen,
wonach dieser es künftig zu unterlassen hat, es Dritten zu ermöglichen, über
einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes
Werk über lnternet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen?
6. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) dahingehend
auszulegen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Regelung von
Art. 14 Abs. 1 lit. b) der RichtlinIe 2000/31 EG entsprechend auf einen Unterlassungsanspruch anzuwenden ist?
7. Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in
Verbindung mit Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der
Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass sich die Anforderungen an einen Diensteanbieter darin erschöpfen, dass
Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person ist, die einen Dienst
der Informationsgesellschaft anbietet?
8. Falls Frage 7
verneint wird, welche zusätzlichen
Anforderungen sind im Rahmen der Auslegung von Art. 2 lit. b) der
Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000
über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft,
insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr”) an
einen Diensteanbieter zu stellen?
9. a) Ist Art. 12 Abs. 1
Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) unter
Berücksichtigung des bestehenden grundrechtlichen
Schutzes des geistigen Eigentums, das sich aus dem Eigentumsrecht ergibt
(Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union), sowie der
in folgenden Richtlinien getroffenen Regelungen zum Schutz des geistigen
Eigentums, vor allem des Urheberrechts:
– 2001/29fEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte
des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der
Informationsgesellschaft,
– 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte
des geistigen Eigentums
sowie unter
Berücksichtigung der Informationsfreiheit
sowie des Unionsgrundrechts der
unternehmerischen Freiheit (Art. 16 der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union)
dahingehend
auszulegen, dass er einer Entscheidung
des nationalen Gerichts in einem Hauptsacheverfahren nicht entgegensteht, wenn
in dieser Entscheidung der Zugangs-Provider kostenpflichtig dazu verurteilt
wird, es künftig zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten
Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile
daraus über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen und
dem Zugangs-Provider damit freigestellt wird, welche technischen Maßnahmen er
konkret ergreift, um dieser Anordnung nachzukommen?
b) Gilt dies auch dann,
wenn der Zugangs-Provider dem
gerichtlichen Verbot faktisch nur dadurch nachkommen kann, dass er den
Internetanschluss stilllegt oder mit Passwortschutz versieht oder sämtliche
darüber laufende Kommunikation darauf untersucht, ob das bestimmte
urheberrechtlich geschützte Werk erneut rechtswidrig übermittelt wird, wobei
dies schon von Anfang an feststeht und sich nicht erst im Rahmen des
Zwangsvollstreckungs- oder Bestrafungsverfahrens herausstellt?
Die dem EuGH
vorgelegten Fragestellungen entbehren zwar durchaus teilweise bereits selbst
nicht gewisser Kritikwürdigkeit, wie der Kollege Stadler zu Recht kommentiert
hat, das weitere Verfahren darf man dennoch mit Interesse verfolgen.