Mittwoch, 24. Dezember 2014

Das Urheberrecht des Lukas - Abmahnung in der Weihnachtspost


Die frohe Botschaft zur weihnachtlichen Filesharing-Abmahnung
"Es begab sich aber zu der Zeit, dass  rasch ein Gebot von dem Kaiser Sebastian ausging, dass alle Netzwelt abgemahnt würde. Und diese Abmahnung war weiß Gott nicht die Allererste und geschah zur Zeit, da ein Frommer Warner und Sonyus Lizenz-Halter in Universal war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher mit seinem Router ohne fliegenden Gerichtsstand in seine Stadt.
Da machte sich auf auch Joe von seiner dynamischen IP-Adresse, aus der Auskunftsliste aus der Stadt Colonia, in das Landgericht fern der Stadt Waldorfs, die da heißt Bielefeld, während er gar nicht aus der Tauschbörse und dem Geschlechte Filesharings war, damit er sich löschen ließe mit Mary, seinem vertrauten Motherboard; das ging mit einem Sony schwanger.
Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie downloaden sollte. Und sie erwarb ihren ersten Song und wickelte ihn in W-Lans und legte ihn in einen Ordner; denn sie hatten sonst keinen Speicher in der Hardware.
Und es waren Piraten in demselben Forum auf dem Hotspot bei den Netzsperren, die hüteten des Nachts ihre Software. Und siehe, die Justizangestellte des Herrn Richter trat zu ihnen und die Ladung des Herrn Richter leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und die Angestellte sprach zu ihnen: Fürchtet Euch nicht! Siehe, ich verkündige Euch große Freude, die allem Web widerfahren wird; denn Euch ist heute der Highlander geboren, welcher ist Piratus, der Herr oder die Frau, in der Stadt Karlsruhe. Und das habt zum primären und sekundären Beweis: Ihr werdet nicht finden den Titel in Hashwerte gewickelt und in einer Crawling-Krippe liegen.
Und alsbald war da bei der Justizangestellten die Menge der bloggenden Medienscharen, die lobten den göttlichen Gerichtshof und sprachen: Ehre sei Karlsruhe in der Höhe und Friede auf Erden bei den Urhebern seiner Lizenz und den Störern seines Wohlgefallens. Und da die Juristen von ihnen gen World Wide Web fuhren, sprachen die Piraten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bielefeld und die News sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr Richter gepostet hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Mary und Joe, dazu die Datei in dem Ordner liegen.

Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Posting aus, welches zu ihnen von diesem Blog gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Tweets, die ihnen die Follower retweetet hatten. Mary aber behielt alle diese Tweets und bewegte sie in ihrem Betriebssystem. Und die Piraten kehrten wieder um, favten die Tweets und lobten das Internet um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gepostet war."
Mit freundlicher Genehmigung von Lukas und den besten Wünschen
für friedvolle Weihnachten und einen abmahnungsfreien Jahreswechsel

Freitag, 19. Dezember 2014

Die Filesharing-Klage und der Freund: Abmahnungsabwehr auch ohne Familie möglich - aktuelles Urteil des AG Köln


Eine Filesharing-Klage der Splendid Film GmbH wegen des vermeintlichen Tausches bzw. Uploads eines Filmwerkes im Rahmen eines P2P-Systems hat das Amtsgericht Köln mit aktueller Entscheidung vom 20.11.2014 (Az. 137 C 208/14) abgewiesen. Zur Verteidigung reichte es dem Richter aus, dass ein Freund des verklagten Anschlussinhabers zum Zeitpunkt der angeblichen Urheberrechtsverletzung möglicherweise eigenständigen Zugriff auf den häuslichen Anschluss hatte.

Der Kollege Rechtsanwalt Solmecke hat in Köln ein weiteres erfreuliches und ggf. wegweisendes Filesharing-Urteil erwirkt.

Die Klägerin berief sich auf angeblich fortdauernde deutschlandweite „Kinorechte“ und „Videorechte“ sowie auf angebliche „Onlinerechte“, hatte den Anschlussinhaber wegen zwei vermeintlich festgestellter, vom Beklagten allerdings bestrittener Urheberrechtsverletzungen abgemahnt und verlangt mit der Klage nun Ersatz eines Lizenzschadens samt Erstattung von Abmahnungskosten.
Der verklagte Anschlussinhaber bestreitet, die Rechtsverletzung begangen zu haben, und erklärt zudem, dass zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung ein Freund selbstständig Zugriff auf den Anschluss hatte.
Der Richter verneinte nach der Vernehmung des Freundes als Zeugen sowohl die Täterhaftung als auch die Störerhaftung des Beklagten: Es bestehe in diesem Fall keine aufrecht zu erhaltende tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, weil eine andere Person als Täter in Frage komme. Das Amtsgericht Köln verweist dabei auf die BearShare-Entscheidung des BGH vom 08.01.2014 (Az. I ZR 169/12), nach der die tatsächliche Vermutung zulasten des Anschlussinhabers in den Fällen ausscheidet, in denen ein Dritter Zugriff auf den Anschluss hatte.
Der Freund des Beklagten bestätigte, seinerzeit regelmäßig per zur Verfügung gestelltem Schlüssel eigenständigen Zugang zur Wohnung sowie zum PC und Internetanschluss des Anschlussinhabers gehabt zu haben, wenn er sich auch an die streitgegenständlichen beiden Zeitpunkte nicht mehr genau erinnern konnte.
Dass der Beklagte und sein Freund bestritten, jemals eine Filesharing-Software installiert oder gar genutzt zu haben, veranlasste das Gericht nicht dazu, eine ausreichende sekundäre Darlegung des Beklagten zu verneinen. Zudem verneinte das AG Köln hinsichtlich des erwachsenen Freundes eine anlasslose Belehrungs-, Hinweis- und Überwachungspflicht des Abgemahnten, zumal der Freund vorher noch nie mit irgendeiner Urheberrechtsverletzung auffällig geworden war.
Die Klage der beweispflichtigen Rechteinhaberin wurde erstinstanzlich kostenpflichtig abgewiesen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, obwohl es das BearShare-Urteil des I. Zivisenates des Bundesgerichtshofes konsequent – auch über den Rahmen familiärer Nutzung des Internetanschlusses hinaus - weiterführt. Die aktuelle Filesharing-Entscheidung ist ein weiterer Mosaikstein zu einem auch vor den Gerichten fortlaufend realistischer werdenden Bild der privaten, oft geteilten Internetnutzung sowie der diesbezüglich manchmal naturgemäß nur begrenzten Recherche- und Darlegungsmöglichkeiten der abgemahnten Anschlussinhaberinnen und –inhaber.

Donnerstag, 27. November 2014

Falsche Tipps zur Filesharing-Abmahnung

Mit Update vom 30.11.2014


Wieder mal geistern falsche Tipps zur richtigen Reaktion auf Filesharing-Abmahnungen durch das Netz. Jüngstes Beispiel: Ein Beitrag auf n24.de (zwischenzeitlich von N24 korrigiert - siehe Update).
Die dortige Erwähnung angeblich „illegaler Downloads“ zeigt bereits die Verkennung oder Verwirrung der Tatsachen. Der Vorwurf bei Filesharing-Abmahnungen liegt nicht primär im Download, sondern im Upload urheberrechtlich geschützter Werke, deren öffentliche Zugänglichmachung im Rahmen sogenannter P2P-Netzwerke.
„Meistens seien die Forderungen berechtigt, heißt es dann weiter. Wie sich diese Behauptung verifizieren lassen soll, muss wohl das Geheimnis des dortigen Autors bleiben, werden eine Vielzahl von Internetanschlüssen doch regelmäßig von mehreren Personen genutzt, ohne dass den Anschlussinhaber oder die Anschlussinhaberin selbst für den etwaigen Filesharing-Vorgang eine Verantwortung trifft.
Pauschalpreis verhandeln“ ist sodann der Rat-„Schlag“, der aus den vorgenannten Gründen in seiner Grundsätzlichkeit ebenso falsch ist.
Nichts anderes gilt für die an die Eltern gerichtete Aufforderung: „Mit dem eigenen Anwalt sollten Eltern einen Pauschalbetrag vereinbaren, der zwischen 300 und 600 Euro liegt…“. Damit werden zahlreiche Eltern zu Zahlungen veranlasst, die sie sich in ebenso zahlreichen Fällen gut und gerne sparen können.
Rechtlich falsch ist auch die Angabe, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung binde die Abgemahnten 30 Jahre lang: Richtig ist, dass jede Unterlassungserklärung des Abgemahnten lebenslang gilt und nicht nach 30 Jahren verjährt.
Wenn sodann generell behauptet wird, dass es “besser sei, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben“, mit der „der Abgemahnte lediglich (verspricht), einen Rechtsverstoß wie den illegalen Up- und Download eines bestimmten Musikalbums in Zukunft zu unterlassen“, ist auch dies nicht in jedem Fall richtig. In bestimmten Fallkonstellationen kann es demgegenüber empfehlenswerter sein, zur Vorbeugung gegen weitere Abmahnungen bzw. Ketten-Abmahnungen eine umfassendere modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben. Zudem sind bei etwaiger Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung zahlreiche weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Und was hat es mit dieser These auf sich? Eltern haften zunächst als Inhaber des Internetanschlusses für Urheberrechtsverletzungen, die über diesen begangen werden. Kinder ab sieben Jahren können aber schon auf Schadenersatz verklagt werden, wenn sie einsichtsfähig und durch die Eltern belehrt worden sind.“ Falsch: Es gibt keine automatische Haftung für den eigenen Internetanschluss, auch nicht für Eltern. Es wird lediglich bei fehlender ausreichender Verteidigung zunächst eine sogenannte „tatsächliche Vermutung“ aufgestellt dahingehend, dass verifizierte Filesharing-Verstöße vom registrierten Anschlussinhaber begangen wurden. Wenn der andere Elternteil und zusätzlich ggf. noch Kinder den familiären Internetanschluss nutzen, fällt die „tatsächliche Vermutung“ bzw. Unterstellung aber in sich zusammen.
Immerhin wird in der leider an etlichen Stellen fehlerbehafteten Tipp-Sammlung dann doch noch wenigstens darauf hingewiesen, dass „nach dem Morpheus-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2012 Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht (verletzen), wenn sie ihr Kind ordnungsgemäß über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Tauschbörsen belehrt haben und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich das Kind dem Verbot widersetzt. Eltern sind dann nicht zum Schadenersatz verpflichtet. (BGH, I ZR 74/12)“.
Schade. Undifferenzierte Rat-"Schläge" mit fehlerhaften Angaben und kontraproduktiven Empfehlungen zu rechtlichen und taktischen Details sind für die häufig ohnehin überforderten Adressaten von Filesharing-Abmahnungen leider eher schädlich als hilfreich.
 

Update vom 30.11.2014:

Hoppla, N24 hat inzwischen reagiert und den größten Teil der Fehl-Informationen korrigiert.
Geht doch - wenn auch die Korrekturen nicht als solche transparent erkennbar gemacht worden sind. War das zu peinlich?

Dienstag, 25. November 2014

Grenzen der Abmahnung beim Verbot kommerzieller Foto-Nutzung per CC-Lizenz - Urteil des OLG Köln zu dradio.de




Hier das aktuelle Urteil des OLG-Köln vom 31.10.2014 (Az. 6 U 60/14) im Wortlaut mit den Passagen, die plausibel begründen, warum ein durch Creative Commons-Lizenz geregeltes Verbot kommerzieller Nutzung zurückhaltend auszulegen und anzuwenden ist (Hervorhebungen durch den Blogger): 

"Bei den Creative Commons-Lizenzen handelt es sich um AGB (Mantz, GRUR Int. 2008, 20, 21; Strobel, MMR 2003, 778, 780), so dass ihre Auslegung unter Berücksichtigung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen zu erfolgen hat. Die Bedingungen sind für eine Vielzahl von Rechteeinräumungen vorformuliert; der Umstand, dass sie nicht von einer der Vertragsparteien, sondern von dritter Seite erstellt worden sind, ändert nichts an ihrer Bewertung als Allgemeine Geschäftsbedingungen, da sie einseitig seitens des Klägers zur Bedingung der Nutzung seines Bilds gemacht worden sind.
Die Creative Commons-Lizenz ist wirksam in den Nutzungsvertrag einbezogen worden. Auf die Beklagte finden gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB die § 305 Abs. 2 und 3 BGB keine Anwendung. Die Einbeziehung über einen „doppelten“ Link ist daher ohne weiteres möglich, und jedenfalls gegenüber einer Organisation von der Größe und internationalen Aufstellung der Beklagten ist auch die Verwendung der englischen Fassung unbedenklich.
bb) Durch die streitgegenständliche Verwendung des Bildes hat die Beklagte entgegen der Annahme des Klägers und des Landgerichts allerdings nicht gegen das Verbot kommerzieller Nutzung verstoßen.
Das Internetangebot der Beklagten stellt zwar, anders als dies die Beklagte vorträgt, und wie es auch Eingang in den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils gefunden hat, kein im strengen Sinne unentgeltliches Angebot dar. Die Beklagte wird vielmehr aus dem Aufkommen des Rundfunkbeitrages gemäß dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag finanziert. Dieser Beitrag ist sowohl im privaten wie auch im nicht-privaten Bereich nicht voraussetzungslos geschuldet, sondern wird als Gegenleistung für das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben (BayVerfGH, DVBl. 2014, 848, juris Tz. 72; die entgegenstehenden Ausführungen in der noch zum alten Rundfunkgebührenrecht ergangenen Entscheidung BVerfGE 31, 314 = NJW 1971, 1739, 1740, auf die sich die Beklagte berufen hat, dürften überholt sein). Nutzern im Bereich der Bundesrepublik Deutschland wird daher das Internetangebot nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt, sondern als Teil der Gegenleistung für den von ihnen gezahlten Rundfunkbeitrag.
Ob eine solche Nutzung von der Ausschlussklausel für „nicht-kommerzielle“ Nutzungen erfasst ist, lässt sich den Bedingungen der Creative Commons-Lizenz nicht eindeutig entnehmen. Nach diesen ist eine Nutzung untersagt „that is primarily intended for or directed toward commercial advantage or private monetary compensation“ (Nr. 4 b), in der deutschen Fassung „die hauptsächlich auf einen geschäftlichen Vorteil oder eine vertraglich geschuldete geldwerte Verfügung abzielt oder darauf gerichtet ist“. Beiden Fassungen lässt sich jedenfalls entnehmen, dass es auf die konkrete Nutzung des lizenzierten Werkes und nicht allgemein auf das Aufgabengebiet des Lizenznehmers ankommt. Der Umstand, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht gewinnorientiert arbeitet, führt daher nicht dazu, dass von ihr vorgenommene Benutzungshandlungen automatisch als nicht-kommerziell einzuordnen sind.
Für das Verständnis der Lizenzbedingungen können ferner die Erläuterungen in der seitens der Beklagten vorgelegten Broschüre der „Creative Commons“-Organisation „Folgen, Risiken und Nebenwirkungen der Bedingungen ‚nicht-kommerziell - NC‘“ (Anlage B 8, Bl. 169 ff. d. A.) mit herangezogen werden. Auch wenn diese Broschüre nicht als eine „authentische Interpretation“ der Creative Commons-Lizenz angesehen werden kann, so kann sie doch als indizieller Beleg für das Verkehrsverständnis der Lizenz ausgewertet werden.
Auch die Broschüre betont, dass es nicht auf den Lizenznehmer, sondern auf die konkrete Art der Nutzung ankommt (anders, für gemeinnützige Institutionen, Kreutzer, Open Content Lizenzen, 2011, S. 45). „Kommerzielle Nutzung“ wird an einer Stelle in der Broschüre dahingehend erläutert, „dass [die Institution] einen geschäftlichen Vorteil erringen und durch ihr Tun eine geldwerte Vergütung erzielen will. Und auf diese sind alle angewiesen, die nicht durch den Staat oder durch Spenden finanziert werden“ (S. 11 = Bl. 179 d. A.). Auch nach dieser Erläuterung bleibt offen, ob die Nutzung des Bildes durch die Beklagte als kommerziell einzustufen ist, da die Beklagte nach ihrer Selbsteinschätzung weder durch Spenden noch durch den Staat, sondern durch ihre Nutzer finanziert wird. Deutlich wird jedenfalls, dass nach diesem Verständnis „nicht kommerziell“ nicht mit „nicht gewinnorientiert“ gleichgesetzt werden kann, da auch geldwerte Vergütungen, die allein zur Kostendeckung erhoben werden, als „monetary compensation“ zu verstehen sind. Allerdings finden sich in der Broschüre auch Erläuterungen, die wieder Zweifel daran erwecken können, ob nicht doch der Charakter des Lizenznehmers als gewinnorientiert arbeitendes Unternehmen oder gemeinnützige Einrichtung auf die Bewertung Einfluss haben soll. So wird die Nutzung eines Bildes auf der Internetseite eines privaten Unternehmens als eine „ganz klar“ kommerzielle Nutzung bewertet (S. 11 = Bl. 179 d. A.; so auch Kreutzer, Open Content Lizenzen, 2011, S. 43), selbst wenn der Zugang zu der Internetseite - wie bei Unternehmensseiten generell üblich - für den Nutzer vollständig unentgeltlich ist. Andererseits wird dort ausgeführt, dass die Lizenz „nicht-kommerziell“ auch die Nutzung auf „Wikipedia“ untersagt, weil Inhalte von Wikipedia ihrerseits kommerziell vertrieben würden (S. 10 = Bl. 178 d. A.). Die Tätigkeit der Beklagten wäre daher in diesem Sinne bereits dann als kommerziell einzustufen, wenn sie ihrerseits entgeltliche Lizenzen an von ihr produzierten Inhalten erteilen würde.
Die Bewertung der Motivlage der Rechteinhaber, die die hier in Rede stehende Einschränkung der Creative Commons-Lizenz wählen, führt ebenfalls zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis. Als mögliche Motive werden in der Broschüre die Ablehnung von „Geschäftemacherei“ zulasten gemeinnütziger Institutionen (S. 9 = Bl. 177 d. A.) genannt. Als weiteres mögliches Motiv wird das Interesse eines unternehmerisch tätigen Rechteinhabers genannt, seine Inhalte im Bereich von Bildung und Wissenschaft zu verbreiten, nicht aber Konkurrenten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (S. 21 = Bl. 189 d. A.). Auch wenn in der Broschüre betont wird, die Fähigkeit eines Lizenznehmers, für die Lizenz ein Entgelt zu bezahlen, sei für die Bewertung als kommerziell oder nicht-kommerziell nicht einschlägig (S. 12 = Bl. 180 d. A.), so kann - auch vor dem Hintergrund der Ausführungen in der Broschüre zur schwachen Finanzbasis vieler gemeinnütziger Institutionen - nicht ausgeschlossen werden, dass Rechteinhaber mit der Wahl der „non-commercial“-Option in diesem Sinn „bedürftige“ Institutionen unterstützen wollen. Ein ähnliches Motiv kann darin bestehen, zwei Lizenzmodelle anzubieten, ein unentgeltliches für den nicht-kommerziellen und ein entgeltliches für den kommerziellen Einsatz (Kreutzer, Open Content Lizenzen, 2011, S. 46). Gerade bei einem Fotografen, der seine Bilder vermarkten möchte, liegt es nahe, dass er diese nur solchen Institutionen unentgeltlich zur Verfügung stellen möchte, die auf die Nutzung kostenfreier Inhalte angewiesen sind, was bei der Beklagten - ohne die Diskussion über die Angemessenheit der Rundfunkgebühren eröffnen zu wollen - nicht angenommen werden kann.
Ebensowenig lässt sich unter Heranziehung des allgemeinen Zwecks der „Creative Commons“-Lizenzen ein eindeutiges Ergebnis ermitteln. Zwar liegt diesen Lizenzen grundsätzlich der Gedanke zugrunde, dass die unter ihnen zur Verfügung gestellten Inhalte möglichst weit verbreitet werden sollen. Hier ist aber eine Einschränkung dieses Grundsatzes zu beurteilen, die auch nach dem in der Broschüre B 8 wiedergegebenen Verständnis der „Creative Commons“-Organisation zu einer deutlichen Einschränkung der freien Verbreitung führt (S. 10 = Bl. 178 d. A.: „NC [non-commercial] lizenzierte Inhalte können nicht so weit und nicht so leicht verbreitet werden“). Eine Auslegung im Sinn einer möglichst weitgehenden Verbreitungsbefugnis ist daher nicht möglich.
Schließlich spricht auch eine von Jaeger/Mantz in ihrer Besprechung des erstinstanzlichen Urteils (MMR 2014, 478) zitierte Studie der „Creative Commons“-Organisation (http://mirrors.creativecommons.org/defining-noncommercial/Defining_Noncommercial_ fullreport.pdf) für eine beträchtliche Unsicherheit hinsichtlich des Verständnisses der Einschränkung „non-commercial“. Danach ordneten die befragten Nutzer die Tätigkeit staatlicher Organisationen auf einer Skala von 1 (definitiv nicht-kommerziell) bis 100 (definitiv kommerziell) mit 65-75 Punkten ein. Für öffentlich-rechtliche Organisationen wie die Beklagte dürfte nichts anderes gelten. Bemerkenswert ist weiter, dass nach dieser Studie die meisten Befragten als Fall „nicht-kommerzieller“ Nutzung in erster Linie die Nutzung durch Einzelpersonen für persönliche und private Zwecke nannten (S. 50 der Studie), mithin eben das Verständnis zugrunde legten, von dem auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen ist.
Auch die Anwendung des § 31 Abs. 5 UrhG, auf den das Landgericht entscheidend abgestellt hat, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Für die Anwendung des § 31 Abs. 5 UrhG ist vorrangig der von den Parteien verfolgte Vertragszweck zu ermitteln (BGH, GRUR 1984, 528, 529 - Bestellvertrag). In der hier zu beurteilenden Konstellation kann dieser allein durch die nach objektiven Kriterien vorzunehmenden Auslegung der Creative Commons-Lizenz ermittelt werden, der sich aber - wie dargelegt - gerade nicht eindeutig entnehmen lässt, welcher Zweck mit der Einschränkung auf „nicht-kommerzielle“ Nutzungen verfolgt wird. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Grundgedanke des § 31 Abs. 5 UrhG, die Rechte tendenziell beim Urheber zu belassen, um diesem eine angemessene Beteiligung an der wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes zu sichern (BGH, GRUR 2012, 1031, Tz. 17 - Honorarbedingungen freie Journalisten; Senat, NJOZ 2008, 174, 178 - Videozweitverwertung), im Bereich der Open Content-Lizenzen, die im Gegenteil tendenziell eine möglichst weitgehende Verbreitung des Werks erlauben sollen, nicht uneingeschränkt Anwendung finden kann.
Bei dieser Sachlage gehen daher gemäß der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB, die auch auf vorformulierte Lizenzbedingungen Anwendung findet (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 31 Rn. 109), die Zweifel an der Reichweite des Verbots nicht-kommerzieller Nutzungsarten zulasten des Verwenders, hier des Klägers. Da ein Verständnis dieser Einschränkung in dem Sinn, dass die Beklagte als öffentlich-rechtliche Einrichtung das Bild zumindest dann nutzen darf, wenn sie dadurch keinen direkten finanziellen Vorteil erzielt, möglich ist, ist diese Auslegung zu ihren Gunsten zugrunde zu legen."
Daran werden zukünftige urheberrechtliche Foto-Abmahnungen sich messen lassen müssen, in denen nicht selten sehr übereilt eine vermeintlich verbotene kommerzielle Bilder-Nutzung unterstellt wird, wenn in Online-Portalen unter entsprechender CC-Lizenz eingestellte Fotos auf der Webseite der Abgemahnten verwendet werden. 

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Filesharing-Abmahnung vor dem EuGH - Piraten-Klage für offenes W-LAN

Ein Mitglied der Piratenpartei aus Bayern kämpft vor dem Landgericht München I und nun auch vor dem EuGH für Netzneutralität und Haftungsfreiheit beim Betrieb von ungesichertem offenem W-LAN.

Der Kläger betreibt per offenem WLAN einen Internetzugang für Geschäftspartner und Besucher. Er betreibt ein Gewerbe, in dessen Rahmen er Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen aller Art verkauft und vermietet. Das offene W-LAN dient nach Angaben des Event-Unternehmers auch der Werbung für seinen Betrieb.
Der engagierte Pirat erhielt eine Filesharing-Abmahnung von der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer, die für Sony Music Unterlassungs-, Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche geltend machte. Der Abmahnungsempfänger erhob eine negative Feststellungsklage gegen Sony Music und beruft sich darauf, dass er praktisch Zugangsanbieter und Provider ist und somit nach dem TMG nicht für die über das W-LAN-Netzwerk von Dritten übermittelten Inhalte verantwortlich ist. Er sei auch als Zugangsanbieter nicht verpflichtet, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen zur Vorbeugung gegen oder zur Verhinderung von vermeintlichen Rechtsverletzungen Dritter. Im Gegenteil: Wenn er als Zugangsanbieter derartiges täte, würde er die Netzneutralität eklatant verletzen und eine Auswahl der Inhalte, die über seinen Anschluss übermittelt werden, würde ihn als Betreiber erst recht haftbar für die angebotenen Inhalte machen.
Die beklagte Tonträger-Produzentin hat auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnungskosten gerichtete Widerklage gegen den Kläger erhoben.
Das Landgericht München tendiert zu der Rechtsauffassung,  eine Störerhaftung des W-LAN-Betreibers und damit eine Berechtigung zur Abmahnung sowie eine Verpflichtung zur Unterlassung zu bejahen, wenn das W-LAN-Netzwerk betrieben wird ohne die technisch möglichen Sicherungsmaßnahmen.
Die Münchener Richter haben allerdings erkannt, dass diese Rechtsauffassung mit den Haftungsprivilegierungen der E-Commerce-Richtlinie (insbesondere Art. 12,14 und 15),  in Deutschland gesetzlich umgesetzt im TMG, unvereinbar sein könnte. Der Kläger hat nämlich für den Fall, dass das Gericht § 8 TMG nicht anzuwenden beabsichtigt, hilfsweise beantragt, nach Art. 267 AEUV dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
“Ist die Richtlinie 2000/31/EG oder die Europäische Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten verbietet, Anbieter öffentlich oder anonym zugänglicher lnternet-Zugangsdienste unabhängig von einer gegen sie gerichteten gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung und unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für eine bestimmte drohende Rechtsverletzung zu verpflichten. allgemeine und permanente Maßnahmen zur Vorbeugung oder Verhinderung etwaiger zukünftiger Rechtsverletzungen seitens Teilnehmer des öffentlichen Internetzugangsdienstes zu treffen.” 
Das  Landgericht München I hat dem EuGH mit Beschluss vom 18.09.2014, Az. 7 O 14719/12, nun folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 
1. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG so auszulegen, dass “in der Regel gegen Entgelt” bedeutet, dass das nationale Gericht feststellen muss, ob die konkret betroffene Person, die sich auf die Diensteanbietereigenschaft beruft, diese konkrete Dienstleistung in der Regel entgeltlich anbietet,
 oder
 überhaupt Anbieter auf dem Markt sind, die diese Dienstleistung oder vergleichbare Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten,
 oder
 die Mehrheit dieser oder vergleichbarer Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden?
2. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass “Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk zu vermitteln” bedeutet, dass es für eine richtlinienkonforme Vermittlung lediglich darauf ankommt, dass der Erfolg eintritt, indem der Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk (z. B. dem Internet) vermittelt wird?
3. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art 2 Iit b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass es für “anbieten” im Sinne von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) ausreicht, wenn der Dienst der lnformationsgesellschaft rein tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, im konkreten Fall also ein offenes WLAN bereitgestellt wird, oder ist z. B. darüber hinaus auch ein “Anpreisen” erforderlich?
 4. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass mit “nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich” bedeutet, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?
5. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 in Verbindung mit Art 12 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass die Mitgliedstaaten dem nationalen Richter nicht erlauben dürfen, in einem Hauptsacheverfahren gegen den Zugangs-Provider eine Anordnung zu erlassen, wonach dieser es künftig zu unterlassen hat, es Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk über lnternet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen?
6. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) dahingehend auszulegen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Regelung von Art. 14 Abs. 1 lit. b) der RichtlinIe 2000/31 EG entsprechend auf einen Unterlassungsanspruch anzuwenden ist?
7. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass sich die Anforderungen an einen Diensteanbieter darin erschöpfen, dass Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person ist, die einen Dienst der Informationsgesellschaft anbietet?
8. Falls Frage 7 verneint wird, welche zusätzlichen Anforderungen sind im Rahmen der Auslegung von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) an einen Diensteanbieter zu stellen?
9. a) Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) unter Berücksichtigung des bestehenden grundrechtlichen Schutzes des geistigen Eigentums, das sich aus dem Eigentumsrecht ergibt (Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union), sowie der in folgenden Richtlinien getroffenen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, vor allem des Urheberrechts:
– 2001/29fEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft,
– 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
 sowie unter Berücksichtigung der Informationsfreiheit sowie des Unionsgrundrechts der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union)
 dahingehend auszulegen, dass er einer Entscheidung des nationalen Gerichts in einem Hauptsacheverfahren nicht entgegensteht, wenn in dieser Entscheidung der Zugangs-Provider kostenpflichtig dazu verurteilt wird, es künftig zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile daraus über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen und dem Zugangs-Provider damit freigestellt wird, welche technischen Maßnahmen er konkret ergreift, um dieser Anordnung nachzukommen?
   b) Gilt dies auch dann, wenn der Zugangs-Provider dem gerichtlichen Verbot faktisch nur dadurch nachkommen kann, dass er den Internetanschluss stilllegt oder mit Passwortschutz versieht oder sämtliche darüber laufende Kommunikation darauf untersucht, ob das bestimmte urheberrechtlich geschützte Werk erneut rechtswidrig übermittelt wird, wobei dies schon von Anfang an feststeht und sich nicht erst im Rahmen des Zwangsvollstreckungs- oder Bestrafungsverfahrens herausstellt? 
Die dem EuGH vorgelegten Fragestellungen entbehren zwar durchaus teilweise bereits selbst nicht gewisser Kritikwürdigkeit, wie der Kollege Stadler zu Recht kommentiert hat, das weitere Verfahren darf man dennoch mit Interesse verfolgen.

Samstag, 16. August 2014

Dashcam-Beweis verletzt Recht am Bild

Videoaufnahmen im Straßenverkehr im Spannungsfeld von Beweisnot und Persönlichkeitsrecht

Dashcam vom Gericht zu karger Landschaft verurteilt

Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 13.08.2014 (Az. 345 C 5551/14) unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG sowie § 22 Satz 1 KunstUrhG und § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG darauf hingewiesen, dass Aufzeichnungen aus einer Dashcam bzw. Car-Cam im Zivilprozess nicht als Beweismittel verwertet werden dürfen.

Das Gericht begründet dies mit der Abwägung der jeweils schutzwürdigen Interessen der Beteiligten bzw. Unbeteiligten. Durch Gesetzesverstoß erlangte Beweismittel seien nur ausnahmsweise verwertbar. Voraussetzung sei, dass „der geschützten Eigensphäre überwiegende berechtigte Interessen gegenüberstehen“, was dann im Ergebnis m. E. zu Recht verneint wird.

Dazu führt das AG München aus:

„Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine in einem PKW installierte Autokamera („Car-Cam“ bzw. „Dash-Cam“) verstößt gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG sowie gegen § 22 S. 1 KunstUrhG und verletzt den Beklagten in seinem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Es liegen auch keine überwiegenden Interessen des Beweisführers vor, die die Verwertung dieser rechtswidrig erlangten Beweismittel erlauben würden.“

Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Der Zweck der Dashcam im Fahrzeug, Beweismittel im Falle möglicher Verkehrsunfälle zu sichern, ist nach Ansicht des Amtsgerichts München zwar ausreichend konkret, die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an der Wahrung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts würden allerdings überwiegen. Es sei bei Zulassung derartiger Video-Aufzeichnungen durch deutsche Gerichte eine weite Verbreitung des Einsatzes derartiger Car-Cams zu befürchten und „was mit den so gefertigten Aufzeichnungen geschieht und wem diese zum Beispiel über eine Cloud zugänglich gemacht werden, wäre jeglicher Kontrolle insbesondere durch die aufgezeichneten Personen entzogen.“ Zudem befürchtet das Gericht eine unkontrollierbare Auswertung z. B. durch Gesichtserkennungssoftware sowie „eine privat organisierte dauerhafte und flächendeckende Überwachung sämtlicher Personen, welche am öffentlichen Verkehr teilnehmen“. Anders als bei der freiwilligen Teilnahme an sozialen Netzwerken wie Facebook sei der Datensammlung durch Dashcams jedermann ausgesetzt, der sich in die Öffentlichkeit begibt.

Außerdem verstoße eine anlasslose Verwendung der Car-Cams gegen § 22 S. 1 KunstUrhG, da eine Einwilligung der Abgebildeten, verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt zu werden, nicht vorliege und die Ausnahme des § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG für Bilder, auf denen Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen, ebenfalls nicht eingreife.

Das Gericht weist ferner darauf hin, dass ein andauernder Einsatz einer Dashcam im Straßenverkehr auch beliebige andere, unbeteiligte Personen, wie z. B. Passanten, fotografisch erfasst – und zwar mit dem Risiko der Verwendung in einer nach § 169 S. 1 GVG öffentlichen Gerichtsverhandlung.

Es würde schließlich durch die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs und der an ihm beteiligten oder sogar unbeteiligten Personen das berechtigte Interesse der Abgebildeten verletzt im Sinne von § 23 Abs. 2 KunstUrhG sowie deren allgemeines Persönlichkeitsrecht und deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das auch das Recht am eigenen Bild umfasst.

Das Amtsgericht München verkennt dabei nicht, dass die Grundrechte nicht nur die staatliche Gewalt binden, sondern im Rahmen der sogenannten „mittelbaren Drittwirkung“ auch in das Privatrecht ausstrahlen und u.a. für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Zivilrecht heranzuziehen sind.

Die aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbare Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts überwiegt nach der richterlichen Bewertung nicht generell dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Das Beweiserhebungsinteresse überwiege jedenfalls dann nicht der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen, „wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine gerichtliche Beweisführung wegen einer erheblichen Beeinträchtigung in naher Zukunft unmittelbar erforderlich wird.“

Weiter heißt es in dem Beschluss:

„Die bloße Möglichkeit des Notwendigwerdens einer Beweisführung aufgrund der generellen Gefährlichkeit des Straßenverkehrs genügt diesen Anforderungen nicht. … Selbst wenn man davon ausgeht, manche Bürger seien in Zeiten sozialer Netzwerke ohnehin mit der Preisgabe persönlicher Informationsgehalte einverstanden bzw. sie hätten sich in Ermangelung einer Alternative hiermit abgefunden, vermag dieser „(…) Verzicht auf Persönlichkeitsrechte jene Bürger, die sie weiterhin schützen wollen, nicht zu binden.“ (Bachmeier, DAR 2014, 21). … Die Alternative zu dieser Ansicht des Gerichts würde konsequenterweise bedeuten, dass jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem PKW, sondern etwa auch an seiner Kleidung befestigen könnte, jedermann permanent gefilmt und überwacht würde und so das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung praktisch aufgegeben würde.“

Das überzeugt.

Donnerstag, 10. Juli 2014

Pressefreiheit und Meinungsfreiheit: EGMR-Urteil korrigiert Hamburger und Karlsruher Gerichte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit seinem heutigen Urteil (10.07.2014, Az. 48311/10) mal wieder eine Lanze für die Pressefreiheit gebrochen.

In seiner Entscheidung stellt der EGMR fest, dass die deutsche - und insbesodere die Hamburger - Justiz zu Unrecht die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung über das politisch umstrittene Gazprom-Engagement von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder untersagt hat.

In der "Bild"-Zeitung war am 12.12.2005 ein redaktioneller Beitrag erschienen mit der Überschrift "Schröder soll sein Russen-Gehalt offenlegen". Darin ging es um den politischen Streit und insbesondere um kritische Fragen eines FDP-Bundestagsabgeordneten hinsichtlich des fast übergangslosen beruflichen Einstiegs des Ex-Bundeskanzlers und Putin-Freundes beim Energie-Konzern Gazprom kurz nach der von Schröder herbeigeführten vorzeitigen Bundestagswahl. Schröder hatte ein Amt, einen "lukrativen Job", als Aufsichtsratschef des russisch-deutschen Gaspipeline-Unternehmens Nord Stream angenommen.

Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische OLG hatten Springer verboten, die kritischen Fragen des FDP-Abgeordneten weiterzuverbreiten. Rechtsmittel von Springer beim Bundesgerichtshof und beim Bundesverfassungsgericht scheiterten.

Ein solches Verbot journalistischer Berichterstattung könne durchaus abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit haben, urteilt der Gerichtshof und erinnert gleichzeitig daran, dass Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wenig Platz für Einschränkungen der Äußerungsfreiheit lasse, insbesondere bei politischen Fragen bzw. öffentlichen Diskussionen um Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse. Jedenfalls habe der Verlag "nicht die Grenzen der journalistischen Freiheit überschritten".

Deutschland muss dem Springer-Verlag  jetzt über 41.000,00 Euro Kosten ersetzen. Das EGMR-Urteil kann auf innerhalb von drei Monaten zu stellenden Antrag einer der Parteien noch von der Großen Kammer des Gerichtshofes überprüft werden.
 

Samstag, 5. Juli 2014

Unklare Online-AGB: Fluege.de landet bei Gericht




Bielefelder Anwalt erstreitet Schadensersatz 

Gerade rechtzeitig vor Ferienbeginn gibt ein rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Leipzig den Reisekunden Recht, die Ärger mit der Flugbuchung per Internet haben.  
Rückflug ohne Hinflug
Der Kunde buchte auf der so nett und prominent beworbenen Webseite die Vermittlung eines sogenannten „Kombi-Fluges“ von Düsseldorf mit der Lufthansa nach Malaga bei eineinhalb Wochen später stattfindendem Rückflug von Malaga mit Air-Berlin nach Düsseldorf. Es wurde insoweit  für Hinflug und Rückflug der Erhalt jeweils separater Rechnungen und E-Tickets angekündigt. Vermittelt wurde dann allerdings nur der Rückflug, nicht der damit kombinierte Hinflug. Und die Rückflugkosten zuzüglich der diversen Zuschläge und Gebühren wurden sofort abgebucht.
Der Kunde ist rechtskundig
Fluege.de meinte, auf eine freundliche Erinnerung des Reisekunden mit einer automatisierten Vertröstungs-Mail reagieren zu müssen und zu dürfen: Man solle doch „in der Zwischenzeit von Rückfragen absehen.“ Dies veranlasste den Kunden, den hier bloggenden Anwalt „himself“, dazu, dem Flugportal eine letzte Frist mit Ablehnungsandrohung zu setzen, was bei fluege.de aber immer noch nicht ernst genommen wurde. Schließlich meldete sich der rechtskundige Kunde offiziell anwaltlich beim Portal-Betreiber unter wiederholtem Hinweis auf die gesetzte Frist zur auftragsgemäßen Vermittlung auch des von dem bestellten „Kombi-Flug“ umfassten Hinfluges.
Die Frist verstreicht
Den Fristablauf kurz vor dem beabsichtigten Reiseantritt fand der Kunde gar nicht lustig – und schon gar nicht billig und recht. Der dennoch reiselustige Anwalt und Blogger erklärte – wie angedroht – den Rücktritt vom Vermittlungsauftrag, forderte die Rückzahlung der abgebuchten Flugkosten, Zuschläge und Gebühren und fand bei anderen Anbietern stressfreiere Möglichkeiten, seine dann modifizierten Reisevorhaben zu realisieren.
Nun meldete sich fluege.de und wollte plötzlich doch noch den Kunden an seinem mittlerweile verworfenen Flugplan festhalten – mit einem verbilligten Angebot. Der rechtskundige Kunde lehnte dankend ab und setzte anwaltlich eine weitere außergerichtliche Rückzahlungsfrist. 
Jetzt wird fluege.de juristisch
… und meint unter Berufung auf die u.a. in der Online-„Buchungsstrecke“ enthaltenen AGB, den Kunden auf dem bloßen Rückflug ohne Hinflug „sitzen lassen“ zu können. Hin- und Rückflug müssten „gänzlich unabhängig von einander betrachtet werden.“ Von wo aus soll der Flugreisende den Rückflug betrachten, wenn er nicht einmal den angekündigten und angezeigten Hinflug vermittelt bekommt?
Harte Landung für fluege.de beim Amtsgericht Leipzig
Der Anwalt wählte die Klage-Route nach Leipzig, dem Geschäftssitz des Portal-Betreibers, und wies das Gericht auch auf die in der Online-Eingabemaske auftauchende Angabe des Flugvermittlers hin, wo es z. B. heißt:
„Wir kombinieren Hin- und Rückflug individuell für Sie und achten dabei auf Ihre gewünschten Flugzeiten. Für Ihren Hinflug mit Lufthansa und Ihren Rückflug mit Air-Berlin erhalten Sie jeweils ein separates E-Ticket. Dadurch sparen Sie sich jeweils doppelte Buchungen und doppelte Buchungskosten.“
Der Leipziger Online-Gigant wollte sich demgegenüber auf eine dazu widersprüchliche, zumindest aber auch missverständliche Formular-Klausel stützen, in der es heißt:
„Hiermit erkläre ich mich einverstanden, dass Hin- und Rückflug jeweils unabhängig voneinander als Einzelflug gebucht werden.“
Fluege.de wurde antragsgemäß zum Schadensersatz durch Rückzahlung sämtlicher Abbuchungen verurteilt. Nach Auffassung der Richterin trägt gerade nicht der Kunde das Risiko, dass bei den vollmundig beworbenen Vorteilen eines „Kombi-Fluges“ nur ein Flug zustande kommt und der dazu kombinierte Flug nicht. Fluege.de hat nach zutreffender Auffassung des Gerichts seine Pflichten aus dem mit dem Kunden abgeschlossenen Vermittlungsauftrag verletzt. Nach Ablauf einer vom Kunden gesetzten Frist konnte der Kunde vom Vertrag zurücktreten und die ihm bis dahin abgebuchten Flugkosten, Steuern und Gebühren zurückverlangen.
Weil fluege.de sich auf seine fragwürdigen AGB berufen wollte und freiwillig nicht zum Einlenken bereit war, durfte der beklagte Online-Flugvermittler aus Leipzig nun zusätzlich Gerichts- und Anwaltskosten tragen (Urteil AG Leipzig v. 24.06.2014, Az. 115 C 431/14) und wird zukünftig über verbraucherfreundlichere Handhabungen und Klausel-Werke nachzudenken haben.
Die beklagte Unister GmbH aus Leipzig betreibt neben fluege.de u.a. auch das Reiseportal ab-in den-urlaub.de.

Schöne Ferien und guten Flug! 
 

Dienstag, 3. Juni 2014

Abwehr von Filesharing-Abmahnungen "im Rahmen des Zumutbaren"


Kurz zum heute im Volltext veröffentlichten BearShare-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2014 (Az. I ZR 169/12) und den daraus zu gewinnenden Erkenntnissen für Abmahnungsempfänger.

Zunächst die amtlichen Leitsätze:
a) Der Inhaber eines Internetanschlusses haftet grundsätzlich nicht als Störer auf Unterlassung, wenn volljährige Familienangehörige den ihnen zur Nutzung überlassenen Anschluss für Rechtsverletzungen missbrauchen. Erst wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch hat, muss er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen ergreifen. 
b) Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 121/08, BGHZ 185, 330 - Sommer unseres Lebens; Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 = WRP 2013, 799  - Morpheus).
c) Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, trägt der An- schlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast. Dieser entspricht er dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Insoweit ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 121/08, BGHZ 185, 330 - Sommer unseres Lebens; Urteil vom 15. November 2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 = WRP 2013, 799  - Morpheus).
Bereits die Pressemitteilung des BGH verdeutlichte, dass
 Überwachungs- und Belehrungspflichten gegenüber volljährigen Familienangehörigen nicht bestehen.
In der Rechtsprechung zu Filesharing-Abmahnungen manifestieren sich zudem bereits seit längerer Zeit
die Grenzen der pauschalen "tatsächlichen Vermutung"
bzw. der Verdächtigung zulasten des vom jeweiligen Internetserviceprovider registrierten Internetanschlussinhabers.

Ein anderer Gesichtspunkt der höchstrichterlichen Entscheidungsfindung ist m. E. allerdings nach den nun vorliegenden Entscheidungsgründen besonders hervorzuheben:

Der BGH verlangt vom Adressaten einer Filesharing-Abmahnung eigene Nachforschungen und detailliertere Angaben zu möglicher Drittnutzung und damit in Betracht kommender Täterschaft Dritter einerseits nur, andererseits immerhin "im Rahmen des Zumutbaren".

Das bedeutet, zur sachgerechten und erfolgreichen Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Vorwürfe ist es erforderlich, im jeweiligen Einzelfall die gegebenenfalls örtlichen, zeitlichen, gegenständlichen, technischen, familiären und/oder persönlichen (Zumutbarkeits-)Grenzen eigener Kenntnis- und Erkenntnismöglichkeiten konkret, individuell und plausibel darzulegen.

Es kommt also nicht allein darauf an, die jeweils möglichen alternativen Geschehensabläufe (z. B. Nutzung des Internetanschlusses durch befugte Dritte) darzulegen, sondern es sollte auch erläutert werden, aus welchen Gründen im speziellen Fall ein konkreterer Sachvortrag dazu gerade nicht möglich und nicht zumutbar ist.


Donnerstag, 29. Mai 2014

Bei Filesharing-Klagen: Vorfahrt für mehr Lebenswirklichkeit

Vorfahrt und Himmelfahrt beim Amtsgericht München

 Weniger realitätsferner Verdacht gegen Anschlussinhaber 

 - auch in München  

Nach entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen z. B. aus Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Hamburg, Hamm, Köln und Hannover öffnet sich nun auch vermehrt beim Amtsgericht München der Himmel für mehr Realitätssinn bei der oft grundlosen und haltlosen Filesharing-Verdächtigung gutgläubiger Internetanschlussinhaber. Die Kollegin Rechtsanwältin Martina Lehner berichtet über eine weitere auf Schadensersatz und Ersatz der Abmahnkosten gerichtete P2P-Klage, die mit Urteil des AG München vom 07.05.2014, Az. 171 C 24437/13, abgewiesen wurde.

Tatsächlicher Verdacht? 
Der Amtsrichter aus München erkannte im Zusammenhang mit der in zahlreichen Filesharing-Abmahnungen überstrapazierten Rechtsfigur der „tatsächlichen Vermutung“ doch „diverse Schwierigkeiten“, weil auch nach seiner Auffassung nicht erkennbar ist, aus welchen tatsächlichen Anknüpfungspunkten überhaupt ein schlüssiger Generalverdacht gegen den jeweils verklagten Anschlussinhaber aufgestellt bzw. konstruiert werden soll. Worauf soll sich eine angebliche „tatsächliche Vermutung“ stützen, dass gerade der jeweilige Anschlussinhaber für die vermeintlich festgestellte Rechtsverletzung verantwortlich ist? Entspricht ein derartiger Verdacht wirklich den aktuellen gesellschaftlichen, häuslichen und familiären Lebensrealitäten?
Auch dem Münchener Richter sind keine diesbezüglichen wissenschaftlichen Studien oder empirischen Untersuchungsergebnisse zum Online-Nutzungsverhalten bei häuslichen Internetanschlüssen bekannt und letztendlich widersprachen derartige Verdachtsthesen - zu Recht - seiner richterlichen Überzeugung.
Und die sekundäre Darlegungslast? 
Das Amtsgericht München verlangte im aktuellen Verfahren vom Beklagten, der zur angeblichen Tatzeit nach eigenen Angaben nicht zu Hause war, keine genauere Darlegung zu etwaigen konkreten Nutzungs- bzw. Verletzungsabläufen. Dem Amtsrichter genügte der Hinweis des Beklagten auf die grundsätzliche Möglichkeit der berechtigten Nutzung des häuslichen Internetanschlusses durch bei ihm wohnende bzw. im Besitz der Wohnungsschlüssel befindliche erwachsene Kinder des Abgemahnten, die selbständig und eigenverantwortlich auf den familiären Internetanschluss zugreifen konnten.
Es bestand insofern also die durch Tatsachen begründete Möglichkeit eines alternativen Geschehensablaufs, wodurch die etwaige „tatsächliche Vermutung“, soweit man überhaupt von einer derartigen „Verdächtigung“ ausgehen kann, zumindest erschüttert wurde.
Die Abmahnungswolken lichten sich also - trotz bisheriger, teilweise engerer Sichtweisen des Landgerichts München I - auch im Süden zunehmend.