Freitag, 17. August 2012

Wie die richtigen Fragen falsche Filesharing-Abmahnungen entlarvend beantworten

Wenn man nach Erhalt einer Abmahnung ratlos - und nicht selten verzweifelt - ist, geben häufig schon einige zielorientierte Fragen die richtigen Antworten.



Nach einer Filesharing-Abmahnung
sitzt man oft zwischen den Stühlen.

Ein Fall, wie er hunderttausendfach vorkommt:

In einer im Briefkasten vorgefundenen Abmahnung werden erhebliche rechtliche Konsequenzen angedroht, weil vermeintlich das Urheberrecht bzw. die Verwertungsrechte des Abmahners verletzt wurden. Der Adressat soll angeblich nachweislich illegal in Online-Tauschbörsen fremde Musik-, Film- oder Software-Werke down- und insbesondere upgeloadet haben.

Gefordert werden die Abgabe einer mit Vertragsstrafen sanktionierten unangemessenen Unterlassungserklärung sowie die Zahlung von überhöhtem Schadensersatz und fragwürdigen Anwaltskosten - zumeist "großzügig" und in nicht nachvollziehbarer Weise zusammengefasst zu einem "entgegenkommenden Vergleichsbetrag".


Was tun?

 

Der durch die Abmahnungspost erzeugte Stress lässt die Abmahnungsadressaten häufig keinen klaren Gedanken fassen. Dabei führen bereits die richtigen Fragestellungen oft zu geeigneten Hilfestellungen.

  1. Enthält das Abmahnungsschreiben tatsächlich durchgreifende Schuldnachweise? Warum werden Internetanschlussinhaber ohne Verschuldensnachweis kriminalisiert, obwohl eine Anschluss-Inhaberschaft keinen Tatnachweis darstellt?
  2. Warum werden für zweifelhafte isolierte "Rechte" zur Verwertung von Musik- oder Filmwerken in P2P-Systemen bzw. Online-Tauschbörsen allein zu diesem Zweck Lizenzen an extra zu diesem Zweck gegründete Gesellschaften (GmbH, Ltd. etc.) vergeben und dem Lizenznehmer damit das Generieren von Abmahnungserlösen erst ermöglicht?
  3. Warum erzielen einige "Rechteinhaber" mehr Geld mit Filesharing-Abmahnungen als mit den den Abmahnungen zugrundeliegenden "Werken"?
  4. Warum gibt es Rechtsanwälte, die in der Abmahnung angebliche Kostenerstattungsansprüche vorspiegeln, die - zumindest in der angegebenen Höhe - tatsächlich dem Abmahnenden gar nicht in Rechnung gestellt werden und lediglich der fingierten Forderungsbegründung gegenüber dem Abmahnungsempfänger dienen?
  5. Warum werden in vielen Filesharing-Abmahnungen völlig überhöhte und unrealistische Schadensbeträge beziffert - unter unverhältnismäßiger und dramatisierender Fehlinterpretation der Grundsätze der Lizenzanalogie?
  6. Warum wird in vielen Filesharing-Abmahnungen nicht ausreichend deutlich zwischen Täterhaftung und Störerhaftung differenziert?
  7. Warum machen viele Abmahner aus der in ihren Ausprägungen ohnehin recht umstrittenen Störerhaftung desjenigen, der einen Internetanschluss angeblich nicht angemessen und zumutbar sichert und überwacht, ohne gesetzliche Grundlage quasi eine "Halterhaftung für Internetanschlüsse"? 
  8. Warum ignorieren viele Abmahner die tatsächliche und rechtliche Sondersituation bei Hotspots?
  9. Warum versuchen viele Abmahn-Kanzleien, die Unterschiede zwischen der - ebenfalls in ihren Ausprägungen umstrittenen - sekundären Darlegungs- und Beweispflicht zu ignorieren und zudem damit eine vermeintlich primäre Darlegungs- und Beweislast des Abgemahnten vorzutäuschen?
  10. Warum verunglimpfen große Teile der Abmahnungsbranche alle kritischen Darlegungen zur Fragwürdigkeit einiger Recherche- und Dokumentierungs-Techniken und -Methoden als pauschale Schutzbehauptungen (z. B. nicht revisionssichere Protokollierung und Archivierung durch Crawling-Unternehmen, Zweifel bzgl. IP-Adresse, Zeitstempel oder Hashwert, Hinweise auf die Möglichkeit durch Rootkits verschleierter Trojaner-Angriffe, aber auch Klarstellungen darüber, dass ein "Knacken" von Verschlüsselungen bzw. Passwörtern letzendlich nicht sicher vermeidbar ist und es zudem Grenzen der Kontrolle von Familienangehörigen oder Mitbewohnern gibt)?
  11. Warum arbeitet die Abmahnungsbranche z. T. mit bewussten Einschüchterungen und fragwürdigem Psychostress (z. B. mit Platzierung der Abmahnungspost zum Wochende, mit kurzen Fristsetzungen, mit aus dem Zusammenhang gerissenen und/oder veralteten Urteilszitaten, mit unverständlicher Fachterminologie, wiederholten und unrealistischen Drohkulissen etc.)? Sind die selbstsicheren und teilweise selbstgerechten Darlegungen im Abmahnungsschreiben wirklich so unumstößlich?
  12. Warum versuchen viele Abmahner, unangemessene und den Abgemahnten in seinen Rechten beschneidende strafbewehrte Unterlassungserklärungen zu erlangen?
  13. Warum wird diese Praxis von einigen Gerichten (insbesondere unterer Instanzen, wobei allerdings auch höchstrichterliche Rechtsprechung manchmal nicht weniger kritikwürdig ist) verkannt oder sogar mitgetragen, insbesondere wenn der oder die Abgemahnte ohne anwaltliche Verstärkung den prozessualen Hürden und Fallen (Sach- und Rechtsvortrag, Substantiierungspflicht, Beweisanträge, Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel etc.) hilflos ausgesetzt ist?

In vielen Fällen gilt:

Diese Fragen zu stellen heißt, sie bereits ansatzweise zu beantworten. Leider bleiben die Fragen allerdings zumeist und bezeichnenderweise von den Abmahnern unbeantwortet bzw. ignoriert. Vielleicht geben die im obigen Blog-Post vorgenommenen Verlinkungen des Verfassers noch etwas weitergehende Antworten.

Montag, 6. August 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (3)

Teil 3:

Der Gutachter soll die "Messung" vom Filesharing-"Blitzer" prüfen

 - mit Update vom 09. Februar 2013 -


Jetzt kommt verkehrs-technischer Sachverstand vom Sachverständigen: Das Amtsgericht München nimmt die Ermittlungssoftware der Firma ipoque GmbH aufs Korn.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen.

Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007. Das engagierte Bemühen des Gerichts, den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden, scheiterte - obwohl das Gericht den Inhaber eines Internetanschlusses haftungsmäßig mit dem Halter eines PKWs zu vergleichen versuchte.

Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber vermeintlich dramatische Beweislasten vor Augen. Es verwechselte dabei m. E. "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist.
Das Gericht erklärte, es sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei, woraufhin der Anwalt des Beklagten anmerkte, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind.

Und so ist nun der folgende Beweisbeschluss ergangen (orthographische und interpunktionelle Fehler werden mitzitiert):

"I.         Es ist Beweis zu erheben über die Behauptungen der Klageparteien,


1. 
In den in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) aufgeführten Zeiträumen protokollierte die Software "PFS", der Firma ipoque GmbH, dass ausgehend von einem Rechner, der über die jeweils dort aufgeführte IP Adresse mit dem edonkey Netzwerk verbunden war, jeweils eine Datei mit dem jeweils dort genannten File-Hash-Wert vervielfältigt und zum Download angeboten wurde.

2.
Die jeweiligen Dateien, die in der Anspruchsbegründung vom 01.02.2012 auf S. 11 und 12 (Bl. 20/21 der Akte) genannt sind, mit den jeweiligen File-Hash-Werten enthielten die jeweils aufgeführten Hörbücher/Werke:

"Unsichtbare Spuren", File-Hash: ...
"Nacht über den Wassern", File-Hash: ...
"Das Methusalem-Komplott", File-Hash: ...
"Der Schwarm", File-Hash: ...
"Eine Billion Dollar", File-Hash: ...
"Eisfieber", File-Hash: ...
"Die Pfleiler der Macht", File-Hash: ...

durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu I.

 II.         Zum Sachverständigen wird bestimmt:

                   ...
                   ...
                   ... München



 III.        Der Klagepartei wird aufgegeben den Netzwerkmitschnitt der hier gegenständlichen Verletzungsdaten dem Sachverständigen zur Erstattung seines Gutachtens auszuhändigen.


 IV.        Die Klagepartei hat einen Auslagenvorschuss von 6.000,00 € einzuzahlen.
Die Versendung der Akten zum Sachverständigen wird davon abhängig gemacht, dass bis spätestens 14.08.2012 die Einzahlung des Auslagenvorschusses dem Gericht nachgewiesen wird."


Der gerichtlich bestimmte Sachverständige aus München zeichnet sich durch ausgewiesene Expertise und anscheinend gründliche Vorgehensweise aus - ohne Angst vor längeren Fahr- oder Flugstrecken. Der Kollege Stadler berichtet aus einem parallelen Filesharing-Klageverfahren beim Amtsgericht München, wo derselbe Sachverständige für die vergangene Woche einen Ortstermin in den Räumlichkeiten des Recherche-Unternehmens angesetzt hat und das Amtsgericht München durch Beschluss vom 25.07.2012 dem abgemahnten Beklagten gestattet hat, eine sachkundige Person vom Chaos Computer Club quasi als Beifahrer zum Ortstermin nach Leipzig mitzunehmen.

Die Einbahnstraße in die Filesharing-Abmahnung muss also nicht unbedingt eine Sackgasse sein. Das gilt übrigens auch deshalb, weil es auf die Klärung der oben zitierten Beweisfragen und damit das Ergebnis des aktuell in Auftrag gegebenen Sachverständigen-Gutachtens nicht einmal allein streitentscheidend ankommen muss.

Fortsetzung folgt.


Update vom 09. Februar 2013:

Nun konnte doch noch - mit viel Geduld und konsequenter Verhandlung - eine "recht und billige" außergerichtliche Lösung erzielt werden - unter angemessener Berücksichtigung der in diesem Fall vorgebrachten sachverhaltlichen, technischen und rechtlichen Argumente und weit unterhalb der Abmahnungs- und Klageforderungen - auch ohne teure sachverständige Untersuchung technischer Fragen. 

In einigen Parallelverfahren liegen allerdings nach meinem Informationsstand zwischenzeitlich Sachverständigengutachten vor, deren Inhalte und Bewertungen aber wohl noch nicht vollständig außer Streit stehen und im Übrigen ja ohnehin nicht alle entscheidungserheblichen Fragen klären können.



Zuvor im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Und davor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing