Sonntag, 27. Mai 2012

Ja, ja. Die modifizierte Unterlassungserklärung und andere Überlegungen nach Filesharing-Abmahnung

Oder: Die Geschichte vom Studenten, der alles weiß ...


Der junge Student, der am frühen Nachmittag zu mir ins Büro kam, war bester Laune. Eigentlich hätte er gar nicht vorbeikommen wollen; aber seine Freundin habe ihn dazu gedrängt. Die habe "Angst" - obwohl er sich bestens in der Sache auskenne.

Okay, nun sei er da und ich könne mir "diese Sache" ja mal kurz anschauen. 

Er legte mir einen Umschlag mit anwaltlicher Abmahnungspost und die Kopie eines von ihm gefertigten kurzen Antwortschreibens vor. Er habe bereits "alles Erforderliche" getan - die Unterlassungserklärung "selbstverständlich nur modifiziert" abgegeben und danach - er holte einen weiteren Umschlag aus seiner Mappe - dann ein weiteres Schreiben der gleichen Anwaltskanzlei erhalten. Und heute Morgen wäre noch eine Filesharing-Abmahnung eines anderen Rechtsanwalts im Briefkasten gewesen.

Über das Thema "Online-Tauschbörsen" hatte sich der selbstbewusste junge Mann wirklich bestens informiert. Und auch zur Problematik der massenhaften P2P-Abmahnungen hatte er schon viel im Internet gelesen. 

Im anwaltlichen Beratungsgespräch erörterten wir u. a., wie wann und von wem sein Internetanschluss mit dem LAN-/WLAN-Netzwerk eingerichtet, verschlüsselt und darüber hinaus gesichert worden war. Außerdem erklärte mir der Abmahnungsempfänger, wer sonst noch Zugang zu dem Netzwerk hatte und hat und warum er sich keiner Schuld bewusst sei.

Bei Überprüfung der selbstbewusst abgegebenen "modifizierten" strafbewehrten Unterlassungserklärung musste ich dann doch noch etliche - eigentlich vermeidbare - Fehler feststellen:

  • Die Erklärung war zwar "ohne Anerkenntnis, aber dennoch rechtsverbindlich" abgegeben worden. Dies erfogte jedoch leerformelhaft und ohne optimalere Substantiierung.
  • Ein Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs war nicht gestrichen worden.
  • Die Vertragsstrafen-Bewehrung wurde nicht ausdrücklich auf schuldhafte Verstöße beschränkt.
  • Es wurde zur Regelung der Vertragsstrafenhöhe der neue Hamburger Brauch verwendet, allerdings mit auslegbarer Untergrenze von de facto über 5.000,00 Euro.
  • Es wurde bei der Vertragsstrafe nach neuem Hamburger Brauch keine nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung zulässige Obergrenze festgelegt.
  • Bei Abgabe der Erklärung hat man keine bewussten Abwägungen dazu vorgenommen, ob und in welcher Weise im konkreten Fall eine eher enge oder eine eher weite Fassung des Verbotstatbestandes sinnvoll und zielführend ist.
  • Die eingegangene, lebenslang gültige Unterlassungsverpflichtung umfasste Verhaltensweisen, die eigentlich gar nicht rechtswidrig sind und deren Verbot schon deshalb unnötig und nachteilig ist.
  • Über evtl. sinnvolle Vorkehrungen zur Vermeidung weiterer Abmahnungen und/oder Vertragsstrafen hat man sich keine konkreten Gedanken gemacht.
  • Es fehlten rechtlich zulässige und gebotene auflösende Bedingungen für die Fälle sich ändernder Gesetzeslage, Rechtsprechung und/oder Sachverhaltserkenntnisse.

Darüber hinaus musste mein Besucher feststellen, dass er sich falsche Vorstellungen über die Haftung für Filesharing gemacht hat; über die sogenannte "Täterhaftung" auf der einen und die sogenannte "Störerhaftung" auf der anderen Seite und über damit auch im Zusammenhang stehende etwaige Ansprüche auf Schadensersatz und Kostenerstattung. 

Zudem zeigte sich der Hobby-Jurist überrascht darüber, wie die Darlegungs- und Beweispflichten in seinem Fall prozessual wirklich verteilt sind. 

Die aktuellen Rechtsprechungstendenzen - u. a. auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - waren ihm neu, ebenso wie nähere Darlegungen zu praktischen Taktiken und Handhabungen seitens der unterschiedlichen Abmahnungskanzleien. Selbst in technischer Hinsicht hatte der begeisterte Internet-Freak zu Fragen der IP-Adressen-Ermittlung und der Anti-Piracy-Software doch noch ihm vorher unbekannte Erkenntnis-Lücken.

Ich habe meinem neuen Mandanten empfohlen, seiner Freundin einen Blumenstrauß mitzubringen.

Donnerstag, 17. Mai 2012

P2P-Abmahnung in der Finnen-Sauna: Offenes WLAN und EU-Recht

Finnische Abmahnungs-Sauna: Die Finnen bringen die Abmahn-Lobby in's Schwitzen. Ein dortiges Bezirksgericht gab einer Internet-Anschlussinhaberin Recht und wies eine auf Unterlassung und Schadensersatz gerichtete Filesharing-Klage unter Hinweis auf europäisches Recht ab.

Auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwälte aus Helsinki berichten über einen aktuellen Tauschbörsen-Prozess, in dem das Finnish Anti-Piracy Centre, ein Verband der finnischen Unterhaltungs- und Rechteverwerter-Industrie, die Bewohnerin eines früheren Schulgebäudes angegangen ist.

Den P2P-Vorwürfen liegt ein angeblich 12-minütiger Filesharing-Vorgang vom Juli 2010 zugrunde, der über den unverschlüsselten WLAN-Zugang der Beklagten erfolgt sein soll. Gleichzeitig - allerdings wohl nicht nur 12 Minuten lang - fand auf dem Gelände der früheren Schule eine Sommer-Theater-Veranstaltung statt mit ca. 100 Besuchern. Die Beklagte war zur fraglichen Zeit nicht zu Hause und sollte nun ca. 6.000,00 Euro an die Rechteverwerter zahlen.

Das Gericht stützt seine Klageabweisung maßgeblich auf finnische Umsetzungsgesetze zur E-Commerce-Richtlinie, zur Urheberrechtsrichtlinie sowie zur Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Die Klägerseite habe eine rechtlich beachtlichen Beweis für eine Beteiligung oder Verantwortlichkeit der Anschlussinhaberin nicht erbracht. Unter Berücksichtigung der vorerwähnten EU-Richtlinien könne die Internet-Anschlussinhaberin nicht allein deshalb für etwaige Urheberrechtsverletzungen Dritter haften, nur weil sie den Internetanschluss nicht verschlüsselt habe.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der klagende und "ins Schwitzen" geratene Anti-Piraterie-Verband wird voraussichtlich Berufung einlegen. Die Anwaltskollegen Ville Oksanen und Lassi Jyrkkiö aus Helsinki wollen erforderlichenfalls eine Entscheidung des EuGH herbeiführen. Das weitere Verfahren ist insbesondere wegen der in der Vergangenheit ausufernden und unverhältnismäßigen Bemühungen der Abmahn-Lobby, das ohnehin zweifelhafte Rechtsinstitut der Störerhaftung inflationär überzuinterpretieren bzw. zu missbrauchen, hochinteressant. Über die diesbezüglich aktuell erfreulich kritische Tendenz des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits berichtet. Auch für Hotspots wird der Prozess-Fortgang von großem Interesse sein.

Ich drücke die Daumen und bleibe am Ball.