Donnerstag, 12. Mai 2016

Mai 2016: BGH-Filesharing-Urteile schlagen aus


Über sechs Filesharing-Klagen urteilte am 12.05.2016 der I. Zivilsenat des BGH:

Es ging im Wesentlichen
  • um Kosten- und Schadenshöhen im Rahmen von vier Berufungsurteilen des LG Bochum,
  • um sekundäre Darlegungspflichten im Rahmen einer Berufungsentscheidung des OLG Köln
  • und schließlich um Störerhaftung sowie Belehrungs- und Überwachungspflichten auf der Basis eines zweitinstanzlichen Urteils des LG Hamburg.


In Karlsruhe schlagen im Mai nicht nur die Bäume aus

1. Fall: BGH Az. I ZR 272/14

Revision zum Urteil des LG Bochum vom 27.11.2014 (Az. I 8 S 9/14)
nach Urteil des AG Bochum vom 16.04.2014

Ausgangspunkt bildet - wie so oft - eine Abmahnung der Kanzlei Waldorf Frommer aus München wegen angeblichen Filesharings hinsichtlich eines Filmwerks an zwei Abend- bzw. Nachtterminen vor fast genau sechs Jahren – im Mai 2010. Die Klägerin verlangt von den beiden Internetanschlussinhabern Lizenzschadensersatz i. H. v. 600,00 EUR und Erstattung von Abmahnkosten.
Die Beklagten haben sich darauf berufen, sie hätten zu den fraglichen Zeitpunkten geschlafen bzw. der Beklagte zu 1.) sei bei der Arbeit gewesen. Ob ihr Sohn (der ihnen als gelernter IT-Techniker den Internetzugang und die Programme eingerichtet habe und zwar 2010 nicht mehr bei seinen Eltern wohnte, allerdings auch im Jahr 2010 von Zeit zu Zeit in seinem alten Zimmer übernachtet habe) auch zur fraglichen Zeit bei ihnen übernachtete, wissen die beklagten Eltern nicht mehr genau.

Das AG Bochum hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin ihrer primären Darlegungs- und Beweispflicht nicht nachgekommen sei, die Beklagten demgegenüber ihre sekundäre Darlegungspflicht in ausreichender Weise erfüllt hätten.

Das LG Bochum hat das erstinstanzliche Urteil des AG Bochum zum größeren Teil aufgehoben und die Beklagten als vermeintlich gemeinschaftliche Täter zu Schadensersatz und Kostenerstattung verurteilt.

„Denn die Beklagten haben zu dem Nutzungsverhalten des Sohnes nichts vorgetragen. Sie haben nicht dargelegt, dass der Sohn den Internetanschluss genutzt hat, denn dies lässt sich nicht ohne Weiteres aus der Information des Übernachtens oder der Sicherung des W-LAN-Anschlusses schließen. Des Weiteren fehlen Angaben dazu, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Gerät der Sohn den Anschluss genutzt haben soll. Aus dem unsubstantiierten Vortrag der Beklagten kann weder gefolgert werden, dass ein Dritter Zugang zu dem Anschluss hatte, noch, dass ein Dritter die streitgegenständliche Datei über den Anschluss angeboten haben könnte.“


„Da es sich beim Filesharing um ein Massenphänomen handelt, sodass eine Überkompensation des Schadensersatzinteresses des jeweiligen Rechteinhabers zu vermeiden ist und die begehrte Schadensersatzhöhe in einem angemessenen Verhältnis zu der Verletzungshandlung stehen muss, erachtet die Kammer einen Betrag in Höhe von 600,00 € als geboten.“


„Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten in Höhe von 130,50 € aus § 97 a UrhG zu. Ein darüber hinausgehender Betrag ist nicht zuzusprechen, da der klägerseits zugrunde gelegte Gegenstandswert deutlich zu hoch bemessen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm wird. der Streitwert eines Unterlassungsbegehrens mit der doppelten Lizenzgebühr beziffert, sodass vorliegend der Berechnung der Abmahnkosten ein Gegenstandswert in Höhe von 1.200,00 € zugrundzulegen ist.“

Besonders spannend war dabei, ob der BGH auch in diesem Fall von einer sogenannten „tatsächlichen Vermutung“ zu Lasten von zwei Anschlussinhabern ausgeht, was von vielen als recht lebensfremd bewertet wird. Ferner war offen, ob dem BGH der ziemlich dünne Vortrag der beklagten Eltern zur etwaigen Übernachtung seitens des erwachsenen Sohnes zur sekundären Darlegung möglicher Täteralternativen ausreicht – ohne näheren Vortrag zu Recherchen und zum konkreten Nutzungsverhalten bzw. Nutzungsequipment des Sohnes. Hierzu lässt sich der Pressemitteilung des BGH leider noch nichts Näheres entnehmen. Die noch ausstehende Veröffentlichung der schriftlichen Entscheidungsgründe bleibt also abzuwarten.

2. Fall: BGH Az. I ZR 1/15
Revision zum Urteil des LG Bochum vom 27.11.2014 (Az. I-8 S 7/14)

Wieder geht's um Abmahnung und Klage seitens der Kanzlei Waldorf Frommer und wieder ist Klägerin eine vermeintliche Inhaberin ausschließlicher Verwertungsrechte am streitgegenständlichen Film. Vorgeworfen wird den beiden Beklagten diesbezügliches illegales Filesharing am Vormittag des 22.07.2010. Wieder wird Schadensersatz im Wege der Lizenzanalogie i. H. v. 600,00 EUR sowie die Erstattung von Abmahnungskosten zu einem angeblichen Streitwert von 10.000,00 EUR (also 506,00 EUR) verlangt.
Die Beklagten haben sich darauf berufen, dass der häusliche Internetanschluss von der gesamten Familie genutzt wurde; darunter auch eine damals 9 Jahre alte (oder junge) Tochter, die über einen eigenen Zugang zum Internet verfügt habe und eingehend „zum ordnungsgemäßen Verhalten im Internet“ belehrt worden sei.

Das LG Bochum hat die amtsgerichtliche Klageabweisung aufgehoben und die beklagten Eltern verurteilt, wenn auch bei erheblicher Reduzierung der zu erstattenden Abmahnungskosten.

„Soweit die Beklagten auf eine mögliche Verantwortung ihrer Tochter verweisen, ist ihr Vorbringen nicht hinreichend konkret, da ihm nicht ansatzweise entnommen werden kann, unter welchen Umständen die Tochter die fragliche Urheberrechtsverletzung begangen haben soll. So fehlen jegliche Angaben der Beklagten dazu, ob die Tochter über einen eigenen Computer oder Laptop verfügt oder den Computer der Eltern benutzt haben soll. Auch ist nicht dargestellt, ob die seinerzeit erst 9 Jahre alte Tochter unbeaufsichtigt Zugang zum Internet gehabt haben soll.“

Wie ist der BGH mit der sekundären Darlegungslast in diesem Fall umgegangen? Wie mit dem recht pauschalen Verweis auf eine neunjährige Tochter – ohne substantiellerere Angaben z. B. zu dem konkreten technischen Zugang des jungen Mädchens zum familiären Internetanschluss? Durften die Beklagten ihrer immerhin erst neun Jahre alten Tochter überhaupt einen eigenständigen Zugang zum Internet erlauben? Einige warteten auch gespannt auf die BGH-Bewertung zur Höhe der Abmahnungskosten.

3. Fall: BGH Az. I ZR 43/15
Revision zum Urteil des LG Bochum vom 05.02.2015 (Az. 8 S 17/14)

In diesem Fall ist Klägerin die Fa. Koch Media, die den Beklagten abgemahnt und verklagt hatte wegen Filesharing-Vorwürfen hinsichtlich eines im Jahre 2012 in Deutschland erschienenen Computerspiels. Der Beklagte soll im Mai 2012 dieses Computerspiel illegal in eine Online-Tauschbörse öffentlich zugänglich gemacht haben. Es werden Abmahnungskosten zu einem Streitwert von 30.000,00 EUR und damit i. H. v. über 1.000,00 EUR verlangt.
Das LG Bochum hat der Klägerin lediglich Abmahnungskosten in Höhe von 192,90 EUR aus § 97 a UrhG zugesprochen bei Zugrundelegung eines Gegenstandswertes für den Unterlassungsanspruch i. H. v. 2.000,00 EUR.


4. Fall: BGH Az. I ZR 44/15
Revision zum Urteil des LG Bochum vom 05.02.2015 (Az. I-8 S 11/14)

Hier geht es mal wieder um einen Film, den der Beklagte an einem Nachmittag im Mai 2011 im Wege illegalen Filesharings öffentlich zugänglich gemacht haben soll. Die Klägerin verlangt vorgerichtliche Abmahnungskosten i. H. v. 1.005,40 EUR und Schadensersatz im Wege der Lizinzanalogie.
Der Beklagte hat die Klageforderung i. H. v. 101,40 EUR anerkannt.
Das LG Bochum erachtete eine Kostenforderung i. H. v. 130,50 EUR zum Gegenstandswert i. H. v. 1.200,00 EUR und einen Lizenzschaden von 600,00 EUR für gerechtfertigt.

Auf die Revision der Klägerinnen hat in den vier oben genannten Fällen der BGH die Urteile des LG Bochum aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Landgericht ist nach Auffassung des BGH zu Unrecht davon ausgegangen, der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens. Vielmehr sei der Gegenstandswert der Abmahnung in Fällen der vorliegenden Art "nach dem Interesse der Klägerinnen an der Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen." Eine schematische Bemessung des Gegenstandswerts werde nicht dem Umstand gerecht, dass die zukünftige Bereitstellung eines Werks in einer Online-Tauschbörse nicht nur die Lizenzierung des Werks gefährdet, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen drohe.

Für die Bemessung des Gegenstandswerts komme es u.a. auf den wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts, die Aktualität und Popularität des Werks, die Intensität und Dauer der Rechtsverletzung sowie die subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers an. Dazu muss das LG Bochum nun weitere Feststellungen treffen.

Dass der BGH sich im Rahmen seiner Zurückverweisung primär zur Erstattung von Abmahnkosten geäußert hat, legt es nahe, dass der Senat in den oben skizzierten vier Bochumer Fällen eine ausreichende sekundäre Verteidigungsdarlegung der Beklagten wohl eher verneint hat.

5. Fall: BGH Az. I ZR 48/15
Revision zum Urteil des OLG Köln vom 06.02.2015 (Az. 6 U 209/13)
nach erstinstanzlicher Klageabweisung durch das Urteil des LG Köln vom 20.11.2013 (Az. 28 O 467/12)

Klägerinnen im fünften Fall sind die seit über 10 Jahren von der Kanzlei Rasch aus Hamburg vertretenen Tonträgerhersteller mit vermeintlichen Verwertungsrechten an über 800 Audioaufnahmen, die nach angeblich sachgerechten Recherchen der Firma ProMedia GmbH am 18.11.2007 um 19:51:51 Uhr unter einer bestimmten, angeblich dem Beklagten zuzuordnenden IP-Adresse mit der mittlerweile gerichtsbekannten P2P-Software „Bear-Share“ zum kostenlosen Download online angeboten worden sein sollen.
Der Internetanschluss des Beklagten erfolgte im Herbst 2007 über einen per WPA2-Verschlüsselung gesicherten WLAN-Router mit einem von der gesamten Familie, also auch von der Ehefrau und den damals 17 und 15 Jahre alten Kindern verwendeten Rechner. Die klägerische Abmahnung datiert vom 08.05.2008 und verlangte zunächst vergleichsweise eine pauschale Zahlung i. H. v. 6.000,00 EUR. Erst am 23.12.2011 beantragten die Klägerinnen einen Mahnbescheid über Abmahnungskosten i. H. v. 2.380,80 EUR und Schadensersatz i. H. v. 3.000,00 EUR.
Im Rahmen der landgerichtlichen Beweisaufnahme wurde die Ehefrau als Zeugin vernommen; die beiden Kinder des Beklagten beriefen sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. 
Das LG Köln wies die Klage ab: Nach der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Rechtsverletzungen nicht von Beklagten oder seiner Ehefrau begangen wurden, sondern von einem der Kinder oder von beiden Kindern gemeinsam. Eine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht liege nicht vor und auch eine Störerhaftung des Beklagten wurde verneint.
Das OLG Köln hob diese klageabweisende Entscheidung auf:

„Auf der Grundlage der Aussagen der Zeugin (der Ehefrau) hatten die Kinder keinen so selbständigen Zugang zum Internet, dass sie ernsthaft als Alleintäter des streitgegenständlichen Downloadangebotes mit 809 Titeln in Betracht kommen. Außerdem hat der Beklagte keine nachvollziehbare Erklärung dafür abgegeben, wie es den Kindern überhaupt hätte gelingen können, von ihm nicht entdeckt zu werden. Zu seiner eigenen konkreten Internetnutzung hat der Beklagte nichts vorgetragen. Er hat auch nicht vorgetragen, dass 2007/2008 auf dem mit dem Internet verbundenen Rechner keine Filesharing-Software installiert gewesen war und/oder dass die streitgegenständlichen geschützten Dateien nicht auf dem Rechner vorhanden gewesen waren. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.01.2015 hat er vielmehr angegeben, nach der Abmahnung durch die Klägerinnen den Rechner nicht untersucht zu haben, weil für ihn von Anfang an klar gewesen sei, dass niemand aus seiner Familie hier als Täter in Betracht komme. Dies steht indes nicht in Einklang mit seinem Antwortschreiben vom 16.05.2008 auf die Abmahnung vom 08.05.2008, in dem mitgeteilt wurde, dass der Beklagte sämtliche auf seinen Anschluss bestehenden Internetverbindungen getrennt habe, um die Sache zu prüfen. Warum bei nur einem an das Internet angeschlossenen Rechner mehrere Verbindungen getrennt werden mussten, bleibt ebenso unklar wie die Frage, warum der Beklagte die angekündigte Prüfung nicht vorgenommen hat. War dem Beklagten aber bekannt, dass sein Rechner und sein Anschluss für illegales Filesharing genutzt wurden, und ist er gegen diese Nutzung nicht eingeschritten, so haftet er für sie als Mittäter.“


Zu diesen Ausführungen wurden nun erhellende Bewertungen des BGH erwartet. Der BGH hat die Revision des Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen. Das OLG Köln habe zu Recht angenommen, dass der Beklagte für die öffentliche Zugänglichmachung der Musikaufnahmen über seinen Internetanschluss haftet, da nach Durchführung der Beweisaufnahme die Ehefrau des Beklagten als Täterin ausscheide und der Beklagte nicht hinreichend konkret dazu vorgetragen habe, "dass seine Kinder ernsthaft als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen." Da darf man sich die Rechtsverteidigung wohl auch weiterhin nicht zu einfach machen bzw. nicht zu einfach vorstellen. Man sollte die sekundäre Darlegungslast also auch zukünftig nicht auf die leichte Schulter nehmen.

6. Fall: BGH (Az. I ZR 86/15)
Revision zum Urteil des LG Hamburg vom 20.03.2015 (Az. 310 S 23/14)
nach erstinstanzlichem Urteil des AG Hamburg vom 08.07.2014 (Az. 25b C 887/13)

Im sechsten Filesharing-Fall geht es u. a. um fragliche, vom LG Hamburg bejahte Belehrungspflichten hinsichtlich den häuslichen Internetanschluss gelegentlich nutzender verwandter oder bekannter volljähriger Besucher – in diesem Fall aus Australien.
Es ging um Filesharing zu Lasten des Films "Silver Linings Playbook". Das LG Hamburg hatte insoweit im vergangenen Jahr eine gemeinschaftliche Störerhaftung der beklagten Internetanschlussinhaber angenommen und dazu ausgeführt:

„Die Nichte der Beklagten ist gerade nicht deren Tochter, so dass das Verhältnis zwischen der Beklagten und ihrer Nichte nicht unter den Familienbegriff des Art. 6 GG fällt. Die Nichte lebt in Australien und war nur für wenige Tage bei der Beklagten zu Besuch. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob zwischen ihr und der Beklagten ein Vertrauensverhältnis wie zwischen Eltern und ihren Kindern besteht. Denn ein solches Kriterium ließe sich mit den Mitteln des Zivilprozesses kaum aufklären und würde zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen.“

Der BGH hat auf die Revision der Beklagten hin die Klage zu Recht abgewiesen und eine Störerhaftung sowie eine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht gegenüber volljährigen Mitgliedern einer Wohngemeinschaft sowie volljährigen Besuchern oder Gästen als unzumutbar abgelehnt. Damit haben die Karlsruher Richter im Mai 2016 zahlreichen Filesharing-Abmahnungen den Wind aus den Segeln genommen.

Dem zu erwartenden höchstrichterlichen Klartext in den noch ausstehenden schriftlichen Urteilsgründen werden voraussichtlich schlagende Argumente gegen etliche Filesharing-Abmahnungen und -Klagen zu entnehmen sein.