Niemand zu Hause? |
Einen interessanten Hinweis gab
heute einer der beim Amtsgericht Bielefeld bereits seit mehreren Jahren für Urheberrecht zuständigen Richter
im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme in Filesharing-Sachen. Damit wurde eine oft widersprüchliche Argumentation der abmahnenden Rechteinhaber überzeugend entlarvt. Kein zweierlei Maß bei Verdacht und Verteidigung.
Klägerin ist eine
Pornofilm-Produzentin, Beklagter ist der Inhaber eines familiären Internetanschlusses. Dieser verteidigte sich nach vorausgegangener Filesharing-Abmahnung im Rahmen des anhängigen
Schadensersatzprozesses u. a. damit, dass er kein illegales
Filesharing betrieben hat und dass sein Internetanschluss zur
fraglichen Zeit zumindest auch von einem seiner drei Söhne, die namentlich
benannt wurden, genutzt werden konnte. Der Beklagte hatte zur „Tatzeit“ (nachts)
geschlafen und konnte naturgemäß zum konkreten Internet-Nutzungsverhalten
seiner volljährigen Söhne zu dieser Zeit nichts Substantielleres vortragen.
Das Amtsgericht Bielefeld wies auf
einen im Zusammenhang mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers recht interessanten Gesichtspunkt hin, nämlich auf
einen häufig auftretenden Argumentationswiderspruch der Klägerseite,
wenn
zum einen
der Einwendung des Anschlussinhabers, er sei zur fraglichen Zeit nicht zu Hause
gewesen, damit begegnet wird, dass eine Nutzung des Internetanschlusses durch
entsprechende (Vor-)Einstellungen auch ohne körperliche Anwesenheit des
Anschlussinhabers möglich ist,
und
andererseits vom sekundär darlegungspflichtigen Anschlussinhaber gleichzeitig
verlangt wird, detailliert dazu vorzutragen, ob die behaupteten anderen
möglichen familiären Internetnutzer zur fraglichen Zeit zu Hause anwesend
waren, wobei manche Fragestellungen dann sogar so weit gehen, ob die
betreffenden Familienangehörigen zur fraglichen Zeit praktisch auch vor ihrem
PC bzw. ihrem Laptop oder Tablet gesessen haben.
Dem Amtsgericht Bielefeld ist
zuzustimmen in der Einschätzung, dass es für eine Verteidigung gegen
unberechtigte Filesharing-Vorwürfe ausreichen kann, eine vermeintliche eigene
Täterschaft zu bestreiten und auf die grundsätzliche selbstständige und
eigenverantwortliche Internet-Nutzungsmöglichkeit seiner Familienangehörigen
bzw. Mitbewohner zu verweisen. Eine Nutzung des Internetanschlusses durch
die Familienangehörigen oder „Hausgenossen“ kann schließlich auch ohne körperliche
Präsenz stattfinden. Die ernsthafte Möglichkeit eines von den
den Beklagten verdächtigenden Filesharing-Vorwürfen
abweichenden Geschehensablaufs besteht also auch ohne konkret darlegbare oder
gar belegbare Anwesenheit der Mitbewohner bzw. Mitbewohnerinnen. Für welchen Zeitraum sollte eine Klärung derartige Präsenz denn auch konkret verlangt werden können? Für die gesammte Dauer des angeblich protokollierten Uploads? Für einen Teil? Für eine oder mehrere Stunden zuvor? Kann der Abmahnende bzw. der Kläger überhaupt vom Anschlussinhaber eine entsprechende Überwachung oder Recherche erwarten oder beanspruchen? Nein!
Ein weiteres Mal sind folglich
Argumentations- (und Einschüchterungs-)Versuche der Abmahnungslobby
entplausibilisiert worden. Die oft so vollmundig beschworene "tatsächliche Vermutung" zu Lasten des Abmahnungsadressaten und dessen angebliche quasi-polizeilichen Haus-und-Hof-Pflichten nehmen also praktisch "zunehmend" ab.
Dass im Übrigen Familienangehörige sich bereits vor
dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie nach Art. 6
Grundgesetz nicht verpflichtet fühlen müssen, sich wechselseitig im
Zusammenhang mit der Internetnutzung und etwaigen Filesharing-Verstößen zu überwachen
oder im Falle von Filesharing-Abmahnungen bzw. -Klagen zu recherchieren oder
Angehörige zu belasten, war auch weitergehender Gegenstand der heutigen mündlichen Verhandlung.
Eine vom anwaltlichen Vertreter der Klägerin am liebsten gewünschte Gefährdungshaftung
für Internetanschlüsse - also eine Art „Halter-Haftung“ der Anschlussinhaber entsprechend den Haltern von Kraftfahrzeugen - besteht unstreitig nach der geltenden Gesetzeslage nicht und bleibt wohl auch frommer
bzw. unfrommer sowie unerfüllter Wunsch der Content-Industrie an den deutschen und den europäischen Gesetzgeber.
Das Amtsgericht und das Landgericht Bielefeld sind in urheberrechtlichen Streitigkeiten örtlich zuständig auch für die Bereiche der Landgerichtsbezirke Detmold, Paderborn und Münster.
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