Donnerstag, 5. Februar 2015

Filesharing-Klage: Neuer Hinweis des AG Bielefeld

 ++++ Widerspruch in der Argumentation der Content-Industrie zur sekundären Darlegungslast ++++
 
Niemand zu Hause?
Einen interessanten Hinweis gab heute einer der beim Amtsgericht Bielefeld bereits seit mehreren Jahren für Urheberrecht zuständigen Richter im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme in Filesharing-Sachen. Damit wurde eine oft widersprüchliche Argumentation der abmahnenden Rechteinhaber überzeugend entlarvt. Kein zweierlei Maß bei Verdacht und Verteidigung.
 
Klägerin ist eine Pornofilm-Produzentin, Beklagter ist der Inhaber eines familiären Internetanschlusses. Dieser verteidigte sich nach vorausgegangener Filesharing-Abmahnung im Rahmen des anhängigen Schadensersatzprozesses u. a. damit, dass er kein illegales Filesharing betrieben hat und dass sein Internetanschluss zur fraglichen Zeit zumindest auch von einem seiner drei Söhne, die namentlich benannt wurden, genutzt werden konnte. Der Beklagte hatte zur „Tatzeit“ (nachts) geschlafen und konnte naturgemäß zum konkreten Internet-Nutzungs­ver­halten seiner volljährigen Söhne zu dieser Zeit nichts Substantielleres vortragen. 

Das Amtsgericht Bielefeld wies auf einen im Zusammenhang mit der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers recht interessanten Gesichtspunkt hin, nämlich auf einen häufig auftretenden Argumentationswiderspruch der Klägerseite,  

wenn 
 
zum einen der Einwendung des Anschlussinhabers, er sei zur fraglichen Zeit nicht zu Hause gewesen, damit begegnet wird, dass eine Nutzung des Internetanschlusses durch entsprechende (Vor-)Einstellungen auch ohne körperliche Anwesenheit des Anschlussinhabers möglich ist,
 
und andererseits vom sekundär darlegungspflichtigen Anschlussinhaber gleichzeitig verlangt wird, detailliert dazu vorzutragen, ob die behaupteten anderen möglichen familiären Internetnutzer zur fraglichen Zeit zu Hause anwesend waren, wobei manche Fragestellungen dann sogar so weit gehen, ob die betreffenden Familienangehörigen zur fraglichen Zeit praktisch auch vor ihrem PC bzw. ihrem Laptop oder Tablet gesessen haben.

Dem Amtsgericht Bielefeld ist zuzustimmen in der Einschätzung, dass es für eine Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Vorwürfe ausreichen kann, eine vermeintliche eigene Täterschaft zu bestreiten und auf die grundsätzliche selbstständige und eigenverantwortliche Internet-Nutzungsmöglichkeit seiner Familienangehörigen bzw. Mitbewohner zu verweisen. Eine Nutzung des Internetanschlusses durch die Familienangehörigen oder „Hausgenossen“ kann schließlich auch ohne körperliche Präsenz stattfinden. Die ernsthafte Möglichkeit eines von den den Beklagten verdächtigenden Filesharing-Vorwürfen abweichenden Geschehensablaufs besteht also auch ohne konkret darlegbare oder gar belegbare Anwesenheit der Mitbewohner bzw. Mitbewohnerinnen. Für welchen Zeitraum sollte eine Klärung derartige Präsenz denn auch konkret verlangt werden können? Für die gesammte Dauer des angeblich protokollierten Uploads? Für einen Teil? Für eine oder mehrere Stunden zuvor? Kann der Abmahnende bzw. der Kläger überhaupt vom Anschlussinhaber eine entsprechende Überwachung oder Recherche erwarten oder beanspruchen? Nein!

Ein weiteres Mal sind folglich Argumentations- (und Einschüchterungs-)Versuche der Abmahnungslobby entplausibilisiert worden. Die oft so vollmundig beschworene "tatsächliche Vermutung" zu Lasten des Abmahnungsadressaten und dessen angebliche quasi-polizeilichen Haus-und-Hof-Pflichten nehmen also praktisch "zunehmend" ab.
 
Dass im Übrigen Familienangehörige sich bereits vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie nach Art. 6 Grundgesetz nicht verpflichtet fühlen müssen, sich wechselseitig im Zusammenhang mit der Internetnutzung und etwaigen Filesharing-Verstößen zu überwachen oder im Falle von Filesharing-Ab­mahnungen bzw. -Klagen zu recherchieren oder Angehörige zu belasten, war auch weitergehender Gegenstand der heutigen mündlichen Verhandlung. Eine vom anwaltlichen Vertreter der Klägerin am liebsten gewünschte Gefährdungshaftung für Internetanschlüsse - also eine Art „Halter-Haftung“ der Anschlussinhaber entsprechend den Haltern von Kraftfahrzeugen - besteht unstreitig nach der geltenden Gesetzeslage nicht und bleibt wohl auch frommer bzw. unfrommer sowie unerfüllter Wunsch der Content-Industrie an den deutschen und den europäischen Gesetzgeber.

Das Amtsgericht und das Landgericht Bielefeld sind in urheberrechtlichen Streitigkeiten örtlich zuständig auch für die Bereiche der Landgerichtsbezirke Detmold, Paderborn und Münster.