Dienstag, 11. Oktober 2011

OLG bremst Schadensersatz-Lawine bei Filesharing-Abmahnungen --- Geschäftsmodell in zunehmender Rechtfertigungsnot

Große Aufmerksamkeit hat der Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Köln vom 30.09.2011 (Az. 6 U 67/11) erlangt. Die Berufungsrichter verlangen von der Musikindustrie wesentlich umfassendere und vertieftere Darlegungen, um auf plausiblerer und realistischerer Berechnungsgrundlage vermeintliche Schadenshöhen bei Filesharing-Vorwürfen nach § 287 ZPO abschätzen zu können. Dabei baut das Oberlandesgericht erstmalig eine "Schadensbremse" mit einem überfälligen Anrechnungsmodus ein.

Besonders bemerkenswert ist bei der aktuellen Entscheidung m. E. nicht so sehr, an welchem GEMA-Tarif sich die Richter zu orientieren beabsichtigen bzw. welchen Tarif sie als den dem zu beurteilenden Sachverhalt am nächsten kommend bewerten. 

Der Senat favorisiert in dem Zusammenhang wohl nicht den von den Klägerinnen angeführten Tarif VR W I, der u.a. Hintergrundmusik insbesondere im Bereich der Werbung betrifft, die im Wege des Streaming zur Verfügung gestellt wird, und der eine Mindestlizenz von 100 Euro für bis zu 10.000 Abrufe ansetzt, sondern den allerdings für Komponisten und Textdichter geltenden Tarif VR-OD 5, der die Nutzung einzelner Titel auch durch Internet-Downloads betrifft und der für ein Werk mit einer Spieldauer von bis zu 5 Minuten von einer Mindestvergütung von 0,1278 € pro Zugriff auf den jeweiligen Titel ausgeht. Alternativ gibt das Gericht den klagenden Tonträgerherstellern Gelegenheit, konkreter zu den von ihnen tatsächlich erzielten Vergütungen für Download-Lizenzen vorzutragen.

Eine seriöse richterliche Schätzung etwaiger Schadenshöhen möchte das OLG davon abhängig machen, dass die Musiklabels darlegen, wie viele Zugriffe auf den Rechner des abgemahnten Internetanschluss-Inhabers zum Zweck des Downloads des jeweiligen streitgegenständlichen Titels erfolgt sind. Zumindest erwartet der Senat Angaben dazu, in welcher Größenordnung nach den Ermittlungen der Klägerinnen bei Titeln der streitgegenständlichen Art "Upload-Angebote von an der Tauschbörse Beteiligten erfolgen bzw., wie sich diese Zahlen im fraglichen Zeitraum entwickelt haben."

Diese Betrachtungen und Bewertungen fügen sich systematisch durchaus in die bisherige Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen ein. Relativ neu und bemerkenswert sind aber die folgenden richterlichen Feststellungen: 

"Das Einstellen der Titel in die Tauschbörse hat zwar - wie die Klägerinnen im Ausgangspunkt zutreffend vortragen - einer unübersehbaren Anzahl Beteiligter den Zugriff auf diese ermöglicht, es bestehen aber auch gegen all jene (soweit schuldhaft handelnden) weiteren unberechtigten Nutzer wiederum Schadensersatzansprüche. Eine - aus diesem Grunde zumindest theoretisch möglich erscheinende - vielfache Geltendmachung desselben Schadens ohne Anrechnung der schon erfolgten Ersatzleistung eines der Schädiger dürfte im Ansatz unberechtigt sein."
Damit wird zu Recht die in zahlreichen Abmahnungen der Rechteverwerter propagierte Schadenspotenzierung als haltlos und unseriös entlarvt. Diese Problematik wurde auch bereits vor über einem Jahr in meinem Beitrag zu den unlogischen Boom-Geschäften mit der Lizenzanalogie beim Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" erläutert und kritisiert. Es kann und darf nicht angehen, dass im Wege überhöhter und unrealistischer Schadensersatz-Szenarien bei Abmahnungs-Adressaten "Lizenz"-Beträge tatsächlich wiederholt "eingefahren" werden, obwohl etwa an vorausgegangener Stelle der Upload bereits fiktiv im Wege der Lizenzanalogie vergütet bzw. entschädigt worden ist.

Der in Rede stehende OLG-Beschluss bestätigt eine zunehmende Rechtsprechungs-Tendenz dahingehend, distanzierter, objektiver, kritischer und angemessener mit dem Geschäftsmodell der ausufernden Filesharing-Abmahnungen umzugehen.

Samstag, 8. Oktober 2011

Sparkasse sieht ROT: Streit mit Abmahnungen und Prozessen um die Farb-Marke

Ein heftiger Kampf um die Farbe des Geldes wird aktuell zwischen dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband und Spaniens größter privater Geschäftsbank, der Santander Bank, vor Hamburger Gerichten und dem DPMA geführt. Es geht um die möglicherweise einen Milliarden-Wert darstellende Farbmarke der Sparkassen mit der Registernummer 302111204. 

Diese Farbmarke wurde am 07.02.2002 angemeldet und ist seit dem 11.07.2007  im Markenregister des DPMA eingetragen - geschützt für die folgenden Dienstleistungen der Klasse 36:
Finanzwesen, nämlich Retail-Banking (Bankdienstleistungen für Privatkunden), insbesondere Kontoführung, Durchführung des Zahlungsverkehrs (Girogeschäft), Ausgabe von Debit- und Kreditkarten, Abwicklung von Geldgeschäften mit Debit- und Kreditkarten, Anlage- und Vermögensberatung, Beratung zu und Vermittlung von Geldanlagen, Wertpapiergeschäft, Depotgeschäft, allgemeine Geldberatung, Vermittlung von Versicherungen, Beratung zu und Vermittlung von Bausparverträgen, Kreditberatung, Kreditgeschäft, Kreditvermittlung.

Nachdem das Landgericht Hamburg der Santander Bank eine weitere Verwendung der streitigen Farbe bereits in mehrfacher Hinsicht verboten hat, gingen die iberischen Banker nun in Berufung vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Darüber hinaus betreibt Santander ein Marken-Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Die Spanier sind also kampfesmutiger als noch vor einigen Jahren etwa die Norisbank oder die früher noch nicht zu Santander gehörende GE Money Bank.

Die Santander Consumer Bank AG hatte mit Wirkung zum 31.01.2011 den deutschen Retailbankbereich der SEB AG übernommen, deren Filialen bekanntlich damals eine "grüne CI" aufwiesen, bevor der Wechsel zu den bereits seit ca. 25 Jahren blutroten Spaniern geschah.

Die Monopolisierung einer Farbe im Wege einer Farbmarke setzt eine ausreichende Unterscheidungskraft für die beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen voraus sowie eine graphische Darstellbarkeit, die nach der Rechtsprechung nur dann gegeben ist, wenn sie klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv ist. Drshalb wird bei abstrakten Farbmarken der zu schützende Farbton regelmäßig nach einem internationalen Farbklassifikationsssystem - wie z. B. RAL oder HKS - angegeben (bei den Sparkassen ist das HKS 13).

Diese Art der Farb-Monopol-Bildung stößt nicht selten auf Kritik - nicht zuletzt unter Hinweis auf werbliche und marktmäßige Freihaltebedürfnisse sowie im Hinblick auf den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit.

Für die Prozess-Parteien und deren Rechtsanwälte steht einiges auf dem Spiel - da wird man wohl nach weiterem Austausch farbenfroher Argumente sich doch besser irgendwie grün werden müssen, bevor eine letzte Instanz für eine Seite die "falsche" Entscheidung trifft.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

BGH-Urteil zur Verselbständigung von Namen: Das Recht, nach Erwerb von Immobilien den Namen des früheren Eigentümers als Geschäftsbezeichnung und Domain zu nutzen

 ---------------------------------------------------------------------------------------------
Gleichzeitig ein Reminder zum Risiko eines Untergangs bzw. Verfalls sogenannter generischer Marken

Mit Urteil vom 28.09.2011 (Az. I ZR 188/09 - Landgut Borsig) hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes entschieden, dass mit dem Erwerb eines Gebäudes oder eines Grundstücks das Recht verbunden sein kann, dieses Anwesen mit dem Namen eines früheren Eigentümers zu bezeichnen (BGH-Pressemitteilung  Nr. 151/2011 vom 29.09.2011).



Kläger ist der in München lebende Nachkomme der Berliner Industriellenfamilie von Borsig. Er hatte den ersten Teil seiner Kindheit auf dem Landgut verbracht.. 

Dessen Vorfahre, Albert Borsig, hatte 1866 das ca. 40 km westlich von Berlin gelegene Gut Groß Behnitz erworben. Nachdem der Grundbesitz 1947 von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet worden war, erwarb der Beklagte zu 1 im Jahr 2000 einen Teil der Liegenschaft von der Treuhand. Der Beklagte zu 1 ist Geschäftsführer der Landgut Borsig Kontor GmbH, die auf dem Anwesen nach der Sanierung unter der Bezeichnung "Landgut Borsig Groß Behnitz" kulturelle und andere Freizeitveranstaltungen durchführt und dort auch typische Produkte aus der Region vertreibt.

Der Beklagte zu 1 hat für sich zudem bei der DENIC den Domainnamen "landgut-borsig.de" registrieren lassen. 


Der Kläger will nach entsprechender Abmahnung die Beklagten verurteilen lassen, es zu unterlassen, die umstrittene Kennzeichnung auf die beschriebene Art und Weise zu verwenden, und ferner die Löschung der registrierten Domain erwirken.

Die Beklagten haben u. a. vorgetragen, ihnen sei die Verwendung des Namens "Borsig" aufgrund einer Gestattung der Borsig GmbH erlaubt. Zudem habe sich der Name "Landgut Borsig" für das Gut in Groß Behnitz verselbständigt und durch den Namensgebrauch seien auch keine schutzwürdigen Interessen des Klägers verletzt.

Die Klage war vor dem Berliner Landgericht (Urteil vom 12.10.2007, Az. 35 O 106/07) und dem Kammergericht (Urteil vom 2010.2009, Az. 5 U 173/07) weitgehend erfolgreich. 

Der BGH hob das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten hin auf. 


Nach Einschätzung des I. Zivilsenats kann der Gebrauch der Bezeichnung "Landgut Borsig" beim Publikum zwar den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Kläger habe als Nachfahre des früheren Eigentümers Ernst von Borsig dem Gebrauch seines Namens zugestimmt. Die Beklagten könnten sich auch nicht mit Erfolg auf eine Gestattung der Namensverwendung durch die heutige Borsig GmbH berufen. 

Nach dem Vortrag der Beklagten könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Name "Landgut Borsig" für das Gut Groß Behnitz derartig verselbständigt hat, dass die Zustimmung der Träger des Namens "Borsig" nicht mehr erforderlich war. Voraussetzung hierfür sei, dass die Bezeichnung "Landgut Borsig" zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagten die Benutzung der Bezeichnung "Landgut Borsig" aufgenommen haben, im allgemeinen Sprachgebrauch der näheren Umgebung üblich war. Hätte sich der Name "Landgut Borsig" auf diese Weise verselbständigt, könnten sich die Beklagten auf dieses Namensrecht stützen. Ihr berechtigtes Interesse, ihre dort betriebenen wirtschaftlichen Aktivitäten mit diesem Namen zu bezeichnen, wäre in diesem Fall nicht zu leugnen. 


Da das Berufungsgericht noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, verwies der BGH die Sache an das Kammergericht zurück. 

Vor dem Kammergericht wird es nun auf das Ergebnis der dort durchzuführenden Beweisaufnahme zu den vorgenannten Fragen ankommen. 

Schon jetzt bleibt festzuhalten, dass durch allgemeinen Sprachgebrauch Namensrechte und Kennzeichnungsrechte teilweise untergehen bzw. sich verlagern können und dass mit dem Erwerb von Immobilien oder anderen Objekten auch manchmal unbeabsichtigt oder zunächst unerkannt ein Namensrecht oder Kennzeichnungsrecht bzw. eine Geschäftsbezeichnung generiert oder übertragen werden kann. Diese Phänomen wird auch bei Marken sorgfältig zu beachten bleiben. 

Das Risiko eines Untergangs oder Verfalls von Marken thematisiert § 49 Abs. 2 Ziff. 1 MarkenG, wo es heißt:

... Die Eintragung einer Marke wird ferner auf Antrag wegen Verfalls gelöscht
wenn die Marke infolge des Verhaltens oder der Untätigkeit ihres Inhabers im geschäftlichen Verkehr zur gebräuchlichen Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, geworden ist ...

Sogenannte praktisch fast zu Gattungsbegriffen gewordene generische Marken wie Aspirin, Bobbycar, Frisbee, Jeep, Kleenex, Nylon, Pampers, Plexiglas, Rigips, Selters, Tempo, Tesa, Uhu oder Vespa können ein Lied davon singen und führen teilweise in dem Zusammenhang harte - manchmal auch gerichtliche - Auseinandersetzungen.

Der Streit um das "Landgut Borsig" bildet in dem Zusammenhang lediglich einen gediegenen Teilaspekt ab, bei dem ein mit einer Kennzeichnung verbundener Immobilienerwerb durch Dritte eine zusätzliche Rolle spielt - neben einer etwaigen Kennzeichen-Verselbständigung durch Eingang in den allgemeinen (regionalen) Sprachgebrauch. Der BGH paart hier die etwaige Entstehung eines allgemeinen regionalen Sprach- und Namensgebrauchs mit einem möglichen Untergang eines objektbezogenen Untersagungsrechts. Den Urteilsgründen kann mit Spannung entgegengesehen werden.