Donnerstag, 16. Oktober 2014

Filesharing-Abmahnung vor dem EuGH - Piraten-Klage für offenes W-LAN

Ein Mitglied der Piratenpartei aus Bayern kämpft vor dem Landgericht München I und nun auch vor dem EuGH für Netzneutralität und Haftungsfreiheit beim Betrieb von ungesichertem offenem W-LAN.

Der Kläger betreibt per offenem WLAN einen Internetzugang für Geschäftspartner und Besucher. Er betreibt ein Gewerbe, in dessen Rahmen er Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen aller Art verkauft und vermietet. Das offene W-LAN dient nach Angaben des Event-Unternehmers auch der Werbung für seinen Betrieb.
Der engagierte Pirat erhielt eine Filesharing-Abmahnung von der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer, die für Sony Music Unterlassungs-, Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche geltend machte. Der Abmahnungsempfänger erhob eine negative Feststellungsklage gegen Sony Music und beruft sich darauf, dass er praktisch Zugangsanbieter und Provider ist und somit nach dem TMG nicht für die über das W-LAN-Netzwerk von Dritten übermittelten Inhalte verantwortlich ist. Er sei auch als Zugangsanbieter nicht verpflichtet, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen zur Vorbeugung gegen oder zur Verhinderung von vermeintlichen Rechtsverletzungen Dritter. Im Gegenteil: Wenn er als Zugangsanbieter derartiges täte, würde er die Netzneutralität eklatant verletzen und eine Auswahl der Inhalte, die über seinen Anschluss übermittelt werden, würde ihn als Betreiber erst recht haftbar für die angebotenen Inhalte machen.
Die beklagte Tonträger-Produzentin hat auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnungskosten gerichtete Widerklage gegen den Kläger erhoben.
Das Landgericht München tendiert zu der Rechtsauffassung,  eine Störerhaftung des W-LAN-Betreibers und damit eine Berechtigung zur Abmahnung sowie eine Verpflichtung zur Unterlassung zu bejahen, wenn das W-LAN-Netzwerk betrieben wird ohne die technisch möglichen Sicherungsmaßnahmen.
Die Münchener Richter haben allerdings erkannt, dass diese Rechtsauffassung mit den Haftungsprivilegierungen der E-Commerce-Richtlinie (insbesondere Art. 12,14 und 15),  in Deutschland gesetzlich umgesetzt im TMG, unvereinbar sein könnte. Der Kläger hat nämlich für den Fall, dass das Gericht § 8 TMG nicht anzuwenden beabsichtigt, hilfsweise beantragt, nach Art. 267 AEUV dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
“Ist die Richtlinie 2000/31/EG oder die Europäische Grundrechtecharta dahin auszulegen, dass sie den Mitgliedstaaten verbietet, Anbieter öffentlich oder anonym zugänglicher lnternet-Zugangsdienste unabhängig von einer gegen sie gerichteten gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung und unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für eine bestimmte drohende Rechtsverletzung zu verpflichten. allgemeine und permanente Maßnahmen zur Vorbeugung oder Verhinderung etwaiger zukünftiger Rechtsverletzungen seitens Teilnehmer des öffentlichen Internetzugangsdienstes zu treffen.” 
Das  Landgericht München I hat dem EuGH mit Beschluss vom 18.09.2014, Az. 7 O 14719/12, nun folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 
1. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG so auszulegen, dass “in der Regel gegen Entgelt” bedeutet, dass das nationale Gericht feststellen muss, ob die konkret betroffene Person, die sich auf die Diensteanbietereigenschaft beruft, diese konkrete Dienstleistung in der Regel entgeltlich anbietet,
 oder
 überhaupt Anbieter auf dem Markt sind, die diese Dienstleistung oder vergleichbare Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten,
 oder
 die Mehrheit dieser oder vergleichbarer Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden?
2. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass “Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk zu vermitteln” bedeutet, dass es für eine richtlinienkonforme Vermittlung lediglich darauf ankommt, dass der Erfolg eintritt, indem der Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk (z. B. dem Internet) vermittelt wird?
3. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art 2 Iit b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass es für “anbieten” im Sinne von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der lnformationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) ausreicht, wenn der Dienst der lnformationsgesellschaft rein tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, im konkreten Fall also ein offenes WLAN bereitgestellt wird, oder ist z. B. darüber hinaus auch ein “Anpreisen” erforderlich?
 4. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass mit “nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich” bedeutet, dass etwaige Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Zahlung der Abmahnkosten und Gerichtsgebühren des aufgrund einer Urheberrechtsverletzung Betroffenen gegen den Zugangs-Provider grundsätzlich oder jedenfalls in Bezug auf eine erste festgestellte Urheberrechtsverletzung ausgeschlossen sind?
5. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 in Verbindung mit Art 12 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass die Mitgliedstaaten dem nationalen Richter nicht erlauben dürfen, in einem Hauptsacheverfahren gegen den Zugangs-Provider eine Anordnung zu erlassen, wonach dieser es künftig zu unterlassen hat, es Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk über lnternet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen?
6. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) dahingehend auszulegen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Regelung von Art. 14 Abs. 1 lit. b) der RichtlinIe 2000/31 EG entsprechend auf einen Unterlassungsanspruch anzuwenden ist?
7. Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) in Verbindung mit Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) so auszulegen, dass sich die Anforderungen an einen Diensteanbieter darin erschöpfen, dass Diensteanbieter jede natürliche oder juristische Person ist, die einen Dienst der Informationsgesellschaft anbietet?
8. Falls Frage 7 verneint wird, welche zusätzlichen Anforderungen sind im Rahmen der Auslegung von Art. 2 lit. b) der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) an einen Diensteanbieter zu stellen?
9. a) Ist Art. 12 Abs. 1 Halbsatz 1 der Richtlinie 2000/31 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (“Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr”) unter Berücksichtigung des bestehenden grundrechtlichen Schutzes des geistigen Eigentums, das sich aus dem Eigentumsrecht ergibt (Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union), sowie der in folgenden Richtlinien getroffenen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, vor allem des Urheberrechts:
– 2001/29fEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft,
– 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
 sowie unter Berücksichtigung der Informationsfreiheit sowie des Unionsgrundrechts der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union)
 dahingehend auszulegen, dass er einer Entscheidung des nationalen Gerichts in einem Hauptsacheverfahren nicht entgegensteht, wenn in dieser Entscheidung der Zugangs-Provider kostenpflichtig dazu verurteilt wird, es künftig zu unterlassen, Dritten zu ermöglichen, über einen konkreten Internetanschluss ein bestimmtes urheberrechtlich geschütztes Werk oder Teile daraus über Internet-Tauschbörsen zum elektronischen Abruf bereitzustellen und dem Zugangs-Provider damit freigestellt wird, welche technischen Maßnahmen er konkret ergreift, um dieser Anordnung nachzukommen?
   b) Gilt dies auch dann, wenn der Zugangs-Provider dem gerichtlichen Verbot faktisch nur dadurch nachkommen kann, dass er den Internetanschluss stilllegt oder mit Passwortschutz versieht oder sämtliche darüber laufende Kommunikation darauf untersucht, ob das bestimmte urheberrechtlich geschützte Werk erneut rechtswidrig übermittelt wird, wobei dies schon von Anfang an feststeht und sich nicht erst im Rahmen des Zwangsvollstreckungs- oder Bestrafungsverfahrens herausstellt? 
Die dem EuGH vorgelegten Fragestellungen entbehren zwar durchaus teilweise bereits selbst nicht gewisser Kritikwürdigkeit, wie der Kollege Stadler zu Recht kommentiert hat, das weitere Verfahren darf man dennoch mit Interesse verfolgen.