Sonntag, 28. Februar 2010

Abmahnung bei Filesharing und die Frage nach Verhältnismäßigkeit und "Treu und Glauben"

Gegen Abmahnungen durch die Musik-, Film- und Porno-Branche wegen vermeintlicher Teilnahme am Filesharing in sog. P2P-Netzwerken finden sich zahlreiche Argumentations-Schienen:

Formfehler, zweifelhafte Aktivlegitimation, Datenschutz-Aspekte, Vorwurf unzulässiger Massenabmahnung bzw. sittenwidriger Abmahnung, Grundlagen-, Ermittlungs- und Nachweisfehler im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG, Grenzen einer etwaigen Störerhaftung, Beweisfragen, Probleme bei der Schadens-Spezifizierung und -Berechnung, rechtswidrige Kosten-Szenarien, grenzwertige Vorgaben für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung und einiges mehr.

Was ist in dem Zusammenhang eigentlich mit der Geltung der althergebrachten und dennoch fortgeltenden Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und von Treu und Glauben?

Zu berücksichtigen sind dabei m. E. auf Seiten der Abmahnungs-Industrie die gerade in der jüngeren Vergangenheit an´s Licht gekommenen Organisationsformen, Vorgehensweisen, Gewichtungen, Vorspiegelungen und Volumina und auf der Seite vieler Abmahnungs-Adressaten und Internet-Anschlussinhaber deren technische, mediale, kognitive und wirtschaftliche Überforderung.
Eingedenk derartiger Ungleichgewichte können häufig zumindest die pekuniären Forderungen der Abmahnungs-Unternehmen nicht als verhältnismäßig bewertet werden.

Die fehlende Verhältnismäßigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht drängt sich bei Hochrechnung der Abmahnungszahlen sowie bei Addition der fiktiven Schadenssummen und Kostenrechnungen und auch bei Betrachtung der überschwemmungsartigen Betroffenheit zahlloser Familien, Schülerinnen und Schüler, Senioren etc. auf. 

Die konkreten Aspekte berührter Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB werden noch an anderer Stelle zu substantiieren sein (venire contra factum proprium, Anstand, Redlichkeit, Lauterkeit als Schlagworte, die mit Substanz und Abwägung zu füllen sein werden).

Brauchen wir diese übergeordnete Betrachtung?

Ja, und zwar nicht aus vermeintlicher Argumentationsnot im Rahmen treffsicherer Abmahnungsabwehr (Es gibt - wie oben aufgelistet - eine Menge Argumente), sondern zur Überprüfung und Abrundung im Einzelfall gefundener Ergebnisse.

Dies erscheint mir auch gerade deshalb angebracht, weil keineswegs dem Urheber eines Werkes oder dem Inhaber einer Marke das Recht abgesprochen werden soll, sich gegen vermeintliche oder tatsächliche Verletzungen seiner Rechte zu wehren. Die Filesharing-Abmahner bemühen sich regelmäßig, ein Bild der böswilligen Vorenthaltung von Rechten zu Lasten kreativer Urheber mit kriminalisierter Rollenverteilung zu zeichnen. Dabei versuchen sie zu verschleiern, dass von den Abmahnungs-Branchen nicht selten - vorbei an den tatsächlichen Werkschöpfern - ein kreativ eingerichtetes und ausgeübtes Nebenerwerbs-Modell konzernmäßiger Struktur und ausufernden Volumens mit Hilfe juristischer Rafinesse aufgebaut wird.

 Es muss in beide Richtungen die Frage nach Redlichkeit und Lauterkeit erlaubt sein, die Frage nach widersprüchlichem Verhalten und auch nach den Grenzen der Abmahnung als instrumentalisiertem und kommerzialisiertem Selbstzweck.