Montag, 7. September 2015

Geniales Filesharing-Urteil zu Datenmüll und Datenschutz, Beweislast und Beweisverwertungsverbot

 
 
Der Kollege Loebisch lobt in seinem heutigen, sehr lesenswerten Posting zu Recht die technisch versierten und datenschutzrechtlich sattelfesten Richterinnen und Richter der 6. Zivilkammer des LG Frankenthal, „für die technische und datenschutzrechtliche Erwägungen keine unnötige Verkomplizierung sind, dem Beschleunigungsgrundsatz des Zivilprozessrechts zuwiderlaufend, sondern Basis jeder Rechtsprechung mit Online-Bezug“.
Und in jeder Hinsicht zustimmen kann ich dem versierten Kollegen auch darin:
„Zu lange profitierte die Abmahnindustrie nicht zuletzt von einem technischen Wissensgefälle zwischen ihr und den Gerichten. Mit Erwägungen aus dem Datenschutzrecht lässt sich manche vorschnelle und all zu routiniert herausgejagte Filesharing-Abmahnung zu Fall bringen.“ So ist es.
Und so sieht das lobenswerte Urteil - zumindest in "Dateifragmenten" - aus:
Das Filesharing-Urteil des LG Frankenthal/Pfalz vom 11. August 2015 (Az. 6 O 55/15) befasst sich instruktiv mit einem Beweisverwertungsverbot bei Reseller-Verträgen und mit der Beweislastverteilung bei recherchierten Dateifragmenten – mit sehr kenntnisreichen und konsequenten Erwägungen und daraus abgeleiteter Klageabweisung.
1. Wenn der abgemahnte Internetanschlussinhaber einen Internet-Vertrag mit einem Reseller - wie z. B. 1&1 – abgeschlossen hat, macht der Abmahner seinen Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG aber demgegenüber nur gegen den Netzbetreiber (z. B. die Deutsche Telekom) geltend, dann gilt hinsichtlich der ermittelten Auskunftsdaten ein Beweisverwertungsverbot:
„Soweit Netzbetreiber und Endkundenanbieter nicht identisch sind …, ist am Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der allein als Vertragspartner des Anschlussinhabers in Erscheinung tretende Accessprovider (‚Reseller‘) zu beteiligen; ohne ein solches Verfahren erlangte Daten unterliegen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer in einem späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber regelmäßig einem Beweisverwertungsverbot (…). Im Übrigen entscheidet bei Auseinanderfallen des Sitzes von Netzbetreiber und Endkundenanbieter in verschiedene Gerichtsbezirke … aufgrund der in § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nur so der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.“
Das Landgericht sieht das Grundrecht des abgemahnten und verklagten Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG berührt.
2. Zur Darlegungslast des Abmahners und Klägers hinsichtlich der Frage, ob über den fraglichen Internetanschluss tatsächlich eine vollständige und lauffähige Werk-Version zum Download angeboten wurde oder ob es sich lediglich um eine unvollständige Datei und damit etwaigen „Datenmüll“ handelte, führt die 6. Zivilkammer des Pfälzer Landgerichts aus:
„Da das Urheberrecht den Urheber vor der unberechtigten Nutzung seines Werkes schützt (§ 11 UrhG), hat der Anspruchsteller in sog. „Filesharing“-Fällen grundsätzlich substantiiert darzulegen, dass über den Anschluss des in Anspruch Genommenen tatsächlich eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk beinhaltende Datei zum Download bereitgestellt worden ist. Eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei ist im Hinblick auf die darin enthaltenen Daten nämlich regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar, weshalb das Zurverfügungstellen einer derartigen Teildatei keine – auch nur teilweise – Nutzung des geschützten Werkes darstellt; es handelt sich in diesem Fall demnach nicht um isoliert nutz- oder wahrnehmbare Werkteile, sondern lediglich um sog. „Datenmüll“ (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 30.09.2014 – 6 O 518/13 (…). Dies unterscheidet „Filesharing“-Fälle wie den vorliegenden grundlegend u.a. von Fällen, in denen kleine oder auch nur kleinste Teile eines Werkes durch einen Dritten unberechtigter Weise genutzt werden (…).“
3. Zur Beweislastverteilung, wenn es sich lediglich um Dateifragmente handelt, heißt es in dem aktuellen Urteil:
„Kann dagegen nicht nachgewiesen werden, dass die beklagte Partei eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk (oder Teile davon) enthaltende Datei zum Herunterladen zur Verfügung gestellt hat oder war dies unstreitig nicht der Fall, hat der Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die vom in Anspruch Genommenen konkret zum Download bereit gestellten Dateifragmente tatsächlich zumindest auch Werkfragmente enthalten, die sich mit Hilfe gängiger oder zumindest allgemein zugänglicher Hard- und Software wiedergeben bzw. in sonstiger Weise sinnvoll im Sinne des § 11 UrhG nutzen lassen und damit mehr darstellen als bloßen „Datenmüll“. Erst wenn dieser Beweis erfolgreich geführt werden kann, wäre im Hinblick auf die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche weiter zu prüfen, in welchem konkreten Umfang Werkfragmente genutzt worden sind.“

Diese Urteil sollte wirklich weit davon entfernt sein, als "Datenmüll" abgelegt zu werden, findet sich hier doch mal ein geniales Beispiel dafür, das technischer Sachverstand, datenschutzrechtliche Sensibilität und urheberrechtliches Know-how sich nicht ausschließen müssen - auch nicht an deutschen Gerichten.