Donnerstag, 16. April 2015

BGH-Urteil: Urheberrecht verbietet keine Buch-Digitalisierung für öffentliche Leseplätze in Unis und Bibliotheken

In einem Streit über die Zulässigkeit elektronischer Leseplätze in Bibliotheken hat der für Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH heute mit Urteil vom 16.04.2015 (Az. I ZR 69/11 „Elektronische Leseplätze II“) die Klage eines Verlages gegen die Technische Universität Darmstadt abgewiesen. Es ging um die Frage, ob für elektronische Leseplätze in Bibliotheken Bücher auch ohne Einwilligung des Verlages digitalisiert und sodann den Nutzern zugänglich gemacht werden dürfen - auch zum Ausdruck und zur Speicherung per USB-Stick seitens der Bibliotheksnutzer.
 

Öffentliche elektronische Leseplätze

Die TU Darmstadt stellt in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek mehrere elektronische Leseplätze zur Verfügung. Dort können Bibliotheksbesucherinnen und -besucher bestimmte Werke aus dem Bestand der Universität nach von der Uni vorgenommener Digitalisierung durchsuchen, lesen, ausdrucken und auch per USB-Stick speichern - so u.a. das im klagenden Verlag herausgegebene und von der beklagten TU digitalisierte Lehrbuch mit dem Titel "Einführung in die neuere Geschichte". 

Lizenz-Angebot des Verlages abgelehnt

Die Klägerin hatte vor Abmahnung und Klage der Universität angeboten, im Verlag erscheinende Lehrbücher als E-Book-Version zu kaufen und in der Bibliothek zu nutzen. Darauf ließ sich die Uni-Bibliothek aber nicht ein.
Ist – wie der Verlag meint – die Digitalisierung der Bücher und deren Bereitstellung an den Uni-Leseplätzen nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt, wonach veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich gemacht werden dürfen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen?  

Das Landgericht Frankfurt a.M. meinte Jein

Es hat zwar mit Urteil vom 16.03.2011 (Az. 2/06 O 378/10) den Unterlassungsantrag abgewiesen, soweit der TU verboten werden sollte, Bücher des Verlages zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen Uni-Bibliothek zu benutzen, wenn der Verlag ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet. Das Landgericht hat der beklagten TU allerdings verboten, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern des Verlages an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern.  

Sprungrevision und EuGH-Vorlage

So landete die Sache nach zugelassener Sprungrevision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wo beide Seiten weiterstritten.
Der BGH setzte (Beschluss vom 20.09.2012) das Verfahren aus und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung einige Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor. Die Regelung des § 52b UrhG setzt nämlich Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und muss deshalb „richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Hierüber hat der EuGH mit Urteil vom 11.09.2014 (Az. C-117/13) zugunsten der Bibliotheken entschieden.  

Der BGH erlaubt Digitalisierung, elektronische Leseplätze und USB-Sticks

Das Verlagsangebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages hindert auch nach Auffassung der BGH-Richter die Hochschule urheberrechtlich nicht daran, im Verlag herausgegebene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen; die Bibliothek durfte die Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung des Verlages auf die geschehene Art und Weise nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Verwendung entgegenstehen, sind nach der BGH-Entscheidung „allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.“
Die Technische Universität war und  ist nach dem BGH-Urteil auch analog § 52a Abs. 3 UrhG berechtigt, die Bücher zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist für eine Zugänglichachung der Bücher an elektronischen Leseplätzen.
Der Bundesgerichtshof führt dazu in seiner heutigen Presseerklärung aus:
„§ 52b UrhG sieht zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch ist in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigungen erlaubt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Die Beklagte hat das Urheberrecht an dem Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten war es nach § 52b UrhG erlaubt, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG ist im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte haftet auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon kann auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken kann in vielen Fällen als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.“ (Markierung durch den Blogger)

Gut so. 

Update vom 25.09.2015:

Mittlerweile liegt das Urteil hier im Volltext vor.