Öffentliche elektronische Leseplätze
Die TU Darmstadt stellt in ihrer öffentlich zugänglichen
Bibliothek mehrere elektronische Leseplätze zur Verfügung. Dort können
Bibliotheksbesucherinnen und -besucher bestimmte Werke aus dem Bestand der Universität nach
von der Uni vorgenommener Digitalisierung durchsuchen, lesen, ausdrucken und auch per USB-Stick
speichern - so u.a. das im klagenden Verlag herausgegebene und von der beklagten TU
digitalisierte Lehrbuch mit dem Titel "Einführung in die neuere
Geschichte".
Lizenz-Angebot des Verlages abgelehnt
Die Klägerin hatte vor Abmahnung und Klage der Universität angeboten, im Verlag
erscheinende Lehrbücher als E-Book-Version zu kaufen und in der Bibliothek zu
nutzen. Darauf ließ sich die Uni-Bibliothek aber nicht ein.
Ist – wie der Verlag meint – die Digitalisierung der Bücher
und deren Bereitstellung an den Uni-Leseplätzen nicht von der Schrankenregelung
des § 52b UrhG gedeckt, wonach veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich
zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar
wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der
jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen
Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich gemacht werden
dürfen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen?
Das Landgericht Frankfurt a.M. meinte Jein
Es hat zwar mit Urteil vom 16.03.2011 (Az. 2/06 O 378/10) den
Unterlassungsantrag abgewiesen, soweit der TU verboten werden sollte, Bücher
des Verlages zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen
Leseplätzen Uni-Bibliothek zu benutzen, wenn der Verlag ihr für diese Nutzung
einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet. Das Landgericht hat der beklagten TU
allerdings verboten, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von
Büchern des Verlages an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf
USB-Sticks abzuspeichern.
Sprungrevision und EuGH-Vorlage
So landete die Sache nach zugelassener Sprungrevision beim
Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wo beide Seiten weiterstritten.
Der BGH setzte (Beschluss vom 20.09.2012) das Verfahren aus
und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung einige Fragen zur Auslegung von Art. 5
Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte
des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
vor. Die Regelung des § 52b UrhG setzt nämlich Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie
2001/29/EG um und muss deshalb „richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Hierüber
hat der EuGH mit Urteil vom 11.09.2014 (Az. C-117/13) zugunsten der Bibliotheken entschieden.
Der BGH erlaubt Digitalisierung, elektronische Leseplätze und USB-Sticks
Das Verlagsangebot zum Abschluss eines Lizenzvertrages hindert
auch nach Auffassung der BGH-Richter die Hochschule urheberrechtlich nicht daran, im
Verlag herausgegebene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen
Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen; die Bibliothek durfte die
Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung des Verlages auf
die geschehene Art und Weise nutzen. Unter "vertraglichen
Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Verwendung entgegenstehen,
sind nach der BGH-Entscheidung „allein Regelungen in bestehenden Verträgen und
keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.“
Die Technische Universität war und ist nach dem BGH-Urteil auch analog § 52a Abs. 3 UrhG berechtigt,
die Bücher zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist für eine
Zugänglichachung der Bücher an elektronischen Leseplätzen.
„§ 52b UrhG sieht zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch
ist in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von
Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG
entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche
Vervielfältigungen erlaubt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist
geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen
einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen
Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht
zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Die Beklagte hat das Urheberrecht an dem Buch auch nicht
dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an
elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf
USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten war es nach § 52b UrhG erlaubt, das
Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG ist im
Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend
einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der
Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen
und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte
haftet auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der
elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass es
zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist.
Davon kann auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder
Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken kann in
vielen Fällen als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch
nach § 53 UrhG zulässig sein.“ (Markierung durch den Blogger)