Eine boshafte Glosse
zu Meinungsfreiheiten,
Tatsachenkernen und Geisteshaltungen
Wer seine
Meinung äußert, hat es oft nicht besonders leicht. Die Schere im oder der
Maulkorb vor dem Kopf sind durchaus anzutreffende Utensilien. Da wird dann
nicht selten über die Frage zulässiger Meinungsäußerung oder unzulässiger
Tatsachenbehauptung gestritten.
Eins ist klar,
wenn der Meier „meint“, der Müller habe den Lehmann umgebracht, und das dann
auch gegenüber Dritten oder gar öffentlich auf dem analogen oder digitalen
Marktplatz äußert, dann ist das keine Meinungsäußerung, sondern eine
Tatsachenbehauptung. Eine derartige Tatsachenäußerung ist grundsätzlich dann,
wenn sie der Wahrheit entspricht, zulässig; anderenfalls ist sie
selbstverständlich grundsätzlich unzulässig. Das hat dann nämlich mit
Meinungsfreiheit nichts zu tun.
Grundsätzlich im
vorgenannten Sinne bedeutet, dass auch wahre Tatsachen keineswegs immer und
überall aufgestellt bzw. verbreitet werden dürfen. Gerade die Wahrheit kann ja
bekanntlich weh tun, also verletzen und damit auch Rechte verletzen. Berührt
werden können dabei insbesondere persönliche Persönlichkeitsrechte von Personen.
Das ist dann für diejenigen nicht immer witzig und nicht selten muss die Waage
der Justitia die tangierten wechselseitigen schwereren oder leichteren
Rechtsmeinungen abwägen.
Wenn der Müller
meint, der Meier wolle mit seiner bösartigen Aussage lediglich verhindern, selbst
in den Verdacht zu geraten, den Lehmann umgebracht zu haben, stellt eine
derartige Aussage nach herrschender Rechtsprechung grundsätzlich eine
Bewertung, eine Einschätzung und damit eine Meinungsäußerung dar. Diese
Meinungskundgabe beinhaltet allerdings gleichzeitig einen sog. „Tatsachenkern“,
in diesem Fall die – wenn auch nur angedeutete - Behauptung, es gäbe einen mehr
oder weniger plausiblen oder gar begründeten Verdacht gegen den Meier, er habe
den Lehmann mehr oder weniger kaltblütig oder blutrünstig umgebracht.
Die Verbreitung
derartiger – eventuell auch blutiger - Tatsachenkerne ist grundsätzlich
wiederum dann zulässig, wenn sie der Wahrheit entsprechen.
Wann entspricht
ein Verdacht in diesem Sinne der nackten Wahrheit?
Ein Verdacht
entspricht zweifelsohne jedenfalls dann der Wahrheit, wenn er nachweislich den
Tatsachen entspricht. Tatsachen sind nämlich anerkanntermaßen dem Beweis
zugänglich, Meinungen demgegenüber leider nicht.
Aber wie sieht
es aus, wenn und solange der tatsächliche Sachverhalt noch verflixt und
zugenäht ungeklärt ist?
Wird ein
Verdacht einfach munter „ins Blaue hinein“ geäußert, ist dies
selbstverständlich nicht zulässig. Gibt es ernsthafte Anhaltspunkte oder
Belege, die den geäußerten Verdacht als solchen begründen, kann eine Verdachtsäußerung
durchaus zulässig sein. Dies ist dann u. a. von der gewichtigen Schwere des
Vorwurfs und davon abhängig, wie schwer eine entsprechende Behauptung die
Person des von der Äußerung Betroffenen und deren Rechte, insbesondere deren
Persönlichkeitsrechte, beeinträchtigt. Also müssen etwa für einen Verdacht, den
Lehmann umgebracht zu haben, schon ganz besonders gewichtige Erkenntnisse
vorliegen.
Nicht ganz
unerheblich ist bei Verdachtsäußerungen zudem, wie groß das Publikum einer
derartigen Äußerung ist, wie weit die entsprechende Aussage also verbreitet
wird.
Bösartige Geisteshaltungen
Wie ist es denn
zu beurteilen, wenn der Meier äußert, der Müller würde sich über ein zeitnahes
Ableben des Lehmanns wahrscheinlich unbändig freuen? Immerhin impliziert dies
doch eine angeblich „tatsächlich“ mögliche Geisteshaltung des Müllers, oder?
Ja, dem ist wohl
so; andererseits werden abweichende Einstellungen des Müllers damit nicht
ausgeschlossen, was juristisch wiederum den Meinungsanteil überwiegen lässt.
Sofern es zudem
konkrete Anknüpfungspunkte für die behauptete Niedertracht des Müllers gibt,
wird der Boshaftigkeitsvorwurf des Meiers hinsichtlich der angeblichen Freude
des Müllers folglich als zulässige Meinungskundgabe zu bewerten sein, die nicht
an die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verdachtsäußerung gebunden
ist.
Alles klar soweit?
Wie beurteilt sich denn der Fall, dass der Lehmann hinsichtlich der eingangs
zitierten Aussage des Meiers die Einschätzung äußert, dieser wolle ihn ruinieren?
Der Begriff des Ruinierens, nicht zu verwechseln mit dem Begriff des
Urinierens, ist kaum genau objektivierbar und primär durch subjektive
Bewertungen und Vorstellungen geprägt und beinhaltet deshalb vornehmlich eine
Meinungsäußerung. Das ist zumindest meine Meinung.
Nicht abgedeckt
von zulässigen Meinungskundgaben bzw. Bewertungen sind verächtlich machende
Herabwürdigungen, bei denen es nicht um eine kritische und vielleicht auch
pointierte Auseinandersetzung mit der betroffenen und vielleicht auch getroffenen
Person geht, sondern allein deren Ehrabschneidung, Schmähung und
Verächtlichmachung bezweckt wird.
Im Spannungsfeld
zwischen Meinungen, Bewertungen, Verunglimpfungen, Verdächtigungen und
Tatsachenkernen gibt es viele rechtliche Grauzonen mit diversen Fallstricken
und Tretminen. Deshalb verdienen diejenigen, die sich dennoch mutig am
Meinungskampf beteiligen, unseren Respekt.
Wer in
belastbarerer und spezifischerer Form die unterschiedliche aktuelle
Rechtsprechung zum Thema Meinungsfreiheit studieren möchte, der sei
exemplarisch verwiesen auf nachfolgend benannte gerichtliche Entscheidungen, in denen
es in dem Kontext teilweise zudem um Fotoveröffentlichungen oder die
Bereithaltung von früherer Berichterstattung im Internet durch Inhalteanbieter
oder Suchmaschinen geht:
BVerfG NJW 2020,
300; BVerfG NJW 2020, 314; BVerfG NJW 2020, 1.793; BVerfG NJW 2020, 1.824;
BVerfG NJW 2020, 2.096; BVerfG NJW 2020, 2.531; BVerfG NJW 2020, 2.873; BVerfG
NJW 2020, 3.302; BVerfG BeckRS 2020, 39.777; BVerfG BeckRS 2021, 1.003; NdsStGH
MMR 2021, 96; BGH NJW 2020, 45; BH NJW 2020, 2.032; BGH NJW 2020, 3.444; BGH
NJW 2020, 3.715; BGH GRUR 2020, 664; BGH GRUR 2020, 1.344; BGH GRUR 2021, 106; BGH
AfP 2020, 149 …