Mittwoch, 8. März 2017

BGH stärkt familiäre Grundrechte gegen Filesharing-Abmahnungen



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Frühlingserwachen beim BGH:
Karlsruhe stoppt Recherchestress nach Abmahnungen.
 
Kein pauschaler Verdacht gegen Internet-Anschlussinhaber
 
Keine Spionage und keine Verhöre innerhalb der Familie

Lange warten mussten die Adressaten von Filesharing-Abmahnungen und Filesharing-Klagen auf die schriftlichen Entscheidungsgründe zum Filesharing-Urteil des BGH vom 06.10.2016(Az. I ZR 154/15 – „Afterlife"); jezt ist das vollständige Urteil endlich veröffentlicht worden. Und in dieser Entscheidung hat der BGH die zuvor praktizierte vorrangige Verdächtigung des jeweiligen Internetanschlussinhabers in erheblichem Umfang relativiert – wenn nicht sogar revidiert – und gleichzeitig den familiären grundrechtlichen Schutz aus Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG betont und gestärkt.  

Hintergrund des vom BGH zu entscheidenden Falls bildet eine „klassische“ Filesharing-Abmahnung der Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer aus München hinsichtlich des Films „Resident Evil: Afterlife 3D“. Die Klägerin hatte insgesamt 14 Zeitpunkte behauptet, zu denen der Film angeblich über den Internetanschluss des Beklagten illegal im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sein sollte. Das Landgericht Braunschweig hatte mit Berufungsurteil vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S433/14 (59)) die Filesharing-Klage der Constantin Film abgewiesen. Dieses Urteil wurde vom BGH nun bestätigt. 

Aus dem Karlsruher Urteil entnehme ich insbesondere die folgenden Gesichtspunkte und Bewertungen, die gerade bei familiären Internetanschlüssen den oft übermotivierten Filesharing-Abmahnungen und -Klagen entgegengehalten werden können (in Anführungszeichen gesetzte Passagen sind wörtliche Zitate aus dem BGH-Urteil): 

1.    „Es besteht keine generelle Vermutung, dass der Anschlussinhaber Täter einer Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem Anschluss aus begangen worden ist und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des Anschlusses ist.“ 

2.    „Für die Annahme, der Inhaber eines Internetanschlusses sei ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität des Geschehensablaufs. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, besteht für die Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit.“ 

3.    „Da es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis hat, obliegt dem Anschlussinhaber insoweit … eine sekundäre Darlegungslast“. 

4.    Bei der Bestimmung der Reichweite der dem Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast zur Nutzung des Anschlusses durch andere Personen sind auf Seiten des Urheberrechtsinhabers die Eigentumsgrundrechte gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Handelt es sich bei den Personen, die den Anschluss mitgenutzt haben, um den Ehegatten oder Familienangehörige, so wirkt zugunsten des Anschlussinhabers der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU- Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 GG).“ 

5.    Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses ist es regelmäßig nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar ist es regelmäßig, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.“ 

6.    Der bei einem familiären Internetanschluss „zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG)“ steht „der Annahme zusätzlicher Nachforschungs- und Mitwirkungspflichten entgegen.“ 

Es wurde lange erwartet und nun hat der BGH sich endlich substantieller dazu geäußert: Innerhalb der Familie sind von interessierter Seite oft geforderte, quasi detektivische oder polizeiliche Recherche- oder Verhör-Maßnahmen nicht zumutbar und ein gegenteiliges Verlangen ist grundrechtswidrig. Eine derartige Klarstellung wäre bereits früher wünschenswert gewesen.
Schlagworte wie "tatsächliche Vermutung" und "sekundäre Darlegungslast" haben nun nicht mehr die Schärfe, die ihnen in so manchen Filesharing-Abmahnungen angedichtet wurde.