Frühlingserwachen beim BGH: Karlsruhe stoppt Recherchestress nach Abmahnungen. |
Kein pauschaler Verdacht gegen
Internet-Anschlussinhaber
Keine Spionage und keine Verhöre innerhalb der Familie
Lange warten mussten die
Adressaten von Filesharing-Abmahnungen und Filesharing-Klagen auf die
schriftlichen Entscheidungsgründe zum Filesharing-Urteil des BGH vom 06.10.2016(Az. I ZR 154/15 – „Afterlife"); jezt ist das vollständige Urteil endlich
veröffentlicht worden. Und in dieser Entscheidung hat der BGH die zuvor
praktizierte vorrangige Verdächtigung des jeweiligen Internetanschlussinhabers in
erheblichem Umfang relativiert – wenn nicht sogar revidiert – und gleichzeitig
den familiären grundrechtlichen Schutz aus Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art.
6 Abs. 1 GG betont und gestärkt.
Hintergrund des vom BGH zu
entscheidenden Falls bildet eine „klassische“ Filesharing-Abmahnung der
Anwaltskanzlei Waldorf-Frommer aus München hinsichtlich des Films „Resident
Evil: Afterlife 3D“. Die Klägerin hatte insgesamt 14 Zeitpunkte behauptet, zu
denen der Film angeblich über den Internetanschluss des Beklagten illegal im
Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sein sollte. Das Landgericht
Braunschweig hatte mit Berufungsurteil vom 01.07.2015 (Az. 9 S 433/14, 9 S433/14 (59)) die Filesharing-Klage der Constantin Film abgewiesen. Dieses
Urteil wurde vom BGH nun bestätigt.
Aus dem Karlsruher Urteil
entnehme ich insbesondere die folgenden Gesichtspunkte und Bewertungen, die
gerade bei familiären Internetanschlüssen den oft übermotivierten
Filesharing-Abmahnungen und -Klagen entgegengehalten werden können (in
Anführungszeichen gesetzte Passagen sind wörtliche Zitate aus dem BGH-Urteil):
1.
„Es
besteht keine generelle Vermutung, dass der Anschlussinhaber Täter einer
Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem Anschluss aus begangen worden ist
und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des
Anschlusses ist.“
2.
„Für
die Annahme, der Inhaber eines Internetanschlusses sei ohne das Hinzutreten
weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses
begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität
des Geschehensablaufs. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der
Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, besteht für die
Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große
Wahrscheinlichkeit.“
3.
„Da
es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers
handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis
hat, obliegt dem Anschlussinhaber insoweit … eine sekundäre Darlegungslast“.
4.
„Bei der Bestimmung der Reichweite der dem
Inhaber eines Internetanschlusses im Falle einer über seinen Anschluss
begangenen Urheberrechtsverletzung obliegenden sekundären Darlegungslast zur
Nutzung des Anschlusses durch andere Personen sind auf Seiten des Urheberrechtsinhabers
die Eigentumsgrundrechte gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Handelt es sich bei
den Personen, die den Anschluss mitgenutzt haben, um den Ehegatten oder
Familienangehörige, so wirkt zugunsten des Anschlussinhabers der
grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU- Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 GG).“
5.
„Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses
ist es regelmäßig nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer
Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine
täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar ist es
regelmäßig, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines
Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.“
6.
Der
bei einem familiären Internetanschluss „zugunsten des Anschlussinhabers
wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta
und Art. 6 Abs. 1 GG)“ steht „der Annahme zusätzlicher Nachforschungs- und
Mitwirkungspflichten entgegen.“
Es wurde lange erwartet und nun hat der BGH sich endlich
substantieller dazu geäußert: Innerhalb der Familie sind von interessierter
Seite oft geforderte, quasi detektivische oder polizeiliche Recherche- oder Verhör-Maßnahmen
nicht zumutbar und ein gegenteiliges Verlangen ist grundrechtswidrig. Eine
derartige Klarstellung wäre bereits früher wünschenswert gewesen.
Schlagworte
wie "tatsächliche Vermutung" und "sekundäre Darlegungslast"
haben nun nicht mehr die Schärfe, die ihnen in so manchen Filesharing-Abmahnungen
angedichtet wurde.