Marken- und Urheberrecht als in Serie gehendes Geschäftsmodell
Nicht alle
anwaltlichen Abmahnungen sind per se unzulässige oder unanständige Massenabmahnungen.
Wo massenhaft gesetzlich geschützte Rechte verletzt werden, da darf
grundsätzlich auch massenhaft abgemahnt werden. Das Dilemma ist allerdings, dass
in der fortlaufenden Abmahnungsflut, insbesondere in den immer wieder neuen urheberrechtlichen
und markenrechtlichen Abmahnungswellen, besonders bedenkliche und kritikwürdige
Gesichtspunkte und Vorgehensweisen auftauchen, die die jeweiligen Adressaten
übervorteilen oder – wie es häufig heißt – „abzocken“.
Die Guten
In der anwaltlichen Praxis gibt es durchaus Abmahnungsfälle,
in denen der oder die Abgemahnte in klarer und verständlicher Weise über den
Abmahner selbst, die angeblich begangene Rechtsverletzung, daraus ggf. konkret
herleitbare Zahlungsansprüche und den Hintergrund sowie den Inhalt einer
seriösen strafbewehrten Unterlassungserklärung informiert wird – wie dies ja u.
a. auch § 97a Abs. 1 UrhG vorschreibt.
In diesen Fällen sind vielleicht dennoch einige sachverhaltliche
Details und rechtliche Streitpunkte zu klären; dies aber in fairer und verständigungsorientierter
Weise und mit wechselseitig vertretbaren Argumenten. Und das ist gut so.
Die Bösen
Leider trifft man allerdings auch immer wieder auf
Abmahnungen, in denen nicht einmal der angeblich anwaltlich vertretene
Rechteinhaber selbst nachvollziehbar und nachprüfbar dargestellt wird. Da
finden sich verkürzte oder verfremdete Namensangaben oder Pseudonyme, es fehlen
konkrete Adressangaben und nähere Darlegungen dazu, aus welcher plausiblen sachverhaltlichen
und rechtlichen Grundlage, wie, woher und mit welcher etwaigen Rechtekette die
vermeintlichen Rechte (Urheberrechte, Leistungsschutzrechte, Markenrechte, exklusive
Nutzungsrechte u. Ä.) denn hergeleitet werden sollen.
Nicht selten durchaus mit darauf ausgerichtetem Kalkül
enthalten derartige Abmahnungsschreiben teilweise lückenhafte, widersprüchliche
oder schlicht falsche tatsächliche und technische Darstellungen – etwa zu
vermeintlichen Sachverhalten, Recherche-, Protokollierungs- oder Archivierungsvorgängen.
Die lieben Technik
Zu erwähnen sind exemplarisch ferner die – bis zur
entsprechenden Korrektur durch die Rechtsprechung – aufgetretenen Fälle, in
denen im Rahmen von Filesharing-Abmahnungen den Internetanschlussinhabern zu
Unrecht vorgeworfen wurde, das vom Internetservicepro-vider vorgegebene Router-
bzw. WLAN-Passwort unverändert verwendet zu haben.
Dass in Zeiten zunehmend komplexer und komplizierter
werdender Medienangebote und Medientechnik sowie massenhaft auftretender, durch
Root-Kits verschleierter Trojaner und „Staatstrojaner“ viele Verbraucher
überfordert sind mit einer nachvollziehbaren Bewertung auf sie zukommender
Abmahnungsfälle, macht man sich im Rahmen des Geschäftsmodells „Abmahnungen“
gerne zunutze. Die lieben eben Technik – auch im Zusammenhang mit oft nicht
nachvollziehbaren Behauptungen zu angeblichen Crawling-Recherchen.
Datenmissbrauch mit gerichtlichem Siegel
Neben fragwürdigen Ermittlungsmethoden kommt es
gelegentlich zur Herausgabe von persönlichen Daten im Rahmen von gerichtlichen
Auskunfts- bzw. Gestattungsverfahren, die an Netzbetreiber gerichtet wurden,
die mit dem betroffenen Verbraucher aufgrund von Reseller-Konstellationen gar
nicht vertraglich verbunden sind. Das daraus resultierende Beweisverwertungsverbot
wird dann schlicht übergangen.
Eigentore
Im Zusammenhang mit den sog. Filesharing-Abmahnungen machen
sich manche Abmahner sogar selbst urheberrechtlich verletzbar, indem u. a.
Audioaufnahmen aus sog. Samplern oder Chart-Containern zum Gegenstand angeblich
recherchierter Rechtsverletzungen gemacht werden, obwohl dann, wenn
entsprechende Urheberrechtsverstöße tatsächlich durch ein Recherche-Unternehmen
im Wege angeblich durch das Crawling-Unternehmen durchgeführter vollständiger
Downloads protokolliert und archiviert wurden, zwangsläufig auch Rechtsverletzungen
durch das Recherche-Unternehmen selbst begangen worden sein müssen, und zwar
hinsichtlich der übrigen, nicht von dem jeweiligen Rechteinhaber innegehaltenen
Werke auf dem jeweiligen Musikalbum.
Drama
Geradezu unerträglich sind in zahlreicher
Abmahnungspost enthaltene, völlig übertriebene und dramatisierende Ausführungen
zum angeblichen Ausmaß von Auskunfts-, Darlegungs- und Beweispflichten des
Adressaten. Dies erzeugt häufig ungerechtfertigten, quasi „postfaktischen“
Psychostress – wenn nicht sogar Panik. Dem gleichen Ziel dient wohl die weit verbreitete
Praxis, derartige Abmahnungsbriefe insbesondere zum Wochenende oder im Zusammenhang
mit Ferien- oder Feiertagszeiten zu versenden.
In die Kategorie „Psycho-Terror“ gehört auch das Bestreben
zahlreicher Abmahner, Familienmitglieder zu quasi geheimpolizeilichen
Ermittlungs- oder Verhörmethoden verpflichten zu wollen oder durch massive
Inanspruchnahmen gegeneinander auszuspielen. Dabei wird dann gerne auf
obergerichtliche oder sogar höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen –
allerdings ohne Berücksichtigung der insbesondere in einschlägigen
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs angesprochenen Gesichtspunkte der
Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit.
Geschäftliches
Fatal ist die manchmal anzutreffende Praxis,
Verbrauchern ein gewerbliches oder geschäftliches Verhalten bzw. auf dem Feld
des Markenrechts z. B. eine markenmäßige Nutzung bestimmter Kennzeichen zu
unterstellen, obwohl vielleicht nur ein von dem entsprechenden Verbotstatbestand
gar nicht umfasster privater Geschehensablauf vorliegt. In manchen von den Abmahnern
selbst allerdings sehr wohl „geschäftlich“ betriebenen Abmahnungsfällen fußen
die streitgegenständlichen Vorwürfe auf kriminellen Handlungsweisen Dritter,
für die eine angebliche Verantwortlichkeit des angeschriebenen Verbrauchers
behauptet wird, obwohl dessen Haftung insoweit gar nicht gegeben ist. Die in
den vergangenen Jahren exzessiv herangezogene „Störerhaftung“ ist ein
erschreckendes Beispiel dafür.
Kassensturz
Es werden dann nicht selten überhöhte
Schadensersatzforderungen und überhöhte Kostenansätze gepflegt und zudem
strafbewehrte Unterlassungserklärungen verlangt, die evtl. für die Zukunft
bereits das nächste „Geschäftsmodell“ eröffnen: Mit unverhältnismäßigen Vertragsstrafen,
ausgeweiteten Unterlassungstatbeständen und sonstigen, für den Unterlassungsschuldner
suboptimalen Vorgaben.
Serienreif
Die oben beschriebenen Abmahnungsdramen werden wohl
auch als Geschäftsmodell weiter „in Serie“ gehen. Alle bisher vom Gesetzgeber
eingebauten „Bremsen“ haben ja bekanntlich de facto wenig Wirkung gezeigt.