Einbahnstraße für Filesharing-Klagen "ins Blaue hinein" Internetrecht: Keine Sippenhaft vor dem Amtsgericht Bielefeld |
Der Hintergrund:
Der klagende Insolvenzverwalter
der insolventen Computerspiel-Produzentin hielt es jüngst für raffiniert, die fehlende
Tatbegehung des zunächst allein verklagten Familienvaters unstreitig zu stellen
und sich dann zusätzlich dessen zwei minderjährige Söhne als Beklagte zu 2) und
zu 3) vorzunehmen. Diese verdächtigte
der Kläger wegen „üblichem Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen in
entsprechendem Alter“ als die angeblichen „Täter“ der behaupteten Urheberrechtsverletzung.
Und der Vater, der Beklagte zu 1),
sollte sodann wegen Verletzung seiner elterlichen Aufsichtspflicht gemäß § 832
BGB haften.
Dem folgte das Amtsgericht Bielefeld
mit aktuellem Urteil vom 15.10.2015 (Az. 42 C 526/14) zu Recht nicht:
In den richterlichen
Entscheidungsgründen heißt es dazu u.a. (Fettdruck durch den Blogger):
„Allein der Umstand, dass das
behauptete Filesharing über den Internetanschluss des Beklagten zu 1)
durchgeführt worden sein soll, führt nicht zu einer Haftung des Beklagten zu 1)
als Störer. Vielmehr setzt die verschuldensunabhängige Haftung als Störer
voraus, dass eine Verletzung von Prüfpflichten gegeben ist. Dies ist aber nicht
der Fall, weil ohne besonderen Anlass keine
Verpflichtung des Anschlussinhabers besteht, die Internetnutzung volljähriger Mitbenutzer, wie vorliegend durch die
Ehefrau S., auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu überwachen.“
…
„Der Beklagte zu 1) haftet
auch nicht aus § 832 BGB, da es insoweit bereits an einer substantiierten
Darlegung fehlt, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung durch eine Person
widerrechtlich verursacht wurde, über die der Beklagte zu 1) kraft Gesetzes zur
Führung der Aufsicht verpflichtet ist. Insoweit hat der Kläger vorgetragen,
dass der Beklagte zu 1) die streitgegenständliche Nutzungshandlung nicht begangen
habe und daher nur 2 Personen als Täter übrig blieben. Es handele sich hierbei
um die beiden Söhne des Beklagten zu 1), … . Im Übrigen entspreche es dem
üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im seinerzeitigen Alter
der beiden jetzigen Beklagten zu 2) und 3), entsprechende Computerspiele wie
beispielsweise „Two Worlds II“ zu spielen. Bei diesem Vorbringen des Klägers
handelt es sich um eine ins Blaue hinein
aufgestellte Behauptung, da der Kläger keine näheren Tatsachen vorträgt, aus
denen sich ergibt, dass die Beklagten zu 2) und 3) für die Rechtsverletzung
verantwortlich seien. Neben dem Beklagten zu 1) hatte nämlich des Weiteren
die Ehefrau des Beklagten zu 1), Frau S., ungehinderten Zugang zum
Internetanschluss. Darüber hinaus ist eine gemeinschaftliche Tatbegehung durch
die Beklagten zu 2) und 3) nicht plausibel. Allein die bloße Vermutung, dass Spielen entsprechender Computerspiele
gehöre zum üblichen Nutzungsverhalten von ähnlichen Jugendlichen im
seinerzeitigen Alter rechtfertigt es nicht, eine Tatbegehung durch die Beklagten
zu 2) und 3) anzunehmen. Für eine Haftung des Beklagten zu 1) aus § 832 BGB
reicht es auch nicht aus, vorzutragen, dass möglicherweise eines der Kinder des
Beklagten zu 1) für die Rechtsverletzung verantwortlich sei. Die Haftung nach §
832 BGB setzt vielmehr voraus, dass konkret der Minderjährige festgestellt
wird, der für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Der Beklagte zu 1) kann nämlich erst dann, wenn der konkrete Täter
feststeht, nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB dazu vortragen, dass er seiner
Aufsichtspflicht hinsichtlich des konkreten Täters genügt hat. Ohne Feststellung
des konkret handelnden Täters wird nach § 832 Abs. 1 BGB nicht verlangt, dass
sich der Erziehungsberechtigte bzgl. aller möglichen in Betracht kommenden
minderjährigen Täter entlastet.“
…
„Ein
Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2) und zu 3) scheitert bereits
daran, dass es an einer substantiierten Darlegung des Klägers fehlt, dass die Beklagten
zu 2) und zu 3) für das behauptete Anbieten des Computerspiels verantwortlich
sind. … Mangels eines substantiierten Sachvortrages zu einer Verantwortlichkeit
der Beklagten zu 2) und zu 3) für die behauptete Urheberrechtsverletzung kam
auch eine Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) als Partei nicht in Frage.
Bei der entsprechenden Vernehmung der Beklagten zu 2) und zu 3) hätte es sich
aufgrund des Fehlens eines substantiierten Sachvortrags bzgl. einer Haftung der
Beklagten zu 2) und zu 3) um einen unzulässigen
Ausforschungsbeweis gehandelt.“
Résumé:
Viele diskutieren den Umfang sekundärer Darlegungspflichten der Abmahnungsadressaten und Filesharing-Beklagten.
Es wird Zeit, sich - wie in dem von meinem Mandanten errungenen neuen urheberrechtlichen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld - auch prozessual sachgerecht mit den primären Darlegungs-, Substantiierungs- und Beweispflichten der abmahnenden und klagenden Rechteinhaber zu befassen. Schlichter familiärer Generalverdacht, realitätsferne "tatsächliche Vermutungen" und Sippenhaft ins Blaue hinein widersprechen geltendem Urheberrecht, Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht.
Viele diskutieren den Umfang sekundärer Darlegungspflichten der Abmahnungsadressaten und Filesharing-Beklagten.
Es wird Zeit, sich - wie in dem von meinem Mandanten errungenen neuen urheberrechtlichen Urteil des Amtsgerichts Bielefeld - auch prozessual sachgerecht mit den primären Darlegungs-, Substantiierungs- und Beweispflichten der abmahnenden und klagenden Rechteinhaber zu befassen. Schlichter familiärer Generalverdacht, realitätsferne "tatsächliche Vermutungen" und Sippenhaft ins Blaue hinein widersprechen geltendem Urheberrecht, Zivilprozessrecht und Verfassungsrecht.