BGH-Urteil: Da ist Musik drin. |
Die Kläger sind Mitglieder einer französischen Band. Sie behaupten,
Bushido habe bei 13 von ihm veröffentlichten Musiktiteln Musik-Sequenzen von je etwa
zehn Sekunden verwendet, die aus den Originalaufnahmen der Band gesampelt worden
seien. Diese Musikteile habe Bushido jeweils als sich ständig wiederholende
Tonschleifen, sogenannte Loops, zusammengesetzt, mit einem Schlagzeug-Beat verbunden
und darüber seinen Rap gelegt.
Einer der Kläger beruft sich auf sein Urheberrecht als
Komponist. Die anderen Kläger berufen sich auf vermeintliche urheberrechtliche
Ansprüche als Texter, obwohl der beklagte Rapper deren Texte nicht übernommen
hat. Die Kläger verlangen nach vorausgegangener Abmahnung mit der Klage Unterlassung, Erstattung von Abmahnkosten und Zahlung
einer Entschädigung für einen erlittenen immateriellen Schaden sowie ferner,
dass der Beklagte einer Auskunftserteilung der GEMA gegenüber den Klägern über
die sämtlichen Auswertungen und gegenüber dem Beklagten abzurechnenden Erlöse
zustimmt. Die Kläger streben außerdem an, dass der Beklagte im Hinblick auf 12
der beanstandeten Musikstücke gegenüber der GEMA die Zustimmung zu seiner
Streichung als Komponist sowie zur Eintragung des Klägers zu 1 als Komponist
erteilt.
Der Rapper hat gegen das der Klage überwiegend stattgebende OLG-Urteil Revision zum BGH eingelegt.
Die Karlsruher Richter stellen klar, dass die klagenden Textdichter
keine Urheberrechte hinsichtlich der Musik-Sequenzen geltend machen können, sie
nicht als Miturheber der Musikstücke anzusehen sind. Deren sogenannte Aktivlegitimation wird also verneint. Die Annahme einer
Miturheberschaft setzt nämlich voraus, dass mehrere ein Werk gemeinsam
geschaffen haben, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, was
aber bei einerseits Text und andererseits Musik nicht der Fall ist. Liedtexte sind
Sprachwerke gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, musikalische Kompositionen sind
demgegenüber Werke der Musik gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG. Diese beiden Werkarten
sind selbstverständlich gesondert verwertbar und ein urheberrechtlicher Schutz hinsichtlich
einer Verbindung von zwei unterschiedlichen Werkarten gewährt das Gesetz nicht.
Der BGH-Senat hat dann geprüft, ob eine Bearbeitung oder
andere Umgestaltung oder lediglich eine freie Benutzung fremder Werke vorliegt.
Dabei ist zu untersuchen, ob und ggf. welche objektiven Merkmale die
schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werkes ausmachen. Danach sind die
streitgegenständlichen Gestaltungen zu vergleichen dahingehend, ob und ggf. in
welchem Umfang in der gerügten Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren
Werkes übernommen worden sind. Dabei kommt es auf den Gesamteindruck der sich
gegenüberstehenden Gestaltungen an. Stimmt der Gesamteindruck überein, liegt
eine Vervielfältigung des früheren Werkes vor. Dennoch kann das gerügte Werk derart
wesentliche Veränderungen aufweisen, dass es nicht als reine Kopie zu bewerten
ist. Es kann sich dann entweder als unzulässige Bearbeitung oder andere
Umgestaltung gemäß § 23 UrhG darstellen oder als zulässige freie Benutzung des Ausgangswerkes
gemäß § 24 UrhG. Die schöpferische Eigentümlichkeit liegt bei Musikwerken in
ihrer individuellen ästhetischen Ausdruckskraft, woran urheberrechtlich auch
nicht zu übertriebene Anforderungen gestellt werden dürfen. Es wird auch die
sogenannte kleine Münze geschützt, also auch
recht einfache Kompositionsleistungen mit verhältnismäßig geringem Eigentümlichkeitsgrad.
Auf den künstlerischen Wert kommt es also nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht an. Eine schutzfähige Leistung kann
sich aus der Melodie, dem Einsatz von Rhythmik, Tempo, Harmonik und
Arrangement, aber auch Instrumentierung und Orchestrierung ableiten lassen. Keinen
Urheberrechtsschutz genießen allerdings rein handwerkliche Leistungen „unter
Verwendung formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik,
Rhythmik und Melodik beruhen“.
Zum sogenannten „musikalischen Allgemeingut“ gehörende Tonfolgen
einfachster Art oder bekannte rhythmische Strukturen sind nicht
urheberrechtsfähig. Eine gewisse Gestaltungshöhe ist eben auch bei Musikwerken
unverzichtbar. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung „der mit musikalischen
Fragen einigermaßen vertrauten und hierfür aufgeschlossenen Verkehrskreise“.
Der BGH vermisst beim Urteil des Hanseatischen OLG dazu
nachvollziehbare Darlegungen des Gesamteindrucks der sich im Streitfall gegenüberstehenden
Musik-Sequenzen.
Die Rügen des BGH gegenüber dem Hamburger Berufungsgericht
lauten unter Anderem:
„Soweit im Berufungsurteil auf einen ‚Gesamteindruck‘ Bezug
genommen wird und sich das Berufungsgericht insoweit auf das den wechselseitig
eingereichten Parteigutachten zu entnehmende Notenbild sowie auf den durch
wiederholtes Anhören der entsprechenden Passagen gewonnenen Höreindruck
gestützt hat, hat es zwar die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung
benannt, nicht aber den daraus gewonnenen Gesamteindruck selbst nachvollziehbar
beschrieben.“
und
„Die Beurteilung des Berufungsgerichts lässt nicht erkennen,
warum der kompositorische Einsatz sphärischer Klänge mit Blick auf die vom
Kläger verfolgte musikalische Stilrichtung des ‚Gothic‘ nicht als musikalisches
Allgemeingut anzusehen ist, sondern über ein rein handwerks- oder routinemäßig
anzusehendes Klangspektrum hinausgeht und deshalb eine individuelle Leistung
ist.“
und
„Soweit das Berufungsgericht die von ihm durch Anhören der
vom Kläger zur Akte gereichten Tonträger ermittelten Instrumente nur benennt (‚Streichinstrumente
und Keyboard‘), ohne diese Instrumentierung konkret von einer rein handwerks-
oder routinemäßigen Leistung abzugrenzen, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an
der Darlegung einer individuellen kompositorischen Schöpfung. Soweit das
Berufungsgericht von einer ‚besonderen Art der Instrumentierung‘ oder deren ‚Eigentümlichkeit‘
ausgeht, hat es nicht nachvollziehbar dargelegt, worin die Besonderheit und
Eigentümlichkeit bestehen soll. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der
Einsatz einer ‚Röhrenglocke (tatsächlich wohl Keyboard)‘, die an den Klang von
Kirchenglocken erinnere, sei eine Besonderheit, ist ohne Feststellungen zur für
die im Streitfall maßgebliche Musikrichtung des ‚Gothic‘ gewöhnlich gewählten
Instrumentierung nicht nachvollziehbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass
das Berufungsgericht an anderer Stelle festgestellt hat, dass die Musikrichtung
des ‚Gothic‘ sich durch eine getragene Musik und einen mit Metaphern
geschmückten Inhalt der Texte über Abschied und Tod auszeichnet. In diesem
Kontext erscheint die Annahme nicht fernliegend, dass der Einsatz von
Kirchenglocken zum musikalischen Allgemeingut zählt.“
und
„Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen weder
erkennen, wodurch sich der Rhythmus der jeweiligen Passagen in Bezug auf Takt,
Tempo, Betonung und Phrasierung auszeichnet, noch welchen Einfluss der gewählte
Rhythmus in der Zusammenschau mit anderen Gestaltungsmitteln auf die
ästhetische Gesamtwirkung der Passage hat.
Auch die vom Berufungsgericht teilweise zusätzlich zur
Instrumentierung und Rhythmisierung herangezogenen Kriterien begründen nicht
hinreichend nachvollziehbar eine hinreichende Schöpfungshöhe der als übernommen
gerügten Musiksequenzen. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkte
der ‚Einprägsamkeit‘ und des ‚Wiedererkennungseffekts‘ sind für die Begründung
einer eigenschöpferischen kompositorischen Leistung nicht geeignet.“
und
„Die Revision hat ferner zutreffend einen Verfahrensfehler
darin gesehen, dass das Berufungsgericht die urheberrechtliche Schutzfähigkeit
der streitbefangenen Passagen der vom Kläger komponierten Musiktitel aufgrund
eigener Sachkunde beurteilt hat.
… Hat das Berufungsgericht das Verständnis des Verkehrs ohne
Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe beurteilt, obwohl es selbst nicht
hinreichend sachkundig ist, oder hat es eine mögliche, aber keineswegs
selbstverständliche eigene Sachkunde nicht dargelegt, handelt es sich um einen
Verfahrensfehler nach § 286 ZPO, der im Revisionsverfahren uneingeschränkt
gerügt werden kann (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156,
250, 254 - Marktführerschaft, mwN). Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler
vor.“
und
„Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, seine Mitglieder
verfügten über eigene Sachkunde, die zum Teil aus eigener musikalischer Praxis
erwachsen sei, hat es weder Art noch Umfang dieser Praxis und der sich daraus
ergebenden Kenntnisse mitgeteilt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob damit
allein praktische Fertigkeiten gemeint sind oder die für die Beurteilung der
Schutzfähigkeit von Musikwerken notwendigen theoretischen Kenntnisse der Lehren
der Harmonik, Rhythmik und Melodik sowie das notwendige spezielle Wissen über
die Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln in der maßgeblichen
Musikrichtung. Auch der Hinweis auf die langjährige Beschäftigung mit Musik im
Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen als Mitglieder eines auf
Urheberrecht spezialisierten Senats lässt nicht hinreichend konkret erkennen,
ob der Inhalt und Umfang der Sachkunde des Berufungsgerichts den im Streitfall
maßgeblichen Anforderungen genügen.“
Der BGH wendet sich gegen die Auffassung des OLG, die Übernahme
der Musiksequenzen stelle eine unzulässige urheberrechtsverletzende Bearbeitung,
weil sich der Beklagte nicht auf eine zulässige freie Benutzung im Sinne von §
24 UrhG berufen könne. Der BGH vermisst in dem Zusammenhang eine sachgerechte
Analyse nach objektiven Merkmalen seitens das Hanseatische Oberlandesgericht.
Dazu heißt es dann im BGH-Urteil:
„Den Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es
urheberrechtsverletzende Benutzungshandlungen angenommen hat, fehlt damit eine
tragfähige Grundlage.“
Der dritte Leitsatz der Bundesrichter lautet schließlich:
„Für die Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit
eines Musikstücks und die insoweit maßgebliche Abgrenzung von nicht dem
Urheberrechtsschutz zugänglichem rein handwerklichem Schaffen unter Verwendung
formaler Gestaltungselemente, die auf den Lehren von Harmonik, Rhythmik und
Melodik beruhen oder die sonst zum musikalischen Allgemeingut gehören, reicht
das bloße Anhören eines Tonträgers durch die Tatrichter grundsätzlich nicht
aus; es wird vielmehr im Regelfall die Hilfe eines Sachverständigen
unerlässlich sein.“
Da werden dem Hanseatischen Berufungsurteil musikalisch aber
im rhythmisch heftigen Takt die urheberrechtlichen Leviten gelesen; dass hört
sich schon fast wie eine gerappte Abmahnung aus Karlsruhe an.