Frühlings Erwachen in der Rechtsprechung zu Filesharing-Abmahnungen? Jedenfalls erwartet das höchste deutsche Gericht mehr richterliche Substanz und Umsicht bei der Auseinandersetzung mit und der Klärung von urheberrechtlichen Forderungen der Abmahnungs-Lobby und der Prüfung einer vermeintlichen (Störer-)Haftung von Internetanschluss-Inhaberinnen und -Inhabern. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat nach der Verfassungsbeschwerde eines Abmahnungsadressaten mit Entscheidung vom 21.03.2012 (Az. 1 BvR 2365/11) einstimmig ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 22.07.2011 (Az. 6 U 208/10) wegen Verletzung von Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Was war passiert?
Die Verfassungsbeschwerde betraf unerlaubtes Filesharing im Internet im Zusammenhang mit der Rüge einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten.
Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens - spannender Weise ein Polizist und Mitglied der polizeilichen Informations- und Kommunikationsgruppe für Onlinerecherche und Internetpiraterie - und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens - mehrere Unternehmen der Musikindustrie - stritten über Schadensersatz aufgrund von Filesharing über den privaten Internetzugang des Beschwerdeführers. Der volljährige Sohn der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers hatte dessen Internetzugang genutzt und dabei in einer Online-Tauschbörse 3.749 Audiodateien zum Download angeboten.
Die außergerichtliche Abmahnung datiert vom 30.01.2007. Den auf Schadensersatz gerichteten Klageantrag nahmen die Klägerinnen im Prozessverlauf bereits erstinstanzlich zurück. Aufrechterhalten wurde aber die Forderung nach Ersatz der angeblich durch die Abmahnung entstandenen Rechtsverfolgungskosten, wobei die Klägerinnen einen Gegenstandswert von 400.000 Euro zugrunde legten. Daraus errechnete sich eine Kostenforderung von c. 3.500 Euro.
Das Landgericht Köln hatte mit Urteil vom 24.11.2010 (Az. 28 O 202/10) den Beklagten und späteren Beschwerdeführer im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Derjenige, der vom Störer die Unterlassung oder Beseitigung einer Störung verlangen könne, habe Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gemäß § 683 Satz 1, § 670 BGB, soweit er bei der Störungsbeseitigung helfe und im Interesse und im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Störers tätig werde.
Die Abmahnung sei berechtigt gewesen, da eine Rechtsverletzung vorgelegen habe, für die der Internetanschluss-Inhaber jedenfalls als Störer auf Unterlassung hafte. Als Störer sei für eine Schutzrechtsverletzung jeder verantwortlich, der - ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt habe. Wer innerhalb seines Haushalts einen Internetzugang zur Verfügung stelle und Dritten dadurch die Teilnahme an der Musiktauschbörse ermögliche, dessen Verhalten sei adäquat kausal für die Schutzrechtsverletzung. Zudem habe der Beklagte aus seiner Tätigkeit als Mitglied der polizeilichen Informations- und Kommunikationsgruppe für Onlinerecherche und Internetpiraterie ja besondere Kenntnisse auf diesem Gebiet. Vor diesem Hintergrund habe er nicht die Augen davor verschließen dürfen, dass das Überlassen eines Internetzugangs an einen Dritten die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit mit sich bringe, dass von diesem derartige Rechtsverletzungen begangen werden. Dieses Risiko löse für denjenigen, der den Internetzugang ermögliche, Prüf- und Handlungspflichten aus, um der Möglichkeit solcher Rechtsverletzungen vorzubeugen. Die Behauptungen des Beklagten, die Zahlungen der Rechtsanwaltskosten kämen nicht den Klägerinnen zugute, der eigentliche Kläger sei der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen, erfolgten ins Blaue hinein. In seiner Berufungsbegründung hatte der Beklagte u.a. vorgetragen, in der Familie sei über die Rechtswidrigkeit der Nutzung von Tauschbörsen gesprochen worden.
Das OLG Köln hat auf die Berufung das landgerichtliche Urteil nur im Hinblick auf die sich aus dem Streitwert ergebende Höhe der Verurteilung abgeändert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht hat sein Urteil unter Verweis auf die „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.05.2010 (Az. I ZR 121/08) damit begründet, dass der Inhaber eines Internetanschlusses, der diesen einem Dritten zur eigenverantwortlichen Nutzung überlasse, den Dritten darüber aufklären müsse, dass die Teilnahme an Tauschbörsen verboten sei. Der Vortrag des Beklagten, dass dies geschehen sei, sei nicht "beweisbewehrt" und zudem ohnehin verspätet. Unerheblich sei sein weiterer Vortrag zum Innenverhältnis bzw. zu Absprachen der Klägerinnen mit ihren Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Anwaltsvergütung. Eine evtl. nach § 4a RVG unwirksame Vereinbarung würde lediglich dazu führen, dass das gesetzliche Rechtsanwaltshonorar geschuldet sei.
Hiergegen erhob der Beschwerdeführer die Anhörungsrüge und wiederholte den bereits in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, die Revision zuzulassen. Der Beschwerdeführer verwies auf die abweichende Rechtsprechung des OLG Frankfurt.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, durch die beiden Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt zu sein. U.A. sei sein Vortrag nicht berücksichtigt worden, dass die bevollmächtigten Rechtsanwälte die Musiklabel von jeglichem Kostenrisiko freistellen. Außerdem habe das OLG die Revision eigentlich zulassen müssen, da die Rechtssache ja grundsätzliche Bedeutung habe. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien für „zigtausende“ vergleichbare Fälle von Bedeutung. Es liege unterschiedliche Rechtsprechung von Oberlandesgerichten vor, ohne dass der BGH insoweit schon entschieden hätte. Angesichts der erst aktuell durch die Abmahnungen in Filesharing-Fällen aufgekommenen Rechtsfragen gebiete auch die Fortbildung des Rechts eine Zulassung der Revision.
Das Bundesverfassungsgericht erachtete die Verfassungsbeschwerde des Polizeibeamten als offensichtlich begründet. Das angegriffene Urteil des OLG Köln verletze das Recht des Anschlussinhabers auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn die Nichtzulassung der Revision wurde nicht nachvollziehbar begründet, obwohl die Zulassung der Revision nahelag.
Zu der Rechtsfrage, ob einen Internetanschlussinhaber Prüf-, Hinweis- und Kontrollpflichten gegenüber sonstigen Nutzern des Anschlusses treffen, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Besonders skeptisch werden solche Pflichten gegenüber volljährigen Familienmitgliedern beurteilt. Das OLG Frankfurt führte mit Beschluss vom 20.12.2007 (Az. 11 W 58/07) dazu u.a. aus:
"... Überlässt der Inhaber eines Internetanschlusses diesen dritten Personen, kann ihn die Pflicht treffen, diese Nutzer zu instruieren und zu überwachen, sofern damit zu rechnen ist, dass der Nutzer eine Urheberrechtsverletzung begehen könnte. Eine Pflicht, die Benutzung seines Internetanschlusses zu überwachen oder gegebenenfalls zu verhindern, besteht jedoch nur, wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass der Nutzer den Anschluss zu Rechtsverletzungen missbrauchen wird. Solche Anhaltspunkte bestehen deshalb grundsätzlich nicht, solange dem Anschlussinhaber keine früheren Verletzungen dieser Art durch den Nutzer oder andere Hinweise auf eine Verletzungsabsicht bekannt sind oder hätten bekannt sein können. ... Der Bekl. kann, sofern nicht besondere Umstände dafür Anlass bieten, ohne Weiteres davon ausgehen, dass erwachsenen Personen bekannt ist, dass sie derartige Rechtsverletzungen nicht begehen dürfen…"
Hierauf stellte auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ab.
Anders als das OLG Frankfurt lässt das OLG Köln für das Entstehen einer Instruktions- und Überwachungspflicht bereits die Überlassung des Anschlusses an einen - egal wie jungen oder wie alten - Dritten genügen. Ob dies auch auf Ehepartner zutrifft, hat das OLG Köln mit Beschluss vom 24.03.2011 (Az. 6 W 42/11) skeptisch beurteilt, aber offen gelassen .
Das OLG Köln hatte im Übrigen bereits in einem früheren Urteil vom 23.12.2009 (Az. 6 U 101/09) selbst festgestellt, dass es uneinheitlich beurteilt wird, inwieweit der Inhaber eines Internetanschlusses dafür Sorge zu tragen hat, dass Dritte, die Zugang zu seinem Internetanschluss haben, bei der Nutzung dieses Internetanschlusses nicht urheberrechtliche Nutzungsrechte Dritter verletzen.
Der BGH hat die Frage für die hier fragliche Sachverhaltsgestaltung bisher nicht entschieden. In ständiger Rechtsprechung geht er von dem Grundsatz aus, eine Störerhaftung setze die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang richte sich danach, ob und inwieweit nach den konkreten Umständen eine Prüfung zumutbar ist. Dieser auch im angegriffenen Urteil des OLG Köln unter Bezug genommene Grundsatz ist mit den Auffassungen beider Oberlandesgerichte vereinbar. Ob und ggf. in welchem Umfang in der Konstellation des Ausgangsverfahrens Prüfpflichten überhaupt bestanden haben, ist vom BGH auch nach Einschätzung der Bundesverfassungsrichter offensichtlich noch nicht geklärt worden. Die „Sommer unseres Lebens“-BGH-Entscheidung betraf nämlich einen anderen Sachverhalt, und zwar die Frage, ob ein WLAN-Anschluss auf hinreichende Sicherungsmaßnahmen gegen möglichen Missbrauch durch außenstehende Dritte geprüft werden muss.
Also hätte hier eigentlich eine Revisionszulassung nahegelegen, weil eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Abmahnungsfälle stellen kann, sowie eine entscheidungserhebliche Abweichung vorlag.
Das Bundesverfassungsgericht musste danach nicht mehr entscheiden, ob die Revision auch im Hinblick auf die Frage zuzulassen gewesen wäre, ob die außergerichtliche Abmahnung vom 30.01.2007 überhaupt eine grundsätzlich brauchbare anwaltliche Dienstleistung darstellt und insoweit überhaupt ersatzfähige Rechtsverfolgungskosten ausgelöst hat oder nicht. Mit dieser Thematik hatte sich jüngst das OLG Düsseldorf mit seinem Beschluss vom 14.11.2011 (Az. I-20 W 132/11) befasst.
Das OLG Köln hat nun zu prüfen, ob es an seiner obergerichtlich umstrittenen Rechtsauffassung zu den vermeintlichen Pflichten des Anschlussinhabers festhalten möchte. Es müsste dann die Revision zulassen - oder zumindest die Nichtzulassung schlüssig und verfassungsgemäß begründen. Es spricht vieles dafür, dass der BGH bald Gelegenheit bekommt, sich umfassender zu äußern zu den Voraussetzungen einer "Störerhaftung" von Internetanschluss-Inhabern insbesondere für Familienangehörige und andere häusliche Mitbewohner. Entgegen vielfacher Über- und Fehlinterpretationen in zahlreichen Filesharing-Abmahnungen gibt es zu den diesbezüglichen Fragen nämlich bisher weder eine einheitliche OLG-Rechtsprechung, noch eine Entscheidung des zuständigen Ersten Zivilsenats des Bundesgerichtshofs.