Freitag, 4. Juni 2010

OLG Hamm zum Streit um Pressefoto von Kindern bei politischer Protest-Demo im Karneval

Wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder unter den Bedingungen eines öffentlichen Auftretens vor Zuschauern bewusst in der dann abgelichteten Situation der Öffentlichkeit präsentieren, scheidet aus mehreren presserechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen ein Veröffentlichungs-Verbot hinsichtlich anlassbezogen gefertigter und veröffentlichter Fotos der Kinder aus, auch wenn die Fotos nur einen ein oder zwei Kinder abbildenden repräsentativen Ausschnitt zeigen. Das OLG Hamm hat mit Beschlüssen vom 31.05.2010 ( I-3 W 26/10 und I-3 W 27/10) im einstweiligen Verfügungsverfahren zwei vorausgegangene Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld bestätigt. 

Mit in diesem Blog bereits bekanntgegebenen und kommentierten Beschlüssen vom 16.04.2010 hatte das Landgericht Bielefeld in zwei Eilverfahren - 2 O 143/10 und 2 O 144/10 - die gegen eine Tagezeitung gerichteten Anträge von zwei seitens ihrer Eltern vertretenen Minderjährigen zurückgewiesen, die Veröffentlichung von sie abbildenden Fotos zu verbieten.

Eine kleine Gruppe von Eltern hatte am Rosenmontag 2010 in der Gemeinde L. einen Karnevalsumzug dazu genutzt, unter dem Motto "Reisende" bzw. "Zugereiste in L. unerwünscht!" sich und ihre Kinder als "Flüchtlinge" mit in Frakturschrift beschriebenen Plakaten (mit den Worten "Zugereist" oder "Wohin?") sowie mit an die Verfolgung jüdischer Mitbürger erinnernden gelben Binden auszustaffieren und so der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Daraufhin wurde in einem Leserbrief massiv kritisiert, wie bei dem Umzug und der darin veranstalteten Protest-Demo einige Eltern ihre Kinder für politische Absichten benutzten. Zur Bebilderung dieser Kritik veröffentlichte die Tageszeitung eine ausschnittweise Abbildung des Umzugs, die im Vordergrund zwei entsprechend "ausstaffierte" Kinder zeigt.


Das Landgericht wies die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

Zur Begründung stützte sich das Landgericht auf das aktuelle Urteil des BGH vom 06.10.2009, VI ZR 314/08, GRUR 2010, 173 ff., wonach das generelle Verbot einer Bildberichterstattung grundsätzlich nicht beansprucht werden kann, da eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre auch jeweils eine Berücksichtigung verlangt, in welchem Kontext das Foto veröffentlicht wird.

In diesem Zusammenhang hatte ich bereits ergänzend auf das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.03.2010 - I-20 U 188/09 - zu heimlichen Ton- und Bild-Aufnahmen in einer Arzt-Praxis hingewiesen; diese Entscheidung ging in eine ähnliche Richtung.

Das Landgericht Bielefeld verneinte im vorliegenden Fall bereits das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Eine besondere Eilbedürftigkeit war nicht erkennbar. Es waren keine Anhaltspunkte für erneute Veröffentlichungen ersichtlich.

Ferner bewertete das Landgericht den Umstand, dass die Eltern ihre Kinder bewusst und gewollt "ausstaffiert" und der Öffentlichkeit präsentiert hatten, zu Recht als Einwilligung gemäß § 22 KUG.

Zudem stellte die Zivilkammer - auch an dieser Stelle der Argumentation der Antragsgegnerin, des Zeitungsverlages, folgend - darauf ab, dass die minderjährigen Antragsteller von ihren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich und die Kinder ziehenden Eltern gezielt in den Mittelpunkt öffentlicher Wahrnehmung gestellt worden waren und es sich damit auch um "sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte" gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handelt.

Schließlich waren der Karnevalsumzug sowie die darin gleichzeitig erfolgende politische Protest-Demonstration als Aufzug und Versammlung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG einzuordnen. Es war insoweit legitim, einen repräsentativen Ausschnitt der streitgegenständlichen Veröffentlichungs-Thematik abzubilden.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte unter Einbeziehung der wohlverstandenen Schutzbedürfnisse von Kindern im Hinblick auf deren freie Persönlichkeitsentfaltung sah das Landgericht in überzeugender Weise hier keine Grundlage für eine Beschneidung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungs- und Pressefreiheit.

Dies hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun ohne Einschränkungen bestätigt. In den Beschwerde-Beschlüssen heißt es u. a.:

Der Senat teilt insoweit angesichts der konkreten Umstände, unter denen das streitgegenständliche Foto (anlassbezogen) gefertigt und unter denen es von der Beklagten (anlassbezogen) veröffentlicht wurde, die Erwägungen des Landgerichts, dass es vorliegend vor allem deshalb an einem Schutzbedürfnis der (so) abgebildeten Kinder fehlt, weil sie von ihren Eltern in der abgelichteten Situation "bewusst der Öffentlichkeit zugewendet" wurden und den "Bedingungen eines (derartigen) öffentlichen Auftretens vor Zuschauern ausgeliefert" wurden (vgl. dazu: BGH, GRUR 2010, 173 - juris-Rdnr. 10). Zudem wurden die Kinder hier weder durch die abgelichtete öffentliche Situation noch durch das textliche Umfeld der in Rede stehenden Aufnahme verfälschend oder herabsetzend dargestellt noch sie selbst als heranreifende Persönlichkeiten in irgendeiner Weise kritisiert.

Kritik war textlich vielmehr an dem Verhalten der in der oben beschriebenen Weise provokant agierenden Eltern geübt worden, was diese zum Anlass genommen hatten, zunächst per Abmahnung und sodann bei Gericht ein Veröffentlichungs-Verbot gegen den Zeitungsverlag anzustreben. Dieser Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit zu beschneiden, scheiterte nun zu Recht auch vor dem OLG Hamm.