„1001“ Argumente gegen
Filesharing-Abmahnungen: Ein neues Urteil des AG Bielefeld vom 05.02.2015 (Az. 42
C 1001/14) entlarvt mit einleuchtenden technischen und rechtlichen Gründen widersprüchliche
Verdächtigungen der Content-Industrie beim Zugang mehrerer Personen zum
Internetanschluss. Das Amtsgericht setzt sich gleichzeitig auch überzeugend mit Filesharing-Entscheidungen
anderer Gerichte auseinander und verringert die sekundären Darlegungspflichten der Abmahnungsempfänger.
Im Nachgang zu meinem
vorausgegangenen Blog-Beitrag vom 05.02.2015 zur fragwürdigen und widersprüchlichen
Verdächtigungspraxis in Filesharing-Abmahnungen hier nun der entsprechende
Auszug aus dem mir zwischenzeitlich vorliegenden aktuellen Urteil des AG Bielefeld. Nach der bereits hinlänglich
bekannten Darlegung der allenfalls sehr begrenzten Recherchepflicht des Internet-Anschlussinhabers
(vgl. hierzu auch meinen Blog-Beitrag zum Urteil des AG Bielefeld vom 06.03.2014, Az. 42 C 368/13) heißt es in dem jüngst errungenen aktuellen
Urteil vom 05.02.2015 (Az. 1001/14):
„Soweit teilweise verlangt wird,
dass die beklagte Partei tatzeitbezogene konkrete Angaben zum Nutzungsverhalten
der weiteren Nutzer zu machen hat und insoweit Ausführungen zum generellen
Nutzungsverhalten zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast nicht als ausreichend
angesehen werden (so LG München I, Urteil vom 09.07.2014, 21 S 26548/13), zumindest
jedoch zum Nutzungsverhalten der weiteren Nutzer konkret am Tag der Verletzung
und generell vorzutragen ist (so AG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom
25.08.2014, 57 C 9062/14) oder gar eine Widerlegung der tatsächlichen Vermutung
für die Täterschaft des Anschlussinhabers als nicht erbracht angesehen wird,
wenn die weiteren Nutzer zur Tatzeit ortsabwesend waren (so AG Koblenz, Urteil
vom 27.11.2014, 152 C 887/14), berücksichtigen diese Ansichten nicht die
Funktionsweise der notwendig zu verwendenden Tauschbörsensoftware sowie die
generellen Besonderheiten des Filesharing. Die Tauschbörsensoftware bietet
vielfältige Einstellungsmöglichkeiten, aufgrund derer auch ohne körperliche Anwesenheit
des Filesharing-Nutzers ein Download stattfinden kann. Ferner ist auch nach Abschluss
des eigenen Downloadvorgangs ein Download für weitere Nutzer des jeweiligen Filesharing-Systems
möglich, sofern nicht manuell die Upload-Funktion deaktiviert oder die Datei
des entsprechenden urheberrechtlich geschützten Werkes nach Beendigung des
Download aus dem der Filesharing-Software zugeordneten Download-Ordner entfernt
wird. Andernfalls wird immer dann, wenn ein anderer Client nach einer
bestimmten Datei fragt, vom Server, mit welchem der Nutzer des
Filsharing-Systems im Online-Betrieb des Computers verbunden ist, der ihm
bekannte und verbundene Client geliefert, der diese Datei anbietet. Die Kontaktaufnahme
und der Download erfolgen dann direkt von Client zu Client ohne den Server.
Dies kann dazu führen, dass auch noch Tage oder gar mehrere Wochen nach Starten
des eigentlichen Downloadvorganges die geschützte Datei für weitere Nutzer des
Filesharing-Systems zur Verfügung steht, ohne dass dies dem Anbieter jeweils
aktuell bewusst ist. Zudem beruhen alle Filesharing-Netzwerke auf dem Prinzip
„Geben und Nehmen“, so dass sich zur Vermeidung der Missachtung dieses Prinzips
sogenannte „Anti-Leech-Tracker“ etabliert haben, die das Verhalten der
Teilnehmer stetig beobachten und Teilnehmer, die nur herunterladen oder dies in
unfairem Verhältnis tun, vom Netzwerk ausschließen, sobald gegen vordefinierte
Regeln verstoßen wird. Um die sogenannte „file ratio“ zu erfüllen, ist es daher
erforderlich, dass die Datei nach Abschluss des eigenen Downloadvorgangs noch
auf dem eigenen Computer zum Download für andere Teilnehmer des
Filesharing-Systems zur Verfügung gestellt wird. Dementsprechend kann man in
den entsprechenden Tauschbörsen auch die „Health“ der angebotenen Datei, d. h.
das Verhältnis zwischen Seedern und Leechern erkennen. Die körperliche
Anwesenheit des Nutzers während des Download- oder Uploadvorgangs ist daher
überhaupt nicht erforderlich und ohne jegliche Bedeutung. Wäre eine körperliche
Anwesenheit erforderlich, würde es im Übrigen zur Widerlegung, dass der
Anschlussinhaber für die Rechtsverletzung verantwortlich ist, ausreichen, wenn
der Anschlussinhaber beispielsweise vorträgt und ggf. durch eine Arbeitgeberbescheinigung
belegt, dass er zum behaupteten Tatzeitpunkt nicht zu Hause war. Insoweit
weisen die Vertreter der Content-Industrie – zu Recht – darauf hin, dass eine
Nutzung des Internetanschlusses durch entsprechende Einstellungen der
Filesharing-Software auch ohne körperliche Anwesenheit des Anschlussinhabers
möglich ist. Dies muss dann aber im Rahmen der sekundären Darlegungslast auch
für die weiteren Nutzer des Internetanschlusses gleichermaßen gelten. Darüber
hinaus ist nicht ersichtlich, welche Relevanz ein Vortrag des Anschlussinhabers
zum Nutzungsverhalten der übrigen Anschlussinhaber dahingehend, dass diese
täglich oder nahezu täglich das Internet zur Informationsbeschaffung, zum
Shoppen, zum Spielen oder zum Besuch von Internetforen oder sozialen Netzwerken
nutzen, haben sollte. Relevant im Sinne einer Erheblichkeit in Bezug auf die
behauptete Urheberrechtsverletzung wäre ohnehin nur ein Vortrag, nach welchem
ein konkret zu bezeichnender Nutzer des Internetanschlusses regelmäßig
Filesharing betreibt und dabei auch das streitgegenständliche Werk für sich
heruntergeladen und damit automatisch Dritten zum Download angeboten hat. Zu
diesen Nachforschungen ist der Anschlussinhaber jedoch gerade nicht verpflichtet.
Soweit das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 25.11.2014, 17 O 468/14) vom Anschlussinhaber
nach Zugang der Abmahnung durch eigene Recherche eine Untersuchung verlangt, ob
sich auf den im Haushalt befindlichen Rechnern ein Tauschbörsenprogramm oder
das streitgegenständliche urheberrechtlich geschützte Werk befindet, werden
damit die Grenzen der Zumutbarkeit deutlich überschritten. Auch die von der
Content-Industrie häufig herangezogene Parallele zur Auskunftspflicht des
Drittschuldners nach § 840 ZPO ist auf Rechtsverletzungen durch Filesharing
nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar, da die Obliegenheitspflichten des
Drittschuldners erst aufgrund gerichtlicher Prüfung mit Erlass eines
gerichtlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses entstehen, während die Abmahnung
aufgrund einer behaupteten Urheberrechtsverletzung allein auf privater
Ermittlung des Verstoßes beruht. Dementsprechend beginnt die
Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers auch nicht mit Zugang der
Abmahnung, sondern erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung im Rahmen des
gerichtlichen Verfahrens, da die Nachforschungspflicht Folge der sekundären
Darlegungslast und damit einer prozessualen Rechtsfigur ist. Der Umfang der
Nachforschungspflicht wird vom Bundesgerichtshof in der Bear-Share-Entscheidung
auf zumutbare Nachforschungen beschränkt. Zumutbar ist nur das, was zum einen
tatsächlich möglich und zum anderen rechtlich zu verlangen ist. Die
Internetnutzung gehört zum Familienalltag und wird selbstverständlich
üblicherweise nicht aufgezeichnet (so AG Freiburg im Breisgau, Urteil vom
03.12.2014, 3 C 1698/14). Es ist daher selbst dann, wenn man für den Beginn der
Nachforschungspflicht auf den Zugang der Abmahnung abstellen und insoweit eine
relativ kurze Zeitspanne von nur einem Monat zwischen Rechtsverletzung und
Zugang der Abmahnung zugrunde legen würde, nicht mehr möglich, das konkrete
Nutzungsverhalten am behaupteten Tattag und einer angemessenen weiteren
Zeitspanne vor diesem Zeitpunkt von wenigstens einer Woche nachträglich zu
ermitteln. Rechtlich verlangt werden kann eine Ermittlung zum Nutzungsverhalten
dann nicht, wenn zu den weiteren Nutzern ein Näheverhältnis im Sinne des §
383 ZPO besteht und der Anschlussinhaber daher aufgrund bestehender
Zeugnisverweigerungsrechte nicht zur Mitteilung des Ermittlungsergebnisses verpflichtet
ist. Wer aber ein Ergebnis der Ermittlungen nicht mitzuteilen hat, den trifft
von vornherein folgerichtig auch keine Ermittlungspflicht. Der Anschlussinhaber
erfüllt daher die ihm obliegende sekundäre Darlegungslast, wenn die Personen,
die selbständig und eigenverantwortlich Zugriff auf den Internetanschluss
haben, ermittelt und namentlich unter Angabe einer bekannten Anschrift benannt
werden.“
- Hervorhebungen per Fettdruck von mir eingepflegt -
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Diese richterlichen Bewertungen geben m.E. lebensnah und realistisch angemessene Hilfestellung bei dramatisierender und pauschal verdächtigender Abmahnungs-Prosa.
Das Amtsgericht und das Landgericht Bielefeld sind in urheberrechtlichen Streitigkeiten übrigens örtlich zuständig auch für die Bereiche der Landgerichtsbezirke Detmold, Paderborn und Münster.
Das Amtsgericht und das Landgericht Bielefeld sind in urheberrechtlichen Streitigkeiten übrigens örtlich zuständig auch für die Bereiche der Landgerichtsbezirke Detmold, Paderborn und Münster.