Die "geburtstagskindische" Werbe-Strategie der Axel Springer AG mit dem Slagan:
"BILD für ALLE"steht in der Kritik.
Muss da noch nachgebessert werden? Die abgegebenen Werbeversprechen sind praktisch und rechtlich nicht in jeder Hinsicht unangreifbar.
Einige kritische Bewertungen:
Die
"kostenlose Sonderausgabe"vom 23. Juni 2012 zum 60. Geburtstag der Boulevard-Zeitung soll angeblich
"an alle Haushalte in Deutschland"verteilt bzw.
"verschenkt"werden.
Viele haben bereits signalisiert diese "Schenkung" nicht annehmen zu wollen. Eine Schenkung ist ein Vertrag (gemäß § 516 BGB), der frühestens mit der Annahme durch den Beschenkten wirksam wird; es muss sich also niemand eine schenkungsweise Zuwendung aufzwingen lassen.
Dies gilt erst recht bei "Postwurfsendungen". So hat beispielsweise die 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg im vergangenen Jahr mit Urteil vom 30.09.2011 (Az. 4 S 44/11) folgende Leitsätze aufgestellt:
"1. Das Zusenden von Postwurfsendungen gegen den ausdrücklichen Willen des Empfängers stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.
2. Postwurfsendungen, die der Empfänger erkennbar nicht wünscht, stellen stets eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG dar.
3. Für die Erkennbarkeit eines entgegenstehenden Willens des Empfängers genügt eine entsprechende Mitteilung an das werbende Unternehmen, es besteht keine Pflicht zum Anbringen eines Aufklebers "Werbung - Nein danke" auf dem Briefkasten."Andererseits reicht ein sich lediglich auf "Werbung" beziehender Verbots-Aufkleber nicht einmal aus zur eindeutigen Ablehnung des Einwurfs von Anzeigenblättern. Der 4. Zivilseat des OLG Hamm hat mit Urteil vom 14.07.2011 (Az. I-4 U 42/11) entschieden:
Handelt es sich bei dem in der Kritik stehenden "Sonderprodukt" überhaupt um ein Anzeigenblatt?"Die auf Werbeprospekte bezogene ablehnende Willensbekundung ist dabei nicht so auszulegen, dass den betreffenden Verbrauchern auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil als solche unerwünscht wären (OLG Stuttgart NJW-RR 1994, 502). Der Begriff "Werbung" hat aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers keinen eindeutigen Erklärungsinhalt und lässt somit für den Verleger eines Anzeigenblattes nicht sicher erkennen, ob derjenige, der keine Werbeprospekte im Briefkasten haben will, auch den Einwurf von Anzeigenblättern ausschließen will oder nicht (vgl. Harte / Henning / Ubber, UWG, 2. Auflage, § 7 Rdn. 74). Erfasst von dem Sperrvermerk ist im Übrigen auch nicht die Zeitungsbeilagenwerbung, die regelmäßig mit dem Bezug von abonnierten Zeitungen und Zeitschriften verbunden ist."
In der Bewerbung der BILD gegenüber Anzeigenkunden heißt es ausdrücklich:
"Diese Sonderausgabe ist nicht tagesaktuell."Der Verlag will
"einen Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft spannen"und so erkennbar insbesondere auch zu eigenen Werbezwecken agieren (wogegen selbstverständlich grundsätzlich zunächst nichts einzuwenden ist). Verteilt wird insofern nicht die übliche BILD-Zeitung. Dennoch wird man rechtlich die Wurfsendung nicht als bloße Werbung bewerten können; immerhin wird die Sonderausgabe auch redaktionelle und damit presserechtlich und verfassungsrechtlich besonders geschützte Inhalte enthalten. Deshalb wird man - wie oben erwähnt - durch ein bloßes Verbot des Einwurfs von "Werbung" dem Briefkasten eine entsprechende Befüllung nicht ersparen. Andererseits handelt es sich bei der kostenlosen Sonderausgabe aber wohl auch nicht um ein klassisches Anzeigenblatt - wenn man den verbleibenden redaktionellen Kontext mit der "klassischen" BILD-Zeitung berücksichtigt. Deshalb wird ein Briefkasten-Aufkleber, der den Einwurf von Anzeigenblättern untersagt, von den Zustellern wohl ebenfalls nicht zwingend beachtet werden müssen.
Der Kollege Udo Vetter denkt deshalb etwa an einen Briefkasten-Hinweis wie "Bitte keine BILD einwerfen". Der Kollege Andreas Schwartmann hat alternativ ein Muster-Anschreiben an die Springer AG entworfen.
Beide Möglichkeiten dürften eine hinreichende Möglichkeit bieten, die Zustellung des "Sonderproduktes" in den eigenen Briefkasten rechtswirksam zu untersagen und bei Verstoß im Wege der Abmahnung bzw. Klage die entstandenen Unterlassungsansprüche rechtlich erfolgreich durchzusetzen. Der Kollege Arno Lampmann meldet sogar etwas plakativ: "Es drohen 41 Millionen Abmahnungen".
Auf einer Seite der an die Anzeigenkunden gerichteten Bewerbung des fast pensionsreifen Jubilars heißt es vielleicht auch deshalb bei genauerer Betrachtung - indem das Angebot insoweit einschränkend nicht als Zusage, sondern als bloßes "Ziel" deklariert wird:
"Unser Ziel: jeder Haushalt erhält ein Exemplar in den Briefkasten!"Sich hohe Ziele zu setzen, hat ja grundsätzlich noch keiner (Werbe-) Kampagne geschadet. Ob die Ziele dann auch erreicht werden, ist natürlich eine andere Frage.
An anderer Stelle der Kundenwerbung wird der Mund dann allerdings schon wieder etwas voller genommen:
"Die größte Auflage aller Zeiten
Alle Haushalte in Deutschland"und
"Verteilung: ca. 41 Mio. Haushalte inkl. Werbeverweigerer, innerhalb eines Tages"Also doch Freiwild für BILD und Frei-Bild für alle?
Mit der pauschal behaupteten Verteilung an "ALLE" und insbesondere auch an alle "Werbeverweigerer" könnten einige Mitbewerber i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG wettbewerbsrechtliche Probleme haben und diese Vollmundigkeit ihrerseits zum Anlass nehmen, über wettbewerbsrechtliche Abmahnungen wegen etwaiger unlauterer und/oder irreführender Werbung nachzudenken. Ausgeschlossen ist auch das vor dem Hintergrund der oben erwähnten rechtlichen Bewertungen nicht. Vollmundige Werbung hat ihren Preis.
Zumindest soll nach dem Willen der BILD auch das fulminante Werbe-/Anzeigen-Angebot seinen Preis haben (nämlich vier Millionen Euro pro Anzeigenseite) und:
"Bestehende Konditionsvereinbarungen sowie die Rabattstaffeln laut BILD Preisliste sind für dieses Sonderprodukt nicht anwendbar. Angebote folgen auf Anfrage."Und nicht übersehen werden darf zusätzlich:
"Bei Stornierung einer Buchung wird eine Gebühr in Höhe von 10% des gebuchten Anzeigen-Bruttopreises erhoben."Mal sehen, wie die Kampagne und das daraus erwachsene Streit-Potenzial sich weiter entwickeln. Der öffentlich ausgetragene Streit stellt - jedenfalls und immerhin - auch selbst bereits eine nicht zu unterschätzende Werbe-Kampagne dar, worauf vielleicht sogar der Blogger dieses Beitrags hereingefallen ist.