Große Aufmerksamkeit hat der Beschluss des 6. Zivilsenats des OLG Köln vom 30.09.2011 (Az. 6 U 67/11) erlangt. Die Berufungsrichter verlangen von der Musikindustrie wesentlich umfassendere und vertieftere Darlegungen, um auf plausiblerer und realistischerer Berechnungsgrundlage vermeintliche Schadenshöhen bei Filesharing-Vorwürfen nach § 287 ZPO abschätzen zu können. Dabei baut das Oberlandesgericht erstmalig eine "Schadensbremse" mit einem überfälligen Anrechnungsmodus ein.
Besonders bemerkenswert ist bei der aktuellen Entscheidung m. E. nicht so sehr, an welchem GEMA-Tarif sich die Richter zu orientieren beabsichtigen bzw. welchen Tarif sie als den dem zu beurteilenden Sachverhalt am nächsten kommend bewerten.
Der Senat favorisiert in dem Zusammenhang wohl nicht den von den Klägerinnen angeführten Tarif VR W I, der u.a. Hintergrundmusik insbesondere im Bereich der Werbung betrifft, die im Wege des Streaming zur Verfügung gestellt wird, und der eine Mindestlizenz von 100 Euro für bis zu 10.000 Abrufe ansetzt, sondern den allerdings für Komponisten und Textdichter geltenden Tarif VR-OD 5, der die Nutzung einzelner Titel auch durch Internet-Downloads betrifft und der für ein Werk mit einer Spieldauer von bis zu 5 Minuten von einer Mindestvergütung von 0,1278 € pro Zugriff auf den jeweiligen Titel ausgeht. Alternativ gibt das Gericht den klagenden Tonträgerherstellern Gelegenheit, konkreter zu den von ihnen tatsächlich erzielten Vergütungen für Download-Lizenzen vorzutragen.
Eine seriöse richterliche Schätzung etwaiger Schadenshöhen möchte das OLG davon abhängig machen, dass die Musiklabels darlegen, wie viele Zugriffe auf den Rechner des abgemahnten Internetanschluss-Inhabers zum Zweck des Downloads des jeweiligen streitgegenständlichen Titels erfolgt sind. Zumindest erwartet der Senat Angaben dazu, in welcher Größenordnung nach den Ermittlungen der Klägerinnen bei Titeln der streitgegenständlichen Art "Upload-Angebote von an der Tauschbörse Beteiligten erfolgen bzw., wie sich diese Zahlen im fraglichen Zeitraum entwickelt haben."
Diese Betrachtungen und Bewertungen fügen sich systematisch durchaus in die bisherige Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen ein. Relativ neu und bemerkenswert sind aber die folgenden richterlichen Feststellungen:
"Das Einstellen der Titel in die Tauschbörse hat zwar - wie die Klägerinnen im Ausgangspunkt zutreffend vortragen - einer unübersehbaren Anzahl Beteiligter den Zugriff auf diese ermöglicht, es bestehen aber auch gegen all jene (soweit schuldhaft handelnden) weiteren unberechtigten Nutzer wiederum Schadensersatzansprüche. Eine - aus diesem Grunde zumindest theoretisch möglich erscheinende - vielfache Geltendmachung desselben Schadens ohne Anrechnung der schon erfolgten Ersatzleistung eines der Schädiger dürfte im Ansatz unberechtigt sein."
Damit wird zu Recht die in zahlreichen Abmahnungen der Rechteverwerter propagierte Schadenspotenzierung als haltlos und unseriös entlarvt. Diese Problematik wurde auch bereits vor über einem Jahr in meinem Beitrag zu den unlogischen Boom-Geschäften mit der Lizenzanalogie beim Geschäftsmodell "Filesharing-Abmahnung" erläutert und kritisiert. Es kann und darf nicht angehen, dass im Wege überhöhter und unrealistischer Schadensersatz-Szenarien bei Abmahnungs-Adressaten "Lizenz"-Beträge tatsächlich wiederholt "eingefahren" werden, obwohl etwa an vorausgegangener Stelle der Upload bereits fiktiv im Wege der Lizenzanalogie vergütet bzw. entschädigt worden ist.
Der in Rede stehende OLG-Beschluss bestätigt eine zunehmende Rechtsprechungs-Tendenz dahingehend, distanzierter, objektiver, kritischer und angemessener mit dem Geschäftsmodell der ausufernden Filesharing-Abmahnungen umzugehen.