Das Gericht stellte fest, dass seitens der Belegschaft bisher keine rechtlichen Schritte gegen das umstrittene Buch eingeleitet worden sind. Im Übrigen sei das Buch "so weit von der Wirklichkeit entfernt", dass eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten "nicht ernsthaft" geltend gemacht werden könne. Der Kammervorsitzende verwies auf die sogenannte "Esra"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.06.2007 (Az. 1 BvR 1783/05).
Darin hatte der Erste Senat grundlegende Maßstäbe der Drittwirkung von Grundrechten festgelegt - insbesondere im Spannungsfeld von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten - und zwar mit den Leitsätzen:
- Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.
- Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.
- Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.
- Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
Diesem Beschluss gingen etliche frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts voraus, in denen das höchste deutsche Gericht nie die gebotene Abwägung mit dem persönlichen Ehrenschutz und dem allgemeinem Persönlichkeitsrecht aus den Augen verloren hat und Aussagen zu den Schranken der Kunstfreiheit getroffen hat (vgl. die Entscheidungen zu den Stichworten "Mephisto", "Anachronistischer Zug", "Strauß-Karikatur", "Herrnburger Bericht", "Bundesflagge" oder auch "Josefine Mutzenbacher").
Das Arbeitsgericht sah in der Roman-Veröffentlichung unter angemessener Berücksichtigung des Grundrechts der Kunstfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes kein eine fristlose Kündigung rechtfertigendes Fehlverhalten und erklärte die Kündigung des Buch-Autors für unwirksam.
Nach Medien-Veröffentlichungen beabsichtigt die Arbeitgeberin, beim Landesarbeitsgericht in Hamm Berufung gegen das Herforder Urteil einzulegen. Die weitere (ober)gerichtliche Abwägung darf man gespannt und aufmerksam verfolgen. Ein faktischer Maulkorb für nebenberufliche Schriftsteller durch unangemessene Kündigungsrisiken im Hauptjob könnte fatale Auswirkungen haben auch auf nebenberufliche Journalisten oder Blogger. Ein unverzichtbarer und fruchtbarer Wirkungskreis auf dem Feld künstlerischer, literarischer und publizistischer Vielfalt würde - zusätzlich zu bereits bestehenden Hemmnissen und Hürden - bedenklich eingeengt. Deshalb darf man die Entscheidung der Herforder Arbeitsrichter aktuell als erfreuliches Signal für die Kunstfreiheit - und wohl auch für die Meinungsfreiheit - verstehen und würdigen.
Mit Urteil vom 15.07.2011 – 13 Sa 436/11 - hat das LAG Hamm die Entscheidung des Arbeitsgerichts Herford bestätigt.
Update vom 14.08.2011:
Mit Urteil vom 15.07.2011 – 13 Sa 436/11 - hat das LAG Hamm die Entscheidung des Arbeitsgerichts Herford bestätigt.