Freitag, 24. Februar 2012

Schluss mit lustig? Der Formular-Krieg bei Abmahnungen im Urheberrecht, Markenrecht, Medienrecht und Werberecht

Die in diesem Jahr wieder erhöhte Abmahnungswelle - in und nach der fünften Jahreszeit schon eher eine Art „Abmahnungstsunami“ - bringt zunehmenden Stress in deutsche Haushalte. Herrscht nach der Faschingszeit juristische Katerstimmung und ist der Spaß am World Wide Web vergangen? Da bekommen die Begriffe „Haushaltssperre“ und „Netzsperre“ gleich eine ganz andere Bedeutung. Sogar an den jecken Tagen liegen bei verblüfften und geschockten Internetnutzern, Tauschbörsen-Besuchern und eBay-Junkies, bei Onlineshop-Inhabern oder anderen gewerblichen oder privaten Webseiten-Betreibern vermehrt die unterschiedlichsten urheberrechtlichen, markenrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen im Briefkasten und die Nerven liegen blank. 

Das ist keineswegs alles gesetzeswidrige Abzocke. Da laufen einem allerdings bei karnevalistisch verkatertem Kopf schon mal die knapp gesetzten Fristen davon und das Herz und die Galle über. Soll man den Abmahnungsbrief in der Luft zerreißen und ignorieren oder lieber die verlangte „strafbewehrte Unterlassungserklärung“ unterschreiben und abschicken? Oder sollte man das hereingeflatterte Formular doch besser abändern? Aber wie? Was ist zu beachten?

Überhöhte Hitzewellen und unkontrollierte Schlagwetter und Stress-Ausbrüche wegen drohender rechtlicher und finanzieller Nachteile lassen sich vermeiden. Bei den vorformulierten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen sind insbesondere die folgenden 12 Fragestellungen besonnen und versiert zu klären:
1.      Ist die Abmahnung grundsätzlich rechtlich schlüssig oder haften ihr bereits formal und inhaltlich so viele Fehler und Ungereimtheiten an, dass man ernsthafte Zweifel bekommen darf, ob es sich nicht vielleicht doch um einen schlechten (Karnevals-)Scherz, eine sog. Fake-Abmahnung, handelt?

2.        Kommt der Absender als angeblich Anspruchsberechtigter überhaupt in Betracht, ist er – wie die Juristen sagen – grundsätzlich „aktivlegitimiert“? Liegt insbesondere bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen evtl. eine rechtsmissbräuchliche, sittenwidrige (Massen-) oder Abzock-Abmahnung vor, die primär der Erzielung von Kostenzahlungen dient? Oder wird etwa zur vermeintlichen Rechtsinhaberschaft zumindest nur nebulös und unplausibel vorgetragen?

3.        Liegen rechtlich relevante und rechtlich ausreichend erhebliche, selbst zu verantwortende bzw. der eigenen Person in ausreichender Weise zurechenbare Rechtsverstöße vor? Fehlt es vielleicht bereits an dem erforderlichen gewerblichen oder geschäftlichen Handeln?

4.        Für wie groß halte ich das tatsächliche Risiko, dass ich zukünftig gegen das unbefristet, also lebenslang geltende Unterlassungsversprechen verstoße? Und wie groß ist die Gefahr, dass in der Vergangenheit und/oder zukünftig Dritte zu meinen Lasten einschlägige Verletzungshandlungen begangen haben bzw. begehen?

5.        Wem gegenüber sollte ich tatsächlich eine Erklärung (oder mehrere) in welcher Form abgeben?

6.        Enthält die verlangte Unterlassungserklärung ungewollte weitergehende Anerkenntnisse - wie z. B. Schadensersatz- oder Kostenerstattungs-Versprechen, wenn vielleicht auch nur mittelbar? Wie kann ich vermeiden, das aus einem Unterlassungsversprechen hinterher nicht gewollte Schuldeingeständnisse und Zahlungsverpflichtungen abgeleitet werden? Genügt die abgeänderte (modifizierte) eigene Erklärung andererseits den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung an eine ausreichend ernsthafte und rechtsverbindliche Erklärung?

7.        Wird fälschlicherweise ein "Ausschluss der Einrede des Fortsetzungszusammenhangs" verlangt? Werden der Gegenseite Rechte zugestanden, die sich aus dem Gesetz gar nicht in dieser Weise ableiten lassen?

8.        Wird mit der vorformulierten Erklärung der falsche Eindruck vermittelt, zukünftig auch für unverschuldete Verstöße zu haften, obwohl ich zur Abgabe eines derartigen Versprechens eigentlich gar nicht verpflichtet bin?

9.        Ist im konkreten Einzelfall und vor dem Hintergrund der speziellen Risiken und Erwartungen eher eine möglichst eng am vorgeworfenen Verstoßsachverhalt orientierte oder eher eine weite Fassung des Verbotes innerhalb der Unterlassungserklärung sinnvoll und interessengerecht?

10.     Möchte ich in der Unterlassungserklärung bereits eine konkret bezifferte Vertragsstrafe festlegen oder lieber nach dem so genannten "Neuen Hamburger Brauch" eine etwaige, zukünftig angemessene Vertragsstrafe in das gerichtlich (nicht immer nur landgerichtlich!) überprüfbare billige Ermessen des Unterlassungsgläubigers stellen? Möchte und darf ich zusätzlich eine von der Rechtsprechung durchaus erlaubte, oft übersehene oder vergessene Obergrenze bestimmen? Wenn ja, in welcher Art und in welcher Höhe?

11.     Sollte und darf ich die Unterlassungserklärung im Einzelfall befristet und/oder bedingt abgeben und welche etwaigen auflösenden Bedingungen empfehlen sich?

12.     Welche weiteren Hinweise und Argumente sind in Reaktion auf die konkrete Abmahnung der modifizierten strafbewehrten Unterlassungserklärung beizufügen, um anlässlich der erhaltenen Abmahnung möglichst zielführend und interessengerecht zu agieren und anschließende gerichtliche Verfahren und Kosten zu vermeiden?

Eine mit Vertragsstrafen sanktionierte Unterlassungserklärung ist auch nach Karneval also wirklich nicht so schrecklich lustig. Dennoch sollte man nach Erhalt von Abmahnungspost den Humor nicht verlieren, die Flinte nicht ins Korn werfen und mit klarem Kopf sowie hilfreichem Sachverstand und Sprachwitz die Angelegenheit klären und aus der Welt schaffen. Recht haben macht insofern etwas Arbeit … aber Recht haben macht auch Spaß.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Aktuelles EuGH-Urteil: Urheberrecht rechtfertigt keine Netzfilter und keine vorbeugende Überwachungspflicht für Soziale Netzwerke - Verwertungsgesellschaft scheitert in Luxemburg

Es wirkt wie eine weitere Abmahnung des höchsten Europäischen Gerichts an die Rechte-Industrie: Der EuGH hat per Pressemitteilung vom 16.02.2012 ein Urteil in der Rechtssache C-360/10 - Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers CVBA (SABAM) gegen Netlog NV - bekanntgegeben.

Danach kann der Betreiber eines Sozialen Netzwerks im Internet nicht dazu gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer des Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer bzw. audiovisueller Werke zu verhindern. 


Klägerin ist die belgische Verwertungsgesellschaft SABAM, die Autoren, Komponisten und Herausgeber musikalischer Werke vertritt und sich auf die Urheberrechte ihrer Mitglieder berufen will. Sie ist u. a. auch für die Genehmigung der Verwendung ihrer geschützten Werke durch Dritte zuständig ist.

Beklagte ist die Netlog NV, die eine von über 10 Millionen Personen genutzte Plattform für ein Soziales Netzwerk im Internet betreibt. In dem sozialen Netzwerk bekommt jeder User einen persönlichen Bereich, ein weltweit zugängliches Profil, zur Verfügung gestellt. Dies kann der jeweilige Inhaber dann selbst in üblicher Weise mit Inhalten versehen. Es werden die für soziale Netzwerke klassischen Funktionen bereitgestellt: Man kann online kommunizierende Gemeinschaften (und Freundschaften) aufbauen und z. B. ein Tagebuch führen, eigene Hobbies, Vorlieben und Freunde dokumentieren, Fotos und Videos veröffentlichen oder seine Meinung kundtun.

Die SABAM rügte, das Soziale Netzwerk der Netlog NV ermögliche allen Usern, über das Profil musikalische bzw. audiovisuelle Werke aus dem SABAM-Repertoire zu nutzen, indem sie diese Werke andern Usern bzw. der Öffentlichkeit zugänglich machten, ohne dass die SABAM dem zugestimmt hätte und ohne dass die Netlog NV hierfür eine Vergütung zahlte.

Am 23.06.2009 verklagte die SABAM die Netlog NV beim Präsidenten der "Rechtbank van eerste aanleg te Brussel" in Belgien .

Die Klägerin beantragte u. a.,
der Netlog NV unter Androhung eines Zwangsgelds von 1000 Euro für jeden Tag des Verzugs aufzugeben, ab sofort jede unzulässige Zurverfügungstellung musikalischer oder audiovisueller Werke aus dem Repertoire von SABAM zu unterlassen. 
Die Netlog NV war der Ansicht, der Erlass der von SABAM beantragten Unterlassungsanordnung würde dazu führen, dass ihr eine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt würde, was nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt - ABl. L 178, S. 1 - Art. 15.) verboten sei.

Die Rechtbank van eerste aanleg hat den EuGH angerufen mit der Fragestellung, "ob das Unionsrecht einer Anordnung eines nationalen Gerichts an einen Hosting-Anbieter in Gestalt des Betreibers eines Sozialen Netzwerks im Internet entgegensteht, ein System der Filterung der von den Nutzern seiner Dienste auf seinen Servern gespeicherten Informationen, das unterschiedslos auf alle diese Nutzer anwendbar ist, präventiv, allein auf eigene Kosten und zeitlich unbegrenzt einzurichten."
Der EuGH hat entschieden: Der Betreiber eines Sozialen Netzwerks im Internet kann nicht dazu gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer des Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer bzw. audiovisueller Werke zu verhindern.
Der EuGH betrachtet die Netlog NV als Hosting-Anbieter und begründet seine Entscheidung damit, dass eine Filter-Pflicht gegen das Verbot verstößt, dem Anbieter eines derartigen Netzwerkes eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen. Gleichzeitig würde so auch das Erfordernis missachtet, "ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Urheberrecht einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten."

Ein Filtersystem würde nach Einschätzung des höchsten Europäischen Gerichts dazu führen, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche, zumindest aber der größte Teil der beim Hosting-Provider gespeicherten Informationen überwacht werden müsse. Dies führe zu einer deutlichen Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit der Netlog NV. Der Betreiber des Sozialen Netzwerks würde nämlich auf diese Weise gezwungen, allein auf seine Kosten ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes Informatiksystem einzurichten. Zudem könne ein derartiges Filtersystem auch Grundrechte der User beeinträchtigen wie die oben bereits erwähnten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen.

Das sind deutliche Worte aus Luxemburg, die in einigen aktuellen Debatten nicht überhört werden sollten.

Upgrade: Und hier der Link zum vollständigen Urteil der Dritten Kammer des EuGH vom 16.02.2012, Az. C‑360/10.

Samstag, 4. Februar 2012

Der Prozess der Filesharing-Abmahnung: Gerichtliche Tauschbörse von Argumenten und Schein-Argumenten im Urheberrecht

Das große Interesse an und nach meinem Beitrag über eine spannende urheberrechtliche Verhandlung vor dem Amtsgericht München veranlasst mich, aus meiner Sicht einige wesentliche Gesichtspunkte zur erfolgreichen und realistischen Abwehr von Filesharing-Abmahnungen - und von daraus abgeleiteten Klage-Ansprüchen vor Gericht - noch einmal gebündelt zusammenzufassen:

  • Dramatisierenden Veröffentlichungen über vermeintlich völlig einseitige und voreingenommene Richterinnen und Richter, Beschlüsse und Urteile ist mit Vorsicht zu begegnen. Häufig werden Einzelfall-Entscheidungen mit speziellen oder unklaren oder von den Prozessbeteiligten unklar aufbereiteten Sachverhalten überinterpretiert, fehlinterpretiert oder zu Unrecht verallgemeinert. Bei Gericht hört man sich vertiefte Argumente zumeist durchaus an. Bange machen gilt nicht.
  • Die in Filesharing-Abmahnungen oft propagierte, angeblich hundertprozentig sichere und unumstößliche Ermittlungslage sowie das damit korrespondierende Lamentieren der Abmahnungs-Adressaten über ein vermeintlich technisches Ausgeliefertsein der Internet-Anschlussinhaber gegenüber Rechte-Industrie und Anti-Piracy-Web-Crawlern rechtfertigen keineswegs ein zwingend negatives und unangreifbares Bild hinsichtlich des jeweiligen Einzelfalls. Über technische Komponenten und deren menschliche Bedienung, sachgerechte Auslesung, fehlerfreie Weitergabe und forensisch sichere und vollständige Speicherung und Dokumentierung lässt sich oft detailliert zweifeln, trefflich streiten und differenziert urteilen - ebenso wie über mögliche, vom Anschlussinhaber nicht zu verantwortende Fehler-, Störungs- bzw. Verletzungs-Quellen. Dazu sollten allerdings mehr als nur hilflose, pauschale und substanzarme "Schutzbehauptungen" vorgetragen werden.
  • Auf der anderen Seite ersetzt der zwar oft vollmundige und aufgeblähte Inhalt von Abmahnungen häufig auch nicht den erforderlichen, ausreichend substantiierten Klage-Vortrag. Da darf der die Klageerwiderung zu verantwortende Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter des oder der Beklagten nicht jede Klage-Behauptung widerspruchslos hinnehmen, sondern muss unmissverständlich bei vielen Tatbestandsvoraussetzungen "den Finger in die Wunde legen".
  • Trotz der nicht selten geringen Substanz in der Abmahnung verlangen die für die "Rechte-Inhaber" agierenden Rechtsanwälte regelmäßig vom Abmahnungsempfänger nicht nur oft unmögliche und/oder unzumutbare sachverhaltliche und technische Darlegungen unter dramatisierendem Hinweis auf eine sogenannte "sekundäre Darlegungslast"; zusätzlich möchten die Formular-Juristen auch noch gerne die Beweislast hinsichtlich der "festgestellten" Rechtsverletzung und hinsichtlich eines vermeintlichen "Verschuldens" dem Anschlussinhaber bzw. der Anschlussinhaberin zuweisen. Um eine Angabe bzw. Zitierung "eindeutig" anwendbarer gerichtlicher Entscheidungen (s.o.) ist man dabei zumeist nicht verlegen. Demgegenüber hängt die gerichtlich sorgfältig abzuwägende Verteilung der Darlegungslast und der davon zu unterscheidenden Beweislast stattdessen stets von einer Vielzahl von konkreten Umständen bzw. Indizien des jeweiligen Einzelfalls ab. Diese sind im Rahmen des prozessualen Vortrags argumentationsstark aufzuzeigen - das ist kein Durchmarsch, weder für die Kläger-, noch für die Beklagten-Seite.
  • Und um keinen Zweifel daran zu lassen: Es gibt zu Recht (zu geltendem gesetzlichen Urheberrecht, über das man politisch durchaus streiten mag) auch Urteile, mit denen Filesharing-Teilnehmer zu Recht (wie gesagt, zu geltendem Urheberrecht) zu Unterlassung, Schadensersatz und/oder Kostenerstattung verurteilt worden sind - und sei es durch Versäumnisurteil (mangels prozessual erforderlicher Klageverteidigung) oder auch wegen unsachgerechter, fehlerhafter oder unvollständiger Klageerwiderung oder suboptimaler Argumentation und Verhandlung. Derartige gerichtliche Entscheidungen verdienen manches Mal eher Anwalts-Schelte als Richter-Schelte.
  • Schließlich verlangt eine differenzierte Betrachtung des Themas "Tauschbörsen vor Gericht" auch eine Differenzierung hinsichtlich der jeweils geltend gemachten unterschiedlichen urheberrechtlichen Ansprüche: Wer vielleicht urheberrechtlich Unterlassung einer zukünftigen öffentlichen Zugänglichmachung oder - davon zu unterscheiden - der zurechenbaren Ermöglichung  einer urheberrechtwidrigen öffentlichen Zugänglichmachung durch Dritte - beanspruchen kann, dem steht dennoch keineswegs in jedem Fall der zusätzlich geltend gemachte Anspruch auf Erstattung vermeintlich entstandener Rechtsanwaltskosten zu (oder in der verlangten Höhe zu). Und der kann schon gar nicht in jedem Fall verschuldensabhängige Schadensersatzansprüche (zumal in unangemessener Höhe) durchsetzen. Die Abmahnungslobby vermischt in dem Zusammenhang gerne Täter- und Störerhaftung. Auch hier heißt es manches Mal: Differenzieren und argumentieren lernen heißt siegen lernen.