Samstag, 30. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München (2)

Teil 2:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt immer noch.

Amtsgericht München Pacellistraße
Was bisher geschah:
Es geht um die Filesharing-Abmahnung von mehreren (Hör-)Buch-Verlagen. Diese fordern vom verklagten Internetanschluss-Inhaber  urheberrechtlichen Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten - auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007.
Das Gericht hatte mit bemerkenswerter, die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschreitender Sprech-Geschwindigkeit in den Sach- und Streitstoff eingeführt und bemühte sich erkennbar darum, möglichst innerhalb der zunächst angesetzten 30-minütigen Verhandlung den "verfahrenen" Streit um vermeintlichen Filesharing-Verkehr des Beklagten durch einen Zahlungs-Vergleich zu beenden. Die Vergleichsbereitschaft des Internetanschluss-Inhabers sollte mit einem - nach den Worten des Gerichts - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses, beflügelt werden: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren sei.

Die - ohnehin und insbesondere auch in ihren konkreten Anwendung - umstrittene Störerhaftung ist allerdings nicht wirklich seriös mit der verkehrsrechtlichen Halterhaftung vergleichbar: Für Internetanschlüsse gibt es (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften. Die von der Rechtsprechung entwickelte urheberrechtliche Störerhaftung verlangt - anders als die Halterhaftung - zudem die Verletzung von zumutbaren Prüfpflichten. PKW und Router: Ein verkehrs- und urheberechtlich vollkommen "verunglückter" Vergleich also. Der LAN-/WLAN-Router ist eben kein PKW. 
Da hilft es auch nichts, dass die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage wieder mal zu zweit bei Gericht erscheinen, also praktisch mit "Beifahrer" - oder man könnte auch, humorvoll und nett gemeint, sagen: Wie "Waldorf und Statler".
Der engagierte Amtsrichter meinte dann, es gehe ihm darum, "gewisse Wahrscheinlichkeiten nachzufragen."

Damit sind wir beim Thema "Beweislast im Filesharing-Verkehr" angekommen:
Das Gericht führte dem verklagten Internetanschluss-Inhaber dramatische Beweislasten vor Augen, m. E. so dramatisch wie falsch: Tatsächlichen Vermutungen dürfe nicht mit anderen Vermutungen begegnet werden. Unwägbarkeiten gingen zu Lasten des Internetanschluss-Inabers. Ja, dann ist ja alles klar. Keine Chance für Internet-User.

Nein. Das Gericht verwechselt anscheinend "tatsächliche Vermutungen" auf der einen Seite mit "gesetzlichen Vermutungen", "Tatsachenvermutungen" und "Rechtsvermutungen" auf der anderen Seite. Bei letzteren muss der damit Belastete den Beweis des Gegenteils erbringen, was bei tatsächlichen Vermutungen gerade nicht der Fall ist. 
Insoweit werden gleichzeitig - wie so oft - eingeschränkte Beweisführungspflichten mit weitergehenden Beweislasten verwechselt.

Ist das der gerichtliche Filesharing-Beweislaster-Schwerverkehr oder der schwer lastende Verkehrsbeweis bei Filesharing-Gerichten oder sind das die verkehrten Gerichtslasten bei schweren Filesharing-Beweisen? Es gipfelte jedenfalls - wie gesagt - in der gerichtlichen Kundgabe: "Unwägbarkeiten gehen zu Lasten des Beklagten."

Das Gericht erklärte, nach seiner Kenntnis sei noch nie festgestellt worden, dass seitens des Recherche-Unternehmens nicht ordnungsgemäß ermittelt worden sei. Der Anwalt des Beklagten wies darauf hin, dass dem Amtsgericht München nach seiner Kenntnis überhaupt noch kein Sachverständigengutachten zur Frage konkreter ordnungsgemäßer P2P-Recherche und ordnungsgemäßer Dokumentierung und Archivierung vorliegt, sondern vielmehr erst in jüngerer Zeit erstmalig entsprechende Gutachterkosten-Vorschüsse seitens des Gerichts von der klagenden Rechte-Industrie angefordert worden sind. Aussagekräftige Gutachten liegen bis heute nicht vor, schon gar nicht zu Lasten von Abmahnungsempfängern.

Auch die beiden anwesenden Rechtsanwälte der klagenden (Hör-)Buch-Verlage konnten nichts Gegenteiliges darlegen.
Ein Vergleich - bis auf den zwischen PKW und Internet-Router - ist in dieser Angelenheit bisher nicht zustande gekommen. Zu viel verkehrter Filesharing-Verkehr zu Lasten des Beklagten.

Das verfahrene Verfahren geht weiter.

Fortsetzung folgt.


Und zuvor im ersten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing

Mittwoch, 27. Juni 2012

Einbahnstraße in die Abmahnung - Über Filesharing-Verkehr beim Amtsgericht München

Teil 1:

Auto-Routen und WLAN-Router - Halterhaftung und Störerhaftung bei Filesharing


Ein sommerlicher Tag in München, auch an der Pacellistraße 5, in der 8. Etage des Justizgebäudes. Das Bayerische Amtsgericht tagt:

Amtsgericht München Pacellistraße
Keine krachlederne Verhandlungsführung - nein, eine von erkennbarer Aktenkenntnis des promovierten Richters geprägte Einführung in den Sach- und Streitstand. Es geht um die Filesharing-Abmahnung von drei (Hör-)Buch-Verlagen, aus denen mittlerweile zwei Verlagskonzerne geworden sind. Diese fordern Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnungskosten vom Beklagten, der auf der Basis angeblicher Recherche-Ergebnisse aus dem Jahre 2007 der Verletzung von Urheberrechten per Online-Tauschbörse verdächtigt wird.

Der Verkehrsfunk von Radio Arabella hatte im Taxi vom Münchener Flughafen in diePacellistraße eine freie Fahrt und keine Verkehrsstörungen vorhergesagt. Und so war es auch. Bis zur pünktlichen Ankunft bei Gericht.

Die sehr konzentrierte richterliche Zusammenfassung der  zuvor schriftsätzlich anwaltlich gewechselten Standpunkte erfolgte in einer bewundernswerten gerichtlichen Sprech-Geschwindigkeit, die - gefühlt - die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften deutlich überschritten hat. Wäre der Beklagte nicht zuvor eingehend von seinem Anwalt über alle relevanten materiell-rechtlichen und verfahrens-rechtlichen (das hat manchmal auch mit "sich verfahren" zu tun ;-) Gesichtspunkte eingehend unterrichtet worden, hätte der juristische Laie der Verhandlung wohl kaum folgen können - weder zu Fuß, noch mit dem Auto. Für den Verhandlungstermin nach über 100 anwaltlichen Schriftsatzseiten (zzgl. umfangreicher Anlagen) waren allerdings auch nur 30 Minuten angesetzt. Das erwies sich als knapp bemessen. Aber zunächst einmal Schluss mit dem Thema "Raserei" in "Zone 30".


Auf konkretere Sachverhalt-Details wird evtl. zu späterer Zeit einzugehen sein. Hier im ersten Teil dieser Filesharing-Verkehrs-Glosse soll es zunächst um einen Gesichtspunkt gehen:

Die Halterhaftung für Autos.

Das Gericht führte - wie in München insbesondere bei Filesharing-Verfahren (nomen est omen, s.o.) bewährt - intensive Vergleichsgespräche, woran grundsätzlich natürlich nichts auszusetzen ist. Die Mandanten sollten auch prozess-ökonomische Überlegungen nie außer Acht lassen und es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Gerichts, gerade in der Güteverhandlung den Versuch der einverständlichen Lösung einer evtl. verfahrenen (!) Streit-Situation zu unternehmen.

Im hier betroffenen Streit um Täterhaftung und Störerhaftung beim vermeintlichen Filersharing-Verkehr wagte das Gericht allerdings eine Vergleichs-Förderung und -Forderung mit einem - nach eigenen Worten - "laienhaften" Vergleich, und zwar einem Vergleich vom Halter eines Autos mit dem Inhaber eines Internetanschlusses: Das sei schließlich "wie beim Auto". Wenn der Beklagte sein Auto von einem Anderen im Straßenverkehr benutzen lasse, müsse er als Halter schließlich auch haften, wenn mit dem Auto ein Schaden verursacht würde, auch wenn er selbst nicht gefahren ist.

Das diese Beispiel nicht nur ein schlechtes, sondern ein sehr schlechtes Beispiel zur Darlegung bzw. Begründung der Störerhaftung ist, wurde selbstverständlich anwaltlich sofort unmissverständlich vorgetragen - unter anderem unter Hinweis darauf, dass es für Internetanschlüsse (noch) keine Halterhaftung gem. StVG oder gem. anderer gesetzlicher Vorschriften gibt. Entlarvend für eine unangemessene Ausweitung des richterlich entwickelten Rechtsinstituts der Störerhaftung ist das unglückliche oder verunglückte Beispiel allemal. Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Verlage waren übrigens wieder mal zu zweit erschienen, praktisch mit "Beifahrer".

Und demnächst im zweiten Teil der Filesharing-Verkehrs-Glosse:

Der Beweislast(er)-Schwerverkehr

Fortsetzung folgt.

Freitag, 1. Juni 2012

Abmahnung für zweierlei Maß: Wenn ein Link Eindruck erweckt - im Blog und bei Gericht



Medienrechtliche Begründungstechnik aus Hamburg in der Kritik

Nach einem heftig diskutierten aktuellen Urteil der Hamburger Pressekammer soll ein Blogger, und zwar der Kollege Rechtsanwalt Markus Kompa, für Inhalte verlinkter Filmdateien als Störer haften. Über medienrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen kann und darf heftig gestritten werden - auch bei Gericht und auch von unterschiedlichen Gerichten und gerichtlichen Instanzen. Das Urteil der "fliegenden" Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg (Az. 324O 596/11) ist allerdings bereits wegen der im Tatbestand und in seinen Entscheidungsgründen enthaltenen Darstellungs- und Argumentationstechnik als denklogisch, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich kritikwürdig und unangemessen zu bewerten.

In dem Zusammenhang fallen u. a. die folgenden Handhabungen auf:

1.
Schon im Urteilstatbestand wird man unter Zugrundelegung der vom Kollegen Rechtsanwalt Thomas Stadler mitgeteilten Details dem wirklichen Sachvortrag des beklagten Bloggers nicht gerecht.

Im Tatbestand finden sich einige Angaben über das vermeintliche Vorgehen der Mitarbeiter der WISO-Redaktion bzw. des ZDF anlässlich ihres "Besuchs" und der Durchführung von "Filmaufnahmen, die am 22.9.2010 mit versteckter Kamera in der Münchener Arztpraxis des Klägers" gefertigt wurden. Im richterlich abgefassten Tatbestand befinden sich auch einige Einzelheiten zu vermeintlich richtigen oder falschen Inhalten einer in dem streitgegenständlichen Fernsehbeitrag abgebildeten Presseerklärung der Charité.

Angaben zu diesbezüglichen Kenntnis- oder Erkenntnis-Möglichkeiten des bloggenden Beklagten finden sich im Urteilstatbestand demgegenüber nicht, obwohl anscheinend gegenüber dem Leser des Urteils der Eindruck erweckt werden soll, der beklagte Blogger habe diesbezügliche Detail-Kenntnisse gehabt bzw. haben müssen. Aber vielleicht sollten wir dem Urteil nicht voreilig bestimmte Eindruckerweckungen vorhalten, obwohl es selbst massiv dazu neigt; dazu sofort mehr:

2.
Die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung

"Der mit dem Antrag zu Ziffer 2. beanstandete Eindruck, der Kläger habe in seiner Münchener Praxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause gegeben, wird durch die Bezugnahme auf eben die Münchener Praxisräume erweckt. Dieser Eindruck hat jedenfalls prozessual als unwahr zu gelten."

ist entlarvend. Dies gilt insbesondere, wenn einerseits im Zusammenhang mit der Frage eines etwaigen "Eindruck Erweckens" die Pressekammer offensichtlich sehr weite und großzügige Auslegungen vorzunehmen bereit ist, andererseits aber Beweisanträge des Beklagten in recht spitzfindiger Manier und in unangemessener Weise sehr eng auslegen möchte:

"Der Beklagte trägt zwar vor, die Behauptung, der Kläger händige Eigenblutpräparate an seine Patienten aus, sei wahr. Eine solche Äußerung ist aber gar nicht streitgegenständlich. Der Kläger beanstandet nicht die pauschale Aussage, er händige Eigenblutpräparate an Patienten aus, unabhängig davon, wo dies erfolgen soll, sondern bezieht sich ausdrücklich auf eine Abgabe in seiner Münchener Arztpraxis. Ob der Kläger also möglicherweise in seiner Salzburger Praxis Eigenblutpräparate Patienten mit nach Hause gibt, ist weder Gegenstand der angegriffenen Berichterstattung noch des Antrags des Klägers. Bereits aus diesem Grund war dem angebotenen Zeugenbeweis des Beklagten nicht nach zu gehen. Auch darüber hinaus ist der Beweisantritt unsubstantiiert, so dass eine Vernehmung der Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Beweisbehauptung darauf bezieht, dass der "Kläger bzw. dessen Mitarbeiter" die Ampullen an Patienten aushändigten. Der Beklagte lässt in seinem Beweisantritt also selbst offen, ob tatsächlich der Kläger die Eigenblutpräparate den Patienten mit nach Hause gibt. Hier auf  kommt es jedoch gerade entscheidungserheblich an, da nur eine solche Behauptung streitgegenständlich ist."


Das ist nach meiner Auffassung unzulässige Wortklauberei. Hier wird in unerträglicher Weise mit zweierlei Maß gemessen.Was veranlasst das Gericht, einem Beweisantritt zu unterstellen, es gehe darin nicht um die naheliegende streitgegenständliche Auslegungsvariante?

Auch unabhängig von der Frage, welche Eindruckerweckungen man aus medialen Berichterstattungen abzuleiten in der Lage oder Willens ist, beschneidet die nicht sachgerechte Berücksichtigung der Beweisantritte des Beklagten diesen nachhaltig in seinen prozessualen Rechten.

3.
Soweit über die fragliche Existenz eines „Gutachtens“ oder einer „objektiven gutachterlichen Beurteilung“ der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des klagenden Krebsarztes gestritten wird, finden sich im erstinstanzlichen Urteil widersprüchliche Ansätze und Bewertungen:

 - „Die in dem Fernsehbeitrag gezeigte Abbildung einer Pressemitteilung der Charité bestreitet ausdrücklich die Existenz zur Wirksamkeit der Therapien.“
 - „Dieser Eindruck wird durch den vom Beklagten verfassten Text, der unterhalb des Videos mit dem ZDF-Beitrag zu sehen ist, nicht revidiert.“
 - Der beklagte Blogger weise dort lediglich darauf hin, dass der umstrittene Krebsarzt „stets mit einem vierseitigen Gutachten der Charité“ … „argumentiere“.

Heißt Distanzierung von verlinkten Inhalten jetzt neuerdings „Revidierung“?
Wie soll ein Blogger sachgerechter mit der kurzen Darstellung von (medienrechtlichen) Streitfällen umgehen, als mit der Erwähnung oder Skizzierung beider Streitpositionen?

Falls ein Blogger dabei ansatzweise eigene Bewertungen einfließen lassen sollte – was im Übrigen m. E. mit eine der vornehmsten Aufgaben eines Bloggers ist (!) – dürfte selbst dies vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.

Das Hamburger Urteil geht allerdings noch weiter: Es legt sich fest und legt dabei zu Grunde: „Der so erweckte Eindruck ist unwahr.“ In dem Zusammenhang verweist es auf eine „gutachterliche Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin.“ Ja, da wird mal wieder mit weniger anspruchsvollen Maßstäben agiert - statt mit der an anderer Stelle manchmal "akribischen" Bedeutungszumessung zu bestimmten Begrifflichkeiten oder Formulierungen: So wird schon mal schnell aus einer schlichten „gutachterlichen Stellungnahme der Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin“ ein „Gutachten der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des Dr.  …“ bzw. eine „objektive gutachterliche Beurteilung, welche den Therapieerfolg wissenschaftlich glaubwürdig belegt“, wie es im dritten Klageantrag heißt. Erstaunlich ungenau, wenn man bedenkt, wie genau die Blog-Formulierungen des Beklagten eingegrenzt werden.

4.
Mit zweierlei Maß wird auch dann gemessen, wenn es um die juristisch und prozessual übliche und zulässige Möglichkeit geht, sich im Rahmen seines Vortrages auf den Inhalt konkret beigefügter Texte zu beziehen.

Die erkennende Kammer verweist in ihren Entscheidungsgründen über lange Passagen auf Urteilstexte aus einem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren des klagenden Krebsarztes gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts, um damit das hier kritisierte Urteil zu begründen. Dem Beklagten wird im gleichen prozessualen Verfahren und mit dem gleichen Urteil demgegenüber das Recht abgesprochen, sich zur Vermeidung von Wiederholungen seinerseits auf den Text der Widerspruchsschrift vom 26.1.2012 aus eben dem vom Gericht im Urteil unter Bezug genommenen Verfahren des Klägers gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf den Schriftsatz der dortigen Antragsgegnerin vom 9.3.2012 zu beziehen und sich den dortigen Inhalt zu Eigen zu machen.

Auch dem Antrag des Bloggers, die vorerwähnte Verfahrensakte beizuziehen, wurde seitens des Gerichts nicht entsprochen.

Im Urteil halten es die Richter dennoch für richtig, sich über drei Seiten lang gerade auf den Inhalt des dort gefällten Urteils zur Begründung des hier gefällten Urteils zu beziehen.

5.
Eine Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens wäre im Übrigen auch bereits vor dem Hintergrund des prozessualen Grundsatzes der "Waffengleichheit" fair und geboten gewesen. Dies gilt um so mehr, als die Kammer offensichtlich maßgeblich auf Erkenntnisse oder Bewertungen aus dem Parallelverfahren zurückgreifen will.

6.
Soweit die Pressekammer journalistische Recherchen als "Ausspionieren" klassifiziert bzw. abqualifiziert, ist auch eine derartige Urteilssprache entlarvend. Vier Seiten weiter verlangt das Urteil vom Blogger "eigene Recherchen" zu den Inhalten der verlinkten Filmdatei.

7.
Im hier der Kritik ausgesetzten aktuellen Urteil aus Hamburg ist immer wieder von "Praxis", "Praxisräumen", "Arztpraxis" oder "Arztpraxisräumen" die Rede. Eine genauere und eindeutigere Spezifizierung der Räumlichkeiten findet nicht statt, obwohl nach dem - wenn auch im gerichtlichen Urteilstatbestand nicht wiederfindbar - wohl unstreitig gebliebenen Sachvortrag des Beklagten klargestellt wurde, dass die Filmaufnahmen des ZDF-Teams "keineswegs in den Behandlungszimmern stattfanden, sondern in dem für jedermann frei zugänglichenEmpfangsbereich", was für die Qualität des rechtlich zu bewertenden Schutzbereiches nicht unerheblich sein dürfte.

Dies gilt erst recht, falls der klagende Krebsarzt auch selbst mit Bildaufnahmen seines Instituts bzw. des dortigen Empfangsbereichs nach außen öffentlich und werblich in Erscheinung tritt oder trat. Die entsprechenden Räumlichkeiten sind wohl auch grundsätzlich frei zugänglich, was bei der Abwägung etwaiger Persönlichkeitsrechts-Beeinträchtigungen naturgemäß ebenfalls nicht unbeachtet bleiben darf.

8.
Das Urteil lässt einerseits offen, ob der Blogger sich den Inhalt des verlinkten Fernsehbeitrages zu Eigen macht, andererseits heißt es in den Entscheidungsgründen, „dass er sich nicht inhaltlich mit dem Beitrag auseinandersetzt.“ Dennoch bemüht man die „Grundsätze der Störerhaftung“ und verlangt vom verlinkenden Blogger, Links „zu hinterfragen und eigene Recherchen zu unternehmen“. Der Blogger habe „bei dem Betroffenen nachfragen müssen.“ Und was ist mit weiteren Recherchen des Bloggers beim ZDF … und bei der Charité … und vielleicht auch noch bei unbeteiligten Sachverständigen? Und das alles, „um so das Verhalten des Klägers kritisch zu kommentieren“, wie es an weiterer Stelle des Urteils zu dem Blog-Beitrag des Beklagten heißt. Da werde jemand schlau draus. Medienrechtlich und verfassungsrechtlich wird da allerdings wohl so schnell keiner schlau draus.

9.
Dass die Fachkammer bei der Auslegung der bereits abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärungen des beklagten Bloggers wieder zu m. E. zu engen und zu strengen Auslegungstendenzen neigt, mag an anderer Stelle erörtert werden, wenn es auch ebenfalls ins Bild passt bzw. zu dem schlechten Eindruck einer gerichtlichen Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe.