Medienrechtliche Begründungstechnik aus Hamburg in der Kritik
Nach einem heftig diskutierten aktuellen Urteil der
Hamburger Pressekammer soll ein Blogger, und zwar der Kollege Rechtsanwalt
Markus Kompa, für Inhalte verlinkter Filmdateien als
Störer haften. Über medienrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen kann und darf heftig gestritten werden - auch bei Gericht und auch von unterschiedlichen Gerichten und gerichtlichen Instanzen. Das Urteil der "fliegenden" Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg (
Az. 324O 596/11) ist allerdings bereits wegen der im Tatbestand und in seinen Entscheidungsgründen
enthaltenen
Darstellungs- und
Argumentationstechnik als denklogisch, verfahrensrechtlich und
materiellrechtlich kritikwürdig und unangemessen zu bewerten.
In dem Zusammenhang fallen u. a. die folgenden Handhabungen
auf:
1.
Schon im Urteilstatbestand wird man unter Zugrundelegung
der
vom Kollegen Rechtsanwalt Thomas Stadler mitgeteilten Details dem
wirklichen Sachvortrag des beklagten Bloggers nicht gerecht.
Im Tatbestand finden sich einige Angaben über das vermeintliche Vorgehen
der Mitarbeiter der WISO-Redaktion bzw. des ZDF anlässlich ihres
"Besuchs" und der Durchführung von "Filmaufnahmen, die am
22.9.2010 mit versteckter Kamera in der Münchener Arztpraxis des Klägers"
gefertigt wurden. Im richterlich abgefassten Tatbestand befinden sich auch
einige Einzelheiten zu vermeintlich richtigen oder falschen Inhalten einer in
dem streitgegenständlichen Fernsehbeitrag abgebildeten Presseerklärung der
Charité.
Angaben zu diesbezüglichen Kenntnis- oder
Erkenntnis-Möglichkeiten des bloggenden Beklagten finden sich im Urteilstatbestand demgegenüber
nicht, obwohl anscheinend gegenüber dem Leser des Urteils der Eindruck erweckt werden soll, der
beklagte Blogger habe diesbezügliche Detail-Kenntnisse gehabt bzw. haben
müssen. Aber vielleicht sollten wir dem Urteil nicht voreilig bestimmte
Eindruckerweckungen vorhalten, obwohl es selbst massiv dazu neigt; dazu sofort mehr:
2.
Die in den Entscheidungsgründen enthaltene Formulierung
"Der mit dem Antrag zu Ziffer 2. beanstandete Eindruck, der Kläger
habe in seiner Münchener Praxis Patienten Eigenblutpräparate mit nach Hause
gegeben, wird durch die Bezugnahme auf eben die Münchener Praxisräume erweckt.
Dieser Eindruck hat jedenfalls prozessual als unwahr zu gelten."
ist entlarvend. Dies gilt insbesondere, wenn einerseits im
Zusammenhang mit der Frage eines etwaigen "Eindruck Erweckens" die
Pressekammer offensichtlich sehr weite und großzügige Auslegungen vorzunehmen
bereit ist, andererseits aber Beweisanträge des Beklagten in recht
spitzfindiger Manier und in unangemessener Weise sehr eng auslegen möchte:
"Der Beklagte trägt zwar vor, die Behauptung, der Kläger händige
Eigenblutpräparate an seine Patienten aus, sei wahr. Eine solche Äußerung ist
aber gar nicht streitgegenständlich. Der Kläger beanstandet nicht die pauschale
Aussage, er händige Eigenblutpräparate an Patienten aus, unabhängig davon, wo
dies erfolgen soll, sondern bezieht sich ausdrücklich auf eine Abgabe in seiner
Münchener Arztpraxis. Ob der Kläger also möglicherweise in seiner Salzburger
Praxis Eigenblutpräparate Patienten mit nach Hause gibt, ist weder Gegenstand
der angegriffenen Berichterstattung noch des Antrags des Klägers. Bereits aus
diesem Grund war dem angebotenen Zeugenbeweis des Beklagten nicht nach zu
gehen. Auch darüber hinaus ist der Beweisantritt unsubstantiiert, so dass eine
Vernehmung der Zeugen auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe.
Dies folgt schon aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Beweisbehauptung darauf
bezieht, dass der "Kläger bzw. dessen Mitarbeiter" die Ampullen an
Patienten aushändigten. Der Beklagte lässt in seinem Beweisantritt also selbst
offen, ob tatsächlich der Kläger die Eigenblutpräparate den Patienten mit nach
Hause gibt. Hier auf kommt es jedoch
gerade entscheidungserheblich an, da nur eine solche Behauptung
streitgegenständlich ist."
Das ist nach meiner Auffassung unzulässige Wortklauberei. Hier
wird in unerträglicher Weise mit zweierlei Maß gemessen.Was veranlasst das Gericht, einem Beweisantritt zu unterstellen, es gehe darin nicht um die naheliegende streitgegenständliche Auslegungsvariante?
Auch unabhängig von der Frage, welche Eindruckerweckungen
man aus medialen Berichterstattungen abzuleiten in der Lage oder Willens ist,
beschneidet die nicht sachgerechte Berücksichtigung der Beweisantritte des Beklagten diesen
nachhaltig in seinen prozessualen Rechten.
3.
Soweit über die fragliche Existenz eines „Gutachtens“ oder
einer „objektiven gutachterlichen Beurteilung“ der Charité zur Wirksamkeit der
Therapien des klagenden Krebsarztes gestritten wird, finden sich im erstinstanzlichen
Urteil widersprüchliche Ansätze und Bewertungen:
- „Die in dem
Fernsehbeitrag gezeigte Abbildung einer Pressemitteilung der Charité bestreitet
ausdrücklich die Existenz zur Wirksamkeit der Therapien.“
- „Dieser Eindruck
wird durch den vom Beklagten verfassten Text, der unterhalb des Videos mit dem
ZDF-Beitrag zu sehen ist, nicht revidiert.“
- Der beklagte
Blogger weise dort lediglich darauf hin, dass der umstrittene Krebsarzt „stets
mit einem vierseitigen Gutachten der Charité“ … „argumentiere“.
Heißt Distanzierung von verlinkten Inhalten jetzt
neuerdings „Revidierung“?
Wie soll ein Blogger sachgerechter mit der kurzen
Darstellung von (medienrechtlichen) Streitfällen umgehen, als mit der Erwähnung
oder Skizzierung beider Streitpositionen?
Falls ein Blogger dabei ansatzweise eigene Bewertungen
einfließen lassen sollte – was im Übrigen m. E. mit eine der vornehmsten Aufgaben
eines Bloggers ist (!) – dürfte selbst dies vor dem Hintergrund der
verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht zu einer anderen
rechtlichen Beurteilung führen.
Das Hamburger Urteil geht allerdings noch weiter: Es legt
sich fest und legt dabei zu Grunde: „Der so erweckte Eindruck ist unwahr.“ In
dem Zusammenhang verweist es auf eine „gutachterliche Stellungnahme der Charité
zur Wirksamkeit des Arzneimittels Eigenblutytokine in der Tumormedizin.“ Ja, da
wird mal wieder mit weniger anspruchsvollen Maßstäben
agiert - statt mit der an anderer Stelle manchmal "akribischen" Bedeutungszumessung zu bestimmten
Begrifflichkeiten oder Formulierungen: So wird schon mal schnell aus einer schlichten „gutachterlichen Stellungnahme der
Charité zur Wirksamkeit des Arzneimittels
Eigenblutytokine in der Tumormedizin“ ein „Gutachten der Charité zur Wirksamkeit der Therapien des Dr. …“ bzw.
eine „objektive gutachterliche
Beurteilung, welche den Therapieerfolg
wissenschaftlich glaubwürdig belegt“, wie es im dritten Klageantrag heißt. Erstaunlich ungenau, wenn man bedenkt, wie genau die Blog-Formulierungen des Beklagten eingegrenzt werden.
4.
Mit zweierlei Maß wird auch dann gemessen, wenn es um die
juristisch und prozessual übliche und zulässige Möglichkeit geht, sich im
Rahmen seines Vortrages auf den Inhalt konkret beigefügter Texte zu beziehen.
Die erkennende Kammer verweist in ihren Entscheidungsgründen
über lange Passagen auf Urteilstexte aus einem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren
des klagenden Krebsarztes gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf
Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts, um damit das hier kritisierte
Urteil zu begründen. Dem Beklagten wird im gleichen prozessualen Verfahren und
mit dem gleichen Urteil demgegenüber das Recht abgesprochen, sich zur
Vermeidung von Wiederholungen seinerseits auf den Text der Widerspruchsschrift
vom 26.1.2012 aus eben dem vom Gericht im Urteil unter Bezug genommenen Verfahren
des Klägers gegen das ZDF (Az. 324 O 657/10) sowie auf den Schriftsatz der
dortigen Antragsgegnerin vom 9.3.2012 zu beziehen und sich den dortigen Inhalt
zu Eigen zu machen.
Auch dem Antrag des Bloggers, die vorerwähnte
Verfahrensakte beizuziehen, wurde seitens des Gerichts nicht entsprochen.
Im Urteil halten es die Richter dennoch für richtig, sich
über drei Seiten lang gerade auf den Inhalt des dort gefällten Urteils zur
Begründung des hier gefällten Urteils zu beziehen.
5.
Eine Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens wäre im
Übrigen auch bereits vor dem Hintergrund des prozessualen Grundsatzes der
"Waffengleichheit" fair und geboten gewesen. Dies gilt um so mehr,
als die Kammer offensichtlich maßgeblich auf Erkenntnisse oder Bewertungen aus
dem Parallelverfahren zurückgreifen will.
6.
Soweit die Pressekammer journalistische Recherchen als
"Ausspionieren" klassifiziert bzw. abqualifiziert, ist auch eine
derartige Urteilssprache entlarvend. Vier Seiten weiter verlangt das Urteil vom Blogger "eigene Recherchen" zu den Inhalten der verlinkten Filmdatei.
7.
Im hier der Kritik ausgesetzten aktuellen Urteil aus
Hamburg ist immer wieder von "Praxis", "Praxisräumen",
"Arztpraxis" oder "Arztpraxisräumen" die Rede. Eine genauere
und eindeutigere Spezifizierung der Räumlichkeiten findet nicht statt, obwohl
nach dem - wenn auch im gerichtlichen Urteilstatbestand nicht wiederfindbar -
wohl unstreitig gebliebenen Sachvortrag des Beklagten klargestellt wurde, dass
die Filmaufnahmen des ZDF-Teams
"keineswegs in den Behandlungszimmern stattfanden, sondern in dem für jedermann frei zugänglichenEmpfangsbereich", was für die Qualität des rechtlich zu bewertenden Schutzbereiches
nicht unerheblich sein dürfte.
Dies gilt erst recht, falls der klagende Krebsarzt auch
selbst mit Bildaufnahmen seines Instituts bzw. des dortigen Empfangsbereichs
nach außen öffentlich und werblich in Erscheinung tritt oder trat. Die
entsprechenden Räumlichkeiten sind wohl auch grundsätzlich frei zugänglich, was
bei der Abwägung etwaiger Persönlichkeitsrechts-Beeinträchtigungen naturgemäß
ebenfalls nicht unbeachtet bleiben darf.
8.
Das Urteil lässt einerseits offen, ob der Blogger sich den
Inhalt des verlinkten Fernsehbeitrages zu Eigen macht, andererseits heißt es in
den Entscheidungsgründen, „dass er sich nicht inhaltlich mit dem Beitrag
auseinandersetzt.“ Dennoch bemüht man die „Grundsätze der Störerhaftung“ und
verlangt vom verlinkenden Blogger, Links „zu hinterfragen und eigene Recherchen zu
unternehmen“. Der Blogger habe „bei dem Betroffenen nachfragen müssen.“ Und was
ist mit weiteren Recherchen des Bloggers beim ZDF … und bei der Charité … und vielleicht
auch noch bei unbeteiligten Sachverständigen? Und das alles, „um so das
Verhalten des Klägers kritisch zu kommentieren“, wie es an weiterer Stelle des
Urteils zu dem Blog-Beitrag des Beklagten heißt. Da werde jemand schlau draus.
Medienrechtlich und verfassungsrechtlich wird da allerdings wohl so schnell
keiner schlau draus.
9.
Dass die Fachkammer bei der Auslegung der bereits
abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärungen des beklagten Bloggers
wieder zu m. E. zu engen und zu strengen Auslegungstendenzen neigt,
mag an anderer Stelle erörtert werden, wenn es auch ebenfalls ins Bild passt bzw. zu dem schlechten Eindruck einer
gerichtlichen Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe.