Dienstag, 25. August 2015

Filesharing-Urteil des LG München I: Verwunderungen aus dem Rahmen des (Un)Zumutbaren

Urheberrecht: In München wundern sich Gerichte - und Internetanschlussinhaber
Das kann nicht wahr (und nicht rechtens) sein: Das Landgericht München I zeigt sich verwundert über den detaillierten Sachvortrag eines Internetanschlussinhabers fast fünf Jahre nach einer Filesharing-Abmahnung, verlangt aber gleichzeitig einen noch viel detaillierten Verteidigungsvortrag.

Fragwürdige schriftliche Niederlegung hat diese prekäre Widersprüchlichkeit gefunden im Urteil der 21.Zivilkammer des Landgerichts München I vom 08.07.2015 (Az. 21 S 19026/14).

Darin werden vorausgegangene BGH-Entscheidungen zwar korrekt zitiert; die daraus von den Münchner Richtern abgeleiteten Argumentationsstränge verlieren allerdings erkennbar den Faden nach Karlsruhe.

In den Entscheidungsgründen aus Bayern heißt es u. a. zu Recht:

„Nicht verhehlen kann die Kammer ihre Verwunderung darüber, dass der Beklagte – gleichsam aus dem Nichts – nach knapp fünf Jahren detailliert rekonstruieren kann, wann er welche Maßnahmen im Nachgang zur Abmahnung vom xxxxxxxxxx  vorgenommen hat.“

Dennoch meint das Berufungsgericht, dass „der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht“ genügt.

Ein Schelm, wer da nicht den in den landgerichtlichen Entscheidungsgründen selbst zitierten, von der einschlägigen BGH-Rechtsprechung aufgestellten „Rahmen des Zumutbaren“ für gesprengt erachtet.

Das Landgericht München I erwartete insbesondere noch detailliertere Angaben des Beklagten „zu seinen einzelnen Nachforschungen“ innerhalb der Familie, dazu, „welche konkreten Maßnahmen er unternommen hat, um relevante Informationen zu erhalten“, sowie alle möglichen Details zu Fragen der Auffindung, der Speicherung, der Entnahme und/oder der Inhalte eines etwaigen Routerprotokolls.

Wenn man dieses Urteil liest, wird man das Gefühl nicht los, dass versucht wird, die Anforderungen an die sekundären Darlegungen zur Nutzung des familiären Internetanschlusses und die Anforderungen an etwaige Nachforschungen (zumal innerhalb des eigenen Haus­halts bzw. innerhalb der eigenen Familie) in gleicher Weise zu überspannen, wie die frühere und zwischenzeitlich vom BGH und vom Bundesverfas­sungs­gericht korrigierte Kölner Rechtsprechung dies hinsichtlich ihrer übertriebenen (und mittlerweile überholten) Anforderungen zur Familien-Überwachung und -Belehrung getan hat.

Mit derart ausufernden und praktisch nie erfüllbaren richterlichen Ansprüchen an interfamiliäre Ermittlungen, technischen Sachverstand und archivarisches Erinnerungsvermögen der Internetanschlussinhaber wird die aktuelle "Münchner Linie" allerdings m. E. in Karlsruhe ebenso wenig durchkommen wie die früheren Überforderungstendenzen des LG und des OLG Köln.

Entgegenstehende realistischere und auch urheberrechtlich und verfassungsrechtlich angemessenere Entscheidungen beispielsweise aus Bielefeld müssen demgegenüber nicht verwundern; sie zeigen vielmehr den richtigen Weg auf - im Rahmen des Zumutbaren.