Dienstag, 29. September 2015

Verblüffendes Filesharing-Urteil entlarvt Abmahnungen und Schadensfantasie

Es gibt noch Richter und Richterinnen, die rechnen können.
Der von mir geschätzte Kollege Jens Ferner postet in einem lesenswerten Beitrag heute zu einem brillanten urheberrechtlichen Urteil des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 13.08.2015 (Az. 8 C 1023/15). Die Akribie, mit der das Gericht sich in urheberrechtliche, technische und mathematische Details und Abläufe von Online-Tauschbörsen hineingefuchst hat, ist bewundernswert und in der bisherigen deutschen Rechtsprechungspraxis zu Filesharing-Abmahnungen einmalig.

Das Gericht bricht medien-technisch und rechnerisch die von der Abmahnungsindustrie propagierten Schadensszenarien auf realistische und marktrelevante Größen herunter und schmilzt damit korrespondierend gleichzeitig die überhöhten Gegenstandswerte ein. Diese Entscheidung ist allen Betroffenen und insoweit Interessierten dringend ans Herz zu legen.
Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich übrigens gleichzeitig auch kritisch ("technisch nicht haltbar") mit einer der drei bisher unveröffentlichten Entscheidungen des BGH vom 11.06.2015 (Az. I ZR 7/14) auseinander, in der der BGH recht unkritisch Kölner Schadensbezifferungen bzw. -Schätzungen i. H. v. 200,00 € übernommen und akzeptiert hat.
Noch mehr als das Ergebnis ("2,04 €") bringen die vom Gericht fundiert aufgezeigten (Auf-)Lösungswege eine realistische Verteidigung gegen unberechtigte Filesharing-Abmahnungen und überhöhte Geld-Forderungen weiter.
Am Ende des Urteils heißt es zu Recht:
„Das Gericht verkennt schließlich nicht, dass seine vorstehenden Ausführungen, wenn ihnen andere Gerichte folgen würden, das Abmahnwesen im Bereich des Urheberrechts weniger lukrativ machen und schließlich die effektive Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in Tauschbörsen beeinträchtigen mögen. Hieraus kann jedoch nicht folgen, dass tatsächlich nicht entstandene – pönale – Schäden liquidiert werden und das Fehlen der unter Richtern wenig verbreiteten technischen Kenntnisse als Vehikel hierfür genutzt wird.“
Lesen!

Freitag, 18. September 2015

Markenrecht in Gummi und Goldfolie: Freiheit für die Goldbären

Darf 'ne Gummi-Marke per  ein Schoko-Design verbieten?
Am 23.09.2015 wird der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofes sein Urteil über den schokoladigen „Goldbären“ fällen (Az. I ZR 105/15). Abmahnerin und Klägerin ist die Fruchtgummi-Produzentin Haribo, die u.a. die sogenannten “Gummibärchen“ in goldfarbenen Verpackungen unter der Bezeichnung “GOLDBÄREN“ vermarktet. Haribo ist Inhaberin der Wortmarken “GOLDBÄREN“, “Goldbär“, und “Gold-Teddy“ sowie der Farbmarke “Gold“. Beklagte ist die Firma Lindt, die den sogenannten „Lindt Teddy“ vertreibt, eine in Goldfolie eingewickelte Schokoladenfigur in der Form eines Bären.

Die Richter des LG Köln hatten mit Urteil vom 18.12.2012(Az. 33 O 803/11) noch den Gummibärchen aus Bonn Recht gegeben: Die bärige und goldfolierte Schokolade beeinträchtigte in unlauterer Weise die Unterscheidungskraft der bekannten Marke “GOLDBÄREN“.
Der Berufungssenat des OLG Köln hatte dann stattdessen am11.04.2014 (Az. 6 U 230/12) die Klage gegen den Schweizer Schokoladen-Bären abgewiesen:  Allein Farbe und Form des goldigen Lindt-Schokobären riefen beim Verbraucher keine „ungezwungene gedankliche Verknüpfung“ zu der bekannten Marke “GOLDBÄREN“ hervor. Zudem stelle die Bezeichnung “GOLDBÄR“ für die Verbraucher auch keine naheliegende Bezeichnung für den Schokobären dar. Das Publikum werde durch die auf der Umverpackung verwendeten Wortbestandteile “Lindt“ bzw. “Lindt-Teddy“ – auch vor dem Hintergrund der Produktnähe zum sogenannten “Goldhasen“ - vielmehr gerade auf das beklagte Unternehmen „Lindt“ hingewiesen und nicht auf die Gummibärchen von Haribo, die auch keine ausreichende Ähnlichkeit mit den Schokobären aufwiesen; insofern scheide auch eine Verwechslungsgefahr aus.
Die Firma Haribo meint immer noch, die Gestaltung des “Lindt Teddys“ stelle die dreidimensionale bildliche Darstellung der berühmten, bei 95 Prozent der Verbraucher bekannten Wortmarke “GOLDBÄR“ dar und verletzte bereits deshalb ihre Markenrechte, aber auch wettbewerbsrechtliche Nachahmungsverbote hinsichtlich ihrer “Goldbärenfigur“ sowie der “Goldbärenproduktform“. Die Gummibärchen verlangen mit ihrer Revision insofern von dem Schokoladenhersteller weiterhin Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz und die Vernichtung der putzigen Schokobären.
Die Schokoladenfabrikanten aus der Schweiz wehren sich mit der Argumentation, die Schoko-Figur des „Teddy“ stelle lediglich eine Fortentwicklung ihrer seit längerer Zeit entwickelten Produktlinie dar, zu der z. B. auch der “Lindt Goldhase“ gehöre. Außerdem sei die Teddybärenfigur eine im Süßwarenbereich öfter verwendete Form.
Der Vorsitzende des Karlsruher BGH-Senats fand in der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2015 zwar beide Naschbären „süß“, ließ aber Bedenken erkennen, ob Haribo tatsächlich im Süßwaren-Regal für sich alle möglichen goldenen Bären monopolisieren darf.
Das wäre auch aus meiner Sicht einerseits schade und andererseits weder durch das Markenrecht, noch durch das Wettbewerbsrecht zu rechtfertigen. Deshalb: Freiheit für die goldigen Schokoladen-Bärchen. Die Goldfolie will ja niemand essen.

Update: Der BGH hat am 23.09.2015 die von mir prognostizierte und favorisierte Entscheidung gegen eine Monopolisierung des "Goldbären" per Marke getroffen und hierzu diese Pressemitteilung herausgegeben. Gut so.

 

Montag, 7. September 2015

Geniales Filesharing-Urteil zu Datenmüll und Datenschutz, Beweislast und Beweisverwertungsverbot

 
 
Der Kollege Loebisch lobt in seinem heutigen, sehr lesenswerten Posting zu Recht die technisch versierten und datenschutzrechtlich sattelfesten Richterinnen und Richter der 6. Zivilkammer des LG Frankenthal, „für die technische und datenschutzrechtliche Erwägungen keine unnötige Verkomplizierung sind, dem Beschleunigungsgrundsatz des Zivilprozessrechts zuwiderlaufend, sondern Basis jeder Rechtsprechung mit Online-Bezug“.
Und in jeder Hinsicht zustimmen kann ich dem versierten Kollegen auch darin:
„Zu lange profitierte die Abmahnindustrie nicht zuletzt von einem technischen Wissensgefälle zwischen ihr und den Gerichten. Mit Erwägungen aus dem Datenschutzrecht lässt sich manche vorschnelle und all zu routiniert herausgejagte Filesharing-Abmahnung zu Fall bringen.“ So ist es.
Und so sieht das lobenswerte Urteil - zumindest in "Dateifragmenten" - aus:
Das Filesharing-Urteil des LG Frankenthal/Pfalz vom 11. August 2015 (Az. 6 O 55/15) befasst sich instruktiv mit einem Beweisverwertungsverbot bei Reseller-Verträgen und mit der Beweislastverteilung bei recherchierten Dateifragmenten – mit sehr kenntnisreichen und konsequenten Erwägungen und daraus abgeleiteter Klageabweisung.
1. Wenn der abgemahnte Internetanschlussinhaber einen Internet-Vertrag mit einem Reseller - wie z. B. 1&1 – abgeschlossen hat, macht der Abmahner seinen Auskunftsanspruch nach § 101 UrhG aber demgegenüber nur gegen den Netzbetreiber (z. B. die Deutsche Telekom) geltend, dann gilt hinsichtlich der ermittelten Auskunftsdaten ein Beweisverwertungsverbot:
„Soweit Netzbetreiber und Endkundenanbieter nicht identisch sind …, ist am Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der allein als Vertragspartner des Anschlussinhabers in Erscheinung tretende Accessprovider (‚Reseller‘) zu beteiligen; ohne ein solches Verfahren erlangte Daten unterliegen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer in einem späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber regelmäßig einem Beweisverwertungsverbot (…). Im Übrigen entscheidet bei Auseinanderfallen des Sitzes von Netzbetreiber und Endkundenanbieter in verschiedene Gerichtsbezirke … aufgrund der in § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nur so der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.“
Das Landgericht sieht das Grundrecht des abgemahnten und verklagten Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG berührt.
2. Zur Darlegungslast des Abmahners und Klägers hinsichtlich der Frage, ob über den fraglichen Internetanschluss tatsächlich eine vollständige und lauffähige Werk-Version zum Download angeboten wurde oder ob es sich lediglich um eine unvollständige Datei und damit etwaigen „Datenmüll“ handelte, führt die 6. Zivilkammer des Pfälzer Landgerichts aus:
„Da das Urheberrecht den Urheber vor der unberechtigten Nutzung seines Werkes schützt (§ 11 UrhG), hat der Anspruchsteller in sog. „Filesharing“-Fällen grundsätzlich substantiiert darzulegen, dass über den Anschluss des in Anspruch Genommenen tatsächlich eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk beinhaltende Datei zum Download bereitgestellt worden ist. Eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei ist im Hinblick auf die darin enthaltenen Daten nämlich regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar, weshalb das Zurverfügungstellen einer derartigen Teildatei keine – auch nur teilweise – Nutzung des geschützten Werkes darstellt; es handelt sich in diesem Fall demnach nicht um isoliert nutz- oder wahrnehmbare Werkteile, sondern lediglich um sog. „Datenmüll“ (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 30.09.2014 – 6 O 518/13 (…). Dies unterscheidet „Filesharing“-Fälle wie den vorliegenden grundlegend u.a. von Fällen, in denen kleine oder auch nur kleinste Teile eines Werkes durch einen Dritten unberechtigter Weise genutzt werden (…).“
3. Zur Beweislastverteilung, wenn es sich lediglich um Dateifragmente handelt, heißt es in dem aktuellen Urteil:
„Kann dagegen nicht nachgewiesen werden, dass die beklagte Partei eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk (oder Teile davon) enthaltende Datei zum Herunterladen zur Verfügung gestellt hat oder war dies unstreitig nicht der Fall, hat der Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die vom in Anspruch Genommenen konkret zum Download bereit gestellten Dateifragmente tatsächlich zumindest auch Werkfragmente enthalten, die sich mit Hilfe gängiger oder zumindest allgemein zugänglicher Hard- und Software wiedergeben bzw. in sonstiger Weise sinnvoll im Sinne des § 11 UrhG nutzen lassen und damit mehr darstellen als bloßen „Datenmüll“. Erst wenn dieser Beweis erfolgreich geführt werden kann, wäre im Hinblick auf die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche weiter zu prüfen, in welchem konkreten Umfang Werkfragmente genutzt worden sind.“

Diese Urteil sollte wirklich weit davon entfernt sein, als "Datenmüll" abgelegt zu werden, findet sich hier doch mal ein geniales Beispiel dafür, das technischer Sachverstand, datenschutzrechtliche Sensibilität und urheberrechtliches Know-how sich nicht ausschließen müssen - auch nicht an deutschen Gerichten.